OGH vom 09.02.1999, 10ObS372/97x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Gerhard Kriegl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karl Dirschmied (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria D*****, Pensionistin, *****, vertreten durch die Sachwalterin Erika W*****, diese vertreten durch Dr. Nikolaus Lehner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Bundespensionsamt, Hintere Zollamtsstraße 4, 1033 Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 138/97y-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 15 Cgs 115/96b-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin ab anstelle des Pflegegeldes der Stufe 3 ein solches der Stufe 4 im Betrag von 8.535 S monatlich zu zahlen.
Das Begehren der Klägerin auf Zahlung eines die Stufe 4 übersteigenden Pflegegeldes ab wird abgewiesen."
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen mit 2.029,44 S bestimmten Teil der Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 338,24 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am geborene Klägerin, die eine Einzimmerwohnung in dem mit einer Zentralheizung ausgestatteten Haus eines Großneffen bewohnt, ist am rechten Auge erblindet, am linken Auge besteht ein grauer Star. Mit Korrektur ergibt sich eine Sehschärfe des linken Auges von 6/60 (0,1); dies entspricht 10 % des normalen Sehvermögens. Eine Operation ist wegen des schlechten Allgemeinzustandes nicht möglich. Die Klägerin könnte sich mit dem verbliebenen Sehvermögen in nicht vertrauter Umgebung bei guten Lichtverhältnissen gerade noch zurechtfinden, unterläge dabei aber der Gefahr, Stiegen, Gehsteigkanten und ähnliche Hindernisse nicht zu erkennen und wäre dadurch ohne Hilfe einer Begleitperson einer beträchtlichen Gefährdung ausgesetzt.
Die Klägerin leidet an einer senilen Demenz mit Desorientiertheit und Verwirrtheitszuständen; das Gedächtnis und die Merkfähigkeit sind beträchtlich herabgesetzt. Sie ist nur mit Stockhilfe und Unterstützung einer Pflegeperson gehfähig und nicht in der Lage, allein von einem Sessel aufzustehen oder aus dem Bett zu steigen. Wenn die Klägerin - während eines Verwirrtheitszustandes - derartige Versuche unternimmt, stürzt sie, wobei die Gefahr besteht, daß sie sich verletzt. Im Rahmen der hauptsächlich nachts auftretenden Verwirrtheitszustände hat die Klägerin die Tendenz, das Bett zu verlassen, um etwa nach ihrem längst verstorbenen Hund oder ihren erwachsenen Kindern zu suchen. Derartige Verwirrtheitszustände kommen bei der Klägerin auch tagsüber vor. Die Klägerin ist aufgrund ihres beeinträchtigten geistigen Zustandes nicht mehr imstande, einen Hilfsbedarf zu erkennen und in geordneter Form von sich aus um Hilfe zu rufen, zu läuten oder zu telephonieren.
Die Klägerin ist nicht in der Lage, Nahrungsmittel und Medikamente einzukaufen, die Wohnung und die persönlichen Gebrauchsgegenstände zu reinigen, die Wäsche zu besorgen und die vorhandene Zentralheizung zu bedienen; ihr geistiger Zustand ermöglicht es ihr nicht einmal zu erkennen, wann ein Heizen erforderlich ist. Die Klägerin bedarf der Mobilitätshilfe für alle Lagewechsel innerhalb der Wohnung und der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn. Sie ist nicht in der Lage, sich jeweils selbständig an- und auszukleiden, sich zu waschen und zu pflegen, Mahlzeiten zuzubereiten, die Notdurft zu verrichten und die erforderlichen Medikamente einzunehmen. Es besteht eine vollständige Harninkontinenz. Die Klägerin ist in der Lage, mundgerecht vorgeschnittene Nahrung aufzunehmen, beschmutzt aber dabei infolge des deutlichen Tremors regelmäßig ihre Kleidung stark. Die Medikamente müssen der Klägerin vorgerichtet und die Einnahme kontrolliert werden.
Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom auf Erhöhung des Pflegegeldes der Stufe 3 ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Leistung eines höheren Pflegegeldes im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Die Klägerin befinde sich in einem sehr schlechten körperlichen und geistigen Allgemeinzustand, sei am linken Auge blind und sehe am rechten Auge kaum mehr und sei daher im weitestgehenden Umfang auf die Pflege von dritter Seite angewiesen.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Es besteht nur Pflegebedarf im Ausmaß von 175,5 Stunden monatlich, so daß nur Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 3 zustehe.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin ab ein Pflegegeld der Stufe 6 im Betrag von 15.806 S zu leisten. Nach § 4 Abs 2 Wiener Pflegegeldgesetz (WPGG) gebühre dann, wenn der durchschnittliche Pflegebedarf monatlich mehr als 180 Stunden betrage und darüberhinaus die dauernde Beaufsichtigung oder ein gleichzuachtender Pflegeaufwand erforderlich sei, Pflegegeld der Stufe 6. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin vor.
Gemäß § 2 der Einstufungsverordnung zum Wiener Pflegegeldgesetz (WrEinstV) seien unter Hilfe alle aufschiebbaren Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und die zur Sicherung der Existenz erforderlich seien. Pflegebedarf bestehe für die Klägerin in diesem Bereich für die Herbeischaffung von Nahrungsmittel und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche, die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung des Heizmaterials und die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn, wofür gemäß § 2 Abs 3 WrEinstV ein auf den Monat bezogener fixer Zeitwert von 10 Stunden anzunehmen sei. Für die tägliche Körperpflege sei ein Mindestwert von 2 x 25 Minuten (= 25 Stunden monatlich) und für die Verrichtung der Notdurft ein solcher von 4 x 15 Minuten täglich (= 30 Stunden monatlich) anzusetzen. Gemäß § 1 Abs 3 WrEinstV sei bei der Feststellung des zeitlichen Betreuungsaufwandes für das An- und Auskleiden ein Richtwert von 2 x 20 Minuten (= 20 Stunden monatlich), für die Zubereitung der Mahlzeiten von 30 Stunden monatlich, für die Reinigung nach den Mahlzeiten 7,5 Stunden monatlich, für die Einnahme der Medikamente ein solcher von 2,5 Stunden, die Verrichtung der Notdurft von 30 Stunden monatlich und für die Reinigung wegen Inkontinenz ein Richtwert von 15 Stunden monatlich anzusetzen, wobei das Erstgericht diesbezüglich von der vom Berufungsgericht nicht übernommenen Feststellung ausging, daß neben einer Harninkontinenz während der Hälfte der Zeit auch eine Stuhlinkontinenz vorliege. Insgesamt ergebe sich daher ein Pflegeaufwand von 195 Stunden monatlich. Da es erforderlich sei, daß sich Tag und Nacht eine Pflegeperson in der Wohnung aufhalte, um der Klägerin beim Auftreten von Verwirrtheitszuständen rasch die erforderliche Hilfe leisten zu können, seien auch die Voraussetzungen für Pflegegeld der Stufe 6 erfüllt. Die bloße Bereitschaft einer Pflegeperson im Sinne der Stufe 5 reiche nicht aus, weil die Klägerin nicht in der Lage sei, einen Hilfebedarf zu erkennen und eine Pflegeperson zu verständigen.
Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen die vom Erstgericht erhobene Sachverhaltsgrundlage zugrundelegte. Dafür, daß bei der Klägerin auch eine, zumindest teilweise Stuhlinkontinenz vorliege, ergebe sich aus dem Beweisverfahren allerdings kein Anhaltspunkt; die diesbezügliche Feststellung sei daher aktenwidrig und werde nicht übernommen. Aber auch wenn davon ausgegangen werde, daß bei der Klägerin nur eine (vollständige) Harninkontinenz, nicht aber eine Stuhlinkontinenz vorliege, sei der volle von der EinstV vorgesehene Richtwert von 4 x 10 Minuten täglich in Anschlag zu bringen, weil die EinstV nicht danach unterscheide, ob nur Harninkontinenz oder eine vollständige Inkontinenz vorliege; der für diese Betreuungsmaßnahmen vorgesehene Richtwert von 4 x 10 Minuten spreche im übrigen eher dafür, daß sich diese Regelung auf Betreuungsmaßnahmen bei Harninkontinenz beziehe. Es sei daher für die Betreuung bei Inkontinenz ein Betreuungsaufwand von 20 Stunden anzusetzen. Nicht gefolgt könne dem Erstgericht werden, daß für die Hilfsverrichtung der Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung des Heizmaterials ein Betreuungsaufwand von 10 Stunden anzusetzen sei. Es stehe fest, daß die Wohnung der Klägerin in einem zentralbeheizten Haus liege, so daß sich die mit der Beheizung zusammenhängenden Verrichtungen auf die Einstellung und allfällige Kontrolle des Thermostats beschränke; dafür, daß ein darüber hinausgehender Aufwand erforderlich sei, bestehe kein Anhaltspunkt. Der mit der Manipulation mit dem Thermostaten verbundene Hilfsaufwand sei aber nicht nennenswert und nicht unter die Hilfsverrichtungen im Sinne des § 2 EinstV zu subsumieren. Zu Unrecht habe das Erstgericht auch neben dem Pauschalwert für die Hilfsverrichtungen bei der Reinigung der Leib- und Bettwäsche einen weiteren Betreuungsaufwand von 3 x 5 Minuten täglich (= 7,5 Stunden monatlich) für die Reinigung der bei der Nahrungsaufnahme beschmutzten Kleidung der Klägerin in Anschlag gebracht. Die Reinigung der Kleidung sei durch den Pauschalwert gemäß § 2 EinstV abgegolten, zumal kein Anhaltspunkt dafür bestehe, daß die Klägerin ohne unmittelbar vorgenommene Reinigung der Verwahrlosung ausgesetzt wäre; über die fixen Zeitwerte für die Hilfsverrichtungen könne aber nicht hinausgegangen werden. Ausgehend davon ergebe sich bei der Klägerin insgesamt ein Pflegebedarf von 182,5 Stunden. Da die Klägerin, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt habe, der dauernden Beaufsichtigung bedürfe, lägen insgesamt die Voraussetzungen für die Pflegegeldstufe 6 vor, so daß die Berufung im Ergebnis nicht berechtigt sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Begehren der Klägerin zur Gänze abgewiesen werde.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Vorerst ist darauf hinzuweisen, daß die Anwendung des WrPGG sowie der dazu ergangenen WrEinstV durch das Erstgericht unrichtig war. Da die Klägerin eine Witwenpension nach dem Pensionsgesetz 1965 bezieht, gehört sie nach § 3 Abs 1 Z 4 BPGG dem Kreis der nach dem BPGG anspruchsberechtigten Personen an. Das Begehren der Klägerin ist daher ausgehend von den Bestimmungen dieses Gesetzes und der EinstV zu beurteilen. Auch die beklagte Partei hat den angefochtenen Bescheid auf der Grundlage des BPGG zu erlassen. Dem kommt aber für das Ergebnis letztlich keine entscheidende Bedeutung zu, weil das Bundespflegegeldgesetz einerseits und das Wiener Pflegegeldgesetz andererseits wie auch die zu diesen Gesetzen ergangenen Einstufungsverordnungen inhaltsgleich sind.
Die Revisionswerberin wendet sich vor allem dagegen, daß das Berufungsgericht für die Betreuung bei Inkontinenz den Richtwert gemäß § 1 Abs 3 zweiter Fall EinstV zugrunde legte. Sie hält dem entgegen, daß bei der Klägern nur Harn-, nicht aber Stuhlinkontinenz vorliege und daher nur ein Betreuungsaufwand im Ausmaß der Hälfte des Richtwertes anzusetzen sei, so daß der gesamte Betreuungs- und Hilfsaufwand nicht 180 Stunden erreiche, weshalb nur Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 3 zustehe. Dem kann nicht beigetreten werden.
Der Gesetzgeber ermächtigt den Bundesminister für Arbeit und Soziales in § 4 Abs 3 BPGG ua (Z 2), Richtwerte für den zeitlichen Betreuungsaufwand festzulegen, wobei verbindliche Mindestwerte für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung und das Einnehmen von Mahlzeiten sowie für die Verrichtung der Notdurft festzulegen sind. Dementsprechend erging die Einstufungsverordnung zum BPGG, in der in § 1 Abs 3 für bestimmte Verrichtungen, darunter auch für die Reinigung bei Inkontinenz Richtwerte festgelegt wurden. Aus der Unterscheidung zu den Mindestwerten ergibt sich, daß die Richtwerte im Einzelfall über- bzw unterschritten werden können. Da diese - jeweils auf einen Tag bezogenen Werte als die für die betreffende Betreuungsmaßnahme übliche Durchschnittszeit anzusehen sind (sa Pfeil, Bundespflegegeldgesetz 84 mwH), bedürfen Abweichungen hievon einer besonderen Begründung. Daß der Gesetzgeber für diese Betreuungsmaßnahmen die Normierung von Richtwerten vorgesehen hat, spricht dafür, daß nicht in jedem Fall der konkrete Aufwand zu prüfen ist. Es ist vielmehr grundsätzlich vom Pauschalwert auszugehen und es sind nur wesentliche Abweichungen von diesem zu berücksichtigen. So hat der erkennende Senat in Fällen, in denen nur ein geringer Teil der Verrichtung, für die ein Richtwert festgesetzt ist, nicht selbständig vorgenommen werden konnte (SSV-NF 8/55 - Hilfe beim Überkofpziehen einzelner Kleidungsstücke; SSV-NF 9/42 - Hilfe beim Schnüren von Schuhen und Hantieren mit kleineren Knöpfen), eine Abweichung von dem für das An- und Auskleiden verordneten Mindestwert für gerechtfertigt erkannt.
Die Voraussetzungen für ein Abweichen von dem für die Reinigung bei Inkontinenz verordneten Pauschalwert liegen jedoch im vorliegenden Fall selbst dann nicht vor, wenn - wie die Revision dies unterstellt - davon ausgegangen würde, daß der Verordnungsgeber bei der Festlegung des Richtwertes in § 1 Abs 3 zweiter Fall EinstV Fälle im Auge hatte, in denen vollständige Inkontinenz besteht. Das Berufungsgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, daß das Bestehen von Harninkontinenz einen wesentlich häufigeren Betreuungsaufwand erfordert; dem wird durch die Festlegung eines Wertes von 4 x 10 Minuten Rechnung getragen. Mag auch die Reinigung bei Stuhlinkontinenz in konkreten Fällen mit einem höheren Aufwand verbunden sein, so kann doch nicht davon ausgegangen werden, daß bei Bestehen von Harninkontinenz allein der damit verbundene Betreuungsaufwand so wesentlich unter 4 x 10 Minuten liegt, daß ein Abweichen vom verordneten Richtwert gerechtfertigt wäre. Damit überschreitet aber der Hilfs- und Betreuungsaufwand, den die Klägerin benötigt, den Wert von 180 Stunden monatlich.
Zu prüfen ist im weiteren das von der beklagten Partei bekämpfte Vorliegen der Voraussetzungen für die Pflegestufe 6 bzw 5. Den hiezu erstatteten Ausführungen kommt Berechtigung zu.
Nicht gefolgt werden kann den Vorinstanzen nämlich, soweit sie das für ein Pflegegeld der Stufe 6 normierte Erfordernis der dauernden Beaufsichtigung angenommen haben. Anspruch auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 6 besteht, wenn neben einem 180 Stunden monatlich übersteigenden Pflegeaufwand die dauernde Beaufsichtigung des Pflegebedürftigen oder ein gleichzuachtender Pflegeaufwand erforderlich ist. Der erste Tatbestand betrifft offenbar in erster Linie Pflegebedürftige mit geistiger oder psychischer Behinderung. Von der Notwendigkeit einer dauernden Beaufsichtigung wird man insbesondere bei (weitgehend) permanent erforderlicher Anwesenheit einer Pflegeperson im Wohnbereich bzw in unmittelbarer Nähe des Pflegebedürftigen sprechen können. Dies wird vor allem der Fall sein, wenn in concreto besonders häufig und/oder besonders dringend (zB wegen sonstiger Selbstgefährdung) ein Bedarf nach fremder Hilfe auftritt (SSV-NF 11/46 ua; Pfeil aaO 98 mwH). Ob dieses Erfordernis besteht, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage, die ausgehend von den Feststellungen über die Bedürfnisse des Betroffenen im konkreten Fall zu beurteilen ist.
Die Vorinstanzen haben dazu ihren Entscheidungen zugrundegelegt, daß die Klägerin ohne Hilfe einer anderen Person nicht gehfähig ist und auch nicht in der Lage ist, aus dem Bett zu steigen oder von einem Sessel aufzustehen; wenn sie dies versucht, stürzt sie, womit die Gefahr einer Verletzung verbunden ist. Es bestehen eine senile Demenz und Verwirrtheitszustände, die bedingen, daß die Klägerin dennoch die Tendenz hat, das Bett zu verlassen und dann in Sturzgefahr gerät. Zufolge ihrer psychischen Beeinträchtigungen ist die Klägerin nicht in der Lage, einen Hilfsbedarf zu erkennen und in geordneter Form von sich aus um Hilfe zu rufen, zu läuten oder zu telephonieren. Prüft man diesen Sachverhalt, so ergibt sich, daß das Erfordernis nach ständiger Beaufsichtigung von den Vorinstanzen deshalb angenommen wurde, weil die Klägerin beim Verlassen des Bettes oder eines Sessels, in den sie gesetzt wird, wenn sie allein gelassen wird, aufsteht und dann die Gefahr besteht, daß sie stürzt und sich verletzt. Hinweise auf andere Umstände, die eine dauernde Beaufsichtigung gebieten würden, ergeben sich aus den Feststellungen nicht. Im Hinblick auf die geringe Mobilität der Klägerin genügt allerdings bereits die Anbringung eines niederen Steckgitters am Bett, um sie daran zu hindern, das Bett zu verlassen und dadurch in Sturzgefahr zu geraten. Dem könnte nun entgegengehalten werden, daß die Klägerin dadurch in ihrer Freiheit beschränkt wird. Dieser Einwand hält jedoch einer Überprüfung nicht stand. Die Klägerin ist, wenn sie aufsteht sturzgefährdet, so daß in ihrem Interesse verhindert werden muß, daß sie in diese Gefahr kommt; hindert man sie am Aufstehen, so wird diese Gefahr ausgeschaltet. Wenn zu diesem Zweck ständig eine Aufsichtsperson bei der Klägerin anwesend wäre, so hätte auch diese nur die Möglichkeit, die Klägerin am Aufstehen aus dem Bett zu hindern, indem sie sie wieder in die liegende Stellung bringt, zumal wegen der bestehenden Verwirrtheit bloßer Zuspruch kaum ausreichen wird, um sie dazu zu bringen, im Bett zu bleiben. Die Aufsichtsperson hat daher weitestgehend keine andere Möglichkeit, die Klägerin am Verlassen des Bettes zu hindern, als durch entsprechende körperliche Eingriffe dafür zu sorgen, daß sie im Bett liegenbleibt. Dasselbe Ergebnis wird aber mit einem niederen Steckgitter erreicht, dessen Anbringung daher eine zulässige Maßnahme darstellt, um die Gefahr eines Sturzes der Klägerin hintanzuhalten. Die Verwendung von solchen Gittern ist auch in Krankenanstalten und Pflegeheimen durchaus üblich, um gefährdete Patienten bzw Pfleglinge am willkürlichen oder unwillkürlichen Verlassen des Bettes hindern oder vor einem Sturz aus dem Bett zu bewahren. Eine solche oder gleichartige Maßnahme wäre aber auch erforderlich, wenn sich durchgehend eine Betreuungsperson im Wohnbereich aufhielte, weil die Klägerin aufgrund der dargestellten Umstände auch in Sturzgefahr geraten könnte, wenn die Betreuungsperson den Raum nur kurzzeitig verließe, um etwa die Toilette aufzusuchen, die Nahrung zuzubereiten oder Bedarfsartikel aus einem anderem Raum zu holen. Ist aber auf diese Weise die Gefahr eines Sturzes der Klägerin ausgeschaltet, so bedarf sie auch nicht der dauernden Beaufsichtigung, so daß die Voraussetzungen für die Pflegestufe 6 nicht erfüllt sind. Selbst wenn dann, wenn die Klägerin zeitweise auf einen Sessel gesetzt wird, jemand anwesend sein muß, um dafür zu sorgen, daß sie nicht aufsteht, würde diese während verhältnismäßig kurzer Zeiträume notwendige Betreuungsmaßnahme das Erfordernis der ständigen Beaufsichtigung nicht erfüllen, so daß es sich erübrigt, auf die Frage einzugehen, ob eine Fixierung der Klägerin auf dem Sessel eine zulässige Maßnahme darstellen würde.
Für die Pflegestufe 5 wird ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand verlangt. Dieser liegt nach § 6 EinstV vor, wenn die dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist. Dauernde Bereitschaft ist dahin zu definieren, daß der Pflegebedürftige jederzeit Kontakt mit der Pflegeperson aufnehmen und diese in angemessener Zeit die erforderliche Betreuung und Hilfe leisten kann oder die Pflegeperson von sich aus in angemessenen Zeitabständen Kontakt mit dem Pflegebedürftigen aufnimmt (SSV-NF 10/129 ua). Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 besteht nur, wenn Umstände vorliegen, die einen Betreuungsaufwand bedingen, der jederzeit auftreten kann und daher das unmittelbare, zeitlich nicht planbare Einschreiten einer Betreuungsperson erforderlich machen. Solche Umstände liegen jedoch hier nicht vor. Die Betreuungsleistungen, derer die Klägerin bedarf, treten nicht unvermittelt auf. Sie bedarf nur einer regelmäßigen Obsorge, die Feststellungen bieten jedoch keine Grundlage für die Annahme der Notwendigkeit der dauernden Bereitschaft einer Betreuungsperson. Es liegen daher auch die Voraussetzungen für das Pflegegeld der Stufe 5 nicht vor.
Mit ist das Bundesgesetz über die Änderung des Bundespflegegeldgesetzes BGBl I 1998/111 in Kraft getreten. Gemäß § 48 BPGG in der Fassung dieser Novelle sind allen am noch nicht bescheidmäßig abgeschlossenen Verfahren für die Zeit bis die bis zu diesem Zeitpunkt für die Beurteilung des Anspruches geltenden Bestimmungen des § 4 und der Einstufungsverordnung zum BPGG BGBl 314/1993 zugrunde zu legen. Dies gilt sinngemäß auch für gerichtliche Verfahren. Ab sind die Bestimmungen des BPGG in der novellierten Fassung anzuwenden. Die aufgrund der novellierten Gesetzesfassung ergangene Einstufungsverordnung (BGBl II 1999/37) ist mit in Kraft getreten, die Einstufungsverordnung BGBl 1993/314 wurde mit aufgehoben (§ 9 EinstV nF).
Die Anwendung der neuen Rechtslage führt jedoch hier zu keinem anderen Ergebnis. Die Zeitwerte für die Hilfsverrichtungen wurden in § 2 EinstV (nF) gleich festgelegt wie bisher. Auch die hier anzuwendenden Richtwerte für das An- und Auskleiden, die Reinigung bei Inkontinenz und die Mindestwerte für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung der Mahlzeiten und die Verrichtung der Notdurft blieben unverändert. Neu aufgenommen wurde in den Katalog der Richtwerte der Betreuungsaufwand für das Einnehmen von Medikamenten mit 6 Minuten täglich (= 3 Stunden monatlich). Die Vorinstanzen haben hiefür einen Zeitwert von 2,5 Stunden in Anschlag gebracht, so daß sich auch diesbezüglich keine wesentliche andere Beurteilung ergibt. Ausgehend von der neuen Rechtslage beträgt der Hilfs- und Betreuungsaufwand auch ab mehr als 180 Stunden, so daß auch ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 4 besteht.
Fest steht, daß die Klägerin sehbehindert ist. Sie ist am rechten Auge erblindet, am linken Auge besteht ein grauer Star. Mit Korrektur ergibt sich eine Sehschärfe des linken Auges von 6/60; dies entspricht 10 % des normalen Sehvermögens. Durch die Novelle zum BPGG BGBl I 1998/111 wurden die früher in der Einstufungsverordnung enthaltenen Regelungen betreffend die (diagnosebezogenen) Mindesteinstufungen in inhaltlich geänderter Form nunmehr in das Gesetz aufgenommen. Die Mindesteinstufung wegen bestehender Sehbehinderungen finden sich nunmehr in § 4a Abs 4 BPGG. Danach ist bei hochgradig sehbehinderten Personen mindestens ein Pflegebedarf entsprechend der Stufe 3 anzunehmen. Als hochgradig sehbehindert in diesem Sinne gilt, wer am besseren Auge mit optimaler Korrektur eine Sehleistung mit einem Visus von kleiner oder gleich 0,05 (3/60) ohne Gesichtsfeldeinschränkungen hat oder einem Visus von kleiner oder gleich 0,1 (6/60) in Verbindung mit einer Quadrantenanopsie hat oder einem Visus von kleiner gleich 0,3 (6/20) in Verbindung mit einer Hemianopsie hat oder einem Visus von kleiner gleich 1,0 (6/6) in Verbindung mit einer röhrenförmigen Gesichtsfeldeinschränkung hat. Bei der Klägerin besteht ein Visus von 6/60. Daß darüberhinaus noch weitere Umstände vorliegen, die die Anwendung der Regelung über die Mindesteinstufung rechtfertigen könnten, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Eine Ergänzung des Verfahrens (die dann, wenn der Frage maßgebliche Bedeutung zukommen würde, erforderlich sein könnte, zumal die Mindesteinstufungskriterien erst nach Schluß der Verhandlung erster Instanz neu geschaffen wurden) ist jedoch entbehrlich, weil die Klägerin nach den obigen Ausführungen schon ausgehend von den allgemeinen Einstufungskriterien Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 4 hat, so daß der Frage, ob die Voraussetzungen für die Mindesteinstufung in die Stufe 3 vorliegen, keine Bedeutung zukommt.
Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 6 besteht nach § 4 Abs 2 BPGG (nF) für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs 1 mehr als 180 Stunden monatlich beträgt, wenn 1. zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen erforderlich sind und diese regelmäßig während des Tages und der Nacht zu erbringen sind oder 2. die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht erforderlich ist, weil die Wahrscheinlichkeit einer Eigen- oder Fremdgefährdung gegeben ist. Daß zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen notwendig wären, läßt sich aus den Feststellungen nicht ableiten. Daß jedoch wegen einer (hier allein in Frage kommenden) Selbstgefährdung die dauernde Anwesenheit einer Betreuungsperson nicht erforderlich ist, wurde oben ausgeführt.
Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 besteht gemäß § 4 Abs 2 BPGG (nF) für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs 1 durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt, wenn ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand erforderlich ist. Dieser wird in § 6 EinstV (nF) in gleicher Weise definiert wie in § 6 der mit Ablauf des außer Kraft getretenen EinstV. Es kann daher diesbezüglich auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Auch nach der neuen Rechtslage (BPGG idnF, in Kraft seit bzw EinstV idnF, in Kraft seit ) hat die Klägerin daher Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 4, während ein Anspruch auf ein höheres Pflegegeld nicht zu Recht besteht.
Der Revision war daher teilweise Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Die rechtliche Schwierigkeit des Falles rechtfertigt es, der Klägerin nach Billigkeit die halben Kosten des Revisionsverfahrens zuzuerkennen. Das Kostenbegehren der beklagten Partei ist jedenfalls verfehlt (§ 77 Abs 1 Z 1 iVm § 66 ASGG).