OGH vom 24.04.2019, 13Os15/19h (13Os25/19d)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Strafsache gegen Dzeko F***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom , GZ 15 Hv 11/18s-69, sowie dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das genannte Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dzeko F***** jeweils mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 15 StGB (I) sowie des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 15 StGB (II/1), des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II/2), mehrerer Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (III) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.
Danach hat er in S***** und anderen Orten
I)zwischen Sommer 2015 und V***** B*****in mehrfachen Angriffen auf im Urteilstenor näher dargestellte Weise mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs und des Analverkehrs sowie zur Vornahme des Oralverkehrs genötigt und zu Letzterem zu nötigen versucht,
II) zwischen Sommer 2015 und
1) mit der unmündigen V***** B***** durch die unter I dargestellten Taten den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen sowie hinsichtlich des erzwungenen Oralverkehrs teils zu unternehmen versucht und
2) an der Genannten außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er sie auf der nackten Haut im Intimbereich und an den Brüsten streichelte,
III) im September 2016, Dezember 2016, Februar 2017, Juni oder Juli 2017, November 2017 und Dezember 2017 sowie Mitte Jänner 2018 mit V***** B***** gegen deren Willen und nach vorangegangener Einschüchterung durch die unter I dargestellten Handlungen den Beischlaf vollzogen, weiters
IV) im Sommer 2015 V***** B***** zumindest ein Mal nach der zu II/2 dargestellten Handlung durch die Äußerung, dass noch etwas Schlimmeres passieren würde, sollte sie ihren Eltern davon erzählen, somit durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper oder einer Verletzung ihrer sexuellen Integrität und Selbstbestimmung (also einer solchen an der Freiheit [Jerabek/Reindl-Krauskopf/Ropper/Schroll in WK² StGB § 74 Rz 30]), zu einer Unterlassung, nämlich gegenüber ihren Eltern hinsichtlich des erfolgten sexuellen Missbrauchs Stillschweigen zu bewahren, genötigt.
Unmittelbar nach der Urteilsverkündung am meldete der durch eine Verfahrenshilfeverteidigerin (vgl ON 25) vertretene Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 68 S 43).
Am langte bei Gericht eine
– die Beigebung und Bestellung der Verfahrenshilfeverteidigerin beendende (§ 62 Abs 4 StPO; vgl Fabrizy, StPO13§ 62 Rz 5) – Vollmachtsbekanntgabe eines vom Angeklagten beauftragten Verteidigers ein (ON 74). An diesen wurde die Urteilsausfertigung am zugestellt (Zustellnachweis an ON 69).
Mit am eingebrachtem Schriftsatz gab der Wahlverteidiger die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt (ON 75).
Der mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom bestellte (neue) Verfahrenshilfeverteidiger (ON 77) brachte – nach Zustellung des Urteils am (Zustellnachweis an ON 69) – am eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung ein (ON 85).
Rechtliche Beurteilung
Diese Rechtsmittelausführung, in der die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO geltend gemacht werden, ist verspätet.
Nach der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde hat der Beschwerdeführer das Recht, binnen vier Wochen (hier) nach Zustellung einer Urteilsabschrift eine Ausführung seiner Beschwerdegründe beim Gericht zu überreichen (§ 285 Abs 1 StPO).
Diese vierwöchige, durch die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zum Wahlverteidiger und neuerliche Urteilszustellung an den nachfolgend bestellten Verfahrenshilfeverteidiger nicht beeinflusste Frist (§ 63 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0125686 [insbesondere T 1 und T 2]) begann mit der Zustellung der Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger am zu laufen und endete demzufolge (vgl § 84 Abs 1 StPO) mit Ablauf des .
Die erst am eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde ist daher verspätet, sodass auf sie keine Rücksicht zu nehmen ist.
Nach der Zustellung des die Verspätung der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde aufzeigenden Croquis der Generalprokuratur stellte der Angeklagte– verbunden mit einer neuerlichen Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung – einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen begründete er zusammengefasst damit, dass aus den vom Landesgericht Krems an der Donau an seinen Verfahrenshilfeverteidiger übermittelten Aktenteilen keine Anhaltspunkte dafür hervorgegangen seien, die Urteilsausfertigung sei (bereits zuvor) dem Wahlverteidiger zugestellt worden. Sein Verfahrenshilfeverteidiger, dem insoweit nur ein Versehen minderen Grades zur Last liege, sei daher von der Auslösung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 285 Abs 1 erster Satz StPO) durch Zustellung der Urteilsausfertigung an ihn ausgegangen.
Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist den Beteiligten des Verfahrens gegen die Versäumung der Frist zur (hier) Ausführung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie (neben weiteren Voraussetzungen) nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern, die einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegen (vgl RISJustiz RS0101272), ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.
Wie bereits dargelegt, hat die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses gemäß § 63 Abs 2 StPO keinen Einfluss auf eine bereits laufende Frist im Sinn des § 285 Abs 1 StPO. Vielmehr hat der Verteidiger in diesem Fall weiterhin die Interessen des Angeklagten zu wahren und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen vorzunehmen, es sei denn, der Angeklagte hätte ihm dies ausdrücklich untersagt (§ 63 Abs 2 zweiter Satz StPO;Fabrizy, StPO13§ 63 Rz 2; Soyer/Schuhmann, WK-StPO § 63 Rz 35; vgl auch § 11 Abs 2 und 3 RAO).
Die Untersagung der erfoderlichen Rechtshandlung durch den Angeklagten oder sonstige Umstände, die den Wahlverteidiger von seinen diesbezüglichen Pflichten enthoben hätten, werden nicht vorgebracht (vgl auch ON 75). Der Wahlverteidiger wäre daher im vorliegenden Fall verpflichtet gewesen, die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde zur Ausführung zu bringen. Dass dies infolge unvorhersehbarer oder unabwendbarer Ereignisse nicht möglich gewesen wäre, wird im Wiedereinsetzungsantrag nicht behauptet. Diese Säumnis ist dem Angeklagten zuzurechnen, sodass bereits deshalb die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht vorliegen. Die Prüfung, ob sie beim Verfahrenshilfeverteidiger erfüllt gewesen wären, kann daher auf sich beruhen.
Da der Angeklagte somit weder bei der Anmeldung noch innerhalb der vierwöchigen Ausführungsfrist Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat, war seine Nichtigkeitsbeschwerde – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO sofort zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die (gleichfalls verspätet ausgeführte) Berufung (§ 294 Abs 2 StPO), bei deren Anmeldung der Angeklagte hinreichend deutlich erklärte, sich gegen den Ausspruch über die Strafe und gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche zu wenden (ON 68 S 43; vgl RISJustiz RS0100042 [T9]), kommt daher dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Dabei wird dieses zu berücksichtigen haben, dass die angefochtene Entscheidung an (von der Beschwerde nicht geltend gemachter) Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO leidet. Denn die erschwerende Wertung der „Begehung von Gewalttaten an einem unter 14jährigen Opfer“ (US 17) stellt bei Zusammentreffen von § 201 Abs 1 StGB (I) und § 206 Abs 1 StGB (II/1) einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) dar (vgl RISJustiz RS0109969 [insbesondere T 5], RS0114427).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0130OS00015.19H.0424.000 |
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