OGH vom 19.03.2002, 10ObS369/01i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Thomas Keppert (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günther Degolt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Wolfgang H*****, Tankwart, *****, vertreten durch Dr. Kurt Lechner, Rechtsanwalt in Neunkirchen, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner Promenade 14-16, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung von Krankengeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 208/01a-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 5 Cgs 273/00i-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Nach § 142 Abs 1 ASVG gebührt das Krankengeld unter anderem nicht für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit infolge einer Krankheit, die sich als unmittelbare Folge der Trunkenheit erweist. Unter "Trunkenheit" ist nach Rechtsprechung und Lehre ein Zustand zu verstehen, in dem eine Person nach Genuss von alkoholischen Getränken in ihrem Bewusstsein getrübt ist. Auf das Überschreiten eines bestimmten Blutalkoholwerts kommt es hiebei nicht an. Trunkenheit kann auch nicht mit dem Rauschzustand im Sinn des § 81 Z 2 StGB gleichgesetzt werden (vgl Binder in Tomandl, SV-System 11. Erg.Lfg. 252 f; Radner, Verwirkung und Eigenverantwortung des Leistungsberechtigten in der Krankenversicherung, SozSi 2001, 739 ff [750] mH auf die Rechtsprechung).
Der geforderte ursächliche Zusammenhang zwischen der Trunkenheit und dem Eintritt der Gesundheitsschädigung ("unmittelbare Folge") kann nach Rechtsprechung und Lehre nicht im Sinn der im Unfallversicherungsrecht herrschenden Theorie der wesentlichen Bedingung oder der Äquivalenztheorie geklärt werden, sondern es ist vielmehr die auch im Schadenersatzrecht allgemein anerkannte Adäquanztheorie anzuwenden. Die Gesundheitsschädigung muss sich daher typischerweise aus der Trunkenheit ergeben und nicht bloß aus einer ungewöhnlichen Verkettung von Umständen. Zur Verwirkung kommt es daher in Bezug auf Erkrankungen und Verletzungen, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bzw nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen als wahrscheinliche Folge aus der Trunkenheit resultieren. Die bloße Möglichkeit der Verursachung reicht nicht aus, vielmehr muss der ursächliche Zusammenhang durch einen hinreichenden Wahrscheinlichkeitsgrad belegt sein. Danach führen Erkrankungen oder Verletzungen, die typischerweise aus Trunkenheit, etwa durch Sturz oder durch Verkehrsunfall des alkoholisierten Versicherten, folgen, zum Leistungsausschluss nach § 142 Abs 1 ASVG (Binder aaO; Radner aaO 751; SSV-NF 8/4; SSV-NF 4/66 = ZAS 1991/23 [zust. Müller] ua). Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalls alkoholisiert; der Blutalkoholwert betrug 0,94 %0 und überschritt damit die im Straßenverkehr zulässige Grenze. Der Unfall ereignete sich, weil der Kläger in einer Kurve auf die Gegenfahrbahn geriet und mit einem entgegenkommenden Pkw kollidierte. Der Unfall ereignete sich damit auf eine Art, die geradezu typisch für Unfälle ist, die die Folge der Alkoholbeeinträchtigung des Lenkers sind. Unter diesen Umständen spricht alles dafür, dass sich der Unfall deswegen ereignete, weil der Kläger sein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand lenkte. Der Beweis, dass andere Umstände als die Alkoholisierung Ursache des Unfalles waren, konnte vom Kläger nicht erbracht werden. Was die Rückforderung des vom Kläger wegen des Leistungsausschlusses nach § 142 Abs 1 ASVG zu Unrecht bezogenen Krankengeldes betrifft, so kann die maßgebliche Frage, ob der Kläger den Bezug des Krankengeldes durch bewusst unwahre Angaben, bewusste Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften herbeigeführt hat oder er jedenfalls erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte, nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalles beantwortet werden (vgl 10 ObS 37/98h). Für das Vorliegen der Rückforderungstatbestände der bewusst unwahren Angaben und der bewussten Verschweigung maßgebender Tatsachen genügt nach der Rechtsprechung bedingter Vorsatz (dolus eventualis). Wenn das Berufungsgericht auf Grund des Umstandes, dass in dem von der Großmutter des Klägers ausgefüllten und vom Kläger unterfertigten Unfallbericht die Frage nach einer allfälligen Alkoholisierung des Klägers zum Unfallszeitpunkt ausdrücklich verneint wurde, obwohl dem Kläger nach seinem eigenen Vorbringen in der Klage damals bereits bekannt war, dass bei ihm noch im Zeitpunkt der Blutabnahme ein Blutalkoholgehalt von 0,79 %o festgestellt worden war, den Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 ASVG verwirklicht sah, kann darin keine Fehlbeurteilung erblickt werden. Dass der Kläger den Inhalt des von ihm unterfertigten Unfallberichtes lesen und auch verstehen konnte, hat das Erstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung festgestellt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob eine Rückforderung des bereits geleisteten Krankengeldes gemäß § 107 Abs 1 vierter Tatbestand ASVG schon allein deshalb gerechtfertigt wäre, weil der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger auf Grund des Vorliegens eines Verwirkungsgrundes erkennen musste, dass die Leistung nicht zustand (vgl Radner aaO 757).
Da somit entgegen der Auffassung des Revisionswerbers eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG nicht vorliegt, erweist sich die außerordentliche Revision insgesamt als unzulässig.