zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 28.09.1993, b602/93

VfGH vom 28.09.1993, b602/93

Sammlungsnummer

13531

Leitsatz

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Zurückweisung einer nicht erhobenen Beschwerde gegen einen Schubhaftbescheid; Haftbeschwerde jedoch gegen Festnahme und Anhaltung gerichtet

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Nachdem der Beschwerdeführer zunächst im Dienste der Strafjustiz festgenommen worden war, war über ihn mit Bescheid vom die Schubhaft verhängt und vollzogen worden; aus dieser wurde er ausweislich der Verwaltungsakten am entlassen. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs 1 iVm. Abs 2 Z 7 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, in der damals geltenden Fassung (FrPolG) ein bis zum befristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Mit Bescheid derselben Behörde vom wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 5 FrPolG - obwohl, wie dargetan, ein Aufenthaltsverbot längst erlassen war - zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zur Vorbereitung der Ausweisung und zur Sicherung der Abschiebung neuerlich die Schubhaft verhängt und am gleichen Tag vollzogen; der Beschwerdeführer wurde am aus der Schubhaft wiederum entlassen.

2. Unter dem (beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien am nächsten Tag eingelangt) erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter eine Beschwerde "gemäß § 5a FrPolG, 67a AVG", in welcher er sich gegen die von der belangten Behörde am vorgenommene Festnahme und anschließende Anhaltung in Schubhaft bis beschwerte. Abschließend beantragte er, der unabhängige Verwaltungssenat möge "die bekämpften Verwaltungsakte, und zwar die von Beamten der belangten Behörde am um 13 Uhr 45 vorgenommene Festnahme und anschließende Anhaltung in Schubhaft für verfassungs- allenfalls rechtswidrig erklären, formlos aufheben sowie der belangten Behörde ... den Ersatz der Verfahrenskosten ... auferlegen."; schließlich wurde beantragt, Verfahrenshilfe "im vollen Umfang des § 64 ZPO" zu bewilligen.

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien wies mit Bescheid vom die Beschwerde "gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien ... vom ", mit welchem über den Beschwerdeführer die Schubhaft verhängt wurde, ebenso zurück wie den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe. Der erste Teil der zurückweisenden Entscheidung wurde auf das am in Kraft getretene Fremdengesetz, BGBl. 838/1992, gestützt, welches in seinem § 51 Abs 1 ein Beschwerderecht nur dann vorsehe, wenn jemand noch in Haft angehalten werde. Der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wurde mangels geltender Rechtsgrundlage zurückgewiesen.

4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher hinsichtlich des ersten Spruchteiles die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, hinsichtlich des zweiten Spruchteiles die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen generellen Rechtsvorschrift geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Es erübrigt sich hier eine nähere Darstellung des Beschwerdevorbringens, weil beide Parteien dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens am entscheidungswesentlichen Umstand vorbeigehen, daß die belangte Behörde über etwas anderes entschieden hat als das, was beantragt wurde. Wie der Sachverhaltsdarstellung unter I. zu entnehmen ist, richtete sich die Haftbeschwerde des Beschwerdeführers gegen die Festnahme und Anhaltung, währenddem die belangte Behörde eine - gar nicht erhobene - Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid zurückwies. Gewiß war nun der unabhängige Verwaltungssenat zur Prüfung des im Jahre 1992 unter der Geltung des FrPolG erlassenen Schubhaftbescheides an sich überhaupt nicht zuständig (vgl. ua.), und es bestanden gegen die Zurückweisung einer Beschwerde gegen einen Schubhaftbescheid aus dieser Sicht grundsätzlich keine Bedenken. Doch weist die belangte Behörde mit dem bekämpften Bescheid eine Beschwerde zurück, die der Beschwerdeführer, wie dargetan, gar nicht erhoben hatte. Indem sohin die belangte Behörde eine Zuständigkeit zur Zurückweisung einer nicht erhobenen Beschwerde in Anspruch nahm, verletzte sie mit dem ersten Spruchteil dieses Bescheides den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Dieses Schicksal teilt aber auch der zweite Teil der bekämpften Erledigung, weil er einen Verfahrenshilfeantrag zurückweist, der sich - so muß die Erledigung sinnvollerweise gedeutet werden - gar nicht auf eine Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid, sondern gegen die Festnahme und Anhaltung richtete.

Der Bescheid war deshalb insgesamt aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG, vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 2.500,-- auf Umsatzsteuer.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, und Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.