OGH vom 19.06.2006, 8Ob58/06x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martina S*****, vertreten durch Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, wider die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Martin Stock, Rechtsanwalt in Zell am See, wegen EUR 13.385,80 brutto sA und Feststellung (Streitwert EUR 1.500,--), über die Revisionen der klagenden (Revisionsinteresse EUR 771,-- sA) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 14.114,80 sA), gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 3/06y-26, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 7 Cg 220/04w-22, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung I. zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der beklagten Partei gegen den klagstattgebenden Teil des Berufungsurteiles wird nicht Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird insoweit als Teilurteil bestätigt. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 812,52 (darin enthalten EUR 135,42 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
II. den Beschluss
gefasst:
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Abweisung durch das Berufungsgericht in Höhe von EUR 771,-- sA sowie im Kostenpunkt aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind insoweit weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Am führte der Oberösterreichische Landesschiverband, dem die Klägerin als Nachwuchsläuferin angehörte, einen Trainingslehrgang im Gletscherschigebiet Kitzsteinhorn durch. Die Beklagte ist Betreiber der dortigen Beförderungsanlagen und Schipisten und vereinbarte mit dem Oberösterreichische Schiverband, dass dieser in einem etwa 800 bis 900 m langen Bereich der Piste ein Super-G-Training durchführen durfte. Den Trainern des oberösterreichischen Landesschiverbandes wurde an Ort und Stelle von einem Mitarbeiter der Beklagten erklärt, in welchem Bereich der Piste das Training durchgeführt werden dürfe. Der Trainingsbereich, der auf einer Seite durch ansteigendes Gebirge und Felsen natürlich begrenzt ist, wurde auf der anderen Seite von Vertretern der Beklagten von der allgemeinen Piste durch mit Kunststoffbändern verbundene Kunststoffstangen abgegrenzt. Im gesamten Schigebiet verwendet die Beklagte zur Pistenmarkierung Metallstangen aus Nirosta mit einer Wandstärke von 2,5 mm und einem Durchmesser von etwa 5 cm, die zur besseren Erkennbarkeit mit einer PVC-Schicht ummantelt sind und an deren oberen Ende meist eine runde Epoxittafel mit einem Durchmesser von etwa 40 cm angebracht ist. Diese Pistenmarkierungen sind mit keinerlei Schutz verkleidet und geben bei einem Anprall durch einen Schiläufer kaum bis gar nicht nach. Eine Absicherung aller Pistenmarkierungen wäre mit „sehr hohen Kosten" verbunden. Auch im Bereich der Absperrung durch die mit den Kunststoffbändern verbundenen Kunststoffstangen zwischen der normalen und der Trainingspiste befanden sich solche Pistenmarkierungen. Während eines von den Trainern des Oberösterreichischen Landesschiverbandes ausgesteckten Trainingslaufes auf dem abgesperrten Teil der Piste kam die Klägerin - die auch eine Liftkarte der Beklagten bezahlt hatte - nach einem künstlich errichteten Sprung bei einer Geschwindigkeit von rund 80 bis 90 km/h vor einem Linksschwung zum nächsten Tor zu Sturz. Sie rutschte geradeaus bis in den Bereich der Absperrung zur allgemeinen Piste und prallte gegen eine der metallenen Pistenmarkierungen, die etwa 30 m von dem Tor entfernt stand, das die Klägerin hätte passieren sollen. Dabei zog sie sich einen komplizierten Bruch des linken Sprunggelenkes zu. Ohne den Anprall an die Pistenmarkierung wäre der Sturz mit großer Wahrscheinlichkeit ohne größere Schäden verlaufen. Die Klägerin musste sich einer sechswöchigen Gipsapplikation und mehreren Physiotherapieserien unterziehen, wobei die Innenknöchelfraktur nach etwa sechs Wochen stabil war. Der Heilungsverlauf der insgesamt komplexen Verletzung nahm etwa drei Monate in Anspruch und war für die Klägerin mit einer Woche starken, drei Wochen mittelstarken und acht Wochen leichten Schmerzen verbunden. Die Klägerin erlitt durch die Verletzung weiters einen Dauerschaden im Form eines zehngradigen Streckdefizits des Knöchelgelenkes im Vergleich mit dem rechten Knöchel. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin aus dem Titel des Schadenersatzes EUR 12.500,-- Schmerzengeld, EUR 771,-- für nicht von ihrer Versicherung gedeckte Behandlungs- und Rehabilitationskosten, EUR 44,80 für Selbstbehaltkosten bei der Anschaffung von Heilbehelfen, EUR 70,-- für unfallkausale Spesen und die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden aus dem Unfallgeschehen. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt, da sie die, als Gefahrenquelle erkennbare, metallene Markierungsstange nicht abgesichert habe, obwohl sie die Piste für Trainingsläufe zur Verfügung stellte, bei denen sie mit hohen Geschwindigkeiten der Läufer und dem damit verbundenen, im Vergleich zum normalen Schilauf erhöhten, Verletzungsrisiko rechnen musste.
Die Beklagte bestritt und wendete ein, dass die Klägerin durch die Wahl einer zu hohen Geschwindigkeit den Sturz und die daraus resultierende Verletzung selbst verschuldet habe. Es stelle eine Überspannung der Verkehrssicherungspflichten des Pistenhalters dar, sämtliche Pistenmarkierungen, die keine atypische Gefahrenstelle darstellen würden, zu ummanteln und abzusichern. Sie sei nicht Veranstalter der Trainingsläufe und habe das Trainingsgelände dem oberösterreichischen Schiverband lediglich zur Verfügung gestellt, den somit die besonderen, mit dem Rennsport verbunden, Verkehrssicherungspflichten träfen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Absicherung der metallenen Pistenmarkierung durch die Beklagte sei nicht erforderlich gewesen, da eine solche im normalen Pistenbetrieb keine atypische Gefahr darstelle. Die erhöhte Verkehrssicherungspflicht im Wettkampfbzw Trainingsbereich träfe lediglich den Oberösterreichischen Schiverband als Veranstalter dieser Läufe, nicht aber den Pistenhalter, der dem Veranstalter einen Pistenbereich zuweist. Das verwirklichte Verletzungsrisiko sei weiters dem Rennsport immanent und handle jeder Teilnehmer in Bezug auf das dem Rennsport arteigene Risiko auf eigene Gefahr.
Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung teilweise Folge. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass das Aufstellen einer Pistenmarkierung aus Metall im Bereich einer Rennstrecke anders als auf allgemeinen Pisten eine atypische Gefahrenquelle darstelle, da der Schirennlauf im Gegensatz zum allgemeinen Schilauf zulässigerweise mit höheren Gefahren verbunden sei, denen mit erhöhten Sicherungspflichten zu begegnen sei. Wenngleich der Trainingskurs vom oberösterreichischen Landesschiverband als Veranstalter ausgesteckt worden sei, sei der Beklagten als Pistenhalter bekannt gewesen, dass der von ihr zur Verfügung gestellte Pistenbereich für Renn-(trainings-)zwecke verwendet werde, weswegen sie bei der Absicherung von Hindernissen im Randbereich der Rennstrecke zur Vornahme Sicherungsvorkehrungen gehalten gewesen wäre, die über jene auf allgemeinen Pisten hinausgehen würden. Die Absicherung der Pistenmarkierungen im räumlich überschaubaren Bereich der Trainingspiste sei der Beklagten jedenfalls zumutbar gewesen.
Das Berufungsgericht sprach der Klägerin den Klagsbetrag mit Ausnahme der geltend gemachten Behandlungs- und Rehabilitationskosten von EUR 771,-- zu. Eine Aufschlüsselung dieser abgewiesenen Kosten sei seitens der Klägerin nicht erfolgt.
Die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, da zur Frage der Abgrenzung der Verkehrssicherungspflichten im Rahmen der Zurverfügungstellung eines Trainingsgeländes für Rennläufer durch den Pistenhalter keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten gegen den stattgebenden Teil der Berufungsentscheidung erhobene Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt, jene der Klägerin gegen die Abweisung ist wegen des Abgehens des Berufungsgerichtes von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zulässig und auch berechtigt.
1. Zur Revision der Beklagten:
Auf die von der Beklagten ausgeführte Feststellungs- und Beweisrüge ist nicht weiter einzugehen, da die Klägerin in der Rechtsrüge ihrer Berufung ausdrücklich auf die Feststellungen des Erstgerichtes Bezug genommen hat, die Beklagte diese aber in der Berufungsbeantwortung nicht bekämpft hat (vgl dazu Kodek in Rechberger ZPO2 § 468 Rz 5; RIS-Justiz RS0112020 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Aber auch der Rechtsrüge der Beklagten kommt keine Berechtigung zu. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Pistenhalter atypische Gefahren im Bereich der Piste zu sichern, wobei für die Art und den Umfang der Pistensicherungspflicht das Gesamtverhältnis zwischen der Größe und der Wahrscheinlichkeit der atypischen Gefahr sowie ihrer Abwendbarkeit einerseits durch das Gesamtverhalten eines verantwortungsbewussten Benützers der Piste und andererseits durch den Pistenhalter mit nach der Verkehrsauffassung adäquaten Mitteln maßgebend ist (vgl zuletzt etwa OGH 2 Ob 183/05h oder OGH 8 Ob 300/00a jeweils mwN ebenso OGH ZVR 1989/140 oder OGH ZVR 1993/161). Als atypische Gefahren werden Hindernisse eingestuft, die der Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen kann oder die er trotz Erkennbarkeit schwer vermeiden kann (vgl dazu RIS-Justiz RS0023417 mwN zuletzt etwa OGH 6 Ob 167/05 oder allgemein Pichler-Holzer, Handbuch des österreichischen Schirechtes, 34 ff). Hier fraglich ist nun, ob eine Pistenmarkierung aus Metallstöcken im Bereich einer Renn- und Trainingsstrecke eine solche abzusichernde atypische Gefahr darstellt.
Nun wurde allgemein zu solchen Pistenmarkierungen dann, wenn keine besonderen Umstände vorlagen und diese klar ersichtlich waren (anders etwa zu nicht kenntlichen Liftstützen (OGH 6 Ob 530/81 oder zum ungesichert aus der Schneedecke herausragenden Steher OGH 8 Ob 300/00a) ausgesprochen, dass keine Verpflichtung zur Ummantelung (Polsterung) besteht (vgl OGH 4 Ob 539/92; OGH 4 Ob 527/89 = RZ 1989/61 zum Schneezaun). Andererseits wurde bei besonders gefährlichen Strecken, bei denen der Pistenhalter zum Schutz auch der stürzenden Schifahrer Fangzäune aufstellt, davon ausgegangen, dass dann auch eine Polsterung der Steher gerade wegen dieser besonderen
Sturzgefahr erforderlich ist (vgl OGH 4 Ob 1585/95; OGH 2 Ob 501/93 =
SZ 66/16 = EvBl 1994/01 und OGH 1 Ob 401/97w).
Überträgt man nun diese Wertungen auf den vorliegenden Fall eines Pistenbetreibers, der für einen Landessportverband bestimmte Teile der Piste für das Wettkampftraining abgrenzt, so ist doch beachtlich, dass es spartenspezifisch unumgänglich ist, dass sich Rennläufer an die jeweils noch zu bewältigende Höchstgeschwindigkeit und die optimale Streckenbewältigung in kürzestmöglicher Zeit, selbst unter Wahl einer überhöhten Geschwindigkeit, herantasten. Auf Grund der dem Wettkampfsport immanenten erhöhten Gefahren wurde bereits ausgesprochen, dass dem Veranstalter solcher Wettkampf- und Trainingsveranstaltungen eine erhöhte Pflicht zur Gefahrenvermeidung trifft (vgl allgemein dazu Pichler, Zur Verkehrssicherungspflicht bei internationalen Schirennen ZVR 1994, 97 ff; Thöny, Schirennen und Pistenbetrieb ZVR 1996, 258 ff; RIS-Justiz RS0023509; OGH 7 Ob 314/97w). Dies ist aber auch auf jenen Liftbetreiber zu übertragen, der einem besonderen Teil der Piste gerade für diese Zwecke abgrenzt, weil ihm hier - wie in den oben dargestellten Fällen - bewusst sein muss, dass besondere Sturzgefahren bestehen. Gegen diese Verpflichtung verstößt jedoch der Liftbetreiber, wenn er harte Metallstangen ohne jegliche Absicherung in dem Bereich der Abgrenzung stehen lässt.
Das Berufungsgericht hat daher zutreffend die Haftung der Beklagten für die durch die mangelnde Ummantelung dieser Metallstangen verursachten Verletzungen der Klägerin bejaht. Insoweit war daher das Urteil des Berufungsgerichtes als Teilurteil zu bestätigen. Ein Kostenvorbehalt im Sinne der §§ 50, 52 Abs 2 und 392 Abs 2 ZPO war hinsichtlich der Kosten der Revisionsbeantwortung nicht erforderlich, da diese Kosten bereits bestimmbar sind.
2. Zur Revision der Klägerin:
Die Klägerin hat in ihrer Klage unter anderem Schadenersatzansprüche für die Behandlungs- und Rehabilitationskosten, soweit diese nicht von der Versicherung getragen wurde, geltend gemacht und dazu auch Urkunden vorgelegt. Eine Erörterung einer näheren Aufschlüsselung durch das Erstgericht unterblieb im Hinblick auf dessen Rechtsansicht, dass Anspruch schon dem Grund nach nicht berechtigt sei. Das Berufungsgericht hat ohne weitere Erörterungen die Klage insoweit mangels Bestimmtheit abgewiesen. Bereits vor der Einführung des § 182a ZPO durch die ZVN 2002 wurde in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass das Gericht die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen darf, die bisher unbeachtet geblieben ist und auf die es die Parteien nicht aufmerksam gemacht hat (vgl dazu allgemein RIS-Justiz RS0037300 mwN zuletzt etwa OGH 10 Ob 140/05v;
Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 503 ZPO Rz 135 mwN uva). Dies wurde gerade auch für die Frage der Bestimmtheit des Vorbringens und des Klagebegehrens ausgesprochen (vgl RIS-Justiz RS0036355 mwN;
zuletzt etwa 8 ObS 4/06f). Insoweit ist also noch eine Ergänzung des Verfahrens erforderlich. In diesem Umfang waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und das Verfahren zur Ergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (vgl dazu etwa OGH 1 Ob 305/02p). Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.