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OGH 24.05.2019, 8Ob59/19p

OGH 24.05.2019, 8Ob59/19p

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei F*****, vertreten durch Mag. Anton Becker, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte und gefährdende Partei S*****, vertreten durch Dr. Andreas Ladstätter, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Unterhalt, hier Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den außerordentlichen Revisionrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 6/19v-90, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Die Klägerin beantragte im Rahmen des anhängigen Ehegattenunterhaltsverfahrens, den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von monatlich 750 EUR ab zu verpflichten.

Mit einstweiliger Verfügung vom verpflichtete das Erstgericht den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von insgesamt 2.647,70 EUR für den Zeitraum vom bis (zur rechtskräftigen Beendigung der Ehe am) und wies den darüber hinausgehenden Sicherungsantrag ab. Der antragsabweisende Teil des Beschlusses erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung über Rekurs des Beklagten gegen den antragsstattgebenden Teil dahin ab, dass es den gesamten Sicherungsantrag abwies. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin ein als „außerordentlichen Revisionsrekurs“ bezeichnetes Rechtsmittel, das auf eine Wiederherstellung der einstweiligen Verfügung des Erstgerichts abzielt.

Das Erstgericht legte das Rechtsmittel unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist derzeit zur Entscheidung über das Rechtsmittel nicht zuständig.

1. Nach den § 402 Abs 4 iVm § 78 EO sind auf Revisionsrekurse im Provisorialverfahren grundsätzlich die Vorschriften der Zivilprozessordnung anzuwenden (1 Ob 223/15y; 4 Ob 86/12v).

2. Die Ermittlung des Werts des vom Rekursgericht behandelten Entscheidungsgegenstands hat sich nach den allgemeinen Bewertungsvorschriften der JN zu richten (§ 526 Abs 3 iVm § 500 Abs 3 ZPO).

Einer Bewertung durch das Gericht zweiter Instanz bedarf es in Unterhaltssachen aufgrund der zwingenden Bewertungsvorschrift des § 58 Abs 1 JN nicht (RIS-Justiz RS0110920).

Gemäß § 58 Abs 1 JN ist ein Anspruch auf laufenden Unterhalt mit dem 36-fachen des – im Rekursverfahren noch strittigen – monatlichen Unterhaltsbeitrags zu bewerten (RS0122735 [T1, T2]; RS0103147 [T23]). Eine Bestimmung des Werts des strittigen Rechts mit dem Dreifachen der Jahresunterhaltsleistung (vgl RS0103147) kann aber dann nicht greifen, wenn sich die durch eine einstweilige Verfügung titulierten monatlichen Geldunterhaltsleistungen in einer bestimmten Summe, die hinter dem Dreifachen einer Jahresleistung zurückbleibt, erschöpfen. Dann kann der Entscheidungsgegenstand zweiter Instanz in einem Verfahren auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung die Summe der nur für einen bestimmten Zeitraum titulierten monatlichen Geldunterhaltsansprüche jedenfalls nicht übersteigen (RS0121008).

Hier war in zweiter Instanz nur mehr der vorläufige Unterhalt für den Zeitraum vom bis mit monatlich 480 EUR und vom bis mit monatlich 400 EUR strittig. Der Wert des Entscheidungsgegenstands im Rekursverfahren betrug daher 2.647,70 EUR.

3. Gemäß § 528 Abs 2 Z 1a ZPO ist der Revisionsrekurs – vorbehaltlich des Abs 2a – in familienrechtlichen Streitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN jedenfalls unzulässig, in denen der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt (§ 502 Abs 4 ZPO), wenn das Gericht zweiter Instanz ausgesprochen hat, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig ist. Die absolute Untergrenze des § 528 Abs 2 Z 1 ZPO für die Zulässigkeit des Revisionsrekurses von 5.000 EUR gilt daher nicht, wenn es sich um eine der in § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten handelt (4 Ob 86/12v).

Der von der Klägerin zur Sicherung geltend gemachte gesetzliche Unterhaltsanspruch nach § 94 ABGB ist eine Streitigkeit über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt gemäß § 49 Abs 2 Z 2 JN und entgegen ihrer Meinung nicht unter § 49 Abs 2 Z 2b JN zu subsumieren.

4. Ein außerordentlicher Revisionsrekurs ist im vorliegenden Fall nicht zulässig (§ 528 Abs 3 ZPO), sondern es ist nach § 528 Abs 2a iVm § 508 ZPO im Wege eines mit einem ordentlichen Revisionsrekurs verbundenen Abänderungsantrags beim Rekursgericht Abhilfe zu suchen (1 Ob 223/15y ua).

Aus diesem Grund war das Rechtsmittel der Klägerin ungeachtet der Bezeichnung als „außerordentlicher“ Revisionsrekurs jedenfalls nicht dem Obersten Gerichtshof vorzulegen. Ob der Rechtsmittelschriftsatz der Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (vgl RS0109501).

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei F*, vertreten durch Mag. Anton Becker, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte und gefährdende Partei S*, vertreten durch Mag. Andreas Ladstätter, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Unterhalt, hier Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den Revisionrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 6/19v-90, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 1 C 3/16a-83, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Streitteile waren seit 2004 verheiratet. Der Ehe entstammen zwei (in den Jahren 2004 und 2010 geborene) Kinder. Im Sommer 2013 verließ die Klägerin, weil sie sich weder in Österreich noch in der Beziehung mit dem Beklagten wohlfühlte, mit den beiden gemeinsamen Kindern Österreich, vorgeblich um einen Urlaub in Indien anzutreten. Tatsächlich wollte sie aber mit den Kindern gar nicht mehr nach Österreich zurückkehren. Darüber informierte sie den Beklagten erst Wochen später per E-Mail. Seit damals traf sie sämtliche Entscheidungen die Kinder betreffend ohne Rücksprache mit dem Beklagten. Nachdem die Klägerin dem Beklagten im Frühjahr 2014 mitgeteilt hatte, endgültig nicht mehr nach Österreich zurückzukehren, sondern die Scheidung zu wünschen, unterband sie zudem jeglichen (auch nur telefonischen) Kontakt des Beklagten zu den gemeinsamen Kindern. Sie weigerte sich auch, den Kindern, insbesondere dem jüngeren Kind, vom Beklagten geschickte Briefe vorzulesen. Seit dem Frühjahr 2017 erteilte die Klägerin dem Beklagten darüber hinaus keinerlei Informationen über die Kinder.

Die Klägerin beantragte im Rahmen des anhängigen Ehegattenunterhaltsverfahrens, den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von monatlich 750 EUR ab zu verpflichten.

Mit einstweiliger Verfügung vom verpflichtete das Erstgericht den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von insgesamt 2.647,70 EUR für den Zeitraum vom bis (zur rechtskräftigen Beendigung der Ehe am) und wies den darüber hinausgehenden Sicherungsantrag ab. Der antragsabweisende Teil des Beschlusses erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Von der vom Beklagten eingewandten Unterhaltsverwirkung könne im Hinblick auf die Scheidung der Ehe aus beiderseitigem Verschulden nicht ausgegangen werden.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung über Rekurs des Beklagten gegen den antragsstattgebenden Teil dahin ab, dass es den gesamten Sicherungsantrag abwies. Dabei ging das Rekursgericht von einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin aus. Zwar sei dem hier Beklagten im Scheidungsverfahren als Eheverfehlung angelastet worden, die Integration der Klägerin in Österreich nicht unterstützt und nicht ausreichend für die Distanz von seiner Familie, insbesondere von seiner Mutter, gesorgt zu haben. Dies rechtfertige die von der Klägerin geradezu hinterlistig begangene Eheverfehlung, unter Vorspiegelung eines Urlaubs ohne Rückkehrabsicht mit den Kindern nach Indien zu reisen, jedoch nicht. Dazu komme, dass die Klägerin dem Beklagten seit 2014 im Wesentlichen Kontakte zu den gemeinsamen Kindern verwehre.

Über Zulassungsvorstellung der Klägerin ließ das Rekursgericht mit Beschluss vom den ordentlichen Revisionsrekurs (doch) zu, weil „zur Triftigkeit der hier angenommenen Gründe für eine Gemeinschaftstrennung“ keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Mit ihrem Revisionsrekurs strebt die Klägerin eine Wiederherstellung der einstweiligen Verfügung des Erstgerichts an.

Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen oder abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage ab. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 528a iVm 510 Abs 3 ZPO):

1.1 Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB steht dem bisher haushaltsführenden Ehegatten nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts ein Unterhaltsanspruch dann nicht mehr zu, wenn dessen Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB ist zu bejahen, wenn die Geltendmachung und Gewährung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten als grob unbillig erschiene (RIS-Justiz RS0009766). Ein Zuspruch von Unterhalt soll verhindert werden, wenn der Berechtigte eklatant gegen eheliche Gebote verstößt, und ein solcher Verstoß nach dem objektiven Gerechtigkeitsempfinden aller vernünftig denkenden Menschen mit dem Zuspruch von Unterhalt unvereinbar ist (RS0117457). Nur besonders krasse Fälle rechtfertigen also die Annahme einer Unterhaltsverwirkung des betreffenden Ehegatten (RS0009759). Dazu zählt aber etwa auch die konsequente und nachhaltige Unterbindung des Kontakts des Unterhaltspflichtigen zu seinen leiblichen Kindern (RS0078152; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht, § 94 ABGB Rz 325).

1.2 Ob das konkrete Verhalten eines Ehegatten als Rechtsmissbrauch im Sinn des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB zu qualifizieren ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (RS0009759 [T13]; 4 Ob 172/18z).

2.1 Die Klägerin verweist in ihrem Rechtsmittel lediglich darauf, dass ihr im Scheidungsverfahren im Hinblick auf die vorangegangenen Eheverfehlungen des Beklagten nicht als überwiegendes Verschulden angelastet worden sei, ihn ohne dessen Einverständnis unter Mitnahme der gemeinsamen Kinder nach Indien verlassen zu haben.

2.2 Es trifft zu, dass der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehegatten bei der Beurteilung der Frage des Gewichts der dem Unterhaltsberechtigten zur Last gelegten Eheverfehlungen nicht vernachlässigt werden darf (RS0009759 [T12]; RS0009766 [T2]). Daraus wurde der Schluss gezogen, dass von einer groben Unbilligkeit bei einem beiderseitigen Verschulden nicht gesprochen werden kann (RS0009759 [T32]; zuletzt etwa 7 Ob 181/17v). Zur Frage der Gemeinschaftstrennung aus beiderseitigem Verschulden liegt damit – entgegen der Meinung der Klägerin – durchaus höchstgerichtliche Judikatur vor.

2.3 Allerdings übergeht die Rechtsmittelwerberin, dass das Rekursgericht ihr hier insbesondere auch zum Vorwurf gemacht hat, seit dem Frühjahr 2014 den Kontakt des Beklagten zu seinen Kindern zu unterbinden, sodass es ihm nicht einmal möglich ist, mit ihnen zu telefonieren oder zu skypen. Nach dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt traf die Klägerin seither sämtliche Entscheidungen die Kinder betreffend alleine und erteilte dem Beklagten zuletzt auch keine Informationen über die Kinder.

Gegen diese ihr vom Rekursgericht angelastete, für sich allein bereits einen Rechtsmissbrauch begründende Verfehlung wendet sich die Klägerin in ihrem Revisionsrekurs nicht (RS0043338). Es gelingt ihr daher mit ihren Ausführungen insgesamt nicht, Bedenken an der Beurteilung des Rekursgerichts zu wecken und eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Allerdings ist lediglich ein Schriftsatz mit einer Rechtsmittelbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Dieser ist richtigerweise auf einer Bemessungsgrundlage von 2.647,70 EUR (§ 9 Abs 1 letzter Satz und Abs 3 RATG) zu honorieren.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00059.19P.0524.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAE-04506