VfGH vom 06.03.2009, B616/08

VfGH vom 06.03.2009, B616/08

Sammlungsnummer

18731

Leitsatz

Keine Invalidation der Regelungen des Arbeiterkammergesetzes 1992 über die Zugehörigkeit zur Arbeiterkammer durch Änderung der Verfassungsrechtslage betreffend die nichtterritoriale Selbstverwaltung; keine Bedenken gegen die Pflichtmitgliedschaft sowie gegen die Ausnahmeregelung in Bezug auf Kapital- und Personengesellschaften; Abweisung der Beschwerde eines Prokuristen einer Sparkasse gegen die Versagung der Feststellung der Nichtzugehörigkeit zur Arbeiterkammer

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für

Wirtschaft und Arbeit wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung seiner Nichtzugehörigkeit zur Kammer für Arbeiter und Angestellte Vorarlberg nicht stattgegeben und festgestellt, dass der Beschwerdeführer als Prokurist der Sparkasse Bludenz Bank AG gemäß § 10 Abs 1 Arbeiterkammergesetz 1992 (AKG) der Kammer für Arbeiter und Angestellte Vorarlberg angehöre. Der Beschwerdeführer sei nach dem festgestellten Sachverhalt nicht als Vorstandsmitglied tätig, weshalb die Ausnahmebestimmung des § 10 Abs 2 Z 2 AKG auf ihn nicht zur Anwendung kommen könne.

2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde werden Verstöße gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und auf Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit und die Verletzung in Rechten (jeweils) wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen behauptet.

Der Beschwerdeführer regt die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens zur Prüfung des § 10 Abs 2 Z 2 AKG, in eventu der Wortfolge "wenn das Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft betrieben wird; in Unternehmen mit anderer Rechtsform - unbeschadet Abs 2 Z 4 -" bzw. des § 10 Abs 1 (allenfalls in Verbindung mit § 10 Abs 2 Z 2) AKG an.

Begründend bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor:

Gemäß § 10 Abs 1 AKG gehörten der Arbeiterkammer alle Arbeitnehmer an, wobei das Gesetz im Weiteren den Arbeitnehmerbegriff des AKG definiere bzw. an Hand von Aufzählungen und Beispielen erweitere und nur in einem sehr eng abgesteckten Rahmen bestimmten Personen die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Arbeiterkammergesetzes abspreche. Es bestünde sohin das Bedenken, dass das Arbeiterkammergesetz aus rechtspolitischem Kalkül auch Gruppen einbeziehe, für die kein sachlicher Konnex bzw. kein Vertretungsanspruch im Lichte der Bundesverfassung bestehe. Art 120a Abs 1 B-VG idF der B-VG-Novelle BGBl. I 2/2008 sehe dagegen vor, dass ein "ausschließliches oder überwiegendes gemeinsames Interesse" vorliegen müsse, um Personen durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern zusammenzufassen. Dieses fehle aber sowohl bei freien Dienstnehmern als auch bei leitenden Angestellten, denen beiden das charakteristische Gegenüber des Arbeitgebers insofern fehle, als sie weitgehend selbst über ihre erwerbsgerichteten Abläufe disponieren könnten. Unter Zugrundelegung dieses klassischen arbeitsrechtlichen Dualismus wäre auch der Beschwerdeführer eher der Arbeitgeber- als der Arbeitnehmerseite zuzurechnen, da er als Prokurist auch anordnungs- und vertretungsbefugt sei. Der Beschwerdeführer fühle sich durch die Arbeiterkammer nicht vertreten und sie vertrete ihn auch de facto nicht. Die Arbeiterkammer vertrete vielmehr eine Gruppe, die zB im Kundenkreis des Beschwerdeführers zu finden sei. Die Ausnahme des § 10 Abs 2 Z 2 AKG sei sohin zu eng gefasst und diskriminiere in unsachlicher Weise jene Arbeitnehmer in leitenden Funktionen wie den Beschwerdeführer, die nicht dem Vorstand des Unternehmens angehören, indem sie deren "Zwangsmitgliedschaft" zur Arbeiterkammer aufrecht erhalte, ohne aber deren Interessen zu vertreten. Damit stehe die Regelung im Widerspruch zu Art 120a Abs 1 B-VG. Insofern stelle sich die Frage, ob § 10 Abs 2 Z 2 AKG nicht invalidiert bzw. verfassungswidrig sei, weil eine Zusammenfassung von Personen vorgenommen werde, in deren Interesse die Verfolgung der oben genannten Aufgaben, wie dargelegt wurde, nicht liege. Zudem enthalte Art 120a B-VG keine explizite Ermächtigung zur zwangsweisen Einbeziehung von Personen. Es fänden sich, abgesehen von der Konkretisierung der zu vertretenden Interessen bzw. Personen, auch keine dogmatischen Ansatzpunkte für die zwangsweise Einbeziehung jener Gruppe, welcher der Beschwerdeführer angehöre. Im Hinblick darauf, dass es im Schrifttum bereits vor In-Kraft-Treten der B-VG-Novelle 2007 kritische Stimmen gegeben habe, die die "Zwangsmitgliedschaft" nicht als Wesenselement der gesetzlichen beruflichen Vertretung angesehen hätten, sei im Lichte des "Antwortcharakters" der Verfassung davon auszugehen, dass der Bundesverfassungsgesetzgeber bewusst keine "Zwangsmitgliedschaft" anordnen wollte.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde als unbegründet abweisen.

Zur Behauptung der Gleichheitswidrigkeit des § 10 Abs 2 Z 2 AKG verweist die belangte Behörde im Wesentlichen auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13.877/1994. Der Verfassungsgerichtshof habe darin ausgesprochen, dass ein Gleichklang der Abgrenzung der Kammerzugehörigkeit mit der Umschreibung des betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffes verfassungsrechtlich nicht geboten sei. Insbesondere sei es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht unsachlich, wenn die Ausnahme von der Mitgliedschaft zur allgemeinen Interessenvertretung auf überbetrieblicher Ebene enger ist als jene auf betrieblicher Ebene, wo der leitende Angestellte als Mitglied der Belegschaft mit den aus seiner Arbeitgeberfunktion fließenden Aufgaben unmittelbar in Konflikt geraten könne. Darüber hinaus habe der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis festgestellt, dass es nicht sachfremd sei, wenn der Gesetzgeber bei der näheren Umschreibung der Ausnahme von der Kammerzugehörigkeit in Bezug auf Kapitalgesellschaften anders verfahre als in Bezug auf Einzelunternehmen und Personengesellschaften.

Zum behaupteten Widerspruch von § 10 Abs 1 (iVm § 10 Abs 2 Z 2) AKG zu Art 120a Abs 1 B-VG führt die belangte Behörde aus, dass Art 120a B-VG lediglich die durch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes entwickelten relevanten Kriterien zur Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern kodifiziere. Die Bestimmung enthalte somit auch keine verfassungsrechtlichen Neuerungen, sondern diene lediglich der Klarstellung der schon bisher geltenden Rechtslage, weshalb § 10 Abs 2 Z 2 AKG durch diese Verfassungsbestimmung auch nicht invalidiert oder verfassungswidrig geworden sein könne. Soweit der Beschwerdeführer die Wahrnehmung von Aufgaben des Konsumentenschutzes durch die Arbeiterkammern beanstande, sei dem entgegen zu halten, dass nicht ernsthaft bezweifelt werden könne, dass der Konsumentenschutz nicht im zumindest überwiegenden gemeinsamen Interesse im Sinne des Art 120a Abs 1 B-VG der Arbeiterkammermitglieder gelegen sei. Dass die Wahrnehmung von Aufgaben des Konsumentenschutzes durch die Arbeiterkammern in Einzelfällen den individuellen beruflichen Interessen des Beschwerdeführers zuwiderlaufen könne, wenn nämlich sein Arbeitgeber in Konfliktfällen als Unternehmen involviert ist, stehe dazu auch nicht in Widerspruch. In diesem Punkt unterscheide sich die Situation des Beschwerdeführers nicht von der Situation anderer Arbeitnehmer. Es sei das Ergebnis eines der wesentlichen Grundlagen beruflicher, wirtschaftlicher und sozialer Selbstverwaltung schlechthin, - mitunter sogar widerstreitende - Einzelinteressen zur gemeinsamen Interessenartikulation zu bündeln (s. zum Aspekt des "gemeinsamen Interesses": Korinek, Wirtschaftliche Selbstverwaltung 1970, 103 ff.).

Soweit der Beschwerdeführer Bedenken gegen die Pflichtmitgliedschaft zur Arbeiterkammer vorbringe, sei ihm entgegenzuhalten, dass die obligatorische Mitgliedschaft schon nach bisher weit überwiegender Auffassung als unabdingbares Strukturelement der nichtterritorialen Selbstverwaltung anerkannt worden sei. Dieses Wesensmerkmal sei - ausweislich der Erläuterungen - auch mit der verfassungsrechtlichen Verankerung der Selbstverwaltungskörper in Art 120a bis Art 120c B-VG übernommen worden.

4. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst erstattete auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes eine Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen.

Zur Frage der "Zwangsmitgliedschaft" wird ausgeführt, dass auf Grund von Art 120a B-VG die Mitgliedschaft zu Selbstverwaltungskörpern ex lege und nicht etwa auf Grund freiwilliger Beitrittserklärungen bestehe. In diesem Sinne werde im Bericht des Verfassungsausschusses (AB 370 BlgNR 23. GP) zu Art 120a Abs 1 B-VG explizit ausgeführt, dass durch die Wendung "zusammengefasst werden" die obligatorische Mitgliedschaft als Strukturelement zum Ausdruck gebracht und somit die Abgrenzung zu freiwilligen Vereinigungen betont werde. Dass die "Zwangsmitgliedschaft" zu den Wesensmerkmalen der Selbstverwaltung gehöre, entspreche im Übrigen auch der ganz herrschenden Meinung zur Verfassungslage vor der B-VG Novelle BGBl. I 2/2008 (vgl. nur Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht 19963, 384 mwN).

Zur behaupteten Unsachlichkeit des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs 2 Z 2 AKG stellt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst unter Verweis auf das Erkenntnis VfSlg. 13.877/1994 fest, dass der Verfassungsgerichtshof die Verfassungskonformität des § 10 Abs 2 Z 2 AKG bejaht habe. Der Begriff des leitenden Angestellten gemäß § 10 Abs 2 Z 2 AKG stelle allein auf die obersten Leitungspositionen der betreffenden Unternehmen ab. Allein der Umstand, dass ein Angestellter in einer organisatorischen Hierarchie "höher" als andere Mitarbeiter stehe, erfülle diese Voraussetzung noch nicht. Auch wenn seine Position im Einzelfall mit Vollmachten (zB Prokura) verbunden sein könne, so reiche dies nicht aus, ihn aus dem Kreis der anderen Arbeitnehmer signifikant und strukturell herauszuheben; diese Grenze, jenseits derer die für die Zusammenfassung in einer gesetzlichen beruflichen Interessenvertretung notwendige Interessengleichheit verloren ginge, sei erst dann erreicht, wenn die betroffene Person tatsächlich Unternehmeraufgaben bzw. unternehmeräquivalente Führungsaufgaben erfüllen würde. Die strukturelle Interessengleichheit, die die Zusammenfassung in einem Selbstverwaltungskörper zur Wahrnehmung von "im ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse" gelegenen Aufgaben erlaubt, sei auch nicht schon dann zu verneinen, wenn der Selbstverwaltungskörper in Einzelfällen nicht die Interessen aller seiner Mitglieder vertritt. Vielmehr sei es etwa den Tätigkeiten der Arbeiterkammern immanent, dass die im Rahmen ihres eigenen Wirkungsbereiches getroffenen Maßnahmen im konkreten Fall auch mit Interessen einzelner Arbeitnehmer in Konflikt geraten könnten (und zwar grundsätzlich unabhängig von der Hierarchieebene, auf der sich diese Arbeitnehmer in der Unternehmensorganisation befänden). Dass aber der Beschwerdeführer als Arbeitnehmer im Wirtschaftsleben in erster Linie die Rolle eines Konsumenten einnehme und die von ihm beanstandete Wahrnehmung von Aufgaben des Konsumentenschutzes durch die Arbeiterkammer daher zumindest abstrakt gesprochen seinen Interessen dient, könne wohl nicht ernstlich bezweifelt werden.

5. Der Beschwerdeführer replizierte auf die Ausführungen des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst.

Er zieht dabei insbesondere in Zweifel, dass sich aus den Ausführungen in den Materialien, wonach Personen in bestimmte Körperschaften "zusammengefasst werden", die Anordnung einer "Zwangsmitgliedschaft" ergeben solle. Weder seien Materialien Teil des Normtextes noch transportiere die Formulierung "zusammengefasst" werden, dass hier zwangsweise eine Mitgliedschaft bestehen solle.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur Rechtslage:

1.1. § 10 Arbeiterkammergesetz 1992 (AKG), BGBl. 626/1991 idF BGBl. I 97/2007, lautet in seinen maßgeblichen Teilen wie folgt:

"Abschnitt 3

Zugehörigkeit

§10. (1) Der Arbeiterkammer gehören alle Arbeitnehmer an. Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind auch

1. Arbeitslose im Anschluß an eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung, wenn sie bisher insgesamt mindestens 20 Wochen kammerzugehörig als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sind, für die Dauer von 52 Wochen oder eines längeren Bezuges einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung.

2. (Verfassungsbestimmung) Arbeitnehmer in Betrieben, Anstalten, Stiftungen und Fonds des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände und der Gemeinden, ohne Rücksicht darauf, ob das Arbeitsverhältnis auf privatrechtlichem Vertrag oder auf einem Hoheitsakt beruht;

3. Arbeitnehmer von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, soweit sie nicht in Z 2 genannt sind, und deren Betrieben, Stiftungen, Anstalten und Fonds;

4. Präsidenten und leitende Angestellte von gesetzlichen Interessenvertretungen und kollektivvertragsfähigen freiwilligen Berufsvereinigungen der Arbeitnehmer, soweit sie kammerzugehörige Berufsgruppen vertreten;

5. Arbeitnehmer in Sägen, Harzverarbeitungsstätten, Mühlen und Molkereien, die von land- und forstwirtschaftlichen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften betrieben werden, sofern in diesen dauernd mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind;

6. Heimarbeiter;

7. freie Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs 4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, in der jeweils geltenden Fassung, einschließlich geringfügig beschäftigter freier Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs 4 in Verbindung mit § 5 Abs 2 ASVG. Hinsichtlich der Kammerzugehörigkeit arbeitslos gewordener freier Dienstnehmer gilt Z 1 sinngemäß.

(2) Der Arbeiterkammer gehören nicht an:

1. (Verfassungsbestimmung) Arbeitnehmer von Gebietskörperschaften, die

a) dem Personalstand einer Dienststelle angehören, die in Vollziehung der Gesetze tätig ist, und bei einer solchen Dienststelle verwendet werden;

b) in Unterrichts- und Erziehungsanstalten, Archiven, Bibliotheken, Museen oder wissenschaftlichen Anstalten beschäftigt sind;

c) in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben von Gebietskörperschaften beschäftigt sind;

2. Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, wenn das Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft betrieben wird; in Unternehmen mit anderer Rechtsform - unbeschadet Abs 2 Z 4 - leitende Angestellte, denen dauernd maßgebender Einfluß auf die Führung des Unternehmens zusteht;

3. - 7. [...]

(3) - (4) [...]"

1.2. Mit der B-VG-Novelle BGBl. I 2/2008 wurde ein Abschnitt über die "Sonstige Selbstverwaltung" in das B-VG neu eingeführt. Er umfasst die Art 120a bis Art 120c B-VG und enthält Regelungen betreffend die nichtterritoriale Selbstverwaltung. Art 120a B-VG lautet in seinem maßgeblichen Teil:

"Artikel 120a. (1) Personen können zur selbständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden.

(2) [...]"

1.3. Die Materialien zur B-VG-Novelle BGBl. I 2/2008 (AB 370 BlgNR 23. GP) führen zu Art 120a Abs 1 B-VG Folgendes aus:

"Art 120a Abs 1 stellt die Zulässigkeit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern klar.

Durch die Wendung 'zusammengefasst werden' wird die obligatorische Mitgliedschaft als Strukturelement zum Ausdruck gebracht und somit die Abgrenzung von gesetzlich eingerichteten Selbstverwaltungskörpern zu freiwilligen Vereinigungen betont. Die konkrete Einrichtung und Ausgestaltung von Selbstverwaltungskörpern (dazu gehören insbesondere auch Fragen der Finanzierung, des jeweiligen Mitgliederumfanges und der organisatorischen Struktur) obliegt dem einfachen Gesetzgeber."

2. Der Beschwerdeführer behauptet, dass Art 120a Abs 1 B-VG zur Invalidation der Regelungen über die Zugehörigkeit zur Arbeiterkammer, insbesondere von § 10 Abs 2 Z 2 sowie von § 10 Abs 1 AKG, führen würde.

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt dargetan hat (vgl. VfSlg. 8871/1980, 9995/1984, 11.574/1987), müssen Gesetze nicht nur zum Zeitpunkt ihrer Erlassung, sondern jederzeit verfassungskonform sein. Eine zum Zeitpunkt ihrer Erlassung verfassungskonforme Norm kann durch Änderung der Verfassungslage oder durch Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Umstände verfassungswidrig werden.

3.2. Derartiges trifft im vorliegenden Fall jedoch nicht zu:

3.2.1. Die Schaffung von Selbstverwaltungskörpern entsprach schon vor der B-VG-Novelle BGBl. I 2/2008 nach herrschender Lehre und Rechtsprechung dem "Organisationsplan der Bundesverfassung", da in den Kompetenzartikeln des B-VG seit jeher berufliche Interessenvertretungen erwähnt waren, die bereits im Jahre 1920 als Selbstverwaltungskörper bestanden haben (VfSlg. 8215/1977). Das gilt - abgesehen von der Wirtschaftskammerorganisation - gerade und insbesondere für die Arbeiterkammern (Art10 Abs 1 Z 11 B-VG). Dem Bundes- und Landesgesetzgeber stand es damit - auch ohne besondere verfassungsgesetzliche Grundlage - im Prinzip frei, öffentliche Aufgaben in Selbstverwaltung besorgen zu lassen. Er hatte jedoch dem sich aus Art 7 Abs 1 B-VG ergebenden Sachlichkeitsgebot Rechnung zu tragen und eine staatliche Aufsicht über die Organe des Selbstverwaltungskörpers hinsichtlich der Rechtmäßigkeit ihres Verwaltungshandelns vorzusehen (VfSlg. 17.023/2003). Daneben musste der eigene (dh. eigenverantwortlich und ohne Bindung an Weisungen zu besorgende) Wirkungsbereich jedes Selbstverwaltungskörpers auf Angelegenheiten beschränkt bleiben, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zum Selbstverwaltungskörper zusammengeschlossenen Personen gelegen und geeignet sind, von dieser Gemeinschaft besorgt zu werden (VfSlg. 8215/1977). Mit diesen Maßgaben lag es allerdings (mit Ausnahme des Falles der Gemeindeselbstverwaltung) weitgehend im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers, in welchem Umfang er Selbstverwaltung einrichtet, insbesondere welche Personen er zu einem Selbstverwaltungskörper zusammenschließt; der erfasste Personenkreis musste aber durch "objektive und sachlich gerechtfertigte Momente" abgegrenzt sein (VfSlg. 17.023/2003 mwN). Vor diesem Hintergrund konnte auch davon ausgegangen werden, dass die Pflichtmitgliedschaft als essentielles Merkmal verfassungsrechtlich vorausgesetzt war, zumal sie auch in den einschlägigen Gesetzen zum Zeitpunkt des Entstehens des B-VG vorgesehen war (vgl. Korinek, Staatsrechtliche Grundlagen der Kammer-Selbstverwaltung, FS Schwarz, 1991, 255, 264).

3.2.2. Mit der Einfügung von Art 120a Abs 1 B-VG durch das Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl. I 2/2008, enthält das B-VG nunmehr eine ausdrückliche Ermächtigung an den einfachen Gesetzgeber zur Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern. Aus dem Wortlaut der Regelung ergibt sich im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung zur Selbstverwaltung deutlich, dass die Bestimmung lediglich Merkmale der nichtterritorialen Selbstverwaltung und Errichtungsschranken zusammenfasst, die bereits (aus einzelnen Vorschriften des B-VG abgeleitet und durch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes bestätigt) geltendes Verfassungsrecht waren (dazu Stolzlechner, Der Gedanke der Selbstverwaltung in der Bundesverfassung, FS 75 Jahre Bundesverfassung, 1995, 361, 370 ff.). Durch Art 120a Abs 1 B-VG sollte angesichts der Absicht einer bloßen "Klarstellung" der Zulässigkeit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern (AB 370 BlgNR 23. GP, 5) nichts an der bestehenden Verfassungsrechtslage zur Selbstverwaltung im nichtterritorialen Bereich geändert werden (vgl. Zellenberg, Rechtliche, ökonomische und politische Aspekte der Pflichtmitgliedschaft in Kammern, WiPolBl. 2008, 425, 435).

3.2.3. Vor diesem Hintergrund können die bestehenden Regelungen des AKG auch nach der B-VG-Novelle BGBl. I 2/2008 in keinem Widerspruch zur Bundesverfassung stehen:

Soweit sich das Vorbringen des Beschwerdeführers gegen die in § 10 Abs 1 AKG normierte Pflichtmitgliedschaft grundsätzlich aller Arbeitnehmer in der Arbeiterkammer richtet, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Pflichtmitgliedschaft schon bisher ein Wesensmerkmal der Selbstverwaltung darstellte und als solches schon vor der B-VG-Novelle BGBl. I 2/2008 als verfassungskonform angesehen wurde (Oberndorfer, Die Pflichtmitgliedschaft als Wesensmerkmal gesetzlicher beruflicher und wirtschaftlicher Interessenvertretungen, FS Strasser, 1993, 275, 284). Die Pflichtmitgliedschaft als Merkmal eines Selbstverwaltungskörpers kommt nunmehr - wie in den Erläuterungen ausgeführt wird - im Wortlaut des Art 120a Abs 1 B-VG ("zusammengefasst werden") zum Ausdruck (s. AB 370 BlgNR 23. GP, 5). Ein Widerspruch der Regelung des § 10 Abs 1 AKG, die - von Ausnahmen abgesehen - alle Arbeitnehmer zu Mitgliedern der Arbeiterkammern zusammenfasst, zu Art 120a Abs 1 B-VG besteht sohin nicht.

Der Verfassungsgerichtshof kann auch nicht erkennen, inwiefern der Umstand, dass nach Art 120a Abs 1 B-VG Selbstverwaltungskörpern lediglich Angelegenheiten übertragen werden dürfen, die im ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse der zusammengefassten Personen gelegen und geeignet sind, durch diese Personen gemeinsam besorgt zu werden, der Regelung des § 10 Abs 1 AKG über den Kreis der Mitglieder der Arbeiterkammer entgegen stehen könnte. Nach herrschender Auffassung und Rechtsprechung, die nunmehr in der Definition in Art 120a Abs 1 B-VG zum Ausdruck kommt, verhindert dieses Kriterium nicht die Zusammenfassung von Personen mit zwar überwiegend gemeinsamen, teilweise aber auch divergierenden Interessen (s. Stolzlechner, aaO, 382; Korinek, Wirtschaftliche Selbstverwaltung, 1970, 107). Die Materialien zur B-VG-Novelle BGBl. I 2/2008 bestätigen den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Abgrenzung des Mitgliederkreises eines Selbstverwaltungskörpers (s. VfSlg. 17.023/2003 mwN) auch für die neue Rechtslage nach Art 120a Abs 1 B-VG (s. AB 370 BlgNR 23. GP, 5).

Insofern ist auch das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Unsachlichkeit der Ausnahmeregelung des § 10 Abs 2 Z 2 AKG nicht stichhaltig. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis VfSlg. 13.877/1994 - unter Verweis auf die grundsätzliche Feststellung, dass der Kreis jener Personen, die von arbeitsrechtlichen Vorschriften deshalb nicht erfasst werden sollen, weil sie ungeachtet ihrer Qualifikation als Arbeitnehmer wesentliche Funktionen des Arbeitgebers ausüben, für unterschiedliche Sachbereiche auch verschieden abgegrenzt werden darf - ausgesprochen, dass ein Gleichklang der Abgrenzung der Kammerzugehörigkeit mit der Umschreibung des betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Darüber hinaus ist es nicht sachfremd, wenn der Gesetzgeber bei der näheren Umschreibung der Ausnahme des § 10 Abs 2 Z 2 AKG in Bezug auf Kapitalgesellschaften anders verfährt als in Bezug auf Einzelunternehmen oder Personengesellschaften. Der Verfassungsgerichtshof hält die Ausnahme zu Gunsten von Personen, denen in dem Sinne ein dauernd maßgeblicher Einfluss auf die Führung des Unternehmens eingeräumt ist, dass sie mit der Leitung des Unternehmens betraut sind, und damit die Einschränkung auf Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer einer juristischen Person für sachlich gerechtfertigt. Dass ein Prokurist nicht unter diese Ausnahmebestimmung zu subsumieren ist, folgt bereits aus dem Umstand, dass er lediglich mit der Vertretung des Unternehmens betraut ist, jedoch über keine Geschäftsführungsbefugnisse verfügt. Vor diesem Hintergrund steht die Ausnahmebestimmung des § 10 Abs 2 Z 2 AKG auch in keinem Widerspruch zum neu eingefügten Art 120a Abs 1 B-VG, der jedenfalls insoweit keine Änderung der Verfassungsrechtslage bewirkt hat. Der Verfassungsgerichtshof kann auch nicht erkennen, dass sich eine Unsachlichkeit der Regelung auf Grund geänderter Umstände ergeben hätte.

4. Da der Beschwerdeführer im Ergebnis nur die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm geltend macht, war nicht darauf einzugehen, ob die Verletzung eines anderen (verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechtes vorliegt (zB VfSlg. 15.432/1999, 16.553/2002).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.