OGH vom 31.01.1995, 10ObS35/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Theodor Kubak aus dem Kreis der Arbeitgeber in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Otto N*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Höhe der Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 32 Rs 200/91-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 15 Cgs 319/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil und der das Mehrbegehren abweisende Teil des erstgerichtlichen Urteils werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird in diesem Umfang zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger bezieht von der Beklagten eine Alterspension, deren monatliche Höhe vom an 7.802,20 S betrug.
Mit Bescheid vom stellte die Beklagte die Höhe der dazu gebührenden Ausgleichszulage vom an mit monatlich 419,10 S fest. Dabei legte sie ein monatliches Nettoeinkommen aus einem forstwirtschaftlichen Betrieb von 378,70 S zugrunde.
Mit der rechtzeitigen Klage begehrt der Kläger die Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß "ohne Hinzurechnung von Einkünften aus der Forstwirtschaft", weil er und seine Ehegattin die Bewirtschaftung des forstwirtschaftlichen Betriebes alters- und leidensbedingt aufgegeben hätten und sich wegen der geringen Größe kein Pächter oder Käufer finde. Deshalb seien die Voraussetzungen des § 149 Abs 8 GSVG gegeben.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage, weil nach dem Forstgesetz eine Bewirtschaftungspflicht dahin bestehe, daß der Wald jedenfalls gepflegt und erhalten werde müsse, womit auch ein Betrieb verbunden sei.
Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei, dem Kläger vom an eine Ausgleichszulage von 419,10 S monatlich zu zahlen und wies das auf eine Ausgleichszulage ohne Hinzurechnung von Einkünften aus der Forstwirtschaft gerichtete Klage(Mehr)Begehren ab.
Nach den erstgerichtlichen Feststellungen bezieht der Kläger (seit ) eine Pension von 7.802,20 S monatlich. Er ist Hälfteeigentümer eines 5,3213 ha großen land(forst)wirtschaftlichen Betriebes, von dem 0,3518 ha landwirtschaftlich und 4,9695 ha forstwirtschaftlich genutzte Flächen sind. Für diesen Betrieb wurde zum gemäß § 20 Abs 1 Z 1 BewG ein Einheitswert von 7.000 S festgestellt, allein für die fostwirtschaftlich genutzte Fläche ein solcher von 5.963 S. Die Forstwirtschaft wird seit zwei oder drei Jahren nicht mehr betrieben, weil der Kläger und seine Ehegattin sich dazu gesundheitlich und altersmäßig nicht mehr in der Lage erachten. Ein Fremder führt die Erhaltungsarbeiten durch, wofür ihm der Kläger und seine Gattin "Gebühren" zahlen müssen, deren genauer Betrag nicht festgestellt werden konnte, der sich aber "bei einigen tausend Schilling im Jahr" bewegt. Erzielt wird nur Holz, das der Kläger und seine Ehegattin selbst verbrauchen.
Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes komme es, wenn ein Einheitswert für land- und forstwirtschaftliches Vermögen festgestellt sei, für die Pauschalanrechnung nicht mehr darauf an, ob der Pensionsberechtigte zuletzt tatsächlich einen Ertrag erzielen konnte oder erziehlen hätte können. Die Pauschalanrechnung sei daher ungeachtet dessen vorzunehmen, daß der Kläger und seine Ehegattin aus der Forstwirtschaft keine Einkünfte mehr erzielen. Bereits die Pflege und Erhaltung des Waldes, wozu die Eigentümer nach § 12 ForstG verpflichtet seien, stelle einen Betrieb dar.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers, die sich nur gegen den das Mehrbegehren abweisenden Teil richten kann, nicht Folge, weil es die rechtliche Beurteilung des erstgerichtlichen Urteils für richtig erachtete (§ 500a ZPO).
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben.
Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig.
Einer sachlichen Erledigung dieses Rechtsmittels stand jedoch vorerst entgegen, daß der Oberste Gerichtshof gegen die anzuwendenden Bestimmungen des § 149 Abs 7 und 8 GSVG, die insoweit in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, verfassungsrechtliche Bedenken hatte. Deshalb stellte er mit Beschluß vom , 10 Ob S 65/92 beim Verfassungsgerichtshof nach Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag, § 149 Abs 7 GSVG idF der 16. und 17. GSVGNov und Abs 8 leg cit idF der 16. GSVGNov nach Art 140 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben. Der Verfassungsgerichtshof wies diesen Antrag mit Erkenntnis vom GZ 60/92 ua ab, weil er die geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilte. Das Revisionsgericht hat nunmehr die genannten Bestimmungen anzuwenden.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist iS des Aufhebungsantrages berechtigt.
In diesem Verfahren geht es darum, ob hinsichtlich des Klägers und seiner Ehegattin je zur Hälfte gehörenden forstwirtschaftlichen Betriebes die Voraussetzungen nach § 149 Abs 8 GSVG vorliegen. Das wäre dann zu bejahen, wenn die beiden Eigentümer die Bewirtschaftung ihres Betriebes aufgegeben hätten und die Gewährung von Gegenleistungen (Ausgedingsleistungen) aus diesem Betrieb in Geld oder Güterform (landwirtschaftliche Produkte, unentgeltlich beigestellte Unterkunft) aus Gründen, die der Einflußnahme des Klägers entzogen sind, am Stichtag zur Gänze ausgeschlossen gewesen oder später unmöglich geworden wäre.
Nach den von der Beklagten nicht ausdrücklich zugestandenen und daher nach dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 266 Abs 1 ZPO beweisbedüftigen Behauptungen des Klägers sollen er und seine Ehegattin wegen ihres Alters und wegen verschiedener Leiden nicht mehr in der Lage sein, ihre Forstwirtschaft weiter zu bewirtschaften. Wegen der geringen Größe der forstwirtschaftlich genutzten Flächen fände sich dafür weder ein Pächter noch ein Käufer.
Dazu stellte das Erstgericht einerseits fest, daß die Forstwirtschaft seit zwei oder drei Jahren nicht mehr betrieben werde, weil sich der Kläger und seine Gattin hiezu "gesundheitlich und altersmäßig nicht mehr in der Lage erachten". Ein Fremder führe die Erhaltungsarbeiten durch. Dafür müßten der Kläger und seine Gattin "Gebühren" zahlen; deren genaue Höhe könne nicht festgestellt werden; sie betrüge aber einige tausend Schilling jährlich. Erzielt werde Holz, das der Kläger und seine Frau selbst verbrauchten.
Auf Grund dieser Feststellungen, die teilweise rechtliche Beurteilungen enthalten ("nicht mehr betrieben", "Erhaltungsarbeiten"), läßt sich nicht verläßlich beurteilen, ob der Kläger und seine Ehegattin die Bewirtschaftung des ihnen je zur Hälfte gehörenden forstwirtschaftlichen Betriebes tatsächlich aufgegeben haben. Gegen diese Annahme spricht die Feststellung, daß sie weiterhin die (forstwirtschaftlichen) Erhaltungsarbeiten durch einen dafür von ihnen entlohnten Dritten durchführen lassen und daß sie das durch diese Arbeiten erzielte Holz selbst verbrauchen.
Nach dem durch die 16. BSVGNov BGBl 1991/678 angeführten 2. Satz des § 2 Abs 1 Z 1 BSVG wird vermutet, daß Grundstücke, die als forstwirtschaftliches Vermögen nach dem Bewertungsgesetz 1955 BGBl 148 bewertet sind oder Teil einer als solches bewerteten wirtschaftlichen Einheit sind, in der einem forstwirtschaftlichen Betrieb entsprechenden Weise auf Rechnung und Gefahr der dazu im eigenen Namen Berechtigten bewirtschaftet werden. Die in MGA SV d Bauern 25. ErgLfg 15 FN 8a zu § 2 BSVG zit RV zu dieser Nov 286 BlgNR
18. GP führt dazu ua aus: "Der Verwaltungsgerichtshof gehe in seiner RSp ... zur Frage, aus welchen Umständen auf das Bestehen eines forstwirtschaftlichen Betriebes geschlossen werden kann, davon aus, daß nach § 6 Abs 2 ForstG 1975 BGBl 440 neben der forstwirtschaftlichen Nutzwirkung - das ist insbesondere die wirtschaftlich nachhaltige Hervorbringung des Rohstoffes Holz - auch die Schutz-, die Wohlfahrts- und die Erholungswirkung Wirkungen eines Waldes sein können. Da der Gegenstand eines forstwirtschaftlichen Betriebes iS des BSVG die forstwirtschaftliche Nutzung ist, sei daher zunächst zu prüfen, auf welche Wirkung des Waldes der Waldbesitzer abzielt. Dazu komme, daß es sich bei einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb iS des BSVG um eine 'grundsätzlich dem selbständigen Erwerb dienende, nachhaltig betriebene Betätigung, eine organisierte Erwerbsgelegenheit' handeln muß, wobei es in besonderem Maße auch auf das äußere Erscheinungsbild der mit Hilfe von technischen oder immateriellen Mitteln erfolgenden Arbeitsergebnisse der land(forst)wirtschaftlichen Produktion ankomme. Für die Frage, ob ein forstwirtschaftlicher Betrieb besteht, sei daher entscheidend, ob der Waldbesitzer bereits Handlungen gesetzt hat, die sich als eine forstwirtschaftliche Nutzung seines Waldes darstellen oder zumindest eine Prognoseentscheidung rechtfertigen, daß er aus Erträgnissen seines Waldes künftig wirtschaftlichen Nutzen ziehen werde. Das Beseitigen von Holz, das durch Windwurf, Schneebruch oder auf ähnliche Weise angefallen sei, und Maßnahmen, mit denen nur den forstrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen wird, sind nach der stRsp des VwGH keine Bewirtschaftungshandlungen, die den Schluß auf eine forstwirtschaftliche Nutzung zulassen. Während des Wuchses geht die Bewirtschaftung des Waldes zur Erzielung der forstwirtschaftlichen Nutzwirkung aber selbst oft lange Zeit nicht über derartige Maßnahmen hinaus, so daß sie oft kaum nachweisbar ist. Nachdem Wald nach § 12 lit b ForstG 1975 aber so zu behandeln ist, daß ua auch die forstwirtschaftliche Nutzwirkung des Waldes nachhaltig gesichert bleibt und der ständige Wachstums- bzw Alterungsprozeß des Waldes einen Stillstand ausschließt, ist der Waldbesitzer idR zu einer Bewirtschaftung verpflichtet, die zwangsläufig zu einer forstwirtschaftlichen Nutzbarkeit führt. Der Verzicht auf eine forstwirtschaftliche Nutzung und die Beschränkung auf die anderen Wirkungen des Waldes stellen daher Ausnahmefälle dar. Da Wälder somit idR zum selbständigen Erwerb nachhaltig forstwirtschaftlich - also in der einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb iS des BSVG entsprechenden Weise - genutzt werden, dies aber oft lange Zeit kaum nachweisbar ist, würde die vorgeschlagene gesetzliche Vermutung den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragen."
Diese Überlegungen können auch herangezogen werden, wenn zu beurteilen ist, ob die Bewirtschaftung eines forstwirtschaftlichen Betriebes iS des § 149 Abs 7 und 8 GSVG aufgegeben wurde.
Es werden daher genauere Feststellungen über die Art und den Umfang der insbesondere im Jahr 1991 im forstwirtschaftlichen Betrieb des Klägers und seiner Ehegattin von ihnen selbst oder auf ihre Rechnung von Dritten durchgeführten Arbeiten und deren Ertrag zu treffen sein. Erst dann kann beurteilt werden, ob diese Personen insbesondere für das Jahr 1991 auf eine forstwirtschaftliche Nutzung ihres Waldes verzichtet und damit ihren forstwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben haben.
Wenn sich auf Grund dieser Feststellungen ergeben sollte, daß der Kläger und seine Ehegattin ihren forstwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben hätten, wäre zu prüfen, ob der Einflußnahme des Klägers entzogene Gründe vorliegen, die die Gewährung von Gegenleistungen (Ausgedingsleistungen) aus dem aufgegebenen Betrieb zur Gänze ausschlossen. Dazu wären Feststellungen über die Klagebehauptung erforderlich, daß sich wegen der geringen Größe der forstwirtschaftlich genutzten Fläche für die Forstwirtschaft kein Pächter oder Käufer finde.
Deshalb sind die Urteile der Vorinstanzen im Umfang der Anfechtung aufzuheben; insoweit ist die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverzuweisen.
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.