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OGH vom 22.06.2022, 13Os13/22v

OGH vom 22.06.2022, 13Os13/22v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. SetzHummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fischer in der Strafsache gegen * J* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * E* und * N* gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Geschworenengericht vom , GZ 12 Hv 18/21w196, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten E* und N* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – * E* und * N* jeweils eines Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (A), des Mordes nach § 75 StGB (B) und der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB (C) schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie in der Nacht zum in L* im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB)

(A) * D* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem ihn N* in einer Ecke eines Hotelzimmers festhielt, sodass er sich nicht befreien konnte, während ihm E* abwechselnd Faustschläge gegen den Kopf und Tritte gegen den Körper versetzte und ihn gegen ein Fensterbrett stieß, bis er bewusstlos war, wodurch er ein Subduralhämatom, mehrere Rissquetschwunden im linken hohen Stirnbereich, am linken und am rechten Scheitel, am linken Unterarm und am rechten Oberschenkel sowie Prellungen des Brustkorbs und der Hüfte erlitt, weiters – nachdem sie das Hotel zunächst verlassen, sich dann jedoch zu dem zu B beschriebenen Verhalten entschlossen hatten und in das Gebäude zurückgekehrt waren –

(B) D* vorsätzlich getötet, indem sie in der Nähe eines mit Kleidern gefüllten Kunststoffsacks hochprozentigen Alkohol über den weiterhin bewusstlos auf dem Boden desselben Hotelzimmers liegenden D* verschütteten und entzündeten, wodurch dieser zweit bis drittgradige Verbrennungen von 40 bis 50 % der Körperoberfläche, und zwar der unteren Extremitäten, des Gesäßes, der Oberkörpervorderseite, des Schultergürtels, des Halses, des Gesichts und beider Hände, eine Rauchgasintoxikation sowie ein akutes Nierenversagen erlitt und infolge eines dadurch verursachten Multiorganversagens am verstarb sowie

(C) durch das zu B beschriebene Verhalten an einer fremden Sache, nämlich einem Hotelgebäude, ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst verursacht, wobei es beim Versuch (§ 15 StGB) blieb, weil der rasch um sich greifende Brand (nur) durch einen Feuerwehreinsatz unter Kontrolle gebracht und gelöscht werden konnte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wenden sich die von E* auf Z 1, 4 und 5, von N* auf Z 4 und 10a jeweils des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden dieser beiden Angeklagten.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten E*:

[4] Wie die Besetzungsrüge (Z 1) zutreffend vorbringt, ist im Protokoll über die Hauptverhandlung am festgehalten, „dass der Hauptgeschworene M* M* entschuldigt nicht erschienen ist. G* R* rückt als erste Ersatzgeschworene nach“ (ON 175 S 4).

[5] Weshalb „[v]or diesem Hintergrund“ „von einer nicht gehörigen Besetzung auszugehen“ sein sollte, sagt sie aber nicht (zur Gesetzmäßigkeit des angesprochenen Vorgangs siehe vielmehr Danek/Mann, WK-StPO § 221 Rz 28, 30 und 32).

[6] Die weitere Rüge behauptet, der Geschworene P* T* habe nicht der ganzen Verhandlung beigewohnt, sondern während der Vernehmung eines Sachverständigen in der Hauptverhandlung am „20 Minuten permanent auf dem Handy [ge]spiel[t]“, worin (aus Beschwerdesicht) „ein einer körperlichen Abwesenheit gleichkommender Zustand zu erblicken“ sei.

[7] Sie geht bereits deshalb fehl, weil der Beschwerdeführer (durch seinen Verteidiger) in Bezug auf genau diesen, nun relevierten Umstand in der Hauptverhandlung ausdrücklich – somit wirksam (RIS-Justiz RS0099154, RS0120944) und unwiderruflich (vgl RIS-Justiz RS0099945, RS0100051) – auf die „Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes“ verzichtet hat (ON 176 S 34).

[8] Im Übrigen bedeutet Ablenkung durch Tätigkeiten abseits des Verhandlungsgeschehens nicht eo ipso mangelndes „Beiwohnen“ (vgl RIS-Justiz RS0100827 [insbesondere T1]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 119 f). Selbst wenn dies hier der Fall gewesen wäre, hätte zudem nicht schon die Tatsache einer solchen Unaufmerksamkeit, sogleich gerügt (§ 345 Abs 2 StPO) und mit Nichtigkeitsbeschwerde (zulässigerweise) geltend gemacht, zur Urteilsaufhebung geführt. Denn der (behauptete) Besetzungsmangel wäre jedenfalls dadurch behoben worden, dass der genannte Geschworene – infolge der diesbezüglichen Rüge (§ 345 Abs 2 StPO) des Verteidigers (ON 176 S 32) – vom Vorsitzenden dazu ermahnt wurde, dem Gang der Verhandlung zu folgen (ON 176 S 34 f), und das während seiner Unaufmerksamkeit Geschehene durch Abspielen einer Tonaufnahme der betreffenden Vernehmung (ON 176 S 35) wiederholt wurde (vgl 13 Os 151/08t mwN).

[9] Da Z 1 in Bezug auf den behaupteten Besetzungsmangel weitergehenden Rechtsschutz bietet als die Verfahrensrüge (Z 5), ist auf die Kritik an der Abweisung (ON 176 S 34) des entsprechend argumentierenden Antrags auf „Ausschluss des Geschworenen Nr. 8, T*“ (ON 176 S 32) – auf die sich die erwähnte Verzichtserklärung des Verteidigers (ON 176 S 34) übrigens (unmissverständlich) ebenfalls bezog – schon aus diesem Grund nicht einzugehen (vgl RIS-Justiz RS0124803; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 132 und 386 [je zu in der Hauptverhandlung getroffenen Entscheidungen über Ablehnungsanträge wegen Richterausgeschlossenheit]).

[10] Mit der bloßen Spekulation, es könne „nicht ausgeschlossen werden“, „dass genannter Geschworener bereits zu früheren Zeitpunkten und früheren Verhandlungstagen […] durch Herumhantieren mit seinem Handy unaufmerksam war“, wird kein Nichtigkeit begründender Umstand deutlich und bestimmt angesprochen. Derartige pauschale Behauptungen oder Vermutungen sind – generell – aus § 345 Abs 1 Z 1 und 5 StPO unbeachtlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 132; vgl RIS-Justiz RS0109958).

[11] Die Verfahrensrüge (Z 4) stützt sich auf die Behauptung, die Geschworenen seien anlässlich ihrer Beeidigung (§ 305 StPO) nicht nach ihrem Religionsbekenntnis gefragt worden.

[12] Sie verkennt, dass § 305 StPO nur das Unterlassen der Beeidigung der Geschworenen (Abs 1 erster Satz), nicht aber das Unterbleiben der Frage nach dem Religionsbekenntnis (Abs 2) mit Nichtigkeit bedroht.

[13] Das Protokoll über die Hauptverhandlung am enthält die – vom Rechtsmittel zutreffend zitierte – Formulierung: „Nach § 252 Abs 1 Z 4 und Abs 2 StPO wird der gesamte gegenständliche Akt einverständlich verlesen, wobei nach § 252 Abs 2a StPO allseits ausdrücklich auf die tatsächliche Verlesung des Aktes zugunsten einer resümierenden Darstellung von Seiten des Richters verzichtet wird. Ein darüber hinausgehendes Vortragen des Akteninhaltes wird nicht beantragt“ (ON 194 S 4).

[14] Der Rüge zuwider hängt die Konformität der dadurch dokumentierten Vorgänge mit jenen Bestimmungen des § 252 StPO, deren Einhaltung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet, keineswegs davon ab, ob die Hauptverhandlung, in der sie stattfanden, eine im Sinn des § 276a zweiter Satz StPO wiederholte Hauptverhandlung war.

[15] Letzteres war hier – nach dem unbedenklichen Inhalt des darüber aufgenommenen Protokolls (vgl RIS-Justiz RS0099052, jüngst 12 Os 53/21t) – nicht der Fall (ON 194 S 4: „Gem. § 276a StPO wird die Verhandlung fortgesetzt“). Ihre Wiederholung zu Beginn der Hauptverhandlung am war – entgegen dem weiteren Vorbringen – auch nicht geboten. Dass ein (gemäß § 221 Abs 4 StPO, § 301 Abs 3 StPO) zur Hauptverhandlung geladener Ersatzrichter, der dieser – wie hier (ON 175 S 2, ON 176 S 2 und ON 177 S 2) – von Beginn an beigewohnt hat, an die Stelle eines (nunmehr verhinderten) Mitglieds des Schwurgerichtshofs tritt (ON 194 S 4), bedeutet nämlich keine Änderung der Zusammensetzung des Gerichts im Sinn des § 276a zweiter Satz StPO (Danek/Mann, WK-StPO § 276a Rz 4). Durch die Beiziehung eines Ersatzrichters wird vielmehr gerade vermieden, dass bei Verhinderung eines Mitglieds des Schwurgerichtshofs nach Vertagung die Hauptverhandlung wiederholt werden muss (erneut Danek/Mann, WK-StPO § 221 Rz 28 sowie Ratz, WK-StPO § 281 Rz 123).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten N*:

[16] Mit dem Hinweis, die Hauptverhandlung habe (nach dem darüber aufgenommenen Protokoll) zum Teil „außerhalb der geregelten Öffnungszeiten des Landesgerichtes Linz“ stattgefunden, beruft sich die Verfahrensrüge (Z 4) auf eine Verletzung des § 228 Abs 1 StPO durch faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit (dazu RIS-Justiz RS0117048).

[17] Sie bringt vor, „[d]em Strafakt“ sei „in keiner Weise zu entnehmen, dass das Erstgericht Vorsorge darüber getroffen hat, dass ein Zutritt für die Öffentlichkeit in das Gerichtsgebäude bzw. in den Verhandlungssaal auch nach dem Ende der Öffnungszeiten um jeweils 15:30 Uhr gewährleistet gewesen wäre“. Diese Behauptung ist mit Blick auf die an das Präsidium des Landesgerichts Linz gerichteten Noten des Vorsitzenden vom und vom (ON 1 S 52 und 62), mit der genau solche Vorkehrungen („längere Einteilung des Sicherheitsdienstes“) veranlasst wurden, unzutreffend.

[18] Dem auf jene Beschwerdeprämisse gestützten Einwand, es sei „davon auszugehen, dass der Öffentlichkeit bzw. potenziellen Zuhörern ein jederzeitiger Zutritt in das Gerichtsgebäude bzw. in den Verhandlungssaal faktisch verwehrt“ gewesen sei, ist demnach von vornherein der Boden entzogen.

[19] Allen potentiellen Zuhörern während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung ein uneingeschränktes Betreten (und Verlassen) des Verhandlungssaals zu ermöglichen verlangt § 228 Abs 1 StPO im Übrigen ohnedies nicht (RIS-Justiz RS0128996).

[20] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RIS-Justiz RS0118780 [T13, T16 und T17]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470 und 490).

[21] Soweit die Beschwerde nur das angebliche Fehlen von Beweisen für die Schuld des Beschwerdeführers behauptet, nicht aber gegen dessen Schuld sprechende Tatumstände releviert, verfehlt sie diesen Anfechtungsrahmen (RIS-Justiz RS0128874 [T1]).

[22] Gleiches gilt, soweit sie aus – isoliert hervorgekehrten – Details der Verantwortung des Mitangeklagten J* und dem Umstand, dass „den Lichtbildern der Überwachungskameras“ zufolge der Beschwerdeführer „das tatgegenständliche Hotel“ in der Tatnacht 15 Sekunden nach dem Mitangeklagten E* verlassen habe, anhand eigener Plausibilitätserwägungen vom Wahrspruch der Geschworenen abweichende Schlüsse gezogen wissen will.

[23] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[24] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).

[25] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00013.22V.0622.000

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