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OGH vom 22.08.2012, 9ObA57/12s

OGH vom 22.08.2012, 9ObA57/12s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Dr. Peter Schnöller in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** OHG, *****, vertreten durch Mag. Manfred Pollitsch, Mag. Hannes Pichler, Rechtsanwälte in 8010 Graz, wider die beklagte Partei M***** R*****, vertreten durch Mag. Alexander Todor Kostic, Rechtsanwalt in 9220 Velden, wegen 40.212,46 EUR sA (Revisionsinteresse der klagenden Partei: 30.210 EUR sA, Revisionsinteresse der beklagten Partei: 8.767,10 EUR sA), infolge der außerordentlichen Revisionen der Streitteile gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom , GZ 6 Ra 80/11y 89, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen haben der Klägerin gegenüber dem von Jänner 2005 bis für sie als Tankstellenpächter tätigen Beklagten 40.212,46 EUR sA für gelieferte Treibstoffe und Öle zugesprochen. Zur revisionsgegenständlichen Frage, ob und in welchem Ausmaß dem Beklagten für den Betrieb der Tankstelle als Gegenforderung ein Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG zusteht, zeigen die außerordentlichen Revisionen der Streitteile keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

I.1. Die Klägerin bringt vor, die Tankstelle sollte vom Beklagten nur interimistisch bis zur Erteilung einer Baubewilligung für ihren Umbau geführt werden. Eine anschließende (Sub )Verpachtung der Tankstelle an ihn durch A***** (Vor und Nachpächterin) sei daran gescheitert, dass der Beklagte dieser keine Bankgarantie beigestellt habe. Es sei daher zu prüfen, ob durch das Nichtbeibringen der Bankgarantie und des dadurch bedingten Unterbleibens eines neuerlichen Abschlusses des Tankstellenpachtvertrags mit A***** eine ausgleichsfeindliche Beendigungsart vorliege.

§ 24 Abs 3 HVertrG schließt für den Fall der Aufkündigung eines Handelsvertretervertrags den Ausgleichsanspruch dann aus, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis wegen eines schuldhaften, einen wichtigen Grund nach § 22 HVertrG darstellenden Verhaltens des Handelsvertreters gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat.

Selbst wenn man der Klägerin darin folgt, dass als wichtiger Grund iSd § 22 HVertrG die Erteilung der Baubewilligung für den Tankstellenumbau vereinbart wurde, so ist nicht ersichtlich, inwieweit darin ein ausgleichsanspruchsfeindliches schuldhaftes Verhalten des Beklagten läge. Dass der Beklagte dazu verpflichtet gewesen wäre, nach dem Umbau mit A***** einen (Sub )Pachtvertrag abzuschließen und das Scheitern des Neuabschlusses als Kündigungsgrund vereinbart worden wäre, behauptet die Klägerin in ihrer Revision nicht und wäre angesichts dessen, dass sie nach dem Umbau ein neues Pachtverhältnis mit A***** eingehen wollte und schon deshalb jenes mit dem Beklagten beenden musste, auch nicht nachvollziehbar.

I.2. Die Klägerin bringt weiters vor, Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs bei einem Tankstellenvertrag sei, dass sich der Tankstellenpächter auf Dauer zum Vertrieb von Produkten der Mineralölfirma verpflichte und dem Verpächter neue Kunden zuführe , was aufgrund der interimistischen Tankstellenpacht, mit der nur der Verlust von Kunden vermieden werden sollte, nicht vorliege.

Aus dem Sachverhalt geht allerdings nicht hervor, dass die Streitteile von Beginn an die Auflösung des Vertrags mit Erteilung der Baubewilligung vereinbart hatten. Vielmehr wurde festgestellt, dass keine Befristung vereinbart war, sondern dem Beklagten mitgeteilt wurde, dass ein Umbau der Tankstelle beabsichtigt sei. Es wurde ihm in Aussicht gestellt, dass er weiter die Tankstelle als Pächter führen könne. Die Dauer des Genehmigungsverfahrens und des Umbaus war nicht absehbar. Der Beklagte wurde erstmals im September/Oktober 2005 von der Absicht der Klägerin in Kenntnis gesetzt, die Tankstelle an A***** zu verpachten. Angesichts dieser Feststellungen kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass bei Eingehen des Pachtverhältnisses eine nur kurzfristige und vorübergehende Tätigkeit des Beklagten der Intention der Streitteile entsprochen hätte. Die Annahme, dass der Beklagte der Klägerin keine neuen Kunden zugeführt hätte, widerspricht den Feststellungen.

I.3. Der von der Klägerin aufgezeigte vermeintliche Rechenfehler zum Ausgleichsanspruch liegt nicht vor: Anders als das Berufungsgericht berechnet die Klägerin die Provisionsverluste des Beklagten ab dem zweiten Prognosejahr auf Basis einer Abwanderungsquote von 20 % nach erfolgter Abzinsung (womit sie keinen Rechenfehler, sondern eine andere Art der Wertermittlung geltend macht). Die vom Berufungsgericht gewählte Berechnungsweise Abzug der Abwanderungsquote vor Barwertabzinsung entspricht jedoch der in der Entscheidung 8 ObA 45/08p dargelegten Berechnungsmodalität („Besteht eine Fluktuation im Rahmen des vorhandenen Kundenstocks, so ist eine Abwanderungsquote für jedes Prognosejahr in Abzug zu bringen. Die um die Abwanderungsquote verminderten fiktiven Provisionseinnahmen sind auf den Barwert abzuzinsen“.) und der dazu in der Literatur vertretenen Ansicht ( Nocker , Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Vertragshändlers und Franchisenehmers, Rz 461; vgl auch Tschuk , Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses, 99 f). Ein Korrekturbedarf besteht diesbezüglich nicht.

I.4. Schließlich begründen die „Billigkeitsbetrachtungen“ der Klägerin aufgrund ihrer Einzelfallbezogenheit keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Sofern sie meint, die Vereinbarung des bloß interimistischen Fortbetriebs der Tankstelle durch den Beklagten rechtfertige keinen auf Basis von vier Prognosejahren berechneten Ausgleichsanspruch, entfernt sie sich erneut vom festgestellten Sachverhalt, wonach dem Beklagten der Fortbetrieb der Tankstelle auch nach dem angekündigten Umbau in Aussicht gestellt worden war.

II. Auch der Beklagte verkennt nicht, dass die Ermittlung der Ausgleichszahlung nach § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG geradezu ein Musterbeispiel für eine nach dem jeweiligen Einzelfall zu treffende Billigkeitsentscheidung ist (RIS Justiz RS0112590), die grundsätzlich keine revisible Rechtsfrage zu begründen vermag. In dem von ihm bekämpften Billigkeitsabzug der Vorinstanzen von 50 % ist nach den Umständen des Falls (dem Beklagten bekannte Absicht der Klägerin zum bloß interimistischen Fortbetrieb der Tankstelle bis zum Umbau; relativ kurze Tätigkeit des Beklagten; Bemühen der Klägerin, sich für ein Pachtverhältnis des Beklagten mit A***** einzusetzen, das aus in seiner Sphäre gelegenen Umständen nicht zustande kam) auch keine korrekturbedürftige krasse Fehlbeurteilung zu sehen.

In Ermangelung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO sind die Revisionen beider Streitteile daher zurückzuweisen.