OGH vom 15.07.2003, 10ObS362/02m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Schallhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. Ferdinand F*****, vertreten durch Dr. Helga Hofbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 213/02y-8, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 3 Cgs 89/02b-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom schrieb die beklagte Krankenkasse dem Kläger die Zahlung eines Behandlungsbeitrages für die Inanspruchnahme ambulanter Behandlungen am Sonntag, dem in Höhe von EUR 18,17 vor. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage mit dem erkennbaren Begehren, ihn als rechtswidrig aufzuheben, weil ein Ausnahmefall des § 135a Abs 2 Z 8 ASVG vorliege, und der Behandlungsbeitrag daher nicht eingehoben werden dürfe, wies das Erstgericht wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Gemäß § 135a ASVG idF BGBl I 2001/35 sei für die Inanspruchnahme einer ambulanten Behandlung vorbehaltlich gesetzlich geregelter Ausnahmefälle ein Behandlungsbeitrag pro Ambulanzbesuch (ohne Bezugnahme auf den Eintritt eines Versicherungsfalles oder eine konkrete, von der Beklagten erbrachte oder verweigerte Versicherungsleistung) bei Vorliegen der Voraussetzungen leg cit einzuheben. Die Frage, ob der Behandlungsbeitrag zu Recht eingehoben wurde, müsse auch im vorliegenden Fall losgelöst vom konkreten Versicherungs- bzw Anlassfall beurteilt werden. Obwohl sich die Zahlung des Behandlungsbeitrages auf den Umfang eines allfälligen Kostenerstattungsanspruches eines Versicherten auswirken könne, sei ein Rechtsstreit über die Verpflichtung zur Bezahlung dieses Betrages nicht ein solcher über den Umfang eines Anspruches auf Versicherungsleistung iSd §§ 65 Abs 1 Z 1 ASGG, 354 Z 1 ASVG, weshalb die Klage gemäß § 73 ASGG zurückzuweisen sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht die Klagszurückweisung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Es schloss sich der erstgerichtlichen Beurteilung an. Gemäß § 67 Abs 1 ASGG könne lediglich (ua) in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG der Bescheid eines Versicherungsträgers angefochten werden und damit nach § 71 Abs 1 ASGG im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft treten. Diese Wirkung sei hier aber nicht eingetreten, weil Gegenstand des Bescheides keine Leistungssache (Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 1 ASGG) sei. Die Frage der Einhebung eines Behandlungsbeitrages und die Beurteilung, ob ein Ausnahmefall iSd § 135a Abs 2 ASVG vorliege, seien keine im § 65 ASGG aufgezählten Rechtsstreitigkeiten. Es liege auch kein Fall einer Kostenerstattung (in welchem dem Versicherten, der nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistung der Krankenbehandlung in Anspruch nehme, der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung gebühre) vor. Der Revisionsrekurs sei gemäß den §§ 2 ASGG, 528 Abs 2 Z 2 ZPO im Falle der Zurückweisung der Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen auch in Fällen der gänzlichen Bestätigung des erstgerichtlichen Beschlusses zulässig.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufzutragen. Die Beklagte beantragt, dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig (§ 47 Abs 2 ASGG) aber nicht berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber hält daran fest, dass es sich beim vorliegenden Rechtsstreit um eine Leistungssache iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG handle:
Die Vorschreibung der "Ambulanzgebühr" stehe in "untrennbarem Zusammenhang" mit der gegenständlichen ambulanten Behandlung, also einer Leistung der beklagten Partei aus dem Versicherungsfall der Krankheit (§ 116 Abs 1 Z 2 ASVG). Die Bestimmung des § 135a ASVG (Leistungen der Krankenversicherung) müsse als leistungsrechtliche und nicht als beitragsrechtliche Bestimmung gesehen werden, weil die Letzteren im ersten Teil (allgemeine Bestimmungen) und im Abschnitt IV (Mittel der Sozialversicherung) zu finden seien. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen sei die Frage, ob der Behandlungsbeitrag zu Recht eingehoben wurde, nicht losgelöst vom konkreten Versicherungsfall zu prüfen. Es müsse vielmehr ganz konkret (in "engem Zusammenhang" mit der erbrachten Leistung aus dem Versicherungsfall der Krankheit) geprüft werden, ob die Verpflichtung zur Leistung der Ambulanzgebühr ausgelöst wurde, oder ob das Verfahren unter den Ausnahmetatbestand des § 135a Abs 2 Z 8 ASVG zu subsumieren sei. Die beklagte Partei habe richtiger Weise gemäß § 367 Abs 1 Z 2 ASVG einen Bescheid erlassen und gehe daher selbst davon aus, dass es sich hier um eine Leistungssache handle. Andernfalls hätte sie einen Rückstandsausweis gemäß § 64 Abs 2 und 3 ASVG ausstellen müssen.
Dem hält die beklagte Partei in ihrer Revisionsrekursbeantwortung zunächst entgegen, dass mit BGBl I 2002/155 eine Ergänzung des § 135a ASVG durch den weiteren Ausnahmetatbestand der Z 9 erfolgt sei (womit nunmehr [auch] die Inanspruchnahme einer Ambulanz zu Zeiten, in denen - wie hier - im Einzugsgebiet der Krankenanstalt keine oder nur eine unzureichende Versorgung unter Berücksichtigung der freien Arztwahl im Vertragsbereich gegeben sei, vom Behandlungsbeitrag-Ambulanz befreit wurde), welche gemäß § 603 Abs 2 leg cit mit in Kraft getreten und auf alle anhängigen Fälle anzuwenden sei, sodass die Beklagte den strittigen Behandlungsbeitrag per storniert habe. Damit fehle dem Kläger das Rechtschutzinteresse für das Revisionsrekursverfahren.
Dieser Auffassung vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen.
Durch die Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges haben die Vorinstanzen es abgelehnt, darüber in der Sache zu entscheiden und dem Kläger den Rechtsschutz verweigert. Eine solche Entscheidung wird - zu Lasten der klagenden Partei - als so gravierend angesehen, dass für einen derartigen Fall der sonst geltende Rechtsmittelausschluss im Revisionsrekursverfahren wegen voller Bestätigung nicht gilt (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO), und somit ein Beschluss des Berufungsgerichtes, mit dem die Klage aus formellen Gründen zurückgewiesen wird, uneingeschränkt anfechtbar ist (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO). Im Falle einer solchen Weigerung, ein Klagebegehren in der Sache zu behandeln, kann daher keine Rede davon sein, die Beschwer der klagenden Partei könnte deswegen fehlen, weil die Klage letztlich ohnehin abgewiesen werden müsste. Träfe dies zu, hätte die Erledigung nämlich mit Urteil zu erfolgen gehabt.
Damit kann aber auch keineswegs gesagt werden, dass - bei zweifellos bestehender formeller Beschwer - die Rechtsstellung der klagenden Partei durch die Zurückweisungsentscheidung der Vorinstanzen nicht beeinträchtigt würde (vgl 3 Ob 183/02m, wonach im Fall einer Klagszurückweisung der dagegen erhobene Rekurs nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden kann, es fehle die Beschwer, weil nach Ansicht der zweiten Instanz die Klage letztlich ohnehin abgewiesen werden müsse: RIS-Justiz RS0041758 [T10]). Nach stRsp kann eben die Beschwer auch in einem prozessualen Nachteil gelegen sein, etwa wenn die Klage aus formellen Gründen zurück-, statt als unbegründet abgewiesen wurde (RIS-Justiz RS0041758 [T10]; zuletzt: 3 Ob 183/02m mwN).
Dies gilt auch für die vorliegende Sozialrechtssache: Ob das Begehren materiell berechtigt ist, hat nämlich - nach stRsp des erkennenden Senates - bei der Prüfung der Frage, ob die Entscheidung in einer Sozialrechtssache zu treffen ist, außer Betracht zu bleiben (SSV-NF 6/148 = RIS-Justiz RS0085473; zuletzt: 10 ObS 130/00s = SZ 73/93). Für den Standpunkt des Klägers ist daraus aber nichts zu gewinnen, weil die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es sich bei der Frage, ob die beklagte Krankenkasse dem Kläger den gegenständlichen Behandlungsbeitrag mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht vorgeschrieben hat, um eine Verwaltungssache iSd § 355 ASVG handelt und daher keine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG vorliegt, zutrifft:
Sozialrechtssachen sind Rechtsstreitigkeiten über die in § 65 Abs 1 ASGG bezeichneten Gegenstände. Die hier allein in Betracht kommende (§ 65 Abs 1 Z 5 ASGG betrifft streitige Kostenersatzpflichten nach dem Vorbild des § 359 Abs 2, 4 und 5 ASVG [Kuderna ASGG² Anm 9 zu § 65 mwN]) Bestimmung des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG erfasst Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungs- und Pflegegeldleistungen, soweit hiebei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen. Die Verweisung des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG auf § 354 Z 1 ASVG stellt klar, dass jene Streitigkeiten erfasst werden sollen, die im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren als Leistungssachen einzustufen sind. Eine Leistungssache nach § 354 Z 1 ASVG muss eine Rechtsstreitigkeit über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen zum Gegenstand haben. Zwischen den Parteien (Versicherter und Versicherungsträger) muss daher entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruchs auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruchs streitig sein. Der Kern ist demnach die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen (Kuderna ASGG2 Anm 3 zu § 65 mwN; Tomandl Grundriss5 Rz 322).
Was nicht als Leistungssache im Sinne der taxativen Aufzählung in § 354 ASVG gelten kann, ist Verwaltungssache im Sinn des § 355 ASVG. Wegen dieser engen Fassung gelten etwa die Rückforderung von Kostenanteilen für die Anstaltspflege oder von Behandlungskostenbeiträgen nicht als Leistungssachen (Tomandl aaO). Demgemäß entspricht es auch der Rsp des erkennenden Senates, dass Angelegenheiten der Beiträge des Versicherten - also auch deren Vorschreibung (vgl zu den [formell-abstrakten] Kriterien der hier gegenständlichen Beitragsvorschreibung: Choholka, Behandlungsbeitrag - Ambulanz, SozSi 2002, 27) - nach § 355 Z 3 ASVG zu den Verwaltungssachen gehören (SSV-NF 6/39 = SZ 65/53 = RIS-Justiz RS0085844). Zuletzt wurde dazu ausgesprochen, dass ein Rechtsstreit über die Befreiung von der Rezeptgebühr - auch unter Berücksichtigung der gegenteiligen Auffassung von Fink (Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen, 116 f) - jedenfalls dann keine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG ist, wenn der Versicherte seinen Antrag losgelöst von einem konkreten Anlassfall sowie von einem konkreten Versicherungsfall der Krankheit gestellt hat, ohne konkret bezahlte Rezeptgebühren ersetzt zu verlangen (SSV-NF 14/62 = SZ 73/93).
Damit hat der erkennende Senat offen gelassen, ob es sich auch bei Streitigkeiten über die Vorschreibung oder Rückforderung derartiger Gebühren iVm einem konkreten Leistungsanspruch um Verwaltungssachen iSd § 355 ASVG handelt; von der zitierten Rsp wurde jedoch nicht abgegangen. Dazu besteht hier ebenfalls kein Anlass. Auch wenn im vorliegenden Fall die Ambulanzgebühr für eine konkrete Behandlung in Frage steht, ist nämlich daran festzuhalten, dass jedenfalls dann nicht über die Höhe einer von der beklagten Partei zu erbringenden Versicherungsleistung zu entscheiden ist, wenn es - wie hier - lediglich darum geht, ob (unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Leistungsanspruches) die Befreiung vom "Behandlungsbeitrag - Ambulanz" (§ 135a ASVG) nach der vom Kläger geltendgemachten Ausnahmebestimmung zum Tragen kommt; handelt es sich doch auch dabei um Einnahmen des Krankenversicherungsträgers (vgl dazu Tomandl System
13. Erg-Lfg 26, Kap 0.5.2. letzter Abs und 15. Erg-Lfg 189, Kap
2.2.1.4. letzter Abs), nämlich um bei ambulanter Behandlung in einer Krankenanstalt gemäß § 135a ASVG für jede Inanspruchnahme zu zahlende (Tomandl Grundriss5 Rz 167) Beiträge zur Krankenversicherung. Auch die im Revisionsrekurs zitierte Entscheidung (SSV-NF 6/148 = 10 ObS 287/92) vermag den gegenteiligen Standpunkt des Klägers nicht zu stützen. Die dort begehrten Zinsen wurden nämlich als Annex zu einer Versicherungsleistung geltend gemacht, und damit ein - wenn auch nicht gebührender - Leistungsanspruch erhoben. Gerade in dieser Entscheidung hat der erkennende Senat aber ausdrücklich festgehalten, dass bei Prüfung der Frage, ob die Entscheidung in einer Sozialrechtssache zu treffen ist, ausschlaggebend ist, "ob zwischen den Parteien die Höhe (der Umfang) des Anspruches auf Versicherungsleistungen streitig ist" (RIS-Justiz RS0085473 = 10 ObS 287/92). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil es auch hier - wie bereits ausgeführt - lediglich um eine Befreiung von der "Ambulanzgebühr" geht.
Da die Vorinstanzen von den dargestellten Grundsätzen nicht abgewichen sind, muss der Revisionsrekurs erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.