VfGH vom 01.12.1986, B616/85

VfGH vom 01.12.1986, B616/85

Sammlungsnummer

11131

Leitsatz

Vbg. GVG; MRK Art 6; Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung des Meistbotes gemäß § 5 Abs 1 Vbg. GVG; neuerliches Ansuchen um Genehmigung; Zurückweisung wegen entschiedener Sache; ein Verfahren zur behördlichen Genehmigung des Meistbotes hat "civil rights" iS des Art 6 MRK zum Gegenstand und zwar auch dann, wenn ein solcher Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird; § 15 Vbg. GVG über die Organisation des Grundverkehrssenates entspricht Art 6 MRK; auch sonst keine Bedenken gegen § 15 Vbg. GVG; bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung; hier Mitglied des (zweitinstanzlichen) Grundverkehrssenates in dienstlicher Unterordnung zum Vorsitzenden der (erstinstanzlichen) Grundverkehrs-Landeskommission; Mitglied des Grundverkehrssenates war als Sachverständiger tätig und wirkte weiterhin als Stimmführer; Verletzung des Art 6 MRK; Verfahren wegen des neuerlichen Ansuchens bildet mit dem früher geführten faktisch eine Einheit - Zweifel an der Tribunalqualität des Grundverkehrssenates im ersten Verfahren schlagen auf das zweite Verfahren durch; auch in diesem Fall Verletzung des Art 6 MRK

Spruch

Die Bf. sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch Art 6 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. A. 1. Bei der am beim BG Bregenz zu 3b E25/84 stattgefundenen Zwangsversteigerung gaben die Bf. für den Erwerb der Grundparzelle .../1, .../2, ..., ... und ..., alle EZ ... KG Hörbranz mit einem Gesamtausmaß von etwa 27000 Quadratmeter, das Meistbot in der Höhe von 3600000 S ab.

Das BG Bregenz schlug sodann die versteigerte Liegenschaft um dieses Meistbot den beiden Bf. je zu Hälfte vorbehaltlich der Beibringung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung zu.

Mit Eingabe vom beantragten die Bf. die Erteilung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung des Meistbotes (§3 Abs 3 des Vbg. Grundverkehrsgesetzes, LGBl. 18/1977 - Vlbg GVG).

Die (Vbg.) Grundverkehrs-Landeskommission versagte mit Bescheid vom die beantragte Genehmigung. Die dagegen von den Bf. erhobene Berufung wurde mit Bescheid des (Vbg.) Grundverkehrssenates vom gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm. § 5 Abs 1 Vlbg GVG abgewiesen.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die zu "B616/85" erhobene, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Der Grundverkehrssenat als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der begehrt wird, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

4. Die Verfahrensparteien gaben noch weitere Schriftsätze ab, in denen sie ihre Standpunkte bekräftigten.

B. 1. Am suchten die Bf. neuerlich um die grundverkehrsbehördliche Genehmigung desselben Meistbotes an.

Der Grundverkehrssenat wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom diesen Antrag gemäß § 68 Abs 1 AVG 1950 wegen entschiedener Sache zurück.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die zu "B448/86" protokollierte, auf Art 144 B-VG gegründete Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in der Ähnliches wie zu B616/85 behauptet und der gleiche Antrag wie dort gestellt wird.

3. Der Grundverkehrssenat legte auch in diesem Verfahren eine Gegenschrift vor und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

II. Der VfGH hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. a) Die Bf. machen ua. geltend, in dem durch Art 6 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden zu sein.

b) Ein Verfahren zur behördlichen Genehmigung des Meistbotes hat zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ("civil rights") iS des Art 6 MRK zum Gegenstand und zwar auch dann, wenn ein auf die Erteilung einer solchen Genehmigung abzielender Antrag (wie im Fall B448/86) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird. Es besteht daher nach Art 6 MRK ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein mit bestimmten Garantien ausgestattetes Verfahren vor einem unabhängigen "Tribunal". Gegen die Entscheidung des Grundverkehrssenates (das ist die auf Administrativebene in letzter Instanz entscheidende Behörde) kann lediglich beim VfGH, nicht aber auch beim VwGH Beschwerde geführt werden. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen (vgl. zB VfSlg. 5100/1965, 7099/1973, 8828/1980) muß die Verwaltungsbehörde als Tribunal iS des Art 6 MRK eingerichtet sein.

§15 Vlbg GVG über die Organisation des Grundverkehrssenates entspricht dieser Konventionsnorm: Die Mitglieder sind durch Gesetz weisungsfrei gestellt. Sie sind auf eine Funktionsdauer von fünf Jahren zu bestellen und für diesen Zeitraum unabsetzbar (vgl. zB VfSlg. 7538/1975, 8317/1978). Die Mitgliedschaft eines obersten Organes der Vollziehung zum Grundverkehrssenat ist ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. hiezu zB VfSlg. 7099/1973, 7284/1974). Der Umstand, daß ein Mitglied "Fachmann auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft" sein muß, ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. zB VfSlg. 8544/1979, 8828/1980). Es ist nicht erkennbar, welche Verfassungsbestimmung es ausschließen sollte, einen Landesbeamten zum Berichterstatter zu bestellen (vgl. zB VfSlg. 10639/1985 sowie das Urteil des EGMR, Z 5/1983/61/95 = EuGRZ 1985, 336 ff., im Rechtsfall Sramek).

Auch sonst hegt der VfGH gegen die im § 15 Vlbg. GVG vorgesehene Zusammensetzung des in oberster Instanz entscheidenden Grundverkehrssenates keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach dem Gesetz genügt es, wenn ein einziges Mitglied (nämlich der Berichterstatter) ein Landesbeamter ist. Das Gesetz zwingt also nicht dazu, mehrere Beamte, die bei ihrer hauptberuflichen Tätigkeit zueinander in einem hierarchischen Überordnungsverhältis oder einem sonstigen dienstlichen Verhältnis stehen, zu Mitgliedern dieser Kollegialbehörde zu bestellen. Eine solche Regelung könnte allenfalls im Lichte der neueren Judikatur der Straßburger Konventionsorgane (zB der EKMR im Fall Ettl - Appl. 9273/81, EuGRZ 1985, 364) bedenklich sein (s. hiezu auch die folgende litc).

Die rechtliche Konstellation des Vbg. Grundverkehrssenates ist mit jener der Tir. Landesgrundverkehrsbehörde (die vom EGMR im Fall Sramek erörtert wurde) gerade in der wesentlichen Beziehung nicht zu vergleichen, da es bei der obersten Tir. Grundverkehrsbehörde darum ging, daß eine Verfahrenspartei (der Grundverkehrsreferent) in einem hierarchischen Überordnungsverhältnis zu einem Mitglied der Grundverkehrsbehörde stand (vgl. auch das Erk. des VfSlg. 10639/1985), während in Vbg. das Institut des Grundverkehrsreferenten unbekannt ist.

Gegen das Gesetz bestehen unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Beschwerdefälle auch sonst keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

c) Zu untersuchen bleibt, ob dem Vollzug ein Verstoß gegen Art 6 MR K anzulasten ist.

aa) Der VfGH teilt die vom EGMR im oben näher zitierten Fall Sramek und in dem von der EKMR im oben näher zitierten Fall Ettl vertretene Ansicht, daß Recht nicht nur gesprochen werden muß, sondern daß es auch augenscheinlich zu sein hat, daß Recht gesprochen wird; ein Tribunal muß daher derart zusammengesetzt sein, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen. Bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (VfSlg. 10701/1985, EuGRZ 1986, 214 ff.).

bb) Solche Zweifel an der Fairness des Verfahrens, das mit dem zu "B616/85" angefochtenen Bescheid abgeschlossen wurde, liegen (objektiv berechtigt) nahe:

Zum einen trat als Mitglied des Grundverkehrssenates (der Behörde 2. Instanz) Dipl.-Ing. W G auf, der im Hauptberuf Abteilungsleiter bei der Agrarbezirksbehörde Bregenz ist; als deren Leiter fungiert Dipl.-Ing. Dr. W P; dieser agierte im Verfahren als Vorsitzender der Grundverkehrs-Landeskommission (der Behörde 1. Instanz). Die volle Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Mitgliedes des in letzter Instanz entscheidenden Grundverkehrssenates war unter diesen Umständen anzuzweifeln, dies vor allem im Hinblick darauf, daß Dipl.-Ing. G in seinem Hauptberuf als Verwaltungsbeamter (im Gegensatz zu einem Richter) weisungsgebunden ist (vgl. hiezu die Judikatur des VfGH zum Tir. GVG - zB VfSlg. 10634/1985 B518/82 -, wonach der Umstand, daß der Grundverkehrsreferent - eine Verfahrenspartei - im Hauptberuf zu einem Mitglied der Grundverkehrsbehörde in einem hierarchischen Überordnungsverhältnis steht, das Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK verletzt). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Dipl.-Ing. G tatsächlich unabhängig entscheiden konnte oder nicht.

Zum anderen war das Mitglied des Grundverkehrssenates als Sachverständiger tätig: Der Berichterstatter des Grundverkehrssenates ersuchte nämlich im Zuge des bei dieser Behörde anhängigen Berufungsverfahrens den "landwirtschaftlichen Amtssachverständigen bei der Agrarbezirksbehörde Bregenz" förmlich um "die Erstattung von Befund und Gutachten hinsichtlich des Wertes der ersteigerten Liegenschaft". In Befolgung dieser Aufforderung erhob Dipl.-Ing. G einen Befund und gab in der angesprochenen Eigenschaft (also nicht etwa als sachkundiges Senatsmitglied) schriftlich ein entsprechendes Gutachten ab. Dennoch wirkte er im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens als Stimmführer mit. Wenngleich dieses als Beweismittel (§52 AVG 1950) zu wertende Gutachten in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht erwähnt wird, widerstreitet ein solches Vorgehen den Grundsätzen eines fairen Verfahrens iS des Art 6 MRK, kann eine Verfahrenspartei dadurch doch gezwungen sein, gegen ein Mitglied des die Sache entscheidenden Gremiums zu argumentieren und nötigenfalls zu polemisieren. Unter diesen Umständen können die Partei und die Öffentlichkeit in Zweifel geraten, ob unparteilich Recht gesprochen wird.

cc) Mit dem zu "B448/86" bekämpften Bescheid des Grundverkehrssenates wird ein neuerlicher Antrag der Bf. wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dieses Verfahren vor den Grundverkehrsbehörden bildet mit dem früher geführten faktisch eine Einheit. Zweifel an der Tribunalqualität des Grundverkehrssenates im ersten Verfahren schlagen daher auf das zweite Verfahren durch.

Dazu kommt, daß auch in diesem Verfahren die Grundverkehrs-Landeskommission unter dem Vorsitz von Dr. P und der Grundverkehrssenat mit Dipl.-Ing. G als Mitglied entschieden. Die dienstliche Beziehung dieser Personen wurde in der vorstehenden sublitbb) dargestellt.

dd) Die Bf. wurden sohin in beiden Fällen in dem durch Art 6 MRK verfassungsgesetzlich verankerten Anspruch, daß über ihre zivilrechtlichen Ansprüche von einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal entschieden wird, verletzt.

Die angefochtenen Bescheide waren infolgedessen aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.