OGH vom 13.04.2015, 26Os10/14m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Hahnkamper und Mag. Dr. Schimik sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Danzl in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom , AZ D 135/09, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo. 2005 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und in der Sache selbst entschieden:
Der Antrag auf nachträgliche Strafmilderung wird abgewiesen.
Text
Gründe:
1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom , D 135/09, wurde Dr. ***** schuldig erkannt, er habe aus Anlass einer am auf der Schnellstraße 36 im Bereich der Abfahrt Kraubath erfolgten Amtshandlung mit folgender Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens gegen die einschreitenden Beamten im Zeitraum zwischen und Anfang Juli 2009 den Vorwurf des Amtsmissbrauchs erhoben und zur Untermauerung seines Vorwurfs für seine mitfahrenden Kfz-Insassen entsprechende Beweisurkunden errichtet und diese von ihnen fertigen lassen, wobei dieses Verhalten letztlich zu seiner rechtskräftigen Verurteilung im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Leoben (AZ ***** des Oberlandesgerichts Graz) „wegen § 293 und § 297 StGB“ zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten und einer Geldstrafe geführt hat. Er habe hierdurch das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen und wurde hierfür zur Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten verurteilt, wobei die Disziplinarstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom Beschuldigten erhobenen Berufung gab die Oberste Berufung- und Disziplinarkommission mit Entscheidung vom , AZ 1 Bkd 1/12, nicht Folge.
2. Mit Antrag vom begehrte der Beschuldigte nachträgliche Strafmilderung. Er stützte den Antrag auf folgende Umstände:
2.1 Überlange Verfahrensdauer: Die Probezeit der vom Gericht verhängten Freiheitsstrafe sei am abgelaufen und die Freiheitsstrafe sei endgültig nachgesehen. Die vom Disziplinarrat für die Disziplinarstrafe ausgesprochene Probezeit laufe hingegen noch, und zwar deshalb, weil die Berufungsverhandlung im Disziplinarverfahren erst fast 18 Monate nach der Disziplinarverhandlung erster Instanz stattgefunden und die Dauer des Disziplinarverfahrens daher insgesamt nahezu drei Jahre betragen habe. Das gerichtliche Strafverfahren habe hingegen nur zehn Monate gedauert. Die lange Verfahrensdauer hätte bei der Strafbemessung als mildernd berücksichtigt werden müssen.
2.2 Aus einem vom Sachverständigen Dr. ***** erstellten Gutachten vom ergäben sich erhebliche Zweifel an dem der strafgerichtlichen Verurteilung (und diesem folgend dem Erkenntnis im Disziplinarverfahren) zugrunde gelegten Sachverhalt.
3. Der Disziplinarrat wies diesen Antrag mit Beschluss vom zurück und begründete dies damit, dass eine (analoge) Anwendung des § 31a StGB im Disziplinarverfahren nicht vorgesehen sei.
4. Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Beschuldigten. Sie ist in Übereinstimmung mit der Auffassung der Generalprokuratur zulässig. Die Beschwerde ist jedoch nicht berechtigt.
4.1 Vor Einführung des § 31a StGB mit war nach der Rechtsprechung der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission § 410 StPO als prozess- und materiell rechtliche Grundlage nachträglicher Strafmilderung analog anzuwenden (RIS-Justiz RS0055520, RS0056163, RS0056811). Die Schaffung des § 31a StGB durch das StRÄG 1996, BGBl 1996/762, diente, soweit hier bedeutsam, erklärtermaßen der Entflechtung von materiellem und prozessualem Recht, ohne an den inhaltlichen Voraussetzungen nachträglicher Strafmilderung (§ 31a Abs 1 StGB) im Vergleich mit § 410 StPO etwas ändern zu wollen (33 BlgNR 22. GP 33). Demnach besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die legistische Aufgliederung von materiell- und prozessrechtlichem Regelungsgehalt eine Verschlechterung im Bereich des DSt ergeben sollte. Sinngemäße Anwendung (§ 77 Abs 3 DSt) von § 410 Abs 1 erster Fall StPO („nachträgliche Strafmilderung“) führt daher zur analogen Anwendbarkeit des § 31a Abs 1 StGB im Bereich des DSt (idS übrigens für den Bereich des FinStrG Lässig in WK 2 FinStrG § 3 Rz 1). Die Beschwerde ist demnach zulässig.
4.2 Sie ist jedoch nicht berechtigt. Die im Antrag auf nachträgliche Strafmilderung ins Treffen geführten Umstände, nämlich die Verfahrensdauer und das Gutachten des Sachverständigen Dr. ***** vom , waren der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Berufung gegen das Disziplinarerkenntnis bekannt (s das Gutachten betreffend S 5 f der Berufungsentscheidung) und konnten von ihr vollständig berücksichtigt werden. Demnach ist dieser Umstände wegen eine Milderung nach § 31a Abs 1 StGB nicht möglich ( Ratz, WK 2 StGB § 31a Rz 4).
Nichts anderes gilt für den in der Beschwerde hervorgehobenen Umstand, dass über den Beschuldigten mit Beschluss des Disziplinarrats vom eine einstweilige Maßnahme, nämlich die Entziehung des Vertretungsrechts in Strafsachen vor dem Oberlandesgericht Graz sowie sämtlichen Landesgerichten des Oberlandesgerichtssprengels Graz, vorläufig verhängt und vom Disziplinarrat mit Beschluss vom wieder aufgehoben worden ist (vgl S 6 der Berufungsentscheidung der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0260OS00010.14M.0413.000