OGH vom 18.05.2016, 13Os19/16t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Claudiu D***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Claudiu D*****, Susane P*****, Marian S***** und Mladen Du***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 26 Hv 115/15p 108, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Den Angeklagten Claudiu D*****, Susane P*****, Marian S***** und Mladen Du***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.
Danach haben am in Innsbruck und an anderen Orten Claudiu D*****, Susane P*****, Mladen Du***** und der hiefür zugleich rechtskräftig verurteilte Jovan C***** im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 842,2 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 640,07 Gramm, einem verdeckten Ermittler überlassen und Marian S***** hiezu durch Chauffeur und Aufpasserdienste beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB).
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen von Claudiu D***** und Marian S***** aus Z 2, 4, 5, 9 lit b und 11, von Susane P***** aus Z 9 lit a, 9 lit b und 11 sowie von Mladen Du***** aus Z 5, (richtig) 9 lit b und 10, jeweils des § 281 Abs 1 StPO, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden gehen wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt fehl.
Zu den (gemeinsam ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden des Claudiu D***** und des Marian S*****:
Die Verfahrensrüge (Z 2) nennt keinen Vorgang des Ermittlungsverfahrens, den das Gesetz ausdrücklich als nichtig bezeichnet, und verfehlt solcherart den Bezugspunkt des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (12 Os 134/12s, SSt 2012/72; Ratz , WK StPO § 281 Rz 173).
Indem die weitere Verfahrensrüge (Z 4) den Antrag, Urkunden, die Angaben eines im Verfahren eingesetzten verdeckten Ermittlers enthalten, von der Verlesung (§ 252 Abs 2 StPO) in der Hauptverhandlung auszunehmen (ON 104 S 7), releviert, geht sie schon im Ansatz fehl, weil das Erstgericht diesem Antrag ohnedies nachgekommen ist (ON 107 S 41).
Das darüber hinausgehende Antragsbegehren, „sämtliche Beweismittel“, die „als Resultat der Tatprovokation erlangt wurden, vom Verfahren auszuschließen und im Verfahren nicht zu verwenden“ (ON 104 S 7), verfiel schon mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung der gemeinten Verfahrensergebnisse zu Recht der Abweisung (ON 107 S 41).
Weshalb „die bisher im Akt erliegenden Einvernahmen der Beschuldigten“ (ON 104 S 7) zur Gänze vom Vorkommen in der Hauptverhandlung (§ 258 Abs 1 StPO) auszuschließen gewesen wären, ließ der Beweisantrag nicht erkennen.
Der Antrag auf „Ladung und Einvernahme des verdeckten Ermittlers 1 namens Lucca und des verdeckten Ermittlers 2 (weibliche Begleitung des Lucca) sowie die Ausforschung der Vertrauensperson Monika“ zum Beweis dafür, dass „der Einsatz des verdeckten Ermittlers und der Vertrauensperson rechtswidrig war, zumal keine ausreichenden objektiven Verdachtsmomente bestanden, dass der Erst und der Drittangeklagte bzw. die anderen Zielpersonen an kriminellen Aktivitäten beteiligt waren oder der Begehung einer Strafe zugeneigt waren“ (ON 107 S 36), verfiel schon deshalb zu Recht der Abweisung (ON 107 S 39), weil Schlussfolgerungen oder Wertungen nicht Gegenstand des Zeugenbeweises sind (13 Os 25/92, EvBl 1992/189, 797; RIS Justiz RS0097540; Kirchbacher , WK StPO § 154 Rz 7 f).
Auch dem Antrag auf Vernehmung von Zorica P***** und Claudia M***** zum Nachweis dafür, dass die Vertrauensperson „Monika“ zur Anbahnung eines Suchtgift Geschäfts mehrfach unaufgefordert mit der Angeklagten Susane P***** Kontakt aufgenommen hat (ON 107 S 37 f), folgte das Erstgericht zu Recht (RIS Justiz RS0099135) nicht, weil es die zu beweisende Tatsache ohnedies als erwiesen ansah (ON 107 S 39, US 8 f).
Entsprechendes gilt für den Antrag auf Vernehmung des Gerold F***** (ON 107 S 38) „zum Beweis dafür, dass die Zweitangeklagte bei der Einvernahme vom bereits von der Vertrauensperson Monika aus Wien während der offiziellen Einvernahme gesprochen“ habe (siehe ON 107 S 39).
Die Mängelrüge (Z 5) behauptet offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zu den Beitragshandlungen des Marian S*****, übergeht hiebei aber die Gesamtheit der diesbezüglichen Überlegungen der Tatrichter (US 23 bis 27), womit sie sich einer meritorischen Erledigung entzieht (13 Os 34/02, SSt 64/23; RIS Justiz RS0116504 und RS0119370).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) entwickelt ihre Argumentation aus der Prämisse einer (aus ihrer Sicht unzulässigen) Tatprovokation durch staatliche Organwalter. Damit erschöpft sie sich in der Bestreitung der gegenteiligen Urteilsfeststellungen, wonach beide Beschwerdeführer gerade nicht aufgrund einer solchen Provokation, sondern aus eigenem Antrieb delinquiert haben (US 40), und entfernt sich solcherart vom Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).
Mit der Behauptung der Sanktionsrüge (Z 11), das Erstgericht habe einen Milderungsgrund nicht berücksichtigt, wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet (RIS Justiz RS0099911).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Susane P*****:
Die Rechtsrüge (Z 9 lit b, nominell verfehlt auch Z 9 lit a) bringt vor, es liege ein „Verfolgungshindernis/Strafausschließungsgrund“ vor, weil die Beschwerdeführerin (über eine Vertrauensperson) durch einen verdeckten Ermittler zur Tat provoziert worden sei. Da sie die angestrebte rechtliche Konsequenz nicht aus dem Gesetz ableitet, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (12 Os 52/02, SSt 64/31; RIS Justiz RS0116565 und RS0116569).
Hinzugefügt sei, dass die insoweit angesprochene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , 54648/09, Furcht/Deutschland , NStZ 2015, 412) die Beschwerdesicht nicht stützt, weil der Gerichtshof dabei bloß den Ausschluss von Beweismitteln verlangt hat, die als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnen worden sind. In diesem Zusammenhang ist überdies festzuhalten, dass der Gerichtshof unzulässige Tatprovokation im Fall der Tatgeneigtheit verneint, wobei er diese im Bereich der Drogenkriminalität beispielsweise durch die Fähigkeit, kurzfristig Drogen bereitstellen zu können (vgl hiezu US 8 f), als indiziert erachtet ( Meyer/Wohlers , Tatprovokation quo vadis – zur Verbindlichkeit der Rechtsprechung des EGMR [auch] für das deutsche Strafprozessrecht, JZ 2015, 761 [766] mwN; vgl auch 14 Os 113/15x, EvBl 2016/48, 319).
Der Einwand der Sanktionsrüge (Z 11), der – vom Erstgericht ausdrücklich anerkannte und durch messbare Strafreduktion berücksichtigte (US 37 f [vgl 11 Os 126/04, SSt 2005/1 sowie RIS Justiz RS0116456 und RS0119618]) – Milderungsgrund einer Provokation zur Tat sei zu gering gewichtet worden, stellt bloß ein Berufungsvorbringen dar (RIS Justiz RS0099911 [T3]).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mladen Du*****:
Entgegen der Mängelrüge (Z 5) ist die Feststellung, wonach der Reinheitsgehalt des Kokains und solcherart das Überschreiten des 25fachen der Grenzmenge (§ 28b SMG) vom Vorsatz des Beschwerdeführers umfasst war (US 16), keineswegs undeutlich (Z 5 erster Fall).
Die vermisste Begründung für diese Feststellung (Z 5 vierter Fall) findet sich auf den US 35 f.
Indem die Beschwerde die Frage releviert, wer von den Angeklagten im Rahmen des Suchtgiftgeschäfts eine „führende Rolle“ eingenommen habe, bezieht sie sich nicht auf schuld oder subsumtionsrelevante Umstände (siehe aber RIS Justiz RS0106268).
Die Rechtsrüge ([richtig] Z 9 lit b) entwickelt ihre Argumentation aus der Prämisse, der Beschwerdeführer sei zu seiner Tat von staatlichen Organwaltern provoziert worden. Solcherart erschöpft sie sich in der Bestreitung der gegenteiligen Urteilskonstatierungen (US 40), womit sie sich vom Bezugspunkt materieller Nichtigkeit entfernt (RIS Justiz RS0099810).
Gleiches gilt für die Subsumtionsrüge (Z 10), welche die Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf die Suchtgiftmenge (US 16) durch eigene Annahmen ersetzt.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00019.16T.0518.000