OGH vom 13.09.2016, 11Os67/16m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen Daniel K***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 22 Hv 14/16s 43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und seine Einweisung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.
Danach hat er am in W***** Sarah O***** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben fremde bewegliche Sachen, nämlich 564 Euro mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz abgenötigt, indem er ein Messer gegen sie richtete und sie mehrmals in englischer Sprache aufforderte, ihm Geld zu geben.
Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die sich auf § 281 Abs 1 Z 4 und 11 StPO stützt.
Rechtliche Beurteilung
Der Verfahrensrüge zuwider wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am gestellten Antrags „ein zweites neues Gutachten aus dem Fachbereich Psychiatrie/Neurologie zum Beweis dafür, dass die Suchtmittelabhängigkeit des Angeklagten keine geistige Abartigkeit höheren Grades darstellt und die Gefährlichkeitsprognose nicht gegeben ist und somit die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher … nicht vorliegen, weil das vorliegende … Gutachten widersprüchlich ist, zumal es sowohl die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB als auch nach § 22 StGB bejaht“, nicht verletzt.
Ob eine – geistige oder seelische – Abartigkeit höheren Grades vorliegt, ist nämlich eine (demgemäß) vom Gericht und nicht vom Sachverständigen zu beantwortende Rechtsfrage (RIS Justiz RS0090441; Hinterhofer , WK StPO § 127 Rz 12 f), weswegen der darauf abzielende Antrag als einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich zu Recht abgewiesen wurde.
Hinsichtlich der Prognoseelemente können Einwendungen gegen die Ablehnung von Beweisanträgen nicht mit Nichtigkeitsbeschwerde, sondern allein mit Berufung geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0090200, RS0090341, RS0090487; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 11).
Insoweit die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) eine verfehlte Anwendung des § 39 StGB bloß mit der Behauptung fallaktuell mangelnden Bedürfnisses zur Strafschärfung kritisiert, entzieht sie sich meritorischer Erwiderung.
Dass bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen für die Anwendung der Strafschärfungsbestimmung des § 39 StGB nicht auch vom Erschwerungsgrund des raschen Rückfalls ausgegangen werden könne, trifft nicht zu (RIS Justiz RS0091623).
Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist jedenfalls die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand, dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie deren Mindeststrafdrohung nach § 21 StGB sind. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Bekämpfung mit Verfahrens-, Mängel- und Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a StPO) zulässig.
Werden die gesetzlichen Kriterien für die Ermessensentscheidung (Gefährlichkeitsprognose) verkannt oder wird die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, so kommt auch eine Anfechtung aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht (vgl zum Ganzen Ratz in WK² StGB Vor §§ 21 bis 25 Rz 8 ff mwN). In diesem Fall liegt Nichtigkeit vor, wenn die in Frage gestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt. Der Gefährlichkeitsprognose zugrunde liegende Feststellungen können aus Z 11 zweiter Fall – anders als bei Sachverhaltsannahmen zur Beurteilung der Sanktionsbefugnis (Z 11 erster Fall) – mit Verfahrens , Mängel oder Tatsachenrüge nicht bekämpft werden (RIS Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341; Ratz , WK StPO § 281 Rz 715 ff).
Vorliegend richtet sich das (auf vermeintliche Widersprüche im Gutachten des Sachverständigen und die vom Angeklagten geäußerte Therapiewilligkeit bezogene, die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose als „nichts aussagend“ bezeichnende) Vorbringen nicht gegen die Feststellungen betreffend den auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand der Person, sondern gegen den daraus gezogenen, deren Gefährlichkeit betreffenden Schluss und stellt sich dergestalt – weil Willkür nicht behauptet wird – als bloßes Berufungsvorbringen dar.
Die weiteren Einwände, es sei „nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht abnormal“, dass ein „Suchtmittelabhängiger … wenig Einsicht in seiner Sucht zeigt“ und der Schluss auf die „geistige Abartigkeit höheren Grades … überhaupt nicht nachzuvollziehen“, machen kein Begründungsdefizit iSd § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO geltend, sondern bekämpfen bloß nach Art einer nur im einzelrichterlichen Verfahren vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld die Beweiswürdigung des Schöffengerichts.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00067.16M.0913.000