OGH vom 14.07.2022, 9ObA57/22f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Andreas Schlegel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl SchmidWilches (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S* B*, vertreten durch RainerRück Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei G* GmbH, *, vertreten durch Kroker Tonini Höss Lajlar, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 400,73 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 82/21b21, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Gemäß § 19d Abs 2 Satz 1 und 2 AZG, dessen Anwendung in der außerordentlichen Revision der beklagten Arbeitgeberin – zutreffend (vgl RS0116255) – nicht mehr in Frage gestellt wird, sind Ausmaß und Lage der Arbeitszeit und ihre Änderung zwischen den Arbeitsvertragsparteien zu vereinbaren, sofern sie nicht durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgesetzt werden. Die Änderung des Ausmaßes der regelmäßigen Arbeitszeit bedarf der Schriftform.
2. Schon nach § 19c Abs 2 AZG idF des ArbBG BGBl 833/1992 war die Festlegung von Ausmaß und Lage der Arbeitszeit zu vereinbaren. Nach den Gesetzesmaterialien zum ArbBG ist nicht nur die erstmalige Festsetzung bei Abschluss des Arbeitsvertrags zu vereinbaren, sondern grundsätzlich auch jede spätere Änderung des Ausmaßes und der Lage der Arbeitszeit (ErläutRV 735 BlgNR 18. GP 43 f). Eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Streitteilen über die von der Beklagten angestrebte Reduktion des Arbeitszeitausmaßes der bei ihr teilzeitbeschäftigten Klägerin von (im geänderten Dienstvertrag vereinbarten) 18 auf 17 Wochenstunden ist nach den Feststellungen aber nicht zustande gekommen.
3.1. Die in der außerordentlichen Revision aufgeworfene Frage, ob die Rechtsprechung (8 ObA 116/04y), wonach die Möglichkeit eines Vorbehalts hinsichtlich einer Verringerung der Teilzeitarbeit im Gesetz nicht vorgesehen ist, auf Grundlage der aktuellen Fassung der §§ 19c, 19d AZG noch aufrecht erhalten werden kann, kann hier dahingestellt bleiben. Im Allgemeinen ist eine Berechtigung zur einseitigen Änderung eines Vertrags durch den wirtschaftlich typischerweise stärkeren Teil eine ungewöhnliche, in der Regel den anderen, schwächeren Vertragsteil gröblich benachteiligende Vereinbarung und speziell dem Arbeitsvertragsrecht fremd. Für die Zulässigkeit einer solchen Regelung bedarf sie entweder einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung oder eines ausdrücklichen Vorbehalts, dem der Dienstnehmer frei von Willensmängeln zugestimmt hat und der auch seine berechtigten Interessen angemessen wahrt (8 ObA 38/17x [Pkt 2. mwN]). Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.
3.2. Auf eine gesetzliche Grundlage für den im Dienstvertrag vereinbarten Änderungsvorbehalt stützt sich die Beklagte nicht. Der schriftliche Dienstvertrag hält fest: „Vereinbarungen über die Änderung des Beschäftigungsausmaßes bedürfen der Schriftform. Da der endgültige Bedarf von den im Punkt 3. angeführten Schulen erst nach Beginn eines jeden Schuljahres bekannt gegeben wird, erklärt sich die Dienstnehmerin schon jetzt dazu bereit, eine Änderung des vereinbarten Beschäftigungsausmaßes um bis zu 5 Stunden pro Woche zuzustimmen.“ Da nach den Feststellungen der tatsächliche Bedarf an Arbeitskräften für die Beklagte meist erst im Oktober nach Beginn des jeweiligen Schuljahres feststeht, wollte sich die Beklagte mit diesem Änderungsvorbehalt offensichtlich eine Änderung der Hauptleistungen des Dienstvertrags je nach wirtschaftlichem Bedarf sichern. Da dieser Änderungsvorbehalt eine Schwankung von 15 bis 25 Wochenstunden des Beschäftigungsausmaßes der Klägerin und damit zu einer erheblichen Reduktion des Arbeitsentgelts der Klägerin führen könnte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass mit diesem Änderungsvorbehalt auch die berechtigten Interessen der Klägerin gewahrt wurden. Worin deren Interesse am Änderungsvorbehalt gelegen sei, ist nicht ersichtlich und wird von der Beklagten auch nicht dargelegt. Der Änderungsvorbehalt, der letztlich darauf hinausläuft, dass die Klägerin während des Arbeitsverhältnisses auf den ihr gemäß § 19d Abs 2 AZG zwingend eingeräumten Anspruch auf vertragliche Festlegung des Ausmaßes der Arbeitszeit bzw ihrer Änderung in Schriftform verzichtet (vgl 8 ObA 86/03k = RS0118331), ist daher unwirksam.
4. Auch die in der außerordentlichen Revision als erheblich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage, ob das Schriftformerfordernis nach § 19d Abs 2 AZG (entgegen der herrschenden Lehre [Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 19d AZG Rz 18/1 mwN; Felten in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 Rz 17 mwN; vgl Schrank, Arbeitszeit-Kommentar6 § 19d AZG Rz 23]) ein Wirksamkeitserfordernis darstellt oder lediglich Beweiszwecken (vgl ErläutRV 141 BlgNR 23. GP 5 f) dient, kann dahingestellt bleiben, weil nach den Feststellungen die Klägerin der Vertragsänderung nicht zugestimmt hat.
[6] Da die außerordentliche Revision der Beklagten damit insgesamt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00057.22F.0714.000 |
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