VfGH vom 26.02.1988, B597/87

VfGH vom 26.02.1988, B597/87

Sammlungsnummer

11616

Leitsatz

Keine Bedenken gegen § 41 Abs 4 zweiter Satz und § 75 Abs 1 EStG 1972; grundsätzliche und einheitliche Regelung der Haftung des Arbeitgebers für die Lohnsteuerschuld gem. § 82 Abs 1 nicht gleichheitswidrig

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf., welcher der bei ihm tätigen Arbeitnehmerin

T W in den Jahren 1983 bis 1985 Arbeitslohn ohne Vorliegen einer Lohnsteuerkarte und ohne Berechnung der Lohnsteuer mit dem gem. § 75 Abs 1 EStG 1972 zwingenden Hinzurechnungsbetrag gewährte, wurde gem. § 82 Abs 1 EStG 1972 vom zuständigen Finanzamt zur Abfuhr einer unter Berücksichtigung des § 75 Abs 1 EStG 1972 neu errechneten, erhöhten Lohnsteuer herangezogen. Die Berufung des Bf. wurde mit dem mittels der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Z GA 5-1710/87, als unbegründet abgewiesen.

In seiner Beschwerde macht der Bf. die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums und die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend. Begründend führt der Bf. aus, daß die Arbeitnehmerin ohnedies zur Einkommensteuer veranlagt werde (und daher die Gefahr einer mehrfachen Inanspruchnahme von Pauschalbeträgen oder Absetzbeträgen entfalle), sodaß es an einem sachlichen Grund für die Anwendung des Lohnsteuertarifs unter Zugrundelegung des dem tatsächlichen Arbeitslohn hinzuzurechnenden Betrages gem. § 75 Abs 1 EStG 1972 fehle. Nach Meinung des Bf. sei es gleichheitswidrig, daß bei der Veranlagung eines Lohnsteuerpflichtigen zwar die Hinzurechnungsbeträge für die Zweite und die Dritte oder eine weitere Lohnsteuerkarte wegfielen, trotz völliger Gleichartigkeit des Schutzbedürfnisses dies aber nicht der Fall sei, wenn eine Lohnsteuerkarte überhaupt nicht vorgelegt werde.

Weiters handle es sich bei der Sanktion des § 75 Abs 1 EStG 1972 um eine exzessive Strafbestimmung, weil sie einen bloßen Formalverstoß (Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte) zum Anlaß nehme, Lohnsteuer vom Zwölffachen des Hinzurechnungsbetrages selbst dann zur Vorschreibung zu bringen, wenn wegen Veranlagung zur Einkommensteuer die ordnungsgemäße gesetzmäßige Besteuerung des Arbeitslohnes ohnedies sichergestellt sei.

Schließlich sei es gleichheitswidrig, das für die Hinzurechnung gem. § 75 Abs 1 EStG 1972 bei Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte verlangte Verschulden des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber, der gem. § 82 Abs 1 EStG 1972 für die erhöhte Lohnsteuer hafte, zur Last zu legen.

Abschließend führt der Bf. aus, daß er wegen der ihn treffenden unmittelbaren Zahlungspflicht gem. § 82 Abs 1 EStG 1972 durch den seiner Meinung nach rechtswidrigen Bescheid endgültig belastet werde, weil seine Arbeitnehmerin für die Jahre 1983 bis 1985, für die ihm die Lohnsteuernachzahlung vorgeschrieben worden sei, bereits rechtskräftig veranlagt worden wäre und außerdem eine rechtliche oder faktische Unmöglichkeit des Regresses theoretisch denkbar wäre. Dies sei ebenfalls gleichheitswidrig.

In der Beschwerde wird daher angeregt, die zwingende Hinzurechnung im Falle der schuldhaften Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte für einen zur Einkommensteuer veranlagten Lohnsteuerpflichtigen gem. § 41 Abs 4 Satz 2 EStG 1972, subsidiär jedoch die Bestimmung des § 75 Abs 1 EStG hinsichtlich der Wortfolge "monatlich S 2.860,--" (idF EStG-Nov. 1978, BGBl. 571) von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.

2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, worin sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Der Bf. begründet die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechtes oder die Verletzung in seinen Rechten durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes damit, daß die Anwendung des Hinzurechnungsbetrages gem. § 75 Abs 1 EStG 1972 im Falle der schuldhaften Nichtvorlage einer Lohnsteuerkarte dann dem Gleichheitssatz widerspreche, wenn der Zweck des Hinzurechnungsbetrages - die Vermeidung rechtswidriger Vorteile des Lohnsteuerpflichtigen - ohnedies im Wege der Veranlagung des Lohnsteuerpflichtigen zur Einkommensteuer erreicht werde. Der VfGH teilt diese Bedenken nicht. Er steht vielmehr seit seinem Erkenntnis VfSlg. 6379/1971 auf dem Standpunkt, daß die - damals in § 63 EStG 1967 normierte - "Sanktion" der Hinzurechnung bestimmter Beträge bei schuldhafter Unterlassung der Vorlage der Lohnsteuerkarte nicht unsachlich und die damit verbundene Differenzierung daher, gemessen am Gleichheitsgebot, unbedenklich ist. Zuletzt hat er in seinem Erkenntnis VfSlg. 11588/1987, ausgesprochen, "daß die in § 75 EStG 1972 bei schuldhaftem Verhalten vorgesehene Rechtsfolge unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes unbedenklich ist". Begründend war der Gerichtshof der Auffassung, daß es sich bei Anwendung des Hinzurechnungsbetrages bei Berechnung der Lohnsteuer im Falle der schuldhaften Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte um eine Sanktion handle, die den Zweck habe, "Verschleierungen hintanzuhalten". Ausdrücklich hat der Gerichtshof ferner im genannten Erkenntnis den Hinzurechnungsbetrag wegen schuldhafter Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte im Falle der Durchführung des Jahresausgleiches gem. § 73 Abs 2 letzter Satz EStG 1972 mit der analogen Regelung im Falle der Veranlagung von lohnsteuerpflichtigen Einkünften gem. § 41 Abs 4 letzter Satz EStG 1972 verglichen und beide Bestimmungen als Teile einer Regelung verstanden, "mit welcher der Gesetzgeber die Folgen einer - nicht überschießenden Reaktion auf ein bestimmtes, schuldhaftes Verhalten des Abgabepflichtigen für alle davon Betroffenen gleich gestaltet hat".

Zu der vom Bf. wegen der angeblich "überschießenden (exzessiven) Reaktion des Gesetzgebers auf die Unterlassung des Arbeitnehmers" behaupteten Gleichheitswidrigkeit wurde im Erkenntnis VfSlg. 11588/1987, bereits ausgeführt:

"Hinzuzufügen ist, daß der Zweck der Regelung (Verhinderung von Verschleierungshandlungen) und die Voraussetzung des Vorliegens eines Verschuldens dafür sprechen, daß der bekämpften Bestimmung insoweit der Charakter einer Sanktion (s. hiezu bereits VfSlg. 6379/1971) zukommt. Der VfGH findet es aber im Hinblick auf das - nach oben begrenzte - Ausmaß der Hinzurechnungsbeträge und die - unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes durchaus zulässige - Orientierung an der wirtschaftlichen Leistungskraft des Abgabepflichtigen nicht bedenklich, wenn die Sanktion nicht auf den Grad des Verschuldens abstellt."

Der VfGH bleibt bei dieser Rechtsmeinung. Er teilt die vom Bf. vorgetragenen Gleichheitsbedenken gegen § 41 Abs 4 Satz 2 und § 75 Abs 1 EStG 1972 daher nicht.

2. Der VfGH kann aber auch nicht finden, daß die den Arbeitgeber gem. § 82 Abs 1 EStG 1972 treffende Haftung für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn einzubehaltenden Lohnsteuer einschließlich deren Erhöhung wegen des gem. § 75 Abs 1 EStG 1972 zu berücksichtigenden Hinzurechnungsbetrages dem Gleichheitssatz widerspricht. Es kann dem Gesetzgeber vom Standpunkt des Gleichheitssatzes aus nicht entgegengetreten werden, wenn er für die vom Arbeitslohn einzubehaltende Lohnsteuer eine Haftung des Arbeitgebers anordnet. Diese Haftung ist von einem Verschulden des Arbeitgebers unabhängig und gilt für die jeweilige vom Arbeitslohn einzubehaltende Lohnsteuer.

Auch die hypothetische Möglichkeit, daß ein Arbeitgeber eine nachträglich durch Haftungsbescheid vorgeschriebene Lohnsteuerschuld vom Arbeitnehmer als Steuerschuldner faktisch oder rechtlich nicht mehr zurückfordern kann, führt nicht zur Gleichheitswidrigkeit der Haftungsregelung des § 82 Abs 1 EStG 1972. Das daraus erwachsende Risiko des Arbeitgebers für die rechtsrichtige Berechnung und die Einbehaltung der Lohnsteuer für seine Arbeitnehmer wurde dem Arbeitgeber vom Gesetzgeber in sachlich gerechtfertigter Weise überantwortet. Wird im Falle der unrichtigen Berechnung und Einbehaltung der Lohnsteuer der Arbeitgeber nachträglich herangezogen, so scheidet nur in wenigen ausnahmehaften Situationen ein Regreß des Arbeitgebers bei seinem Arbeitnehmer aus. Mag eine solche Ausnahmesituation auch als rechtspolitisch unbefriedigend oder für den Arbeitgeber unbillig empfunden werden, so macht sie dennoch die grundsätzliche und einheitliche Regelung der Haftung des Arbeitgebers für die Lohnsteuerschuld des bei ihm beschäftigten Arbeitnehmers gem. § 82 Abs 1 EStG 1972 nicht gleichheitswidrig. Nicht jede Unbilligkeit, die eine einheitliche Regelung mit sich bringt, kann bereits als unsachlich gewertet werden. Dem Gesetzgeber muß es gestattet sein, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu treffen (vgl. VfSlg. 10455/1985).

Der Bf. ist daher auch durch die von der bel. Beh. ihm gegenüber geltend gemachte Haftung für die wegen der Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte einzubehaltende - höhere Lohnsteuer nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß der Bf. in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Diese Entscheidung konnte gem. § 19 Abs 4 Z 1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.