OGH vom 11.12.2001, 10ObS382/01a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmuth Prenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W***** KG, Fleischerei-Restaurant, ***** , im Revisionsverfahren nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1103 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiedereinstellungsbeihilfe, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 192/01f-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 3 Cgs 222/00h-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Rechtsmittelschrift selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Elvira K*****, eine Dienstnehmerin der klagenden Partei (im Folgenden: Dienstnehmerin), hat am einen Sohn geboren. Aus diesem Anlass bezog sie bis Wochengeld und vom bis (einschließlich) Karenzgeld. Zwischen der klagenden Partei und der Dienstnehmerin war ein Karenzurlaub in der Dauer von 18 Monaten (gerechnet ab der Geburt des Kindes) vereinbart. Die Dienstnehmerin befand sich auch tatsächlich vom bis in Karenzurlaub und war anschließend ab wieder von der beklagten Partei zur Sozialversicherung gemeldet. Als die Dienstnehmerin bei der beklagten Partei Karenzgeld beantragte, wurde ihr keine Auskunft hinsichtlich der genauen Berechnung des Zeitraumes des vereinbarten 18-monatigen Karenzurlaubes erteilt, obwohl sie mitteilte, dass sie über die Fristberechnung nicht genau Bescheid wisse. Die Sachbearbeiterin der zuständigen Bezirksstelle der beklagten Partei bestand aber darauf, dass die Dienstnehmerin das Formblatt "Bestätigung über die Inanspruchnahme eines Karenzurlaubes" (Beilage C) vollständig ausfülle. Die Dienstnehmerin berechnete daraufhin selbst das Fristende (des vereinbarten 18-monatigen Karenzurlaubes) mit und trug dieses Datum in das Formblatt (Beilage C) ein. Dieses wurde in der Bezirksstelle der beklagte Partei in der Folge ohne weitere Aufklärung oder Belehrung entgegengenommen. Bei der Zuerkennung des Karenzgeldes an die Dienstnehmerin wurde von der beklagten Partei der als Endtermin zugrundegelegt. Mit Bescheid der beklagten Partei vom wurde der Antrag der klagenden Partei auf Gewährung einer Wiedereinstellungsbeihilfe gemäß § 33 KGG für die Wiedereinstellung ihrer Dienstnehmerin mit der Begründung abgewiesen, dass die Dienstnehmerin für ihr am geborenes Kind lediglich bis zum Karenzgeld bezogen habe, Wiedereinstellungsbeihilfe aber nur nach Bezug von Karenzgeld bis zur Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes, sohin bis Ablauf des gebühre. Damit seien die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinstellungsbeihilfe nicht gegeben.
Das Erstgericht gab ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dem auf die Zuerkennung der beantragten Leistung gerichteten Klagebegehren statt. Rechtlich beurteilte es diesen Sachverhalt dahin, dass der Arbeitgeber nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 33 KGG eine Wiedereinstellungsbeihilfe erhalte, sofern Karenzgeld nach dem KGG bis zur Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes oder darüber hinaus nur von einem Elternteil in Anspruch genommen werde. Die Wortfolge "bis zur Vollendung des 18. Lebensmonates" bedeute unter Zugrundelegung der §§ 902, 903 ABGB, dass diese Frist im konkreten Fall am abgelaufen sei. Der Anspruch des Dienstgebers hänge somit davon ab, wielange sein Dienstnehmer Karenzgeld beziehe. Allerdings sei das Verhalten des Dienstnehmers in Bezug auf den Karenzgeldanspruch vom Dienstgeber nicht einseitig beeinflussbar.
Zweck der Wiedereinstellungsbeihilfe sei die teilweise Abgeltung der Belastungen durch das zweite (halbe) Karenzurlaubsjahr. Die klagende Partei habe mit ihrer Dienstnehmerin unzweifelhaft einen Karenzurlaub im gesetzlich vorgesehenen Ausmaß von 18 Monaten vereinbaren wollen. Die Dienstnehmerin habe auch Karenzgeld für diesen Zeitraum in Anspruch nehmen wollen, habe sich aber bei der Berechnung der Frist geirrt, indem sie als Ende des Karenzurlaubes den und nicht den angegeben habe. Dieser Fehler könne aber nicht der klagenden Partei zur Last gelegt werden. Es würde dem Sinn sozialer Rechtsanwendung nicht entsprechen, Gesetze einer Auslegung zu unterstellen, die eine Einschränkung der Ansprüche der Versicherten zur Folge hätte. Für die verfahrensrechtliche Bewertung von Anträgen seien analog die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes maßgebend, soweit nicht nach allgemeinen Verwaltungsrechtsgrundsätzen oder den besonderen Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes ausdrücklich Abweichendes festgelegt sei. Demnach müssten schon auf Grund der obliegenden Betreuungspflichten Sozialversicherungsträger durch entsprechende Belehrung und Auskünfte auf eine Antragstellung hinwirken, die den rechtlichen Interessen von Anspruchswerbern weitgehend Rechnung trage. Zusätzlich müsse bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen werden, der Antrag also im Zweifel zu Gunsten des Versicherten ausgelegt werden. Daraus ergebe sich, dass der Antrag der Dienstnehmerin auf Karenzgeld zwar wegen des unrichtigen Datums verhindere, dass die Dienstnehmerin über diesen Antrag hinaus einen Anspruch auf Karenzgeld geltend machen könne. Gegenüber der klagenden Partei und deren Antrag auf Gewährung einer Wiedereinstellungsbeihilfe sei jedoch der Antrag als Antrag auf Gewährung von Karenzgeld bis zur Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes zu werten. Dem liege nämlich der übereinstimmende Wille der klagenden Partei und ihrer Dienstnehmerin, tatsächlich Karenzurlaub in der gesetzlich vorgesehenen Dauer von 18 Monaten zu vereinbaren, zugrunde.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es verneinte die geltend gemachte Aktenwidrigkeit und unrichtige Beweiswürdigung und teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Die Revision sei zulässig, weil es eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darstelle, inwieweit entsprechend dem Grundsatz der sozialen Rechtsanwendung Fehler bei der Antragstellung durch eine berichtigende Auslegung korrigiert werden dürften. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Der geltend gemachte Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) liegt nicht vor, welche Beurteilung an sich keiner Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 vorletzter Satz ZPO). Es sei dennoch darauf hingewiesen, dass dieser Revisionsgrund nur dann vorliegt, wenn die Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden oder wenn für eine Tatsachenfeststellung überhaupt keine beweismäßige Grundlage besteht, nicht aber dann, wenn eine allenfalls mögliche Feststellung nicht getroffen oder eine Feststellung durch Schlussfolgerung gewonnen wurde. Das Berufungsgericht hat die maßgebende Aussage der Zeugin K***** nach der Aktenlage richtig wiedergegeben und ist im Rahmen der Würdigung dieser Aussage zu dem Ergebnis gelangt, dass die vom Erstgericht getroffene Feststellung in der Aussage der Zeugin Deckung findet.
Auch die Ausführungen in der Rechtsrüge sind nicht berechtigt. Gemäß § 15 Abs 1 MSchG ist der Dienstnehmerin auf ihr Verlangen im Anschluss an die Frist des § 5 Abs 1 und 2 ein Karenzurlaub bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes zu gewähren, wenn sie mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt und das Kind überwiegend selbst betreut. Während des Karenzurlaubes hat die Dienstnehmerin Anspruch auf Karenzgeld bei Erfüllung der Anwartschaften nach dem KGG. Nach § 11 Abs 1 KGG idF BGBl I 1997/47 wird das Karenzgeld, soweit nicht anderes bestimmt ist, bis zur Vollendung des 18. Lebenmonates des Kindes gewährt, wobei das Karenzgeld der Mutter auf vorherigen Antrag in der Regel ab dem Beginn des Karenzurlaubes gebührt (§ 10 Abs 1 Z 1 KGG).
Bei Inanspruchnahme eines Karenzurlaubes durch nur einen Elternteil besteht bei Wiederantritt der Beschäftigung für den Arbeitgeber die Möglichkeit, eine Beihilfe zu erhalten. Grundvoraussetzung für den Anspruch des Arbeitgebers auf eine solche Wiedereinstellungsbeihilfe gemäß § 33 Abs 1 KGG ist jedoch, dass der Karenzurlaub nur von einem Elternteil und zumindest bis zur Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes in Anspruch genommen wird (Dirschmied, KGG 115 f). Zwischen der klagenden Partei und ihrer Dienstnehmerin war deshalb vereinbart, dass die Dienstnehmerin einen Karenzurlaub in der Dauer von 18 Monaten - entsprechend ihrem sozialrechtlichen Anspruch auf Karenzgeld - in Anspruch nimmt, wobei der Karenzurlaub der Dienstnehmerin nach Beendigung des Wochengeldbezuges unbestritten mit begonnen hat. Der Dienstgeber und auch die Dienstnehmerin waren sich jedoch über den genauen Zeitpunkt des Endes des Karenzgeldanspruches der Dienstnehmerin und damit des vereinbarten Karenzurlaubes nicht im Klaren. Obwohl die Dienstnehmerin dies bei ihrer Vorsprache gegenüber der zuständigen Sachbearbeiterin der beklagten Partei auch eindeutig zum Ausdruck brachte, erhielt sie darüber keine Auskunft. Sie war dadurch gezwungen, das datumsmäßige Ende ihres Karenzurlaubes selbst zu berechnen, wobei sie irrtümlich den als Ende des Karenzurlaubes angab.
Es haben bereits die Vorinstanzen zutreffend darauf hingewiesen, dass in Rechtsprechung und Lehre allgemeine Verhaltenspflichten (insbesondere Auskunfts- und Beratungspflichten) des Versicherungsträgers gegenüber den Versicherten anerkannt sind, wobei diese Pflichten teils aus der allgemeinen behördlichen Betreuungspflicht, teils aus dem Sozialstaatprinzip, aus den Gedanken sozialer Rechtsanwendung, aus dem auch im öffentlichen Recht anerkannten Grundsatz von Treu und Glauben und schließlich auch aus der Lehre vom sozialversicherungsrechtlichen Schuldverhältnis abgeleitet werden (vgl Krejci, Nebenpflichten der Sozialversicherungsträger gegenüber den Versicherten, ZAS 1975, 83 ff mwN; Krejci/Marhold in Tomandl, SV-System 13. Erg-Lfg 71 und 92 ff; Schrammel in Tomandl aaO 5. Erg-Lfg 154 ua; RIS-Justiz RS0111538). Auch wenn ein Versicherter von sich aus tätig werden muss, wenn er betreut werden will, ist der zuständige Versicherungsträger im Rahmen seiner Nebenpflichten verpflichtet, Auskünfte, Informationen und Ratschläge, vor allem aber auch Rechtsbelehrung zu erteilen und Anleitungen zu korrektem Vorgehen zu geben. Der Sozialversicherungsträger hat demnach durch entsprechende Belehrung und Auskünfte auf eine Antragstellung hinzuwirken, die den rechtlichen Interessen von Anspruchswerbern weitgehend Rechnung trägt. Zusätzlich muss bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen werden, dh der Antrag im Zweifel zu Gunsten des Versicherten ausgelegt werden. Die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrages lässt sich allerdings auch aus den Grundsätzen sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten. Bestehen Zweifel über die mit einem Antrag verfolgte Parteienabsicht, ist der Sozialversicherungsträger verpflichtet, den Parteiwillen - etwa durch Vernehmung der Partei - klarzustellen (10 ObS 183/00k, SSV-NF 10/38, 10/134, 7/83, 5/35, 5/128 = DRdA 1992/28 [Ivansits]; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 331 f; Müller, Wichtige Verfahrensfragen der Sozialgerichtsbarkeit in Leistungsstreitverfahren, DRdA 1997, 449 ff; Oberndorfer in Tomandl aaO 12. Erg-Lfg 686 f mwN ua). Der Versicherte soll somit im Rahmen der sozialen Rechtsanwendung im Verwaltungsverfahren und auch im sozialgerichtlichen Verfahren davor geschützt werden, materiell bestehende Ansprüche aus formellen Gründen (etwa zufolge einer prozessualen Ungeschicklichkeit) zu verlieren (SSV-NF 13/109; Fink aaO 96). Verletzt der Sozialversicherungsträger die ihm nach den oben dargelegten Grundsätzen obliegende Betreuungspflicht (Manuduktionspflicht), so darf sich dies nicht zum Nachteil des Antragstellers auswirken (Fink aaO 332 mwN; Oberndorfer, Grundprobleme des Verwaltungsverfahrens in der österreichischen Sozialversicherung, ZAS 1973, 203 FS [206] mwN ua). Geht man von diesen Grundsätzen aus, so war das Begehren der Dienstnehmerin auf Gewährung des Karenzgeldes für eine "Frist von 18 Monaten" - für die Sachbearbeiterin der beklagten Partei erkennbar - auf die Gewährung des Karenzgeldes bis zur Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes gerichtet bzw hätte die Sachbearbeiterin bei Bestehen von Zweifeln über die entsprechende Parteienabsicht diesen Parteiwillen durch Befragung der Dienstnehmerin klarstellen müssen. Die Sachbearbeiterin wäre im Rahmen der die beklagte Partei treffenden Betreuungspflicht auch verhalten gewesen, die Dienstnehmerin über das im Formular anzugebende datumsmäßige Ende des beantragten Karenzgeldes zu belehren, zumal die Dienstnehmerin ausdrücklich angab, über diese Fristberechnung nicht genau Bescheid zu wissen. Die Verletzung der Betreuungspflicht durch den Sozialversicherungsträger darf sich nicht zu Lasten der Antragstellerin auswirken. Sie darf sich aber auch nicht zu Lasten der klagenden Partei als Dienstgeber auswirken, da auch die klagende Partei als Dienstgeber an dem zwischen der Dienstnehmerin und der beklagten Partei bestehenden Pflichtversicherungsverhältnis beteiligt ist (vgl Krejci/Marhold aaO 44 und 62) und ihr Anspruch auf Wiedereinstellungsbeihilfe nach § 33 KGG unmittelbar davon abhängig ist, für welchen Zeitraum ihre Dienstnehmerin Karenzgeld bezieht. Durch die Beurteilung der Dauer des Karenzgeldanspruches der Dienstnehmerin werden somit auch unmittelbar die Interessen des Dienstgebers berührt. Es ist daher auch im Verhältnis zwischen der klagenden Partei als Dienstgeber und der beklagten Partei als zuständigem Sozialversicherungsträger von einer Antragstellung der Dienstnehmerin auf Gewährung von Karenzgeld jedenfalls bis einschließlich jenem Tag, der dem Tag der Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes vorangeht, auszugehen. Dass der Dienstnehmerin bei einer so verstandenen Antragstellung das Karenzgeld auch noch für den gebührt hätte und damit auch die Voraussetzungen für den von der klagenden Partei geltend gemachten Anspruch auf Wiedereinstellungsbeihilfe gemäß § 33 KGG erfüllt wären, wird auch von der beklagten Partei nicht in Abrede gestellt.
Damit erweist sich die Revision der beklagten Partei aber als nicht berechtigt.
Das Kostenersatzbegehren der beklagten Partei ist schon deshalb verfehlt, weil der Versicherungsträger die Kosten, die ihm durch das Verfahren erwachsen sind, abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall des § 77 Abs 3 ASGG ohne Rücksicht auf dessen Ausgang selbst zu tragen hat (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG).