OGH vom 25.01.2019, 8ObA71/18a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr.
Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Krachler und Mag. Thomas Stegmüller in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_Innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Partnerschaft Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen zuletzt 763,53 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 35/18b-23, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 39 Cga 16/16g-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin war von August 2013 bis Juli 2015 bei der Beklagten als „Stewardess on Train“ beschäftigt. Auf ihr Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe idaF (idF: KV alt) anzuwenden, dessen Punkt 2.g. – soweit hier von Relevanz – lautete: „Nach Beendigung der Tagesarbeitszeit ist den Arbeitnehmern eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden zu gewähren. Diese kann auf 10 Stunden verkürzt werden, sofern diese Verkürzung innerhalb eines Zeitraums von 10 Kalendertagen durch eine entsprechende Verlängerung einer anderen täglichen oder wöchentlichen Ruhezeit ausgeglichen wird. Ist die Verkürzung der Arbeitszeit im obigen Sinne nicht möglich, ist ein 100%iger Lohnzuschlag zu berücksichtigen. Der Anspruch auf Ruhezeit bleibt im vollen Ausmaß weiter aufrecht. [...]“
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – gestützt auf Satz 3 von Punkt 2.g. des KV alt 763,53 EUR sA. Es habe Ruhezeitunterschreitungen von 94,38 Stunden gegeben, für die jeweils ein Lohnzuschlag von 8,09 EUR gebühre. Diese Ruhezeitunterschreitungen seien daraus entstanden, dass nicht einmal die vom KV alt festgelegte absolute Untergrenze von 10 Stunden eingehalten worden sei. Ruhezeitverkürzungen unter 10 Stunden seien gänzlich unzulässig und damit auch nicht im Sinn des Satzes 2 von Punkt 2.g. KV alt ausgleichsfähig.
Die Beklagte wendete ein, sämtliche Ruhezeitverkürzungen seien fristgerecht ausgeglichen worden.
Das Erstgericht wies dieses Zahlungsbegehren ab. Nach dem festgestellten Sachverhalt wurden die von der Klägerin behaupteten Verkürzungen der Ruhezeit jeweils durch verlängerte Ruhezeiten innerhalb von 10 Kalendertagen ausgeglichen (Ersturteil Seiten 6 bis 10 [Tabelle] und Seite 24).
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der anzuwendende Kollektivvertrag normiere den Zuschlag nicht in Abhängigkeit von der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Ruhezeitunterschreitung, sondern für den Fall, dass die Ruhezeitunterschreitung nicht binnen 10 Tagen ausgeglichen wird, was hier aber nach den Feststellungen geschehen sei. Dem Argument der Klägerin in der Berufung (Seite 5), aus den festgestellten Freizeiträumen sei nicht ersichtlich, ob es sich nicht um Urlaub oder um Zeitausgleich gehandelt habe, hielt das Berufungsgericht entgegen, dass die Klägerin im erstgerichtlichen Verfahren kein konkretes Vorbringen erstattet habe, aus dem erkennbar gewesen wäre, in welchen Zeiträumen sie Urlaub oder Zeitausgleich konsumiert habe, wofür sie behauptungs- und beweispflichtig gewesen sei. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil – soweit überblickbar – eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Regelung des Kollektivvertrags für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe über den Lohnzuschlag bei unzulässiger Verkürzung der Ruhezeiten nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin kommt in ihrer Revision auf die vom Berufungsgericht als revisibel betrachtete Frage der Auslegung der in Rede stehenden Kollektivvertragsbestimmung zurück und releviert weiters als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, das Berufungsgericht habe die Frage der Verteilung der Beweislast unrichtig gelöst. Die Klägerin zeigt mit all dem keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:
Der Oberste Gerichtshof befasste sie jüngst in der Entscheidung 9 ObA 100/18y mit der in Rede stehenden Kollektivvertragsbestimmung sowie mit der Frage der Behauptungs- und Beweislast. Der 9. Senat führte dabei aus:
„1. […]
Der Bestimmung von Punkt 2.g. KV alt ist zu entnehmen, dass die Kollektivvertragsparteien bei einer Ruhezeitverkürzung auf weniger als elf Stunden und unmöglichem Ruhezeitausgleich einen Lohnzuschlag vorsehen wollten. Dass sie dabei nur den Fall der zulässigen Ruhezeitverkürzung auf zehn Stunden, nicht aber den Fall einer faktisch weitergehenden unzulässigen Verkürzung regelten, kann einer Zuschlagspflicht im letzteren Fall nicht entgegenstehen: Es hätte offenkundig dem Zweck der Gewährung des Lohnzuschlags widersprochen, wenn nur solche Arbeitsstunden zuschlagspflichtig wären, die bei einer zulässigen Ruhezeitverkürzung geleistet werden, nicht aber die in der Regel beschwerlicheren Arbeitsstunden, die auf einer weitergehenden Ruhezeitverkürzung beruhen.
2. Auch wenn unzulässige Ruhezeitverkürzungen damit geeignet waren, einen Lohnzuschlag zu begründen, ändert dies aber nichts daran, dass der Zuschlag iSd Punktes 2.g. KV alt nach seinem klaren Wortlaut das Unterbleiben eines rechtzeitigen Ausgleichs der Ruhezeitverkürzung zur Voraussetzung hatte (arg: 'Verkürzung der Arbeitszeit im obigen Sinne'). Das entsprach dem Ziel der Kollektivvertragsparteien, eingetretene Ruhezeitverkürzungen primär durch Verlängerung anderer Ruhezeiten auszugleichen und nur bei Unmöglichkeit des Naturalausgleichs einen Lohnzuschlag zu gewähren. Warum in einem solchen Fall auf die Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs – hier: der nicht rechtzeitige Naturalausgleich – verzichtet werden sollte, ist nicht ersichtlich. Eine Pönalfunktion ist der Bestimmung nicht zu entnehmen.
3. Nach Ansicht der Kläger hätten ihnen die Vorinstanzen dann zu Unrecht die Behauptungs- und Beweislast dafür aufgebürdet, dass es nicht innerhalb von zehn Tagen zu einem Naturalausgleich der verkürzten Ruhezeiten gekommen sei.
Allgemein trifft jede Partei die Behauptungs- und Beweislast für die Tatsachen, die Voraussetzungen der für sie günstigen Rechtsnorm sind (RIS-Justiz RS0106638, RS0037797). Primärer Anspruch der Arbeitnehmer ist nach dem klaren Willen der Kollektivvertragsparteien der Anspruch auf Naturalausgleich (= Verkürzung der Arbeitszeit). Dieser Anspruch sollte sich nach dem Konzept der Regelung erst bei Vorliegen der weiteren Voraussetzung, dass der Naturalausgleich nicht innerhalb von zehn Kalendertagen gewährt wird, in einen Geldanspruch umwandeln. Die Kollektivvertragsparteien formulierten es dafür als Anspruchsvoraussetzung, dass die Verkürzung der Arbeitszeit binnen zehn Kalendertagen nicht möglich ist.
Eine Beweislastverschiebung ist nach ständiger Rechtsprechung auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen die 'Nähe zum Beweis' – im Einzelfall – den Ausschlag für die Zuteilung der Beweislast gibt, etwa dann, wenn Tatfragen 'tief in die Sphäre einer Partei hineinführen' (RIS-Justiz RS0037797 [insb T 25, T 47]). Die allgemeinen Beweislastregeln finden eine Einschränkung dort, wo eine Beweisführung von der an sich dazu verpflichteten Partei billigerweise nicht erwartet werden kann, weil es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre der Gegenseite liegen und daher nur ihr bekannt und damit auch nur durch sie beweisbar sind (RIS-Justiz RS0040182). Dass der Beklagten die Auswertung der Arbeitszeitaufzeichnungen leichter fallen mag, bedeutet noch nicht, dass den Klägern ein Beweis dafür, dass sie keinen Ruhezeitausgleich nehmen konnten, nicht möglich gewesen wäre. Die Beurteilung der Beweislast durch die Vorinstanzen entspricht auch der Entscheidung 8 ObA 17/17h (Antrag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes gemäß § 54 Abs 2 ASGG), in der ein Vorbringen des Antragstellers zum unterbliebenen Naturalausgleich iSd Punktes 2.g. KV alt für jene 'Stewards on train' vermisst wurde.“
Die Revision ist unzulässig, weil in der
– wenngleich nach der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen, jedoch am im (gebührenfrei zugänglichen) RIS-Justiz und damit vor Fassung dieses Beschlusses veröffentlichten – zitierten Entscheidung zu der hier maßgebenden Frage der Auslegung von Punkt 2.g. KV alt sowie zu der von der Revisionswerberin weiters für erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO erachteten Frage der Verteilung der (Behauptungs- und) Beweislast bereits eingehend Stellung genommen wurde (
vgl RIS-Justiz RS0112769). Im Übrigen schließt sich der 8. Senat den Ausführungen des 9. Senats einschließlich dessen Beurteilung an, dass die in Rede stehende Kollektivvertragsbestimmung klar und eindeutig und damit (auch) aus diesem Grund nicht revisibel ist (RIS-Justiz RS0109942 [T1, T 6]). Wenn die Revisionswerberin meint, dass die vom Berufungsgericht (und auch vom 9. Senat zu 9 ObA 100/18y) vorgenommene Auslegung es dem Arbeitgeber ermögliche, eine tägliche Ruhezeit nahezu gegen Null zu reduzieren und dies an anderen Tagen auszugleichen (Revision Seite 6), dies Tür und Tor für Arbeitseinsätze nahezu rund um die Uhr öffne (Revision Seite 7) und den Kollektivvertragsparteien unterstellt werde, sie hätten gänzlich über die Zeit der Arbeitnehmer verfügen wollen (Revision Seite 8), so übergeht sie die Strafbarkeit von Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz nach dessen § 28.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat
auf die Unzulässigkeit der Revision der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00071.18A.0125.000 |
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