OGH vom 29.08.2019, 8Ob59/19p

OGH vom 29.08.2019, 8Ob59/19p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei F*****, vertreten durch Mag. Anton Becker, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte und gefährdende Partei S*****, vertreten durch Mag. Andreas Ladstätter, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Unterhalt, hier Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den Revisionrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 6/19v-90, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 1 C 3/16a-83, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Streitteile waren seit 2004 verheiratet. Der Ehe entstammen zwei (in den Jahren 2004 und 2010 geborene) Kinder. Im Sommer 2013 verließ die Klägerin, weil sie sich weder in Österreich noch in der Beziehung mit dem Beklagten wohlfühlte, mit den beiden gemeinsamen Kindern Österreich, vorgeblich um einen Urlaub in Indien anzutreten. Tatsächlich wollte sie aber mit den Kindern gar nicht mehr nach Österreich zurückkehren. Darüber informierte sie den Beklagten erst Wochen später per EMail. Seit damals traf sie sämtliche Entscheidungen die Kinder betreffend ohne Rücksprache mit dem Beklagten. Nachdem die Klägerin dem Beklagten im Frühjahr 2014 mitgeteilt hatte, endgültig nicht mehr nach Österreich zurückzukehren, sondern die Scheidung zu wünschen, unterband sie zudem jeglichen (auch nur telefonischen) Kontakt des Beklagten zu den gemeinsamen Kindern. Sie weigerte sich auch, den Kindern, insbesondere dem jüngeren Kind, vom Beklagten geschickte Briefe vorzulesen. Seit dem Frühjahr 2017 erteilte die Klägerin dem Beklagten darüber hinaus keinerlei Informationen über die Kinder.

Die beantragte im Rahmen des anhängigen Ehegattenunterhaltsverfahrens, den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von monatlich 750 EUR ab zu verpflichten.

Mit einstweiliger Verfügung vom verpflichtete das den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von insgesamt 2.647,70 EUR für den Zeitraum vom bis (zur rechtskräftigen Beendigung der Ehe am) und wies den darüber hinausgehenden Sicherungsantrag ab. Der antragsabweisende Teil des Beschlusses erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Von der vom Beklagten eingewandten Unterhaltsverwirkung könne im Hinblick auf die Scheidung der Ehe aus beiderseitigem Verschulden nicht ausgegangen werden.

Das änderte diese Entscheidung über Rekurs des Beklagten gegen den antragsstattgebenden Teil dahin ab, dass es den gesamten Sicherungsantrag abwies. Dabei ging das Rekursgericht von einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin aus. Zwar sei dem hier Beklagten im Scheidungsverfahren als Eheverfehlung angelastet worden, die Integration der Klägerin in Österreich nicht unterstützt und nicht ausreichend für die Distanz von seiner Familie, insbesondere von seiner Mutter, gesorgt zu haben. Dies rechtfertige die von der Klägerin geradezu hinterlistig begangene Eheverfehlung, unter Vorspiegelung eines Urlaubs ohne Rückkehrabsicht mit den Kindern nach Indien zu reisen, jedoch nicht. Dazu komme, dass die Klägerin dem Beklagten seit 2014 im Wesentlichen Kontakte zu den gemeinsamen Kindern verwehre.

Über Zulassungsvorstellung der Klägerin ließ das Rekursgericht mit Beschluss vom den ordentlichen Revisionsrekurs (doch) zu, weil „zur Triftigkeit der hier angenommenen Gründe für eine Gemeinschaftstrennung“ keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Mit ihrem strebt die Klägerin eine Wiederherstellung der einstweiligen Verfügung des Erstgerichts an.

Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen oder abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage ab. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 528a iVm 510 Abs 3 ZPO):

1.1 Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB steht dem bisher haushaltsführenden Ehegatten nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts ein Unterhaltsanspruch dann nicht mehr zu, wenn dessen Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB ist zu bejahen, wenn die Geltendmachung und Gewährung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten als grob unbillig erschiene (RISJustiz RS0009766). Ein Zuspruch von Unterhalt soll verhindert werden, wenn der Berechtigte eklatant gegen eheliche Gebote verstößt, und ein solcher Verstoß nach dem objektiven Gerechtigkeitsempfinden aller vernünftig denkenden Menschen mit dem Zuspruch von Unterhalt unvereinbar ist (RS0117457). Nur besonders krasse Fälle rechtfertigen also die Annahme einer Unterhaltsverwirkung des betreffenden Ehegatten (RS0009759). Dazu zählt aber etwa auch die konsequente und nachhaltige Unterbindung des Kontakts des Unterhaltspflichtigen zu seinen leiblichen Kindern (RS0078152; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht, § 94 ABGB Rz 325).

1.2 Ob das konkrete Verhalten eines Ehegatten als Rechtsmissbrauch im Sinn des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB zu qualifizieren ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (RS0009759 [T13]; 4 Ob 172/18z).

2.1 Die Klägerin verweist in ihrem Rechtsmittel lediglich darauf, dass ihr im Scheidungsverfahren im Hinblick auf die vorangegangenen Eheverfehlungen des Beklagten nicht als überwiegendes Verschulden angelastet worden sei, ihn ohne dessen Einverständnis unter Mitnahme der gemeinsamen Kinder nach Indien verlassen zu haben.

2.2 Es trifft zu, dass der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehegatten bei der Beurteilung der Frage des Gewichts der dem Unterhaltsberechtigten zur Last gelegten Eheverfehlungen nicht vernachlässigt werden darf (RS0009759 [T12]; RS0009766 [T2]). Daraus wurde der Schluss gezogen, dass von einer groben Unbilligkeit bei einem beiderseitigen Verschulden nicht gesprochen werden kann (RS0009759 [T32]; zuletzt etwa 7 Ob 181/17v). Zur Frage der Gemeinschaftstrennung aus beiderseitigem Verschulden liegt damit – entgegen der Meinung der Klägerin – durchaus höchstgerichtliche Judikatur vor.

2.3 Allerdings übergeht die Rechtsmittelwerberin, dass das Rekursgericht ihr hier insbesondere auch zum Vorwurf gemacht hat, seit dem Frühjahr 2014 den Kontakt des Beklagten zu seinen Kindern zu unterbinden, sodass es ihm nicht einmal möglich ist, mit ihnen zu telefonieren oder zu skypen. Nach dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt traf die Klägerin seither sämtliche Entscheidungen die Kinder betreffend alleine und erteilte dem Beklagten zuletzt auch keine Informationen über die Kinder.

Gegen diese ihr vom Rekursgericht angelastete, für sich allein bereits einen Rechtsmissbrauch begründende Verfehlung wendet sich die Klägerin in ihrem Revisionsrekurs nicht (RS0043338). Es gelingt ihr daher mit ihren Ausführungen insgesamt nicht, Bedenken an der Beurteilung des Rekursgerichts zu wecken und eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm § 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Allerdings ist lediglich ein Schriftsatz mit einer Rechtsmittelbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Dieser ist richtigerweise auf einer Bemessungsgrundlage von 2.647,70 EUR (§ 9 Abs 1 letzter Satz und Abs 3 RATG) zu honorieren.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00059.19P.0829.000

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