OGH 29.11.2013, 8ObA72/13s
Rechtssatz
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RS0129352 | Primäres Kriterium für die Mäßigung einer Konventionalstrafe, die nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen kann, ist der tatsächliche Schaden des Dienstgebers. Wenn die Konventionalstrafe den Verstoß gegen eine Konkurrenzklausel sanktioniert, kommt es auf den Schaden an, der durch das konkurrenzverbotswidrige Verhalten entsteht. Bei Verstoß gegen eine Kundenschutzklausel ist dies der durch das vertragswidrige Abwerben von Kunden dem bisherigen Dienstgeber entgangene Nettogewinn. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L***** GmbH *****, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. P***** R*****, vertreten durch die Schmidtmayr Sorgo Wanke Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 482.012,10 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 46/13f-154, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 6 Cga 258/05m-145, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist eine Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die mit rund 400 Mitarbeitern überwiegend Klein- und Mittelunternehmen an rund 30 Standorten betreut. Der Beklagte war vom bis bei der Klägerin zunächst als Steuerberateranwärter, in der Folge als Steuerberater und zuletzt als Kanzleileiter beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch unberechtigten vorzeitigen Austritt.
Am unterfertigte der Kläger eine Dienstordnung, die in Pkt 2.9 folgende Konkurrenzklausel enthielt:
„Die Mitarbeiter/Innen der Gesellschaft verpflichten sich, für den Zeitraum von einem Jahr nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses bei der Gesellschaft, keine unter die Bestimmungen der WTBO fallende Tätigkeit im Kreise der von der L***** zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Ausscheidens vertretenen Auftraggeber auszuüben.
Dies gilt für jede der L***** nach §§ 31 bis 33 WTBO zustehende Vorbehaltsaufgabe, sei es als selbständige Tätigkeit oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses. Im Falle des Zuwiderhandelns gegen die Verpflichtung wird die Entrichtung einer Konventionalstrafe in eineinhalbfacher Höhe des letzten von der L***** an diesen Auftraggeber verrechneten Jahreshonorars vereinbart.
Die Geltendmachung dieser Rechte durch die Gesellschaft bzw die Einhaltung dieser Verpflichtungen durch jeden/-e Mitarbeiter/In der Gesellschaft erfolgen nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Angestelltengesetzes (§§ 36, 37 und 38) und der Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung (§§ 28 und 35).“
Unmittelbar nach Ausscheiden des Beklagten aus seinem Dienstverhältnis zur Klägerin haben 120 Klienten ihr Vollmachtsverhältnis zur Klägerin gelöst und den neuen Dienstgeber des Beklagten mit ihrer weiteren Vertretung beauftragt.
Nach dem rechtskräftigen Zwischenurteil vom (ON 33) besteht das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht. Demnach haben die Parteien für den Zeitraum eines Jahres das Unterlassen jeglicher vorbehaltener Tätigkeit vereinbart und hinsichtlich der Geltendmachung der daraus resultierenden Ansprüche unter anderem auf die Bestimmungen der Berufsordnung (nunmehr § 88 Abs 8 WTBG) verwiesen und damit jedenfalls wirksam ein „Zuführen“ von Mandanten der Klägerin etwa zu einer Steuerberatungsgesellschaft erfasst. Das Verhalten des Beklagten stellte einen Verstoß gegen die vereinbarte Konkurrenzklausel im Sinn eines solchen „Zuführens“ dar, hat doch der Beklagte mit seinem persönlichen „Serienbrief“, der Bekanntgabe der Kontaktdaten, der Aufforderung, sich an ihn zu wenden, um Nachteile zu vermeiden, sowie mit den bei in der Folge mit solchen Altkunden der Klägerin geführten Kontakttelefonaten gegebenen Informationen zur Kündigung der bisherigen Auftragsverhältnisse zur Klägerin, jedenfalls im Ergebnis wesentliche Handlungen gesetzt, um diese Mandanten der Klägerin zur neuen Steuerberatungsgesellschaft zu bringen und damit Letzterer neu „zuzuführen“ (8 ObA 58/08z).
Nach der zugrunde liegenden Konkurrenzklausel errechnet sich die Höhe der Konventionalstrafe mit 539.567,10 EUR. Am zahlte der Beklagte an die Klägerin 60.000 EUR, davon 57.555 EUR an Kapital und 2.445 EUR an Zinsen.
Anfang 2010 machte sich der Beklagte selbständig und berät nunmehr überwiegend Steuerberatungskanzleien.
Die Klägerin begehrte an restlicher Konventionalstrafe zuletzt 482.012,10 EUR. Diese Summe errechnet sich aus dem eineinhalbfachen Betrag der Nettoerlöse/Honorare jener Klienten, die infolge Verstoßes des Beklagten gegen die Konkurrenzklausel der Klägerin verloren gingen abzüglich der Zahlung des Beklagten. Zur Höhe des geltend gemachten Anspruchs brachte die Klägerin vor, dass ihr positiver Schaden im Verkehrswert (Marktpreis) eines Klientenstocks liege, der ein selbständiges Wirtschaftsgut darstelle. Den vom Kläger mit seinem Team betreuten Klientenstock habe sie im Jahr 1999 von einer anderen Steuerberatungskanzlei käuflich erworben; es seien auch die Mitarbeiter der genannten Steuerberatungskanzlei übernommen worden. Darüber hinaus habe sie kostenintensive Maßnahmen zur Beruhigung und zum Halten der zuletzt vom Beklagten betreuten Klienten vornehmen und zudem ab Dezember 2002 frustrierte Mietkosten für die ehemalige Kanzlei des Beklagten tragen müssen.
Der Beklagte entgegnete, dass der von der Klägerin herangezogene Kaufpreis für den Klientenstock keine Bezugsgröße für einen allfälligen Schaden darstelle. Als Schaden könne nur der Gewinnausfall der Klägerin im ersten Jahr nach seinem Ausscheiden, nicht aber der Umsatz herangezogen werden. Demnach habe die Klägerin nur einen Schaden von rund 45.000 EUR erlitten. Außerdem bedeute der volle Betrag der Konventionalstrafe seinen Ruin, während die Klägerin bezogen auf ihre Jahresumsätze durch den Verlust der Klienten weniger als 2 % ihres Umsatzes einbüße. Er habe Sorgepflichten für drei Kinder und eine Ehefrau, die minimal verdiene.
Das Erstgericht sprach der Klägerin den eingeschränkten Klagsbetrag zur Gänze zu. Der Beklagte, der den Inhalt der Konkurrenzklausel gekannt habe, habe zweifellos dagegen verstoßen. Das eineinhalbfache Jahreshonorar könne nur hinsichtlich jener Klienten berücksichtigt werden, die der Beklagte nach Beendigung seines Dienstverhältnisses zur Klägerin vereinbarungswidrig weiter betreut habe. Der Verkehrswert dieses Klientenstocks betrage nach dem Ertragswertverfahren 195.000 EUR. Hinzu kämen die der Klägerin im Zeitraum Jänner 2003 bis Juli 2005 anteiligen entstandenen frustrierten Mietkosten von 64.480 EUR und der Aufwand der Klägerin zur Erhaltung ihrer Kunden (150 Stunden). Der Hinweis des Beklagten auf eine Existenzgefährdung könne keine Berücksichtigung finden, weil die Konventionalstrafe in der Regel einen stattlichen Betrag darstellen solle, der als Bestrafung fühlbar sei und zu einer plötzlichen prekären finanziellen Situation führe. Außerdem habe der Beklagte diese Situation ohne wirkliche Not selbst herbeigeführt. Eine Mäßigung der Konventionalstrafe sei im Anlassfall nicht gerechtfertigt. Der Beklagte habe nahtlos seine Arbeit zum Vorteil ihm bekannter Mandanten fortgesetzt, er habe auch auf frühere Mitarbeiter zurückgreifen und eine de facto Vorgesetztenposition ausüben können. Insgesamt erweise sich die Konventionalstrafe daher als nicht überhöht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und hob das Urteil des Erstgerichts auf. Aufgrund des rechtskräftigen Zwischenurteils sei davon auszugehen, dass eine dem Grunde nach gültige Vereinbarung über die Konventionalstrafe vorliege. Es sei daher zu prüfen, ob die zugrunde liegende Klausel der Höhe nach sittenwidrig sei. Dies sei nicht der Fall, doch befinde sich die Klausel in der Nähe zur Sittenwidrigkeit, weil der Unterschied zwischen der Höhe des Gewinns und des Umsatzes in der Regel beträchtlich sei. Aus diesem Grund und weil eine existenzbedrohende Wirkung zu vermeiden sei, erweise sich eine massive Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechts als indiziert. Im Zusammenhang mit den Mäßigungskriterien sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte, der beim Verstoß gegen das Konkurrenzverbot zumindest bedingt vorsätzlich vorgegangen sei, als Angestellter und nicht als Selbständiger tätig geworden sei. Das Erstgericht habe es aber unterlassen, die aktuelle Einkommens- und Vermögenssituation des Beklagten zu erheben.
Wichtigstes Mäßigungskriterium sei die Höhe des tatsächlich eingetretenen Schadens, der gleichzeitig die Untergrenze der Mäßigung bilde. Als tatsächlicher Schaden sei nicht der Wert des Kundenstocks, sondern der entgangene Gewinn für ein Geschäftsjahr heranzuziehen. Die Kosten des notwendigen und angemessenen Aufwands im Zusammenhang mit den zur Kundenerhaltung gesetzten Maßnahmen seien bei der Berechnung des Schadens zu berücksichtigen, weil dieser Aufwand im engen Zusammenhang mit der Verletzung des Konkurrenzverbots stehe. Die frustrierten Mietkosten hätten jedoch außer Betracht zu bleiben, weil Schäden im Zusammenhang mit der Auflösung des Dienstverhältnisses nicht vom Schutzzweck der Konkurrenzklausel erfasst seien. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage, ob bei einem mit einem Verstoß gegen eine Konkurrenzklausel verbundenen Verlust einer hohen Anzahl von Kunden der Verkehrswert des Klientenstocks oder der entgangene Jahresgewinn als tatsächlicher Schaden heranzuziehen sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin, die auf eine Wiederherstellung des stattgebenden Urteils des Erstgerichts abzielt.
Mit seiner Rekursbeantwortung beantragt der Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, weil zur Ermittlung des tatsächlichen Schadens bei Verstoß gegen eine Kundenschutzklausel und zur richterlichen Mäßigung eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Der Rekurs ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.
1. Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass eine Mäßigung aufgrund des planmäßigen und fortgesetzten rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten nicht in Betracht komme. Außerdem finde die Mäßigung die Untergrenze im tatsächlichen Schaden. Dabei komme es auf den Wiederbeschaffungswert für den abgeworbenen Kundenstock, zumindest aber auf den Verkehrswert des Kundenstocks an.
Der Beklagte führt ebenfalls aus, dass der tatsächliche Schaden die Untergrenze für die Ausübung des Mäßigungsrechts darstelle. Die betriebswirtschaftlichen Überlegungen der Klägerin seien allerdings nicht maßgeblich. Vielmehr könne nur der entgangene Gewinn im geschützten Jahr als Schaden Berücksichtigung finden.
2.1 Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
Eine Kundenschutzklausel (Mandanten- bzw Klientenschutzklausel) ist grundsätzlich eine besondere Art einer Konkurrenzklausel (RIS-Justiz RS0118907). Durch eine Konkurrenzklausel wollen die Vertragsparteien bestimmte Tätigkeitsbeschränkungen festlegen (siehe hier auch die berufsrechtliche Bestimmung des § 88 Abs 8 WTBG). Die Reichweite der Beschränkung ist durch Auslegung zu ermitteln.
Eine Kundenschutzklausel bezweckt den Schutz des Kundenstocks des Dienstgebers (8 ObA 21/04b; 9 ObA 185/05d) und soll das Abwerben des bestehenden Kundenkreises verhindern. Der Zweck einer vereinbarten Vertragsstrafe liegt in der Pauschalierung (Substituierung) des Schadens sowie in der Bekräftigung der abgesicherten Verpflichtung und der Verstärkung des Erfüllungsdrucks für den Dienstnehmer (8 ObA 260/98p; 9 ObA 136/05y).
2.2 Der Schutzzweck und die Reichweite der Konventionalstrafenvereinbarung ist aus dem vereinbarten Tatbestand ebenfalls durch Auslegung (§§ 914 f ABGB) zu bestimmen. Maßgebend ist dabei das jeweilige durch die Vertragsstrafe abgesicherte Gebot oder Verbot. Die Konventionalstrafe erfasst damit grundsätzlich nur den sich aus dem Vertragsbruch ergebenden Schadenersatzanspruch des Dienstgebers gegen den Dienstnehmer (Brenn in Reissner, AngG § 38 Rz 3).
Der Schutzzweck der zu Grunde liegenden Vereinbarung ist im Anlassfall schon durch das rechtskräftige Zwischenurteil geklärt. Dazu wurde in der Entscheidung 8 ObA 58/08z festgehalten, dass der Vertragsbruch im Zuführen von Klienten der Klägerin zur neuen Steuerberatungsgesellschaft (zur neuen Dienstgeberin des Beklagten) besteht und der Beklagte dazu wesentliche Handlungen gesetzt hat. Dementsprechend stellt die zugrunde liegende Konkurrenzklausel auf die Ausübung der vorbehaltenen Tätigkeit durch den vertragsbrüchigen Dienstnehmer ab.
2.3 Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die Sittenwidrigkeit der Konventionalstrafe „der Höhe nach“ bezieht sich darauf, dass außerhalb spezieller Regelungen (vor allem § 36 AngG) auch für eine Konventionalstrafenvereinbarung die allgemeine Sittenwidrigkeitsgrenze des § 879 ABGB gilt. Ein solches Sittenwidrigkeitsurteil führt nach dem Grundsatz der geltungserhaltenden Reduktion zur Teilnichtigkeit (Brenn in Reissner, AngG § 38 Rz 19 und 20). Auch dieses allgemeine Sittenwidrigkeitsurteil bezieht sich aber auf den Grund des Anspruchs. Die Frage der bloßen Unangemessenheit der Konventionalstrafe ist im Rahmen der richterlichen Mäßigung zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0029953; 8 ObA 21/04b).
Dem Hinweis des Berufungsgerichts, dass im vorliegenden Fall die Konventionalstrafe „in der Nähe zur Sittenwidrigkeit“ liege, kommt daher keine eigenständige Bedeutung zu.
2.4 Im Anlassfall knüpft die Konventionalstrafe am letzten vom Dienstgeber verrechneten Jahreshonorar mit den vom Dienstnehmer übernommenen bzw dem neuen Dienstgeber zugeführten Klienten an. Dies stellt im Zusammenhang mit einer Klienten- bzw Mandantenschutzklausel an sich eine zulässige Bemessungsgrundlage dar (vgl 8 ObA 21/04b; vgl auch 9 ObA 104/97b).
3.1 Die Mäßigung der Konventionalstrafe unter den tatsächlichen Schadensbetrag wird im Allgemeinen abgelehnt (RIS-Justiz RS0032156; 8 ObA 21/04b; vgl dazu Brenn in Reissner, AngG § 38 Rz 38 und 40). Die Höhe des tatsächlichen Schadens stellt aber jedenfalls das primäre Mäßigungskriterium dar.
Aus der Pauschalierungs- und Streitbereinigungsfunktion der Konventionalstrafe sowie aus der vom Gericht vorzunehmenden Billigkeitsüberprüfung folgt, dass der relevante Schaden nicht exakt ermittelt werden muss. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Konventionalstrafe auch ideelle Nachteile abdecken und auf den Verpflichteten einen zusätzlichen Erfüllungsdruck ausüben soll (vgl 1 Ob 195/00h; Brenn in Reissner, AngG § 38 Rz 39). Aus diesen Gründen hat die Ermittlung des relevanten Schadens grundsätzlich unter Heranziehung des § 273 Abs 1 ZPO zu erfolgen, wobei die Grundlagen für die Ermessensentscheidung in der Regel durch ein Sachverständigengutachten zu ermitteln sind (vgl RIS-Justiz RS0040440; 8 Ob 4/11p). Dazu kann der Sachverständige auch auf anerkannte Erfahrungssätze und Erfahrungswerte (zB zu einzuschätzenden Kundenabgängen) zurückgreifen.
3.2 An sich weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass die Frage, welche Bewertungsgrundsätze vom Sachverständigen zur Wertermittlung angewendet werden, der Tatsachenebene zuzuordnen ist (2 Ob 189/01k; siehe auch RIS-Justiz RS0010087; 6 Ob 25/12p). Es ist allerdings vorrangig als Rechtsfrage zu klären, welcher Schaden relevant ist.
Der von der Klägerin ins Treffen geführte Verkehrswert bzw Verkaufswert (§ 305 ABGB) ist in der Regel für die Bewertung einer Sache, etwa auch eines Unternehmens oder Geschäftsanteils, maßgebend (2 Ob 189/01k). Für die Bestimmung des hier der Klägerin entstandenen Vermögensschadens ist die Heranziehung des Verkehrswerts allerdings nicht geeignet, weil es nicht um die entgeltliche Übertragung eines Klientenstocks und damit nicht um die Kaufpreisbestimmung geht (vgl 6 Ob 2110/96d). Vielmehr sanktioniert die Konventionalstrafe den (im zulässigen Verbotszeitraum stattfindenden) Verstoß gegen die Konkurrenzklausel. Es kommt daher auf den Schaden an, der durch den Verstoß gegen die in der Konkurrenzklausel festgelegte Beschränkung, also durch das konkurrenzverbotswidrige Verhalten entsteht. Im Anlassfall ist dies konkret der Schaden aus den Betriebseinbußen der Klägerin durch das vertragswidrige Zuführen ihrer Mandanten zur neuen Dienstgeberin des Beklagten.
3.3 Daraus ergibt sich, dass in die Schadensberechnung nur jene Klienten einzubeziehen sind, die die neue Dienstgeberin des Beklagten durch die Abwerbemaßnahmen des Beklagten übernommen hat.
Die Einjahresgrenze nach § 36 Abs 1 Z 2 AngG bedeutet, dass die Tätigkeitsbeschränkung den Zeitraum eines Jahres nicht übersteigen darf. Dies ist allerdings nicht gleichzusetzen mit dem Schaden, der in diesem einen Jahr entstanden ist. Dass nach Ablauf eines Jahres die Tätigkeitsbeschränkung wegfällt, kann den Schaden aber insoweit verringern, als nach Ablauf des Verbotsjahres nunmehr erlaubte Abwerbemaßnahmen erfolgreich sind und zu einer Übernahme von Klienten führen.
In die Schadensberechnung sind damit auch künftige Betriebseinbußen (allenfalls durch Kapitalisierung des Schadensbetrags für die Zukunft) einzubeziehen. Klienten, die durch das Ausscheiden des Beklagten bei der Klägerin aus eigenem, also ohne Zutun des Beklagten, sofort oder in den Folgejahren die Klägerin verlassen hätten, sind jedoch auszuscheiden. Klienten, die ohne Zutun des Beklagten zunächst bei der Klägerin geblieben wären, im Fall einer Abwerbung (durch Bekanntgabe der Kontaktdaten und Aufforderung, sich an ihn zu wenden und das Auftragsverhältnis zur Klägerin zu kündigen) nach Ablauf des Verbotsjahres oder später aber zum neuen Dienstgeber des Beklagten gewechselt wären, können nur im Verbotsjahr berücksichtigt werden.
Bei der (allfälligen) Kapitalisierung für die Zukunft wird auf die Feststellung Bedacht zu nehmen sein, dass sich der Beklagte Anfang 2010 selbständig gemacht hat und seitdem überwiegend Steuerberatungskanzleien berät.
4.1 Zur Bestimmung des relevanten tatsächlichen Schadens (der relevanten Betriebseinbußen) liegt bereits Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Entgegen den Überlegungen der Klägerin ist die der Entscheidung 8 ObA 21/04b zugrunde liegende Sachlage und Konkurrenzklausel mit dem Anlassfall mehr als nur vergleichbar. In dieser Entscheidung wurde ausgesprochen, dass die vereinbarte Konventionalstrafe (1,5-fache Jahreshonorare) schon begrifflich nicht mit dem der klagenden Partei eingetretenen Schaden gleichgesetzt werden könne. Die Gleichsetzung eines einem Klienten verrechneten Jahreshonorars mit dem aus einer Klientenbetreuung resultierenden Jahresgewinn würde einer „Milchmädchenrechnung“ gleichkommen. Unter Hinweis auf diese Entscheidung wurde in 8 ObA 108/04x ebenfalls auf den (Jahres-)Verdienstentgang Bezug genommen. In der Entscheidung 9 ObA 104/97b wurde ausgeführt, dass sich aus der festgestellten Umsatzeinbuße des Klägers der tatsächliche Schaden in Höhe eines theoretischen Nettogewinnausfalls nicht ermitteln lasse.
4.2 Aus diesen Entscheidungen folgt im Einklang mit den zuvor angestellten Überlegungen zum relevanten Schaden, dass sich der tatsächliche Schaden des bisherigen Dienstgebers bei einem Verstoß gegen eine Kundenschutzklausel durch das Abwerben von Kunden (Klienten) nach dem (ausgefallenen) Nettogewinn bestimmt, der dem bisherigen Dienstgeber durch den Verlust der durch den Dienstnehmer abgeworbenen und hier vom Dienstnehmer seiner neuen Dienstgeberin zugeführten Klienten entgangen ist.
4.3 Wie bereits dargestellt, sind die Betriebseinbußen aus dem Verlust jener Klienten, die der Beklagte nicht weiter betreut bzw nicht seiner neuen Dienstgeberin zugeführt hat, mit Rücksicht auf den Schutzzweck der zugrunde liegenden Mandanten- bzw Klientenschutzklausel in die Schadensberechnung nicht einzubeziehen.
Der Klägerin ist jedoch darin zuzustimmen, dass die frustrierten Aufwendungen, die auf die inkriminierten Abwerbehandlungen durch den Beklagten zurückzuführen sind, zu berücksichtigende Folgeschäden darstellen. Dafür ist vorausgesetzt, dass die Klägerin ausschließlich wegen dem Verlust der vom Beklagten übernommenen bzw seiner neuen Dienstgeberin zugeführten Klienten die vom Beklagten geführte Kanzlei schließen musste, weil eine Fortführung aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr zweckmäßig gewesen wäre, und bejahendenfalls der Mietvertrag nicht aufgelöst werden konnte und die ungeplant leerstehenden Räumlichkeiten auch nicht früher (vor ) weitervermietet werden konnten.
Ebenso ist der Aufwand zur „Kundenerhaltung“, der speziell durch die konkurrenzverbotswidrigen Abwerbemaßnahmen des Beklagten hervorgerufen wurde und der nicht auch allein durch den Austritt des Beklagten veranlasst worden wäre, ebenfalls in die Schadensberechnung einzubeziehen. Schäden, die allein durch das Ausscheiden des Beklagten, also durch die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses, entstanden sind, haben demgegenüber außer Betracht zu bleiben.
5.1 Eine Konventionalstrafe ist bei Übermäßigkeit nach dem Grundsatz der Billigkeit durch Mäßigung zu reduzieren. Übermäßigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn der erlittene Schaden unverhältnismäßig kleiner ist als der bedungene Vergütungsbetrag (RIS-Justiz RS0032138). Eine im Verhältnis zur Konventionalstrafe geringfügige Schadenshöhe stellt das primäre Mäßigungskriterium dar (RIS-Justiz RS0029848; RS0029967; 9 ObA 96/10y).
Als Mäßigungskriterien kommen - neben der Höhe des dem Dienstgeber durch die Vertragsverletzung entstandenen Schadens und dem Verhältnis zur vereinbarten Höhe der Konventionalstrafe - die Abwägung der beiderseitigen Interessen, die wirtschaftlichen und sozialen bzw familiären Verhältnisse des Dienstnehmers, insbesondere auch seine Einkommensverhältnisse beim neuen Dienstgeber (9 ObA 10/08y), die Umstände des Vertragsbruchs (illoyales Abwerbeverhalten) oder die Art und das Ausmaß des Verschuldens an der Vertragsverletzung (grob schuldhaftes, fortgesetztes Verhalten) in Betracht (vgl dazu Brenn in Reissner, AngG § 38 Rz 43).
Die für die Mäßigung maßgebenden Kriterien sind im Sinn eines beweglichen Systems nach dem Grundsatz der Billigkeit gegeneinander abzuwägen. Um den Effekt der Konventionalstrafe nicht auszuhöhlen, soll eine für den Dienstgeber wichtige Konventionalstrafe nach Maßgabe der Vermögensverhältnisse des Dienstnehmers durchaus wirklich wehtun, aber eine ungerechtfertigte Belastung des Dienstnehmers vermeiden (Brenn in Reissner, AngG Rz 42 und 50). Der zuletzt erwähnte Aspekt betrifft die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass eine existenzbedrohende Wirkung zu vermeiden sei. Ob eine „massive Anwendung“ des Mäßigungsrechts indiziert ist, kann derzeit allerdings noch nicht beurteilt werden.
Außerdem soll eine Konventionalstrafe auch ideelle Nachteile abdecken und auf den Verpflichteten einen zusätzlichen Erfüllungsdruck ausüben (Brenn in Reissner, AngG Rz 39).
5.3 Entgegen den Überlegungen des Berufungsgerichts kann nicht allgemein gesagt werden, dass für einen durchschnittlichen Sachverhalt eine Konventionalstrafe von sechs Bruttomonatsgehältern zu hoch sei. Ebenso wenig besteht ein Rechtssatz des Inhalts, dass eine den Bruttojahresverdienst deutlich übersteigende Konventionalstrafe einer besonderen Rechtfertigung bedürfe. Vielmehr hängt auch die Mäßigung von den Umständen des Einzelfalls und auch von der Art und Höhe des vereinbarten Strafbetrags ab (vgl RIS-Justiz RS0029848).
5.4 Zur Mäßigung der Konventionalstrafe kann zufolge des weiteren Erhebungsbedarfs noch nicht abschließend Stellung genommen werden. Zusätzlich zum tatsächlichen Schaden werden vor allem die Einkommensverhältnisse und Sorgepflichten des Beklagten zu erheben und davon ausgehend auch ein monatlich abschöpfbarer Finanzierungsbetrag zu ermitteln sein. Zudem werden die Vermögensverhältnisse des Beklagten und die daraus bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten festzustellen sein.
6.1 Zusammenfassend ergibt sich:
Primäres Kriterium für die Mäßigung einer Konventionalstrafe, die nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen kann, ist der tatsächliche Schaden des Dienstgebers. Wenn die Konventionalstrafe den Verstoß gegen eine Konkurrenzklausel sanktioniert, kommt es auf den Schaden an, der durch das konkurrenzverbotswidrige Verhalten entsteht. Bei Verstoß gegen eine Kundenschutzklausel ist dies der durch das vertragswidrige Abwerben von Kunden dem bisherigen Dienstgeber entgangene Nettogewinn.
6.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Erstgericht (so wie auch die Klägerin) insbesondere eine unrichtige Schadensberechnung vorgenommen und zu den Mäßigungskriterien (vor allem zu den wirtschaftlichen und sozialen bzw familiären Verhältnissen des Beklagten) keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Auch zu den frustrierten Mietkosten und zum Aufwand zur Kundenerhaltung liegen sekundäre Feststellungsmängel vor. Das Berufungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass sich eine Ergänzung des Verfahrens und der Feststellungen als notwendig erweist.
Da die Sachverhaltsgrundlage vertieft und neu geprüft werden muss, kann sich die Klägerin nicht darüber beschweren, dass das Berufungsgericht die Mängel- und die Feststellungsrüge in der Berufungsbeantwortung bisher unbehandelt gelassen hat.
Dem Rekurs der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.
Das Unterbleiben einer Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 52 Abs 3 ZPO iVm § 2 ASGG.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L***** GmbH *****, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. P***** R*****, vertreten durch die Schmidtmayr Sorgo Wanke Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 482.012,10 EUR sA, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Kopf des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs vom , 8 ObA 72/13s, wird in Urschrift und Ausfertigungen berichtigt, sodass er zu lauten hat:
„Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Peter Schönhofer als weitere Richter ...“
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
An der Beratung und Abstimmung über die im Spruch genannte Entscheidung hat in der Senatssitzung vom anstelle des in dieser Arbeitsrechtssache für befangen erklärten Hofrats Hon.-Prof. Dr. Kuras (AZ 7 Nc 21/13t) die als Vertreterin nach der Geschäftsverteilung berufene Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner teilgenommen. Diese geänderte Senatszusammensetzung wurde aufgrund eines Versehens bei der Ausfertigung der Entscheidung nicht berücksichtigt. Gemäß § 419 Abs 1 ZPO war diese offenbare Unrichtigkeit von Amts wegen zu berichtigen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Arbeitsrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2013:008OBA00072.13S.1129.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAE-04714