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OGH vom 18.09.2003, 8Ob64/03z

OGH vom 18.09.2003, 8Ob64/03z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling, Dr. Kuras und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard M*****, Aufzugsmonteur, ***** vertreten durch Dr. Michael Rohr, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Gabriele M*****, Abteilungshelferin, ***** vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Dr. Peter Mardetschläger, Mag. August Schulz, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 44 R 122/03x-21, womit über Berufung des Klägers das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom , GZ 1 C 13/02a-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Urteile werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des unbekämpft gebliebenen Teiles zu lauten haben wie folgt:

"Die zwischen Gerhard M*****, geboren am ***** 1959 in W*****, und Gabriele M*****, geborene K*****, geboren am ***** 1960 in W*****, am vor dem Standesamt M***** geschlossene Ehe, eingetragen im Familienbuch unter der Nr *****, wird mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft dieses Urteils aufgelöst ist.

Das Verschulden trifft den Kläger und die Beklagte zu gleichen Teilen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben."

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit EUR 835,96 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten EUR 97,16 Umsatzsteuer, EUR 253 Barauslagen) und die mit EUR 779,74 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten EUR 66,24 Umsatzsteuer, EUR 380 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile lebten seit 1996 mit einer halbjährigen Unterbrechung in Lebensgemeinschaft. Sie schlossen am vor dem Standesamt M***** die Ehe, der keine Kinder entstammen. Es handelt sich um die zweite Ehe des Klägers und die vierte Ehe der Beklagten. Ihre Vorehen wurden jeweils geschieden. Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger.

Etwa drei Wochen vor der Eheschließung erkrankte der Kläger an einer Lungenentzündung. Er war durch einen Zeitraum von rund sechs Wochen an der Verrichtung beruflicher Tätigkeiten verhindert. Die ihn behandelnden Ärzte untersagten ihm, die geplante Hochzeitsreise nach Kenia anzutreten. Die Reise musste storniert werden. Die Beklagte warf dem Kläger bis Weihnachten 2001 mehrfach, etwa sieben- bis achtmal vor, dass sie mit ihm keinen Urlaub habe verbringen können. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte den Kläger aufforderte, mit ihr einen Urlaubsaufenthalt in der Steiermark zu verbringen.

In den ersten Monaten des ehelichen Zusammenlebens nahmen die Streitteile an Werktagen abends gemeinsam Mahlzeiten ein. In der Folge lehnte die Beklagte, die mitunter bereits im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Abteilungshelferin in einem Krankenhaus Mittagessen konsumiert hatte, ab, neuerlich eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen. Sie leistete jedoch dem Kläger, wenn dieser aß, Gesellschaft und wechselte zumindest einige Worte mit ihm. Ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt lehnte die Beklagte es ab, für den Kläger am Abend täglich warme Mahlzeiten zuzubereiten. Sie kochte in der Regel für zwei Tage und setzte ihm zum Teil gewärmte Mahlzeiten vor. Der Kläger war mit dieser Vorgangsweise nicht einverstanden und ließ mitunter Mahlzeiten unberührt. Er weigerte sich, sich selbst mit Mahlzeiten zu versorgen. Ab November, spätestens Dezember 2001 weigerte sich die Beklagte, für den Kläger Mahlzeiten zuzubereiten. Grund dafür war, dass die zwischen den Streitteilen ausgebrochenen Spannungen immer mehr eskalierten. Das führte dazu, dass der Kläger im Wohnzimmer der Ehewohnung nächtigte. Die Ehe der Streitteile war von einem hohen Maß an Sexualität geprägt. Sie stellten sexuelle Begegnungen in der Vordergrund ihrer Beziehung. Sexuelle Beziehungen fanden nach der Eheschließung unter Bedachtnahme auf die Erkrankung des Klägers in größeren zeitlichen Intervallen statt. Sie verdichteten sich in den folgenden Monaten und nahmen gegen Ende des Jahres 2001 in ihrer Intensität wieder ab. Die Ausübung von Geschlechtsverkehr unterblieb vor allem dann, wenn zwischen den Streitteilen Meinungsverschiedenheiten ausgetragen wurden. Thema der Auseinandersetzungen waren das Verhalten des Sohnes der Beklagten, dessen schulische Leistungen und ein PKW, dessen Um- und Ausbau bzw Ausgestaltung der Kläger veranlasst hatte. Die Beklagte erklärte häufig, sie könne mit dem Kläger nicht intim werden, wenn dieser ständig mit ihr streite. Sie begründete ihre ablehnende Haltung zu geschlechtlichen Begegnungen auch damit, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit gestresst wäre und zwischen den Streitteilen Beziehungsschwierigkeiten aufgetreten seien. Der Kläger versuchte, Kontakte zur Beklagten im Rahmen von Gesprächen wiederherzustellen. Er zeigte jedoch keine Tendenzen, sich der Beklagten zärtlich zu nähern.

Am 29. und und am kam es jeweils zu einem Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen.

Der Kläger begründete den Umstand, dass er ab Oktober oder November 2001 im Wohnzimmer der Ehewohnung nächtigte, vor allem damit, dass zwischen den Streitteilen Spannungen aufgetreten seien. Der Beklagten gegenüber begründete er diese Vorgangsweise auch damit, dass sie unterschiedliche Schlafgewohnheiten besäßen.

In den letzten Monaten des Jahres 2001 blieb der Kläger zumindest drei- bis viermal wöchentlich der Ehewohnung bis gegen 23.00 oder 24.00 Uhr fern. Er nächtigte im Oktober 2001 dreimal in der Wohnung eines Freundes.

Nach der Eheschließung und der Stornierung des Hochzeitsurlaubes der Streitteile erwarb die Beklagte für sich und den Kläger zwei Eheringe. Sie erwarb für beide Streitteile im Zusammenhang mit der Eheschließung eine Uhr. Als die Auseinandersetzungen der Streitteile im Dezember 2001 an Schärfe zunahmen, forderte die Beklagte den Kläger auf, ihr den Ring und die Uhr zurückzugeben. Der Kläger kam dieser Aufforderung nach.

Im Zuge von Auseinandersetzungen kam es zu verbalen Beschimpfungen. Der Kläger bezeichnete die Beklagte als "Trampel" und fragte sie "Alte spinnst? Bist deppert?". Die Beklagte begegnete derartigen Äußerungen etwa, indem sie ihn als "Trottel" beschimpfte.

Nachdem sich die Beklagte vor der Eheschließung und auch noch unmittelbar danach damit einverstanden erklärt hatte, dass der Kläger die Ausgestaltung eines ihm gehörigen Fahrzeuges der Marke Audi A3 veranlasste, lehnte sie in der Folge die diesbezüglichen Initiativen des Klägers ab. Sie bezeichnete das Fahrzeug gegenüber dem die Ausgestaltungsarbeiten durchführenden Jürgen P***** als "Scheißhäusl" und erklärte, dass sie sich sowieso scheiden lasse. Eine derartige Erklärung gab sie auch gegenüber der Lebensgefährtin Jürgen P***** ab. Sie begründete diese Haltung damit, dass die Beziehung ohnedies nichts bringe.

Gegen Mitte Jänner 2002 verließ der Kläger die Ehewohnung und nahm gesondert Wohnung. Das begründete er damit, dass er dem durch die Beklagte aufgebauten Druck nicht mehr standhalten könne und dass ihn die eheliche Situation nicht befriedige, weil die Beklagte ihn links liegen gelassen hätte. Für den Auszug war auch maßgebend, dass die Beklagte gegenüber dem Freund des Klägers und dessen Lebensgefährtin erklärt hatte, sie würde sich scheiden lassen.

Vor dem Weihnachtsfest des Jahres 2001 suchten die Streitteile mit Jürgen P***** und dessen Lebensgefährtin sowie dem Bruder von P***** ein Tanzlokal auf. Hannes P***** fragte einige Tage nach dieser Begegnung seinen Bruder, wer die Beklagte gewesen wäre und sagte, dass er seinen Stammplatz im Lokal habe wechseln müssen, weil es zwischen ihm und der Beklagten zu einem intensiven Augenkontakt gekommen wäre. Jürgen P***** erzählte davon dem Kläger. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mit Hannes P***** flirtete oder möglicherweise geschlechtliche Beziehungen eingehen wollte. Die Beklagte setzte den Kläger bei Zusammentreffen mit anderen Personen nicht herab. Sie gab nur gesellschaftlich übliche Scherze von sich. Im Zuge eines Spazierganges während des Silvesterabends 2001 erwähnte die Beklagte gegenüber Thomas D*****, dass schade wäre, dass sie verheiratet sei. Sie bezeichnete den Kläger als eine "komische Type". Darüber hinaus verglich die Beklagte die Gesäße des Klägers und des Thomas D*****, wobei sie an diese Gesäße Hand anlegte. Sie erklärte, der Kläger besäße einen wunderschönen Hintern, Thomas hingegen nicht. Thomas D***** erzählte davon dem Kläger. Als die Beklagte davon erfuhr, beschimpfte sie D***** als "Arschloch".

Die im August 2001 geschlossene Ehe der Streitteile wies bereits nach etwa zwei bis drei Monaten Anzeichen einer Zerrüttung auf, die sich in der Folge bis Dezember 2001 verdichtete. Unter den seit Jänner 2002 gegebenen Umständen ist die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten.

In den Monaten Jänner und Februar 2002 hatte der Kläger der Beklagten zur Deckung ihrer Unterhaltskosten keine Geldbeträge zur Verfügung gestellt. In den Monaten August bis Dezember 2001 ist dem Kläger eine Verletzung der ihn treffenden Unterhaltspflicht nicht nachzuweisen.

Der Kläger begehrte, die Ehe aus dem Verschulden der Beklagten zu scheiden; die Beklagte beantragte die Abweisung des Scheidungsbegehrens; eventualiter beantragt sie, die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers zu scheiden.

Der Kläger brachte vor, die Beklagte habe sich ihm gegenüber bereits unmittelbar nach Eheschließung ablehnend verhalten; sie habe geschlechtliche Kontakte abgelehnt bzw weitgehend reduziert. Sie habe sich geweigert, Mahlzeiten zuzubereiten. Sie habe sich lieb- und interesselos gezeigt. So habe sie den Ehering und Hochzeitsgeschenke vom Kläger zurückverlangt.

Die Beklagte wendete ein, der Kläger habe sich ihr gegenüber lieblos verhalten. Er sei schon bald nach der Eheschließung spät abends nach Hause gekommen. Zweimal habe er überhaupt nicht zu Hause genächtigt. Anfang Jänner 2002 habe er die Ehewohnung verlassen. Der Kläger sei finanziell ihr gegenüber kleinlich gewesen und habe einen Großteil seines Geldes in seine Hobbys (Auto; Computer) gesteckt. Er habe ihr gegenüber seine Unterhaltsverpflichtung verletzt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers. Es wertete als Eheverfehlung der Beklagten, dass sie unmittelbar nach der Eheschließung und der Stornierung der nach Kenia beabsichtigten Hochzeitsreise dem Kläger vorgeworfen habe, dass die Hochzeitsreise unterblieben sei. Das zeitweise Unterbleiben geschlechtlicher Beziehungen könne der Beklagten nicht als Eheverfehlung angelastet werden, weil von ihr nicht verlangt werden könne, dass sie dem Kläger für geschlechtliche Begegnungen jederzeit zur Verfügung stehe. Auch das Verhalten der Beklagten in Gesellschaft stelle keine Eheverfehlung dar. Das Verhalten der Beklagten während Lokalbesuchen und während der Silvesternacht habe den Grad einer Eheverfehlung nicht erreicht. Die Unterlassung der Zubereitung von Mahlzeiten sei der Beklagten ebenfalls nicht vorzuwerfen, weil sich der Kläger in den letzten Monaten des Jahres 2001 häufig bis in die Nachtstunden außerhalb der Ehewohnung aufgehalten habe. Eine Eheverfehlung stelle allerdings dar, dass die Beklagte den dem Kläger übergebenen Ehering und die anlässlich der Eheschließung erworbene Uhr zurückverlangt habe. Dieser Umstand stehe in Verbindung mit der Erklärung, sie wolle sich scheiden lassen. Dem Kläger hingegen sei zur Last zu legen, dass er sich der Beklagten gegenüber mitunter abweisend verhalten habe und gegen Ende des Jahres 2001 häufig erst während der Nachtstunden in die Ehewohnung zurückgekehrt sei. Ferner stelle das Verlassen der Ehewohnung und die Verletzung der Unterhaltspflicht im Jänner und Februar 2002 eine Eheverfehlung dar.

Der Beitrag des Klägers zur Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft sei weitaus gewichtiger als jener der Beklagten. Dieser sei im Wesentlichen nur anzulasten, dass sie dem Kläger das Unterbleiben einer Hochzeitsreise vorgeworfen und von ihm Hochzeitsgeschenke bzw den Ehering zurückverlangt habe. Es sei daher das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes, nachdem es der Beklagten zunächst seine Absicht bekanntgegeben habe, das erstrichterliche Urteil abzuändern und ihr gemäß § 473a Abs 1 ZPO freigestellt hatte, Mängel von Tatsachenfeststellungen oder der Beweiswürdigung des Erstgerichtes mit einem binnen drei Wochen direkt beim Berufungsgericht einzubringenden Schriftsatz zu rügen.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, ohne auf diesen von der Beklagten gemäß § 473a Abs 1 ZPO eingebrachten Schriftsatz einzugehen und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtlich billigte das Berufungsgericht im Wesentlichen die Rechtsauffassung des Erstgerichtes, wobei es davon ausging, dass der Eintritt der unheilbaren Ehezerrüttung bereits im Dezember 2001 anzunehmen sei. Der Beklagten seien zwar die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Hochzeitsreise, das Verlangen auf Rückgabe des Eheringes und der Uhr und die Äußerung gegenüber Dritten, sie wolle sich scheiden lassen, anzulasten. Bei einer Gesamtwürdigung der Eheverfehlungen der Beklagten sei jedoch festzuhalten, dass es sich um punktuelle Einzelereignisse gehandelt habe, während die Eheverfehlungen des Klägers als Dauerzustand über einen längeren Zeitraum in erheblich größerem Ausmaß zur Ehezerrüttung beigetragen hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht von den Grundsätzen der oberstgerichtlichen Judikatur abgewichen ist. Die Revision ist auch berechtigt.

Gemäß § 49 EheG ist das Scheidungsbegehren gerechtfertigt, wenn der andere durch eine sonstige schwere Eheverfehlung oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, dass die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Bei einer Scheidung wegen Verschuldens hat das Urteil einen Schuldausspruch zu enthalten (§ 60 EheG).

Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (Stabentheiner in Rummel³ § 60 EheG Rz 3; RIS-Justiz RS0057303, RS0056171). Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens ist vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang gemacht hat, wobei dieser Teil bei sonst gleichen Umständen als der gegenüber dem anderen in höherem Grad Schuldige zu werten ist (Stabentheiner aaO; RIS-Justiz RS0056597). Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung der Ausspruch, dass die Schuld eines Gatten überwiegt, nur dann zulässig, wenn dessen Verschulden erheblich schwerer ist als das des anderen (Stabentheiner aaO Rz 2; RIS-Justiz RS0057858; RS0057057; RS0057821; zuletzt 10 Ob 328/02m). Nur das erheblich schwerere Verschulden eines Teiles darf daher im Scheidungsurteil zum Ausdruck kommen; der Unterschied muss offensichtlich und augenscheinlich hervortreten: Ein Ausspruch überwiegenden Verschuldens ist nur gerechtfertigt, wenn das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt, weil das überwiegende Verschulden grundsätzlich dem Alleinverschulden gleichsteht. Auch nur ungefähr gleiches Verschulden führt zum Ausspruch gleichteiligen Verschuldens (4 Ob 63/95; 3 Ob 224/98g; 2 Ob 168/98i uva).

Wendet man diese Rechtssätze auf den vorliegenden Fall an, so ist der Ausspruch überwiegenden Verschuldens des Klägers nicht gerechtfertigt: Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass die relevante Frage, wer mit dem Verhalten, das später zur Zerrüttung der Ehe geführt hat, begonnen hat (RIS-Justiz RS0056597; RS0056755), zu Lasten der Beklagten geht, steht doch fest, dass die Beklagte bereits unmittelbar nach der Eheschließung dem Kläger die Unterlassung des Antrittes der Hochzeitsreise nach Kenia vorgeworfen hat, wobei dieser mehrfach erhobene Vorwurf (nach den Feststellungen sieben- bis achtmal zwischen Eheschließung und Dezember 2001) im Hinblick auf den Grund für die Unterlassung der Hochzeitsreise (Erkrankung des Klägers) als lieblos zu werten ist. Berücksichtigt man diese Vorwürfe im Zusammenhang mit den festgestellten Äußerungen der Beklagten Dritten gegenüber, dass sie sich sowieso scheiden lassen wolle und berücksichtigt man schließlich, dass die Beklagte den Kläger aufforderte, den Ehering und die Uhr zurückzugeben, können diese Verfehlungen der Beklagten als nicht so unbedeutend angesehen werden, dass sie gegenüber den Eheverfehlungen des Klägers völlig in den Hintergrund zu treten haben. Selbst wenn man daher den Vorinstanzen darin beipflichten wollte, dass das Verhalten des Klägers insgesamt schwerer wiegt als jenes der Beklagten, wobei ihm im Wesentlichen nur vorzuwerfen ist, dass er ab Oktober oder November 2001 das eheliche Schlafzimmer verließ, kann jedenfalls nicht gesagt werden, dass das Verschulden der Beklagten derart in den Hintergrund tritt, dass der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens, der in den Rechtsfolgen dem des Alleinverschuldens gleichsteht, gerechtfertigt wäre. Hier kann in Wahrheit auch nicht beurteilt werden, welches der beiderseitigen Verhalten für die Zerrüttung der Ehe maßgeblicher war (vgl dazu 3 Ob 224/98g). Dabei darf schließlich nicht übersehen werden, dass der Kläger nach den Feststellungen immerhin bemüht war, Kontakte zur Beklagten im Rahmen von Gesprächen wiederherzustellen. Dass er keine Tendenzen zeigte, sich der Beklagten zärtlich zu nähern, kann dem Kläger ebensowenig vorgeworfen werden wie der Beklagten ihre ablehnende Haltung zu geschlechtlichen Begegnungen. Vielmehr ergibt sich aus den Feststellungen, dass die in hohem Maß von Sexualität geprägte Ehe der Streitteile dadurch gekennzeichnet war, dass den Kläger offensichtlich die in der Ehe bestehenden Spannungen nicht an sexuellen Wünschen hinderten, während die Beklagte wegen der Beziehungsschwierigkeiten nicht zu intimen Begegnungen bereit war.

Bei der maßgeblichen Gesamtbetrachtung ist daher davon auszugehen, dass das Verschulden des Klägers unter diesen Umständen nicht oder jedenfalls nicht erheblich schwerer wiegt als jenes der Beklagten.

Dass das Berufungsgericht - entgegen seiner ursprünglichen Absicht - den der Beklagten aufgetragenen und von ihr auch erstatteten Schriftsatz im Sinne des § 473a Abs 1 ZPO nicht zum Anlass nahm, auf die von der Beklagten dort erstattete Beweisrüge einzugehen, stellt sich deshalb als kein Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens dar, weil nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes keine Notwendigkeit für ein Vorgehen des Berufungsgerichtes nach § 473a Abs 1 ZPO besteht, wenn sich der Berufungswerber ausdrücklich auf Feststellungen des Erstgerichtes bezieht, indem er eine Rechtsrüge gesetzmäßig ausführt (RIS-Justiz RS0112020). In diesem Fall wäre die Beklagte gehalten gewesen, ihrerseits Feststellungen bereits in der Berufungsbeantwortung zu rügen.

Eine Prüfung der Frage, ob die von der Beklagten in ihrem Schriftsatz gemäß § 473a Abs 1 ZPO begehrten Feststellungen, auf die die erstattete Revisionsbeantwortung zum Teil verweist, überhaupt geeignet wären, eine andere rechtliche Beurteilung herbeizuführen, konnte daher unterbleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gründet sich auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO; jene über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO. Der Ansatz nach RAT war zu korrigieren. Die Pauschalgebühr beträgt lediglich EUR 380 (§ 16 Abs 2 Z 3 GGG iVm Anm 6 zu TP 3).