VfGH vom 14.10.1999, B596/99
Sammlungsnummer
15629
Leitsatz
Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung der Beschwerde eines Betriebsrates betreffend einen Sozialplan und Kündigungen aus Anlaß einer Betriebseinschränkung durch die Schlichtungsstelle; Zuständigkeit der Schlichtungsstelle gegeben mangels Regelung dieser Angelegenheit im Kollektivvertrag oder in der Satzung
Spruch
Der beschwerdeführende Betriebsrat ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit 29.500 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Die mit Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes Salzburg errichtete Schlichtungsstelle gemäß § 144 ArbVG erklärte sich mit Bescheid vom zur Entscheidung über den Antrag des nunmehr beschwerdeführenden Betriebsrates eines Unternehmens auf Abschluß einer Betriebsvereinbarung (Sozialplan) aus Anlaß einer Betriebseinschränkung (§109 Abs 1 Z 1 ArbVG) und der Auflösung von Arbeitsverhältnissen, die eine Meldepflicht nach § 45a ArbeitsmarktförderungsG auslöst (§109 Abs 1 Z 1a ArbVG), für unzuständig und wies den Antrag zurück.
Begründet wurde die sachliche Unzuständigkeit im wesentlichen damit, daß nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag für das Fleischergewerbe eine gesonderte Schlichtungsstelle am Sitz der zuständigen Landesinnung oder am Sitz der zuständigen Bezirksstelle der Kammer der gewerblichen Wirtschaft einzurichten sei, die - wie sich aus § 23 Z 2 iVm § 21 des Kollektivvertrages ergebe - auch zur Entscheidung über eine erzwingbare Betriebsvereinbarung nach § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG berufen sei. Es sei daher diese und nicht die angerufene Schlichtungsstelle gemäß § 144 ArbVG zur Entscheidung über den in Rede stehenden Antrag zuständig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, darunter jenes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung verteidigt.
Die Gewerkschaft Agrar, Nahrung, Genuß, die - ebenso wie die Bundesinnung der Fleischer - als Vertragspartner des einschlägigen Bundes-Kollektivvertrages zu einer Stellungnahme im verfassungsgerichtlichen Verfahren eingeladen wurde, hält § 23 B-KV Fleischergewerbe mit der Begründung für unanwendbar, daß die kollektivvertragliche Schlichtungsstelle nur für Streitigkeiten zuständig sei, die sich aus der Anwendung oder Auslegung des Kollektivvertrages ergäben.
II. Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet:
1. Eine Schlichtungsstelle nach ArbVG ist eine nach Art 133 Z 4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde, gegen deren Entscheidungen gemäß § 146 Abs 2 ArbVG kein Rechtsmittel zulässig ist (s. VfSlg. 15058/1997). Der administrative Instanzenzug ist also erschöpft und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verletzt ein Bescheid das - vom beschwerdeführenden Betriebsrat relevierte - verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dann, wenn die bescheiderlassende Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).
Dies ist tatsächlich geschehen.
Gemäß § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG kann über Maßnahmen zur Verhinderung, Beseitigung oder Milderung der Folgen einer Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 - im konkreten Fall wird eine Betriebseinschränkung (Z1) und die Auflösung von Arbeitsverhältnissen, die eine Meldepflicht nach dem ArbeitsmarktförderungsG auslöst (Z1a), behauptet - eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden. Kommt über den Abschluß eines solchen Sozialplanes zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat eine Einigung nicht zustande, entscheidet nach § 97 Abs 2 und § 109 Abs 3 ArbVG auf Antrag eines der Streitteile die Schlichtungsstelle. Diese wird auf Antrag eines der Streitteile errichtet und ist zur Vermittlung und - erforderlichenfalls - Entscheidung berufen (§§144 ff., § 159 ArbVG). Ihre Entscheidungen gelten als Betriebsvereinbarung (§146 Abs 2 Satz 3).
Ein Sozialplan ist allerdings nur erzwingbar, insoweit nicht eine Regelung durch Kollektivvertrag oder Satzung besteht (s. § 97 Abs 2 erster bzw. § 109 Abs 3 vorletzter Satz ArbVG).
Eine solche Regelung sieht die belangte Schlichtungsstelle im "Kollektivvertrag für das Fleischergewerbe" (gemeint offenbar:
Bundeskollektivvertrag vom , abgeschlossen zwischen der Bundesinnung der Fleischer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund - Gewerkschaft Agrar, Nahrung, Genuß -, gültig ab ), und zwar in folgenden Bestimmungen:
"§21 Betriebsvereinbarungen
1. Die alle Arbeitnehmer des Betriebes oder einer Betriebsabteilung betreffenden Betriebsvereinbarungen haben unter Bedachtnahme auf die Erfordernisse des Betriebes und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen im Einvernehmen zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat zu erfolgen.
..."
"§23 Schlichtung von Streitigkeiten
1. Die Kollektivvertragspartner verpflichten sich, auf ihre Mitglieder jeden Einfluß zu nehmen, damit der Kollektivvertrag gewissenhaft eingehalten wird.
2. Bei Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten, die sich bei Anwendung bzw. aus der Auslegung dieses Kollektivvertrages ergeben, ist zunächst zu versuchen, das Einvernehmen zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat herzustellen.
3. Kommt zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat innerhalb von 4 Wochen eine Einigung nicht zustande, ist der Streitfall sodann den beiden Vertragspartnern dieses Kollektivvertrages zu übertragen.
4. Zur Schlichtung solcher Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis wird am Sitze der zuständigen Landesinnung (in den Bundesländern - ausgenommen Wien - nach Bedarf auch am Sitze der zuständigen Bezirksstelle der Kammer der gewerblichen Wirtschaft) eine aus höchstens je zwei Vertretern der beiden Vertragsteile zusammengesetzte Schlichtungsstelle unter einem Vorsitzer gebildet. Dem Vorsitzer steht ein Stimmrecht nicht zu.
5. Das zuständige Gericht soll erst dann angerufen werden, wenn im Rahmen der Schlichtungsstelle eine Beilegung des Streitfalles nicht erreicht wurde.
6. In Fällen, die an gesetzliche Fristen gebunden sind, kann zur Vermeidung von Terminverlusten auch während der Laufzeit eines Schlichtungsverfahrens der Streitfall beim Bundeseinigungsamt oder Arbeits- und Sozialgericht anhängig gemacht werden."
Diese Bestimmungen treffen indes keine Regelung über einen Sozialplan, sondern wiederholen lediglich die sich bereits aus dem ArbVG ergebenden Voraussetzungen für eine Betriebsvereinbarung (§21) und regeln das Verhalten der Kollektivvertragspartner und die Schlichtung von Auffassungsunterschieden bei Anwendung und Auslegung des Kollektivvertrages (§23). Auch § 22 Abs 1 verweist hinsichtlich der Regelung der aus dem Arbeitsverhältnis aller Arbeitnehmer entstammenden Angelegenheiten zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat nur auf das ArbVG. Anhaltspunkte für die Annahme, daß die Kollektivvertragsparteien etwaige Ansprüche der Arbeitnehmer bei Betriebsänderung (durch Stillschweigen) ausschließen wollten, finden sich gleichfalls nicht, sodaß es sich erübrigt, Zulässigkeit und Wirkungen einer solchen Regelung zu erörtern.
Das Arbeitsverfassungsgesetz schließt die Entscheidung der Schlichtungsstelle aber nur aus, soweit Kollektivvertrag oder Satzung eine Regelung dieser Angelegenheit enthalten. Da eine solche nicht vorliegt, ist auch nicht zu prüfen, ob sie sich - wie die belangte Behörde anzunehmen scheint - in der Schaffung einer besonderen Schlichtungsstelle zu diesem Zweck erschöpfen könnte. Der Ausnahmefall ist jedenfalls nicht gegeben.
Daraus folgt aber, daß die belangte Behörde zu Unrecht von ihrer Unzuständigkeit ausgegangen ist und dem Betriebsrat gesetzwidrig eine Sachentscheidung verweigerte, indem sie den Antrag - ohne ihn einer sachlichen Prüfung zu unterziehen - als unzulässig abtat.
Dadurch wurde der beschwerdeführende Betriebsrat im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr gemäß § 17a VerfGG in Höhe von 2.500 S und Umsatzsteuer in Höhe von 4.500 S enthalten.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VerfGG).