VfGH vom 27.11.2000, B613/00
Sammlungsnummer
15991
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung eines Antrags auf Nachprüfung eines Vergabeverfahrens; ausreichende Bescheidbegründung; keine gemeinschaftsrechtswidrige Gesetzesanwendung; ausreichende Wahrung des Anscheins der Unabhängigkeit des entscheidenden Vergabekontrollsenates
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien (MA 24 - Hochbau in Vertretung der MA 17 - Wiener Wohnen) hat sowohl im Amtsblatt der Stadt Wien als auch im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften unter der Rubrik "Bauaufträge - offenes Verfahren" die Sockelsanierung mehrerer städtischer Wohnhausbauten ausgeschrieben.
Gegenstand des Vergabeverfahrens sollten folgende Leistungen sein:
Durchführung von Bauschadenserhebungen und Erstellung von Sanierungskonzepten, Erstellung sämtlicher Massenermittlungen und der erforderlichen Ausschreibungen, Abwicklung der gesamten Auftragsvergaben, Durchführung der gesamten Bauleitung und Bauaufsicht, Prüfung und Abnahme der projektgemäßen Ausführungen einschließlich der Abrechnungen der jeweiligen Professionistenleistungen, mängelfreie Übergabe des sanierten Objektes an den Auftraggeber gemäß Leistungsbild des Treuhandvertrages sowie die Mieterbetreuung und Abhaltung von Mieterinformationsveranstaltungen. In der gegenständlichen Ausschreibung wurden drei Objekte zusammengefaßt, deren Auftragsvolumen in Summe auf 154 Mio. S geschätzt wurden. Da der für Dienstleistungsaufträge maßgebliche Schwellenwert von 200.000,-- Euro bei weitem überschritten sei, berief sich der Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich auf die Geltung des Wiener Landesvergabegesetzes (in der Folge: WrLVergG). Die Angebotsfrist endete am , wobei eine Zuschlagsfrist von drei Monaten ausbedungen war.
Der Beschwerdeführer hat am fristgerecht die Ausschreibungsunterlagen behoben, in der Folge aber kein Angebot gelegt.
Mit Schreiben vom unterrichtete der Beschwerdeführer den Auftraggeber von der beabsichtigten Anrufung des Vergabekontrollsenates beim Amt der Wiener Landesregierung (in der Folge: VKS) zwecks Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens wegen des behaupteten Vorliegens von Rechtswidrigkeiten: Dabei rügte er insbesondere die Wahl des Vergabeverfahrens (offenes Verfahren anstelle eines Verhandlungsverfahrens) und behauptete die unzureichende Präzision der Leistungsverzeichnisse, die Überwälzung nicht kalkulierbarer Risken auf den Auftragnehmer und eine rechtswidrige Anwendung des Preisaufschlag- und Nachlaßverfahrens. Auch die Festsetzung der Höhe der Sicherstellungen sei rechtswidrig.
Mit Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer beim VKS die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens und verband dieses Begehren mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung: Unter Berufung auf die dem Auftraggeber mitgeteilten, von diesem aber nicht behobenen Rechtswidrigkeiten beantragte er, das gegenständliche Vergabeverfahren zur Gänze für nichtig zu erklären bzw. bis zur Entscheidung des VKS über eine allfällige Nichtigkeit vorläufig auf die Dauer eines Monats, jedenfalls aber bis zur Entscheidung des VKS in der Hauptsache auszusetzen.
Mit Bescheid vom , ZVKS - K460/99, wies der VKS die Anträge des Beschwerdeführers "gemäß den §§9 Abs 1, 17, 23, 27 Abs 1, 94 Abs 1 und 101 Z 1 sowie § 100 WLVergG" ab.
2. a) Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (Gleichbehandlung vor dem Gesetz, Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
b) Der VKS legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und die Abweisung der Beschwerde beantragte.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde ua. dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987).
b) Als Willkür erachtet der Beschwerdeführer von ihm behauptete verfahrensrechtliche Fehler des VKS, der weder eine mündliche Verhandlung anberaumt, noch Zeugen befragt oder sonstige Ermittlungstätigkeiten gepflogen habe. Der VKS habe Parteivorbringen leichtfertigt ignoriert und sich mit "Scheinbegründungen zufrieden gegeben". Im Ergebnis seien die vom Beschwerdeführer gerügten Vergaberechtswidrigkeiten (Wahl des offenen Verfahrens, unzureichende Präzision des Leistungsverzeichnisses, unzulässige Überwälzung nicht kalkulierbarer Risiken auf den Auftragnehmer, rechtswidrige Anwendung des Preisaufschlag- und Nachlassverfahrens, mangelhafte Nachvollziehbarkeit der Eignungskriterien, rechtswidrige Festsetzung der Höhe von Sicherstellungen) unrichtig beurteilt worden und dem Auftraggeber gegenüber nicht sanktioniert worden.
c) In seiner Gegenschrift ist der VKS dem Vorwurf der unrichtigen rechtlichen Würdigung des Sachverhalts entgegengetreten.
d) Die vorgelegten Verwaltungsakten und der Bescheid selbst erweisen jedoch, daß der belangten Behörde keine in die Verfassungssphäre reichende Fehler vorzuwerfen sind: Der VKS hat seine Entscheidung - wie aus dem Bescheid hervorgeht - plausibel und nachvollziehbar begründet und sie weder leichtfertigt getroffen noch sonst Willkür geübt. Vielmehr hat der VKS eingehend begründet, warum die vom Beschwerdeführer in seinem Nachprüfungsantrag relevierten Rechtswidrigkeiten nicht vorliegen würden. So wird in der Bescheidbegründung ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, warum der VKS zur Auffassung gelangt, daß die getroffene Wahl des durchgeführten Verfahrens keinen Bedenken begegnet. Ebenso wird eingehend dargelegt, warum das Leistungsverzeichnis nach Ansicht des VKS den maßgeblichen Bestimmungen des WrLVergG entspricht, die Wahl des Preisaufschlags- und Nachlaßverfahrens im Hinblick auf § 23 WrLVergG als unbedenklich anzusehen ist, und auch die vom Beschwerdeführer relevierte Festsetzung der Höhe von Sicherstellungen keinen Bedenken hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit begegnen kann. Der VKS hat sich somit mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auseinandergesetzt, so daß sein Hinweis darauf, daß in einem Nachprüfungsverfahren vor Zuschlagserteilung nur ein Nichtigkeitsgrund nach § 101 Z 1 WrLVergG geltend gemacht werden könne, für die Bescheidbegründung nicht relevant ist (weswegen sich die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität dieser Bestimmung im vorliegenden Verfahren nicht weiter stellte und auch nicht geprüft zu werden brauchte, ob der VKS verpflichtet gewesen wäre, diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (vgl. VfSlg. 15.507/1998)). Denn der Sache nach hat die Behörde durch ihre den Antrag inhaltlich erledigende Entscheidung die genannte Bestimmung jedenfalls nicht in gemeinschaftsrechtswidriger Weise angewendet.
Unzutreffend ist aber auch der Vorwurf, die belangte Behörde habe infolge verfahrensrechtlicher Fehler willkürlich gehandelt: der VKS hat sich mit dem Vorbringen auf Grund einer gründlichen Aufbereitung durch den Berichterstatter in zwei Beratungen im einzelnen eingehend auseinandergesetzt.
Eine Gleichheitsverletzung ist dem Bescheid daher nicht anzulasten.
Ob die rechtliche Beurteilung durch den VKS dabei im einzelnen rechtsrichtig ist, hat der Verfassungsgerichtshof ungeachtet des Umstandes, daß gegen den bekämpften Bescheid eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht in Betracht kommt, nicht zu prüfen (vgl. zB VflSg. 10.565/1985, 15.314/1998, ).
2. a) Art 6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 10.701/1985, 11.131/1986, 12.074/1989, 14.565/1996, alle auch mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).
b) Sub titulo Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren gemäß Art 6 EMRK wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde weiters folgendes vor:
"Der Vergabekontrollsenat des Landes Wien hat in seiner Sitzung am aus seinem Vorsitzenden, vier Mitglieder der Auftraggeberseite, einem Mitglied der Wirtschaftskammer Wien, einem Mitglied Kammer der Arbeiter und Angestellten Wien und einem Mitglied der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und das Burgenland bestanden. Die Bestellung der Mitglieder war gemäß § 95 WLVergG (in der Fassung vor der am in Kraft getretenen Novellierung) auf Vorschlag der genannten Interessenvertretungen erfolgt.
Allein aufgrund der oben genannten Zusammensetzung ergeben sich erhebliche Zweifel an der Unbefangenheit des erkennenden Senates. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer von der tatsächlichen Zusammensetzung des Senates vor der nicht öffentlichen Verhandlung keine Kenntnis hatte, nicht über allfällige Ablehnungsmöglichkeiten informiert wurde und diese, sogar wenn sie in der Geschäftsordnung des Vergabekontrollsenates vorgesehen sein sollten, de facto nicht hätte wahrnehmen können. Auch wegen des effektiven Fehlens einer Ablehnungsmöglichkeit muß der Beschwerdeführer zumindest den vier Mitgliedern der Auftraggeberseite trotz ihrer ausdrücklichen Weisungsfreistellung im WLVergG den äußeren Anschein der Unbefangenheit absprechen. Die Mitglieder der Auftraggeberseite sind Bedienstete der Gemeinde Wien. Die Gemeinde als Zivilrechtssubjekt ist aber als Auftraggeber Partei des Ausgangsverfahrens. Die Mitglieder der Auftraggeberseite stehen somit in einem (dienstrechtlichen) Unterordnungsverhältnis zur Antragsgegnerin des zugrundeliegenden Verfahrens. Ihre schiere Zahl (vier von acht Mitgliedern des Senates) verleiht ihnen eine dominierende Stellung innerhalb des Senates, weshalb von einer Unbefangenheit iS des Art 6 Abs 1 EMRK nicht mehr die Rede sein kann (vgl VfSlg 10.639)."
Aus diesen Gründen ergehe an den Verfassungsgerichtshof auch die Anregung, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten und festzustellen, daß § 95 WrLVergG idF LGBl. 36/1995 insbesondere in dessen Abs 1 verfassungswidrig gewesen sei. In eventu solle der EuGH im Wege eines Entscheidungsersuchens mit der Frage befasst werden, ob § 95 WrLVergG "in Widerspruch zu nicht unmittelbar anwendbarem EG-Recht, insbesondere der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG gestanden sei".
c) Auch diesen Vorwürfen ist der VKS in seiner Gegenschrift entgegengetreten.
d) Dem vom Beschwerdeführer relevierten Vorwurf mangelnder Unabhängigkeit des VKS im Sinne des Art 6 EMRK ist zu entgegnen, daß der Verfassungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, daß der Umstand, daß Mitglieder einer kollegialen Verwaltungsbehörde im Sinne des Art 133 Z 4 B-VG Verwaltungsbeamte sind und als solche in ihrer sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden sind, für sich allein noch keinen Grund dafür darstellt, an der Unabhängigkeit eines Kontrollorgans zu zweifeln (VfSlg. 10.639/1985, 12.074/1989, 12.470/1990). Die bloße Mitgliedschaft von Verwaltungsbeamten in einem Tribunal ist also nicht schon aus dem Grunde der hypothetischen Möglichkeit eines Interessenskonfliktes im Einzelfall unvereinbar ( u.a.). Zwar hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, daß jene Form der organisatorischen Verknüpfung des VKS mit einer - vergaberechtlich in mehrfacher Hinsicht maßgeblichen - Abteilung der Wiener Stadtverwaltung, wie sie sich im Verfahren zu B1809-1811/97 (VfSlg. 15.507/1999) offenbarte, mit dem äußeren Anschein einer unabhängigen Vergabekontrollbehörde unvereinbar war. Der Vorwurf einer dem Art 6 EMRK widersprechenden organisatorischen Verflechtung mit der Stadtverwaltung ist dem Vergabekontrollsenat zum Zeitpunkt der diesem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Nachprüfungsverfahren aber nicht mehr zu machen: Durch Vornahme einer organisatorischen und personellen Ausgliederung der Geschäftsstelle des VKS hat die Landesverwaltung den im bezogenen Erkenntnis geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofs Rechnung getragen und den Anschein mangelnder Unabhängigkeit saniert. Aus Anlaß des gegenständlichen Verfahrens sind beim Verfassungsgerichtshof keine Bedenken im Hinblick auf die Wahrung des äußeren Anscheins der Unabhängigkeit des VKS entstanden.
Was die vom Beschwerdeführer relevierten Bedenken ob der Gemeinschaftsrechtskonformität der Zusammensetzung des VKS und die diesbezügliche Anregung zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH betrifft, so kann sich der Verfassungsgerichtshof mit einem Verweis auf dessen Entscheidung vom in der Rechtssache C-103/97 Köllensperger und die von ihm darin präzisierten Anforderungen an ein "Gericht" iS des Art 2 Abs 8 der RL 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie) begnügen, an deren Vorliegen beim VKS der Verfassungsgerichtshof keine Zweifel hegt.
d) Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.