OGH vom 15.06.2015, 26Os9/14i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Hahnkamper und Dr. Schimik sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Danzl in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zonsics als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, aus Anlass der Berufung des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom , AZ D 138/10, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B VG iVm Art 139 Abs 1 Z 1 B VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 51 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (RL BA) wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.
Mit der Fortsetzung des Rechtsmittelverfahrens wird bis zur Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat im Verfahren AZ 26 Os 9/14i über eine Berufung des Kammeranwalts gegen ein freisprechendes Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien (AZ D 138/10) zu entscheiden.
1.1 Von der Berufung unbekämpft blieb zwar der vom Disziplinarrat festgestellte Sachverhalt. Demnach hat sich der Beschuldigte Dr. *****, seit 1984 Rechtsanwalt in *****, schon vor der Ausbildungszeit mit Liegenschaftstransaktionen beschäftigt und als selbständiger Rechtsanwalt Erfahrungen mit der Verwaltung und Verwertung von Liegenschaften gesammelt. Er hat selbst Liegenschaften (Eigentumswohnungen) gekauft, und zwar über eine von ihm am gegründete GmbH. Der Beschuldigte ist deren Alleingesellschafter und selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer, wobei es eine weitere Geschäftsführerin und zwei Prokuristen gibt. Diese Gesellschaft hat eine aufrechte Gewerbeberechtigung für Immobilientreuhänder, eingeschränkt auf Immobilienmakler. Gewerberechtliche Geschäftsführerin ist eine weitere Geschäftsführerin.
Der Beschuldigte selbst ist als Masseverwalter tätig und bietet anderen Masseverwaltern Unterstützung bei der Vermarktung von Liegenschaften aus Konkursmassen an. Dabei wird ein Provisionsanspruch ausschließlich gegenüber dem späteren Käufer geltend gemacht, nicht jedoch gegenüber dem ihn beauftragenden Masseverwalter. Der Beschuldigte trennt seine Tätigkeiten als Rechtsanwalt von der als Geschäftsführer der GmbH. Bei erfolgreicher Vermarktung verlangt die GmbH die üblichen Provisionen , in der Regel 3 % vom Kaufpreis. Die anwaltliche Betreuung des Abschlusses und die Durchführung des Kaufvertrags machen in der Regel die Masseverwalter selbst.
1.2 Kritisiert wird mit der Berufung allerdings die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch den Disziplinarrat.
1.2.1 Dieser gründete den Freispruch auf die rechtliche Argumentation, dass der Beschuldigte nicht gegen das Provisionsverbot des § 51 RL BA verstoßen habe. Diese Bestimmung sehe nach ihrem Wortlaut ein absolutes Verbot für Rechtsanwälte vor, Provisionen zu vereinbaren. Der Beschuldigte habe keine Provisionen für anwaltliche Leistungen vereinbart. Zu prüfen bleibe, ob es einen Verstoß gegen § 51 RL BA darstelle, wenn der Rechtsanwalt als Gesellschafter und Geschäftsführer einer Immobilienmaklergesellschaft zu Gunsten dieser Gesellschaft Provisionsvereinbarungen treffe. Ein absolutes Provisionsverbot gemäß dem Wortlaut des § 51 RL BA habe keine gesetzliche Deckung. Eine gesetzliche Norm, welche unmittelbar oder mittelbar dem Rechtsanwalt generell die Vereinbarung oder Entgegennahme eines Maklerlohns verbiete, noch dazu für nichtanwaltliche Tätigkeiten im Rahmen einer Gesellschaft, welche nichtanwaltliche Tätigkeiten ausübe, sei nicht existent. Es gebe nicht einmal ein gesetzliches Verbot, dass der Rechtsanwalt für anwaltliche Tätigkeiten ein Erfolgshonorar oder einen Maklerlohn vereinbaren oder entgegennehmen dürfe. Ein solches Verbot sei zweifelsfrei ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Rechte auf Freiheit bei der Erwerbstätigkeit und auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art 7 Abs 1 B VG, Art 2 und 6 StGG). Solche Eingriffe bedürften einer gesetzlichen Regelung, welche sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf die Bedürfnisse beschränken müsse, die zur Einhaltung des öffentlichen Interesses eine Beschneidung der verfassungsrechtlich geschützten Rechte zulässig machen und auch sonst sachlich gerechtfertigt seien und keine überschießende Reglementierung darstellen (). Ein absolut wirksames Provisionsverbot gemäß dem Wortlaut des § 51 RL BA sei daher gesetzlich nicht gedeckt. Daher sei dem Beschuldigten im Zusammenhang mit der Provisionsannahme durch die GmbH standesrechtlich kein Vorwurf zu machen.
1.2.2 In seiner Berufung vertritt der Kammeranwalt die Rechtsauffassung, dass der Beschuldigte durch das festgestellte Verhalten gegen das Provisionsverbot verstoßen habe. Aus § 51 RL BA in Verbindung mit § 5 Abs 3 RL BA sei „nach wie vor ein absolutes Verbot für Rechtsanwälte abzuleiten, Provisionen, welch immer Art, zu vereinbaren, zu vereinnahmen“, und zwar auch dann, wenn eine „Spezialgesellschaft“, die im hundertprozentigen Eigentum des Rechtsanwalts steht, zwischengeschaltet sei. Ziel der Berufung ist ein Schuldspruch des Beschuldigten und die Verhängung einer Disziplinarstrafe.
In einem nachfolgenden Schriftsatz regt der Kammeranwalt an, die Bestimmung des § 51 RL BA „schon aus Gründen der Rechtsklarheit für die normunterworfenen Rechtsanwälte … einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof zu unterziehen, insbesondere ob eine ausreichende gesetzliche Deckung der in Rede stehenden Verordnungsnorm gegeben erscheint“.
1.2.3 Bei der Behandlung der Berufung wird der Oberste Gerichtshof daher die angefochtene Bestimmung des § 51 RL BA anzuwenden haben. Sollte der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung aufheben, wäre der Berufung ein Erfolg zu versagen.
2. Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des § 51 RL BA ergeben sich für den erkennenden Senat aus folgenden Erwägungen:
Die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (RL BA) sind im Rahmen der Selbstverwaltung vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag erlassene Verordnungen. Das generelle Recht zur Erlassung dieser Richtlinien findet sich in § 37 Abs 1 Z 1 und 2 RAO:
„§ 37. (1) Der Österreichische Rechtsanwalts-kammertag kann Richtlinien erlassen
1. zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs;
1a. …
2. zur Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts und des Rechtsanwaltsanwärters;
…“
Ausgehend davon legt § 5 Satz 3 RL BA (im Allgemeinen Teil der RL-BA unter „Artikel I – der Rechtsanwalt und sein Beruf“) fest:
„Der Rechtsanwalt unterliegt bei jeder beruflichen Tätigkeit, auch dann, wenn er nicht die Rechtsanwaltschaft ausübt, dem rechtsanwaltlichen Berufs- und Standesrecht.“
Auf dieser Grundlage heißt es in § 51 RL BA (im Besonderen Teil der RL-BA unter „Artikel IX – Honorar“):
„Dem Rechtsanwalt ist es ausnahmslos untersagt, für seine Tätigkeit einen Maklerlohn (Provision) zu vereinbaren oder entgegenzunehmen.“
Demnach statuiert § 51 RL BA ein Provisionsverbot für jede berufliche Tätigkeit jeder Person, die Rechtsanwalt ist, selbst dann, wenn sie gar nicht die Rechtsanwaltschaft ausübt (vgl § 5 Satz 3 RL BA).
Für den Österreichischen Rechtsanwalts-kammertag bestand keine gesetzliche Grundlage dafür, im Verordnungsweg (§ 51 RL BA) derart in die Erwerbsfreiheit der Rechtsanwälte einzugreifen (zur Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung Engelhart , AnwBl 2012, 362 [365]). Es gibt keine gesetzliche Norm, welche unmittelbar oder mittelbar generell dem Rechtsanwalt die Vereinbarung oder Entgegennahme eines Maklerlohns (Provision) verbietet.
Die gesetzliche Regelung für das Honorar des Rechtsanwalts findet sich in § 16 Abs 1 RAO. Dessen erster Satz lautet: „Der Rechtsanwalt kann sein Honorar mit der Partei frei vereinbaren.“ Er ist hiebei lediglich nicht berechtigt, „eine ihm anvertraute Streitsache ganz oder teilweise an sich zu lösen“ (Satz 2 leg cit). Die im Einzelfall durchaus vorzunehmende Prüfung, ob etwa infolge einer Interessenkollision gegen § 9 RAO verstoßen wird, rechtfertigt nicht das generelle gänzliche Verbot eines Maklerlohns (Provision) für alle denkbaren und auch unbedenklichen Fälle ( Engelhart aaO 367).
Das in § 51 RL BA im Verordnungsweg an Rechtsanwälte gerichtete Verbot, für die berufliche Tätigkeit (zufolge § 5 Satz 3 RL BA auch dann, wenn dabei nicht die Rechtsanwaltschaft ausgeübt wird), einen Maklerlohn (eine Provision) zu vereinbaren oder entgegenzunehmen, widerspricht demnach der gesetzlichen Regelung des § 16 Abs 1 Satz 1 RAO. Daran ändert der Umstand nichts, dass im Einzelfall die Beschränkungen und Verpflichtungen der §§ 879, 1009 ABGB (iVm § 16 Abs 1 Satz 2 RAO) zutreffendenfalls zu beachten sind ( Engelhart aaO 367).
Für den in der Literatur geäußerten Vorschlag, § 51 RL BA „durch Auslegung dahin zu reduzieren, dass durch die Vereinbarung oder Entgegennahme einer Provision keine Berufspflichten verletzt und Ehre und Ansehen des Standes nicht gefährdet werden dürfen“ ( Engelhart aaO 367), sieht der Oberste Gerichtshof keine Grundlage. Denn die angefochtene Bestimmung steht in bemerkenswertem Gegensatz zu einem Verbot wie in § 5 Satz 2 RL BA, das gezielt auf Fälle eingeschränkt ist, in denen bei Zuwiderhandeln Ehre und Ansehen des Standes verletzt werden. Eine derartige Einschränkung ist § 51 RL BA iVm § 5 Satz 3 RL BA gerade nicht zu entnehmen.
3. Es war daher der aus dem Spruch ersichtliche Antrag zu stellen (Art 89 Abs 2, 139 Abs 1 Z 1 B VG).
Das Erfordernis, mit dem Rechtsmittelverfahren bis zur Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innezuhalten, ergibt sich aus § 57 Abs 3 VfGG.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0260OS00009.14I.0615.000