OGH vom 18.06.2020, 24Ds1/20m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Bartl und Dr. Kreissl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Walter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom , AZ D 6/18, 7/18, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Kammeranwalts Dr. Lindner sowie des Verteidigers MMag. Dr. Greiml zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Berufung wegen Schuld wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
***** wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe dadurch gegen § 9 Abs 1 und 2 RAO und § 6 RL-BA 2015 verstoßen, dass er im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts K***** bei der Verhandlung am auf Seiten der L***** AG gegen seine frühere Mandantin Helga G***** als Nebenintervenient beitrat und im Schriftsatz vom ein Sachvorbringen erstattete, ohne zuvor durch Letztere von der Verschwiegenheitspflicht entbunden worden zu sein, wodurch er gegen diese Pflicht verstoßen und einen „Frontwechsel“ begangen habe, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.
Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen – auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch von einem weiteren Vorwurf enthaltenden – Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße von 6.000 Euro verurteilt.
Danach hat er dadurch, dass er im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts K***** bei der Verhandlung am auf Seiten der L***** AG gegen seine frühere Mandantin Helga G***** als Nebenintervenient beitrat und im Schriftsatz vom ein Sachvorbringen erstattete, ohne zuvor durch Letztere von der Verschwiegenheitspflicht entbunden worden zu sein, gegen diese Pflicht verstoßen und einen „Frontwechsel“ begangen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe; sie ist im Recht.
Der Disziplinarrat der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer stellte im Wesentlichen fest, dass der Beschuldigte zunächst Helga G***** rechtsfreundlich zur Geltendmachung einer Forderung gegen die L***** AG vertrat, wobei er in ihrem Auftrag einen außergerichtlichen Vergleich mit dem Unternehmen abschloss. Ungeachtet dessen klagte G***** durch einen neu gewählten Rechtsvertreter in der Folge diese Forderung beim Landesgericht K***** ein, worauf die beklagte L***** AG dem Beschuldigten den Streit verkündete. Hierauf setzte dieser die im Spruch angeführten Prozesshandlungen, ohne durch seine ehemalige Mandantin von der Verschwiegenheitspflicht entbunden worden zu sein (ES 13 ff).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) reklamiert zutreffend, dass eine Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt ein Handeln des Rechtsanwalts in Ausübung seines Berufs, nicht aber in eigener Sache zur Voraussetzung hat (RIS-Justiz RS0054900, RS0054936, RS0054951, RS0114273 [T1, T 2]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 1 DSt Rz 9). Den gegenständlichen Feststellungen zufolge handelte der Beschuldigte aber gerade nicht im Auftrag (irgend) eines Mandanten, demnach nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter, sondern – außerhalb eines Mandats – in eigener Sache.
Ebenfalls zu Recht wendet sich die Rechtsrüge gegen die rechtliche Einstufung des in Rede stehenden Verhaltens als Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt.
Nach gefestigter Rechtsprechung besteht eine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht insoweit nicht, als der Rechtsanwalt ihm Anvertrautes vorbringen muss, um seine eigenen Honorarforderungen gegen den Mandanten durchzusetzen oder einen behaupteten Schadenersatzanspruch abzuwehren. Diese Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht „in eigener Sache“ beschränkt sich nicht bloß auf Auseinandersetzungen, an denen (nur) der Rechtsanwalt und sein ehemaliger Mandant beteiligt sind, sondern gilt auch für Konstellationen, in denen die an sich zur Verschwiegenheit verpflichtete Person dem Prozess als Nebenintervenientin beitritt, dies ohne Unterschied, ob der (aktuelle oder ehemalige) Prozessgegner des ehemaligen Mandanten vom Rechtsanwalt als Streithelfer oder als Widerpart von den Interna des Mandatsverhältnisses Kenntnis erlangt (s zum Ganzen 4 Ob 138/16x mwN; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 9 Rz 47).
Im Blick zu behalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass ein Beklagter, dem im Vorprozess der Streit verkündet wurde, bei Unterlassung der Nebenintervention in einem allfälligen Folgeregressprozess den Bestand eines zwischen dem Kläger und dem Dritten festgestellten Rechts nicht mehr bestreiten kann (RIS-Justiz RS0107338, RS0018558).
Daraus folgt, dass das festgestellte Verhalten des Beschuldigten, nämlich der Beitritt als Nebenintervenient auf Seiten der L***** AG und die Erstattung eines das Mandatsverhältnis betreffenden Sachvorbringens (somit eines der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienlichen Vorbringens) ohne Entbindung durch die ehemalige Mandantin zur Abwehr einer möglichen Regressforderung zulässig war.
Dem vom Kammeranwalt in der Gegenäußerung vertretenen Rechtsstandpunkt, eine Regresspflicht des Beschuldigten sei mangels Vertragsverhältnisses zur L***** AG nicht ersichtlich, steht die Möglichkeit deliktischer Haftung nach § 874 oder 1301 ABGB (vgl RIS-Justiz RS0016298, RS0022817, RS0014809) entgegen.
Wenngleich das Gebot der anwaltlichen Verschwiegenheit (§ 9 Abs 2 RAO) zu den grundlegenden Pflichten des Anwaltsberufs zählt und Ausnahmen von diesem restriktiv auszulegen sind (RIS-Justiz RS0055168; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 9 Rz 24 ff, 46 ff, § 1 DSt Rz 81), prävaliert vorliegend das (Grund-)Recht des Rechtsanwalts auf Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen.
Eine Strafbarkeit des Beschuldigten nach § 1 Abs 1 erster oder zweiter Fall DSt scheidet daher aus.
In Stattgebung der Berufung wegen Schuld war daher der Schuldspruch aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen.
Mit seiner Berufung wegen Strafe war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0240DS00001.20M.0618.000 |
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