OGH vom 28.06.2017, 9ObA58/17w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Z***** T*****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 157,08 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 96/16s12, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 17 Cga 69/16d8, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich ihrer bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile zu lauten haben:
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 157,08 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen seit binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 465,84 EUR (darin 77,64 EUR USt) bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens, die mit 271,32 EUR (darin 45,22 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 186,46 EUR (darin 31,08 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bei der Beklagten von bis als Reinigungskraft beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagten. Ab war die Klägerin durchgehend bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Krankenstand. Die Beklagte leistete von bis Entgeltfortzahlung in voller und von bis in halber Höhe. Danach gebührte der Klägerin keine Entgeltfortzahlung mehr. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für Denkmal, Fassaden und Gebäudereiniger (kurz: KollV) anzuwenden.
Die Klägerin begehrt die Zahlung aliquoter Sonderzahlungen von 157,08 EUR brutto sA für die Zeit der Entgeltfortzahlung von bis . Bemessungsgrundlage sei die in dieser Zeit bezogene Entgeltfortzahlung als durchschnittliches Entgelt.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass sich der kollektivvertragliche Sonderzahlungsanspruch auf Grundlage des Durchschnitts der Wochenentgelte der letzten dreizehn Wochen vor der jeweiligen Fälligkeit der Sonderzahlungen berechne. In diesen Zeiträumen habe die Klägerin aber keine Entgeltfortzahlung mehr erhalten.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren (mit Ausnahme eines Teils des Zinsenbegehrens, das das Erstgericht rechtskräftig abwies) statt. Der KollV sehe einen generellen, in bestimmten Fällen aliquoten, Anspruch auf Sonderzahlungen vor. Die normierte Berechnung der Höhe dieses Anspruchs könne nicht dazu führen, dass ein dem Grunde nach bestehender aliquoter Sonderzahlungsanspruch wieder beseitigt werde. Der KollV sei daher so auszulegen, dass für die Berechnung der Höhe des Sonderzahlungsanspruchs auf Zeiten abzustellen sei, in denen noch ein Entgelt(fortzahlungs)anspruch bestanden habe.
In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.
1. Den Kollektivvertragsparteien ist es grundsätzlich unbenommen, das Entstehen des Anspruchs auf Sonderzahlungen, auf die kein gesetzlicher Anspruch besteht, an bestimmte Bedingungen zu knüpfen (RIS-Justiz RS0048332). Strittige Fragen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen, der Anspruchshöhe und der Anspruchsdauer sind daher durch Auslegung der jeweiligen kollektivvertraglichen Bestimmungen zu lösen (9 ObA 85/10f).
2. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen; maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS-Justiz RS0010088). In erster Linie ist dabei der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Da den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden darf, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS-Justiz RS0008828; RS0008897).
3. § 13 des Kollektivvertrags für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger lautet auszugsweise wie folgt:
„(1) Alle Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer haben einmal in jedem Kalenderjahr einen Anspruch auf einen Urlaubszuschuss sowie eine Weihnachtsremuneration.
(2) Die Höhe des Urlaubszuschusses und der Weihnachtsremuneration beträgt jeweils, ohne Rücksicht auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, entweder 4,33 Wochenentgelte oder ein Monatsentgelt.
Das Wochen- bzw. Monatsentgelt wird berechnet auf Grundlage des Durchschnittes der Wochenentgelte der letzten 13 Wochen oder der Monatsentgelte der letzten 3 Kalendermonate vor der jeweiligen Fälligkeit.
Reiseaufwandsentschädigungen (Zehrgeld, Trennungszulage, Fahrtkostenvergütung) sind nicht miteinzubeziehen.
(3) Der Urlaubszuschuss ist mit der Mailohnauszahlung (spätestens 15. Juni) auszuzahlen, die Weihnachtsremuneration mit der Oktoberlohnauszahlung (spätestens 15. November) auszubezahlen.
(4) Im ersten Kalenderjahr des Eintrittes in ein Arbeitsverhältnis gilt abweichend vom ersten Absatz, dass der aliquote Teil des Urlaubszuschusses, gerechnet vom Eintrittstag bis zum 31. Mai, mit der Mailohnzahlung auszubezahlen ist. Der restliche aliquote Teil des Urlaubszuschusses, der bis zum 31. Oktober entstanden ist, ist mit der Oktoberlohnauszahlung und der übrige aliquote Teil des Urlaubszuschusses bis zum Ende des Kalenderjahres mit der Dezemberlohnauszahlung auszubezahlen. Der aliquote Teil der Weihnachtsremuneration, gerechnet vom Eintrittstag bis zum 31. Oktober, ist mit der Oktoberlohnauszahlung, der restliche Teil der Weihnachtsremuneration mit der Dezemberlohnauszahlung auszubezahlen.
(5) Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer, die während des Kalenderjahres ausscheiden, erhalten den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses und der Weihnachtsremuneration entsprechend der im Kalenderjahr zurückgelegten Beschäftigung.
Dieser Anspruch entfällt jedoch, wenn die/der Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer gemäß § 82 GewO 1859 (§ 15 BAG) berechtigt entlassen wird oder wenn sie bzw. er ohne wichtigen Grund gemäß § 82a GewO 1859 (§ 15 BAG) vorzeitig austritt.
(6) Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer, die den Urlaubszuschuss für das laufende Kalenderjahr bereits erhalten haben, aber noch vor Ablauf des Kalenderjahres ausscheiden, haben den erhaltenen Urlaubszuschuss nur dann zurückzuzahlen, wenn sie nach § 82 GewO 1859 (§ 15 BAG) berechtigt entlassen werden oder ohne wichtigen Grund gem. § 82a GewO 1859 (§ 15 BAG) vorzeitig austreten.
Bei Kündigung durch die/den Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer ist nur der auf den Rest des Kalenderjahres entfallende und verhältnismäßig zu viel bezahlte Anteil zurückzubezahlen.
(7) Bei gewerblichen Lehrlingen ...
(8) Für entgeltfreie Zeiten gebühren kein Urlaubszuschuss und keine Weihnachtsremuneration.“
4.1. Für das Kalenderjahr 2016 hat die Klägerin nach § 13 Abs 1 KollV grundsätzlich Anspruch auf Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration; und zwar nach § 13 Abs 5 KollV auf den jeweils aliquoten Teil entsprechend ihrer im Kalenderjahr 2016 zurückgelegten Beschäftigung ( bis ). Da die Klägerin aber bereits ab kein Entgelt mehr bezog, gebühren ihr gemäß § 13 Abs 8 KollV jedenfalls ab diesem Zeitpunkt keine Sonderzahlungen mehr.
4.2. Strittig ist daher hier nur die Höhe der der Klägerin dem Grunde nach zustehenden Sonderzahlungen für die Zeit von bis . Die Höhe der kollektivvertraglichen Sonderzahlungen regelt § 13 Abs 2 KollV. Satz 1 dieser Bestimmung legt fest, dass die Höhe des Urlaubszuschusses und der Weihnachtsremuneration, unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit, jeweils entweder 4,33 Wochenentgelte oder ein Monatsentgelt beträgt. Satz 2 definiert nun, wie sich dieses Wochen- bzw Monatsentgelt berechnet. Der KollV sieht dafür eine Berechnung auf Grundlage des Durchschnitts der Wochenentgelte der letzten 13 Wochen oder der Monatsentgelte der letzten 3 Kalendermonate vor der jeweiligen Fälligkeit vor. Die Fälligkeit der kollektivvertraglichen Sonderzahlungen bestimmt wiederum § 13 Abs 3 KollV. Danach ist der Urlaubszuschuss mit der Mailohnauszahlung (spätestens 15. Juni), die Weihnachtsremuneration mit der Oktoberlohnauszahlung (spätestens 15. November) auszuzahlen.
4.3. Mit dieser Durchschnittsberechnung – im Gegensatz zu einer der Höhe nach fixen Sonderzahlung – beabsichtigt der Kollektivvertrag erkennbar die Höhe des Urlaubszuschusses und der Weihnachtsremuneration von der durchschnittlichen Höhe des vom Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor der Mailohnauszahlung (spätestens 15. Juni) bzw Oktoberlohnauszahlung (spätestens 15. November) bezogenen Entgelts abhängig zu machen. Damit nehmen die Kollektivvertragsparteien bewusst in Kauf, dass ein in diesem Zeitraum hoher Entgeltbezug auch zu einer entsprechend hohen Sonderzahlung, ein geringer Entgeltbezug hingegen zu einer entsprechend geringen Sonderzahlung führt. Diese Regelung hat zwangsläufig zur Folge, dass ein dem Grunde nach bestehender Anspruch auf Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration der Höhe nach aber auch Null sein kann, wenn in den jeweils angeführten Zeiträumen des § 13 Abs 2 Satz 2 KollV kein Entgelt (Lohn/Gehalt oder im Falle der Krankheit Fortzahlung des Lohns/Gehalts) bezogen wird. Dies ist hier der Fall, weil die Klägerin infolge Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Fall der Krankheit gemäß § 14 KollV iVm § 2 Abs 1 EFZG in den letzten 13 Wochen vor dem bzw (Ende des Arbeitsverhältnisses) keinen Entgeltfortzahlungsanspruch mehr hatte.
4.4. Aus § 13 Abs 8 KollV ist für den Standpunkt der Klägerin nichts zu gewinnen. Die Frage, ob nur für entgeltfreie und daher nicht auch für entgeltfortzahlungsfreie Zeiten keine Sonderzahlungen gebühren – so die Behauptung der Klägerin – stellt sich hier nicht. Für den Zeitraum ab , in dem die Klägerin keine Entgeltfortzahlung mehr erhielt, macht sie keinen Anspruch geltend.
5. Zusammengefasst berechnet sich nach § 13 des Kollektivvertrags für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger ein dem Grunde nach zustehender Anspruch auf Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration im Betrag von jeweils 4,33 Wochenentgelten oder einem Monatsentgelt der Höhe nach auf Grundlage des Durchschnitts der vom Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen oder den letzten 3 Kalendermonaten vor der jeweiligen Fälligkeit des Urlaubszuschusses (Mailohnauszahlung, spätestens 15. Juni) und der Weihnachtsremuneration (Oktoberlohnauszahlung, spätestens 15. November) bezogenen Wochen- bzw Monatsentgelte. Hatte der Arbeitnehmer in diesen Zeiträumen keinen Entgelt-(fortzahlungs-)anspruch, dann hat er der Höhe nach auch keinen Anspruch auf die kollektivvertraglichen Sonderzahlungen.
Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Für die Tagsatzung am (10:50 Uhr bis 10:55 Uhr) gebührt nur die für die erste Stunde im Abschnitt I der TP 3A RATG festgesetzte Entlohnung.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00058.17W.0628.000 |
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