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OGH vom 30.06.2011, 11Os71/11t

OGH vom 30.06.2011, 11Os71/11t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Dr. Oshidari und Dr. Michel Kwapinski und als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Sadoghi als Schriftführerin, in der Strafsache gegen unbekannte Täter wegen des Vergehens nach § 91 Abs 1, Abs 2a iVm § 86 UrhG, AZ 063 Hv 136/08t des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen die Unterlassung der Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht im Verfahren AZ 18 Bs 12/11p erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Fürnkranz, und des Vertreters der Privatankläger Dr. Kraft zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 18 Bs 12/11p (AZ 063 Hv 136/08t des Landesgerichts für Strafsachen Wien) verletzt die Unterlassung des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht, vor der Beschlussfassung vom den Privatanklägern Gelegenheit zur Äußerung zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft einzuräumen, §§ 6 Abs 2 erster Satz, 89 Abs 5 zweiter Satz StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien aufgetragen, nach Zustellung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wien vom an die Privatankläger zur Äußerung binnen sieben Tagen neuerlich darüber zu entscheiden.

Text

Gründe:

Mit am beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingelangtem Schriftsatz stellten mehrere Privatankläger wegen § 91 (Abs 1, Abs 2a) iVm § 86 UrhG iVm § 20 StGB gemäß § 71 iVm § 445 StPO einen Antrag auf Abschöpfung der wegen Urheberrechtsverletzungen entstandenen Bereicherung von unbekannten Tätern und Dritten sowie zur Beweissicherung sowie zur Abklärung der Intensität der Rechtseingriffe und der Höhe der ungerechtfertigten Bereicherung Durchsuchungen, Sicherstellungen und Beschlagnahmen.

Mit Beschluss vom , GZ 063 Hv 136/08t-2, wies das Landesgericht für Strafsachen Wien diese Begehren gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO zurück, ohne über die Kosten (§ 390 Abs 1 StPO) abzusprechen.

In Stattgebung der dagegen erhobenen Beschwerde der Privatankläger trug das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom , AZ 18 Bs 210/09b (ON 6 der Hv-Akten), dem Erstgericht „die neuerliche Entscheidung“, der Begründung zufolge die Einleitung „des gesetzlichen Verfahrens“, primär die Durchführung der beantragten Durchsuchungen und Beschlagnahmen sowie im Weiteren die Anordnung der Hauptverhandlung auf.

Am wurden die vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschlüssen vom 1. Juli, 1. September und (ON 8, 15 und 18) angeordneten Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Beisein eines Sachverständigen durchgeführt und die von den Unternehmen freiwillig herausgegebenen Unterlagen sichergestellt (ON 20 und 22).

Aufgrund einer von der Generalprokuratur ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes hob der Oberste Gerichtshof mit Erkenntnis vom , AZ 11 Os 99/10h [nunmehr veröffentlicht in JBl 2011, 334 mit zustimmender Glosse von Heigenhauser ], den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 18 Bs 210/09b (ON 6 der Hv-Akten), auf, erkannte in der Sache selbst und gab der Beschwerde der Privatankläger gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 063 Hv 136/08t-2, nicht Folge (ON 40 der Hv-Akten).

Der somit wiederhergestellte Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 063 Hv 136/08t-2, wurde zufolge eines Hinweises des Obersten Gerichtshofs auf die bislang unterbliebene Zustellung (ON 42) der Staatsanwaltschaft Wien am erstmals zur Kenntnis gebracht (ON 42 und 43). Diese erhob in der Folge am Beschwerde gegen den vorerwähnten Beschluss und begehrte, die Privatankläger gemäß § 390 Abs 1 StPO in den Ersatz der Kosten des Strafverfahrens zu verfällen (ON 45; vgl RIS Justiz RS0096412; Lendl , WK StPO Vor §§ 380 395a Rz 10).

Mit Beschluss vom , AZ 18 Bs 12/11p (ON 47 der Hv-Akten), trug das Oberlandesgericht Wien in Stattgebung dieser Beschwerde gemäß § 390 Abs 1 StPO den Privatanklägern den Kostenersatz auf, ohne ihnen allerdings vor der Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wien eingeräumt zu haben.

Mit Beschluss vom , GZ 063 Hv 136/08t-49, bestimmte das Landesgericht für Strafsachen Wien sodann die von den Privatanklägern zu ersetzenden Kosten des Verfahrens mit insgesamt 24.384,60 Euro (davon 22.384,60 Euro an Sachverständigengebühren und 2.000 Euro an Pauschalkosten gemäß § 381 Abs 3 Z 3 StPO). Über die dagegen von den Privatanklägern rechtzeitig erhobene Beschwerde (ON 50) hat das Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorgangsweise des Oberlandesgerichts Wien vor der Entscheidung vom , AZ 18 Bs 12/11p, steht wie die Generalprokuratur gemäß § 23 Abs 1 StPO zutreffend ausführt mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 89 Abs 5 zweiter Satz StPO hat das Rechtsmittelgericht mit hier nicht relevanten Ausnahmen - vor seiner Entscheidung dem Gegner der Beschwerde Gelegenheit zur Äußerung binnen sieben Tagen einzuräumen. Das Oberlandesgericht Wien indes fällte eine Entscheidung in der Sache, ohne den von der Beschwerde betroffenen Privatanklägern (die somit Beschwerdegegner iS der zitierten Norm waren Fabrizy , StPO 10 § 89 Rz 1; Tipold , WK StPO § 89 Rz 4) Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen und brachte diese somit um das ihnen zustehende rechtliche Gehör (§ 6 Abs 2 erster Satz StPO,§ 89 Abs 5 zweiter Satz StPO).

Die Behebung der Folgen einer den Privatankläger (wenn auch nur prozessual) benachteiligenden Gesetzesverletzung analog § 292 letzter Satz StPO ist nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs dann möglich, wenn damit kein Nachteil für den Beschuldigten verbunden ist (RIS-Justiz RS0100669 = 15 Os 63/88 mwN; 12 Os 58, 59/90, SSt 61/17; Fabrizy, StPO 10 § 292 Rz 2). Ein solcher ist den (nach der aktuellen Sach und Rechtslage unausforschbaren) unbekannten Tätern nicht entstanden, weil sie einerseits aufgrund der Einstellung des Verfahrens (naturgemäß) nicht selbst zum Kostenersatz verpflichtet wurden und ihnen auch keine vom Privatankläger dem Grunde nach zu ersetzenden Kosten der Verteidigung angefallen sind.

Zur Sanierung des Verfahrensfehlers war daher neben der Feststellung der Gesetzesverletzung wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.