OGH vom 03.09.2019, 11Os68/19p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als Vorsitzende sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Schriftführerin FI Mock in der Strafsache gegen Silvia M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom , GZ 52 Hv 88/18f-120, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden und einen unbekämpft gebliebenen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Silvia M***** des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB (1), des Vergehens der Störung der Totenruhe nach § 190 Abs 1 StGB (2), des Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB (3), des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach § 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und (dritter – gemeint) vierter Fall, Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB (4), der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (5), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (6) sowie des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 erster Fall StGB (7) schuldig erkannt.
Danach hat sie – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant –
(1) zu einem unbekannten Zeitpunkt Anfang Juni 2017 in M***** Heinrich P***** an der Gesundheit geschädigt, indem sie ihm vier bis sechs Tabletten des rezeptpflichtigen Schlafmittels H***** mit dem Wirkstoff T***** ohne sein Wissen verabreichte oder übergab und ihn zu deren Einnahme aufforderte, und dadurch fahrlässig den Tod des Heinrich P***** herbeigeführt;
(4) mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schwerem Betrug längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, Verfügungsberechtigte nachangeführter Unternehmen durch Vortäuschung, ein zahlungsfähiger und -williger Kunde zu sein, zu nachangeführten Warenlieferungen verleitet bzw zu verleiten versucht, welche die angeführten Unternehmen in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, und zwar
a) am in E***** Verfügungsberechtigte der dortigen X***** Filiale unter Verwendung einer falschen Urkunde, indem sie einen Kaufvertrag mit dem Namen ihres damaligen Lebensgefährten Kurt J***** unterfertigte und so ohne dessen Einverständnis Waren im Wert von 3.787 Euro bestellte, wobei die Tat beim Versuch geblieben ist;
c) zwischen und in sechs Angriffen in E***** und V***** Verfügungsberechtigte der dortigen X***** Filialen unter Verwendung falscher Urkunden, indem sie Kaufverträge mit dem Namen Silvia R***** unterfertigte und so Waren im Wert von insgesamt 24.372,20 Euro bestellte, wobei die Taten beim Versuch geblieben sind.
Nach einstimmiger Verneinung der Hauptfrage I nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB bejahten die Geschworenen die Eventualfrage I nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB einstimmig, sodass die Eventualfrage II nach dem Vergehen der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB unbeantwortet blieb.
Abgesehen von der dem Freispruch zu Grunde liegenden Verneinung der Hauptfrage IV/b bejahten die Geschworenen die den weiteren Schuldsprüchen entsprechenden Hauptfragen II, III, IV/a und c bis g, V, VI und VII jeweils einstimmig. Weitere Fragen wurden nicht gestellt.
Gegen die Schuldsprüche 1 sowie 4/a und c richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6, 10a und 12 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
Die Verfahrensrüge (Z 5) scheitert schon deshalb, weil zu deren prozessförmiger Ausführung die Angabe der (jeweiligen) Fundstellen der (als argumentative Basis der Nichtigkeitsbeschwerde dienenden) Antragstellung erforderlich gewesen wäre (RIS-Justiz RS0124172). Zudem sind in der Beschwerde nachgetragene Gründe als Versuch einer Antragsfundierung angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117).
Im Übrigen wurden durch die Abweisung der in der Hauptverhandlung am gestellten „Beweisanträge auf Einholung weiterer bzw. neuer Sachverständigengutachten“ Verteidigungsrechte ebenso wenig beeinträchtigt wie durch die bloß unsubstantiiert kritisierte „Zurückweisung des Aktenvermerks zum Telefonat mit der Vergiftungsinformationszentrale und die Internetrecherchen, welche Urkunden auch zur Untermauerung der Anträge auf Einholung der weiteren Gutachten vorgelegt wurden“.
Gemäß § 127 Abs 3 erster Satz StPO ist ein weiterer Sachverständiger (außer dem hier nicht in Rede stehenden Fall erheblichen Abweichens der Angaben zweier Sachverständiger voneinander) zur Verhandlung nur dann beizuziehen, wenn der Befund unbestimmt oder das Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft ist und sich die Bedenken nicht durch Befragung des bestellten Sachverständigen beseitigen lassen. Ein auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen gerichteter Antrag erfordert demnach einerseits das Aufzeigen eines Gutachtensmangels und andererseits ein erfolglos gebliebenes Verbesserungsverfahren (RIS-Justiz RS0120023 [T1], RS0117263; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 30). Ist ein solches – weil das Gericht wie vorliegend die Voraussetzungen des § 127 Abs 3 erster Satz StPO als nicht gegeben erachtet hat (ON 119 S 11) – nicht durchgeführt worden, ist diesem Erfordernis zunächst durch geeignete Antragstellung zu entsprechen (vgl 11 Os 90/05b).
Indem die auf Recherchen im Internet, vom Verteidiger eingeholte „fachkundige Information“ eines Arztes und Angaben einer Vergiftungsinformationszentrale gestützte Antragstellung auf Einholung eines weiteren gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens allein darauf abzielte, es jedoch unterließ, die unterbliebene Durchführung eines Verbesserungsverfahrens einzufordern (ON 119 S 7), entsprach sie diesen Grundsätzen nicht.
Der ergänzende Antrag auf Einholung eines histologischen Befunds (ON 119 S 7 f) zeigte nicht auf, weshalb sich daraus – trotz der zum Antragszeitpunkt bereits vorliegenden begründeten Darlegung des gerichtsmedizinischen Sachverständigen, dass auf eine solche aufgrund der hochgradigen Fäulnisveränderung verzichtet worden sei (ON 55 S 3 und 29, ON 114 S 61, ON 94 S 38) – eine andere Todesursache als eine toxische Einwirkung ergeben sollte, und war daher als Verlangen nach Erkundungsbeweisführung abzuweisen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330; RIS-Justiz RS0107040, RS0107445 [T1]).
Ebenso wenig entsprach der auf Einholung eines weiteren pharmakologischen Gutachtens „bzw dessen Ergänzung“ gestellte Antrag zum Beweis dafür, dass als toxische Grenzmenge für den Wirkstoff T***** allgemein 40 ng/ml gelte, welche hier jedenfalls weit unterschritten sei, den Voraussetzungen des § 127 Abs 3 erster Satz StPO. Die Begründung, der Sachverständige habe diesen Grenzwert in seinem Gutachten angeführt, ihn jedoch in weiterer Folge außer Acht gelassen (ON 119 S 8 und 10), ignoriert dessen weitere Ausführungen, wonach es abweichend von dieser – von einem toxischen Bereich ab 40 ng/ml ausgehenden – Literaturmeinung Veröffentlichungen zu vier Todesfällen bei einer T*****blutkonzentration von 10 bis 40 ng/ml und zu neun Todesfällen bei einer T*****blutkonzentration von 10 bis 53 ng/ml gebe (ON 69 S 8 f, ON 94 S 29, ON 114 S 56) und wonach die Wirkung von T***** bei gleichzeitigem Alkoholkonsum und mangelnder Gewöhnung an den Wirkstoff verstärkt werde, wodurch die Kausalität der fallaktuellen Verabreichung der Tabletten zum Todeseintritt gegeben sein könne (ON 114 S 54 ff, ON 94 S 27 ff, ON 69 S 2 f). Solcherart wurde kein Mangel an Befund und Gutachten im Sinn des § 127 Abs 3 StPO aufgezeigt, sondern eine Überprüfung der Beurteilung der Expertise in der nicht indizierten Erwartung eines für die Angeklagte günstigen Ergebnisses begehrt, womit auch dieser Antrag auf Erkundungsbeweisführung gerichtet war (RISJustiz RS0117263 [T17]).
Die beantragte Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich „Atmung, Schlafdauer, Schlafphasen und Abläufe körperlicher Atmung“ zum Nachweis, dass die von der Angeklagten geschilderte Atmung auch ohne medizinische Ursache „auch durchaus in bis zu 30 % der Schlafdauer auftreten“ könne und daraus auf keinen bedrohlichen Gesundheitszustand zu schließen gewesen sei (ON 119 S 10), zielte – im Hinblick auf die Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen, wonach das beschriebene Atemgeräusch des Opfers „speziell bei Personen auftritt, die eine starke Gehirndämpfung aus irgendwelchen Gründen erleiden“, und wonach er sich „aus medizinischer Sicht nicht vorstellen [könne], dass jemand Gesundes zu Lebzeiten eine Cheyne-Stokes-Atmung hat, weil diese Cheyne-Stokes-Atmung typisch [sei] für zentrale Vorgänge, wenn es einem sehr, sehr schlecht geht“ (ON 114 S 62 f) – im Ergebnis ebenfalls auf die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen zu einem schon begutachteten Thema. Auch in diesem Zusammenhang wurde es unterlassen, einen Mangel des bereits vorliegenden Gutachtens aufzuzeigen und die Durchführung eines entsprechenden Verbesserungsverfahrens einzufordern.
Die Fragenrüge (Z 6) verfehlt schon mangels Nennung jener strafbaren Handlung, nach der eventualiter hätte gefragt werden sollen, die prozessförmige Darstellung (RIS-Justiz RS0119418, RS0100815 [T1]).
Im Übrigen übersieht die Kritik am Unterbleiben einer Eventualfrage danach, ob Silvia M***** schuldig sei, „dass sie zu einem unbekannten Zeitpunkt Anfang Juni 2017 in M***** Heinrich P***** fahrlässig an der Gesundheit geschädigt hat, indem sie ihm vier bis sechs Tabletten des rezeptpflichtigen H***** mit dem Wirkstoff T***** ohne sein Wissen verabreichte oder übergab und ihn zu deren Einnahme aufforderte, und dadurch grob fahrlässig verletzt den Tod des Heinrich P***** herbeigeführt hat“, dass die Eventualfrage II ohnedies auf grob fahrlässige Herbeiführung des Todes gerichtet war. Zudem unterlässt die Rüge mit dem (erneut ohne Angabe von Fundstellen erfolgten – RIS-Justiz RS0119417 [T2, T 3]) Hinweis auf die (auch) fahrlässige Begehung leugnende Verantwortung der Angeklagten die erforderliche Substantiierung, durch welche in der Hauptverhandlung konkret vorgebrachten Tatsachen eine weitere Fragestellung indiziert gewesen sein soll (RIS-Justiz RS0119417 [T1]; Ratz, WK-StPO §
345 Rz 43).
Die gegen den Schuldspruch 1 gerichtete Tatsachenrüge (Z 10a) argumentiert, dass einzelne Verfahrensergebnisse lediglich eine „minimale Anzahl an [aus der Verwendung des verfahrensgegenständlichen Schlafmittels H***** resultierenden] Todesfällen“ ergeben hätten, „tödliche Folgen bei der in Betracht kommenden Wirkstoffkonzentration selten“ seien und der gerichtsmedizinische Sachverständige eine andere Todesursache nicht habe ausschließen können. Weiters moniert sie unter Bezugnahme auf den Zweifelsgrundsatz, dass die Zurechnung der Todesfolge durch die Geschworenen und deren Annahme, wonach bei der Verabreichung des Schlafmittels eine „allenfalls mögliche, jedoch sehr unwahrscheinliche Folge“ eingetreten sei, „außerhalb der Bandbreite der den Geschworenen obliegenden Beweiswürdigungsaufgabe und Entscheidungsbefugnis“ liege, und stellt dem Wahrspruch schließlich die Möglichkeit entgegen, das Opfer habe zufolge der Schlaftabletten tief geschlafen, „ohne dadurch einen Zustand einer Gesundheitsschädigung oder Verletzung erlitten zu haben“.
Solcherart führt die Rüge keine aktenkundigen Beweisergebnisse an, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufkommen lassen. Sie kritisiert vielmehr die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld (RIS-Justiz RS0119583) und verfehlt damit den Anfechtungsrahmen (vgl RIS-Justiz RS0118780).
Gleiches gilt für das auf die Schuldsprüche 4/a und c bezogene Vorbringen der Tatsachenrüge und für dessen (teils) wortgleiche Wiederholung im Rahmen der – insoweit nicht am Wahrspruch der Geschworenen (als Bezugspunkt materieller Nichtigkeit – vgl RIS-Justiz RS0101476) orientierten – Subsumtionsrüge (Z 12), die Annahme einer (versuchten) Bereicherung sei nicht nachvollziehbar, es gebe im Akt keinen Anhaltspunkt für den Versuch der Angeklagten, ohne Bezahlung an die Waren zu gelangen, zudem sei die Ware vollständig zu bezahlen, bevor sie ausgeliefert werde, weshalb es keinen Ansatz für die Möglichkeit einer Bereicherung gäbe und somit ein wesentliches Tatbestandselement fehle.
Soweit die Beschwerde (nominell Z 12) „hilfsweise“ Untauglichkeit des Versuchs geltend macht, fehlt es an der gesetzmäßigen Geltendmachung im Rahmen einer Fragenrüge (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 30, 43 und 45).
Dass die „Sachverhalte“ (trotz festgestelltem Bereicherungsvorsatz und [versuchtem] Vermögensschaden – vgl Soyer/Schumann in WK² § 108 Rz 12) wenn „überhaupt“ den Tatbestand „der Täuschung, nicht jedoch eines qualifizierten Betruges“ erfüllen würden, legt die Rüge nicht methodengerecht dar (RIS-Justiz RS0116565).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00068.19P.0903.000 |
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