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OGH vom 08.06.2020, 23Ds4/19v

OGH vom 08.06.2020, 23Ds4/19v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Konzett und Mag. Brunar sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, in Gegenwart des Schriftführers Bodinger in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom , AZ D 18/16, 9/17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, des Kammeranwalts Dr. Müller sowie des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Berufung wegen Schuld wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch 2./6./ und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

***** wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe Manfred K***** im Zusammenhang mit dessen Vertretung im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Salzburg mit Schreiben vom aufgefordert, bei sonstiger Androhung gerichtlicher Schritte die Erklärung abzugeben, dass dieser Vorwürfe betreffend eine schlechte Vertretung durch den Beschuldigten gegenüber keiner anderen Person, auch nicht im Zuge einer Gerichtsverhandlung, geäußert habe und dies auch künftig nicht äußern werde, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

Im Übrigen wird seiner Berufung wegen Schuld nicht Folge gegeben.

Für die ihm weiterhin zur Last liegenden Vergehen der Verletzung von Berufspflichten (zu 1./) und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (zu 2./1./, 2./2./, 2./4./, 2./5./ und 2./10./) nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt wird über ***** eine Geldbuße von 13.000 Euro verhängt.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird er auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch von vier weiteren Vorwürfen enthält, wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten (1./) und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er

1./ im Zusammenhang mit einem zwischen dem von ihm vertretenen Max V***** und der Gemeinde D***** wegen eines von dieser Gemeinde für die Dauer der Wintersaison des Betriebs eines Schlepplifts verhängten Fahrverbots auf der Zufahrtsstraße zur Liegenschaft des Max V***** geführten Rechtsstreit den gegnerischen Rechtsanwalt Dr. Dietmar F***** ohne sachliche Rechtfertigung in den Streit gezogen, indem er diesen am schriftlich dazu aufforderte, bekannt zu geben, ob die (durch verspätete Öffnung der Schrankenanlage im Jänner und Februar 2016 bewirkten) Störhandlungen der Gemeinde D***** auf dessen falsche Rechtsberatung zurückgehen, dieser sohin als mittelbarer Störer anzusehen sei, und ob (in der kommenden Saison) Wiederholungsgefahr bestehe;

2./ Manfred K***** im Zusammenhang mit dessen Vertretung im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Salzburg

2./1./ am zur Unterfertigung von – im Erkenntnis bezeichneten – unerlaubte, teils gesetzwidrige Klauseln enthaltenden Allgemeinen Auftragsbedingungen (AAB) veranlasst;

2./2./ für den Zeitraum von 4. Februar bis keine Leistungsaufstellung zur Überprüfung der Honorarforderung übermittelt;

2./4./ in dem zu AZ ***** des Bezirksgerichts Feldkirch geführten Honorarprozess mit Schriftsatz vom unterstellt, von Anfang an beabsichtigt zu haben, kein Honorar zu zahlen;

2./5./ im zu 2.4./ genannten Verfahren mit Schriftsatz vom unterstellt, einen Sachwalter zu benötigen;

2./6./ mit Schreiben vom aufgefordert, bei sonstiger Androhung gerichtlicher Schritte die Erklärung abzugeben, dass dieser Vorwürfe betreffend eine schlechte Vertretung durch den Beschuldigten gegenüber keiner anderen Person, auch nicht im Zuge einer Gerichtsverhandlung, geäußert habe und dies auch künftig nicht äußern werde;

2./10./ am für die Erhebung einer außerordentlichen Revision ein überhöhtes Honorar von 15.468,45 Euro in Rechnung gestellt.

Über den Beschuldigten wurde hiefür eine Geldbuße von 15.000 Euro verhängt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe; sie ist teilweise im Recht.

Der Sache nach zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) auf, dass die Feststellungen zu 2./6./ (ES 9 f) einen Schuldspruch wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nicht tragen. Das zur Abwehr vermeintlich rufschädigender Vorwürfe seines ehemaligen Mandanten verfasste Schreiben stellte seinem Inhalt nach – entgegen der Rechtsansicht des Disziplinarrats – kein „unzulässiges Druckmittel“, sondern eine vom Beschuldigten dem Adressaten eingeräumte Möglichkeit dar, durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung einer Klage zu entgehen (vgl RIS-Justiz RS0014870; vgl auch RS0055886 [T11]), sodass darin kein disziplinarrechtlich relevantes Fehlverhalten begründet liegt.

Der Schuldspruch 2./6./ war daher aufzuheben und der Beschuldigte vom betreffenden Vorwurf freizusprechen.

Im Übrigen verfehlt die Schuldberufung jedoch ihr Ziel.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu 1./ orientiert sich prozessordnungswidrig nicht an der Gesamtheit der Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats, wonach der Berufungswerber durch die inkriminierten – im angefochtenen Erkenntnis wörtlich wiedergegebenen (ES 7 iVm ES 1 und 3; vgl RISJustiz RS0098734 [T8 und T 10 bis T 14], RS0117247 [T2]) – Äußerungen den Gegenanwalt (nämlich Dr. F***** in seiner Funktion als Rechtsvertreter der Gemeinde D*****) ohne sachliche Notwendigkeit in den Streit gezogen hat (ES 7 und 11), und leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, warum darin keine Verletzung von Berufspflichten bestehen soll (vgl dazu RISJustiz RS0056073, RS0056108; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 1 DSt Rz 74 sowie § 21 RLBA 2015 Rz 5 und 9 [jeweils mwN]). Mit der Behauptung, Rechtsanwalt Dr. F***** wäre selbst Gegner des Mandanten des Beschuldigten gewesen, argumentiert sie gleichfalls nicht auf der Tatsachengrundlage des angefochtenen Erkenntnisses, womit ihr Hinweis auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs VfSlg 14.813/1997 und B 1376/2012 ins Leere geht.

Rechtlich verfehlt ist die Behauptung, die von Rechtsanwalt Dr. F***** im gegenständlichen Rechtsstreit vertretene Auffassung beruhe auf einer unvertretbaren Rechtsansicht (ES 7 und 11), zumal den vom Berufungswerber angeführten Entscheidungen (vgl ES 5 ff) gerade nicht zu entnehmen ist, dass auch ein bloß vorübergehendes Fehlen einer ausreichenden Schneelage zur Beendigung der (jährlichen) Wintersaison führt. Damit kann aber auch das weitere auf Basis dieser (rechtlich unzutreffenden) Annahme sowie unter Hinweis auf die Treuepflicht des Rechtsanwalts entwickelte (nominell unter der Bezeichnung als „Schuldberufung“ erstattete) Vorbringen dahin gestellt bleiben, weil sich daraus (rechtlich [RIS-Justiz RS0113983]) eine sachliche Rechtfertigung für die Klagsführung gegen den genannten Berufskollegen auch nicht ableiten lässt (vgl dazu erneut Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 21 RLBA 2015 Rz 5 und 9).

Das Verbot, den Rechtsanwalt einer anderen Partei unnötig in den Streit zu ziehen und persönlich anzugreifen, ist eine Ausformung der gesetzlichen Pflicht des Rechtsanwalts, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren (§ 10 Abs 2 RAO). Es handelt sich dabei sowohl um eine Berufspflicht als auch um ein Gebot im Interesse des Standesansehens (vgl RISJustiz RS0056115 [zu § 18 RL-BA 1977]).

Soweit der Beschuldigte zu 1./ Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) zur subjektiven Tatseite behauptet, steht dem entgegen, dass der Disziplinarrat erkennbar (nur) von einem sorgfaltswidrigen Verstoß gegen § 21 RLBA 2015 (vgl dazu RISJustiz RS0055146 [T2]) ausging, wobei der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab eine Rechtsfrage betrifft (RISJustiz RS0089407), der objektive Sorgfaltsverstoß grundsätzlich auch die subjektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert (RISJustiz RS0088909) und konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Berufungswerber den objektiven Sorgfaltsanforderungen nicht hätte nachkommen können, aus seiner Verantwortung gerade nicht abzuleiten sind (ON 12 S 2 ff).

Die gegen 2./1./, 2./2./, 2./4./, 2./5./ und 2./10./ gerichtete Mängelrüge (Z 5 vierter Fall [nominell auch Z 5a, s dazu aber RIS-Justiz RS0132515]) legt nicht dar, weshalb die vom Disziplinarrat aus den im Erkenntnis angeführten Urkunden (ES 5 ff) – und zwar den Allgemeinen Auftragsbedingungen (AAB) des Beschuldigten (ES 8), den von ihm gelegten Honorarnoten (ES 9 und 11) und den von ihm verfassten Schreiben (ES 9) – sowie den mit diesen Urkunden als in Einklang stehend erachteten Angaben der Zeugen K***** und Mag. B***** gezogenen Schlussfolgerungen (ES 5 iVm ES 11) den Kriterien logischen Denkens oder grundlegenden Erfahrungen (RISJustiz RS0099413, RS0116732) widersprechen sollten und zeigt (unter dem Aspekt der Z 5 zweiter Fall) auch keine zu diesen Annahmen in erörterungspflichtigem Widerspruch stehenden Beweisergebnisse auf.

Die diese Fakten betreffende Schuldberufung vermag keine Bedenken gegen die Lösung der Schuldfrage zu erwecken. Indem der Berufungswerber den im Erkenntnis hinreichend begründeten und folgerichtigen Schlussfolgerungen des Disziplinarrats (im Übrigen teils auf aktenfremden Behauptungen beruhende) bloß abstrakt mögliche, für ihn günstigere Schlussfolgerungen entgegenhält, vermag er die Beweiswürdigung nicht zu erschüttern.

Das Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a [nominell auch Z 5 sowie im Rahmen der Schuldberufung]) zu 2./1./, 2./2./, 2./4./, 2./5./ und 2./10./ orientiert sich nicht an den Bezug habenden – (erkennbar wiederum) bloß fahrlässige Ehr- und Anstandsverletzungen zum Ausdruck bringenden – Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats (ES 7 ff) und verfehlt in diesem Umfang den gesetzlichen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.

Zu 2./1./ legt der Berufungswerber nicht dar, aus welchem Grund in der Verwendung gesetzwidriger (und für den Mandanten nachteiliger) Auftragsbedingungen keine Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes zu ersehen sein sollte (vgl dazu RISJustiz RS0055865). Weshalb es insoweit – auch mit Blick auf die subjektive Vorwerfbarkeit des darin gelegenen Sorgfaltsverstoßes – auf eine wiederholte Beanstandung durch die Rechtsanwaltskammer ankommen sollte, macht der Berufungswerber dabei ebenso wenig deutlich wie das behauptete Erfordernis vorsätzlichen Fehlverhaltens (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO10§ 1 DSt Rz 7/1 ff) sowie der (gerichtlichen) Durchsetzbarkeit der inkriminierten Klauseln (vgl RISJustiz RS0038770). Mit dem Vorbringen einer (aus Anlass dieses Verfahrens erfolgten) nunmehrigen „Anpassung“ seiner Auftragsbedingungen und des Fehlens von (konkreten finanziellen) Nachteilen des ehemaligen Mandanten des Beschuldigten werden keine für die Schuld- oder Subsumtionsfrage relevanten Umstände angesprochen.

Entgegen dem Vorbringen zu 2./2./ entbindet die nachträgliche Vereinbarung eines Pauschalhonorars den Rechtsanwalt nicht von der Pflicht, seinem Klienten den Honoraranspruch für bereits vor dieser Vereinbarung erbrachte Leistungen in ziffernmäßig überprüfbarer Weise mitzuteilen (vgl RIS-Justiz RS0045344; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 15, 16 RLBA 2015 Rz 16 und im Anwendungsbereich des KSchG 3 Ob 112/19w).

Warum die zu 2./4./ und 2./5./ festgestellten Äußerungen in Schriftsätzen zur erfolgreichen Durchsetzung des Honoraranspruchs des Beschuldigten erforderlich gewesen sein sollten (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/ Vitek, RAO10§ 6 RLBA 2015 Rz 11 f, siehe auch § 1 DSt Rz 52 [in Ansehung der Anregung einer Sachwalterschaft]), macht die Rechtsrüge nicht deutlich.

Unklar bleibt auch, weshalb die zu 2./10./ festgestellte Verrechnung von Kosten beinahe in Höhe des Sechsfachen der nach dem Tarif gebührenden Entlohnung nicht als Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes zu beurteilen sein soll (RISJustiz RS0055114; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10§ 15, 16 RLBA 2015 Rz 10).

Der in der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur gestellte Beweisantrag auf neuerliche Vernehmung des Beschuldigten sowie dessen damaligen Mitarbeiters Dr. P***** scheitert bereits daran, dass nicht dargelegt wurde, warum fallbezogen die Voraussetzungen der eingeschränkten Neuerungserlaubnis im Berufungsverfahren (§ 49 zweiter Satz DSt; vgl RISJustiz RS0129770) vorliegen sollen.

Bei der aufgrund der Kassation des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung wertet der Oberste Gerichtshof zwei frühere (ungetilgte [§ 75 DSt; zur Zählung einer Zusatzstrafe nach § 16 Abs 5 DSt vgl Kert, WK-StPO § 4 TilgG Rz 30 ff]) disziplinäre Verurteilungen, die mehrfache Tatbegehung und das Zusammentreffen der Disziplinarvergehen nach dem ersten und dem zweiten Fall des § 1 Abs 1 DSt als erschwerend, als mildernd hingegen keinen Umstand. Tatunrecht und Täterschuld sowie Präventionserwägungen erfordern eine deutliche spürbare Sanktion in Form einer Geldbuße wie im Spruch ersichtlich. Eine nicht vom Beschuldigten zu vertretende, strafmildernd wirkende (§ 34 Abs 2 StGB) unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer liegt im Hinblick auf den großen Verfahrensumfang und hiefür erforderlichen Aufwand nicht vor.

Mit seiner Berufung wegen Strafe war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0230DS00004.19V.0608.000

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