OGH vom 28.02.2017, 14Os3/17y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Waqas B***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, 3 Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Waqas B***** und Constantin Bu***** gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom , GZ 8 Hv 43/16x-145, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Waqas B***** und Constantin Bu***** jeweils mehrerer Verbrechen der Schlepperei, und zwar beide nach § 114 Abs 1, 3 Z 2 „(in der Fassung vom )“ und Abs 4 erster Fall FPG (I/A/ und B/) sowie nach § 114 Abs 1, 3 Z 1 und 2 „(in der Fassung vom )“ und Abs 4 erster Fall FPG (I/C/), Waqas B***** auch nach § 114 Abs 1, 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG (I/D/) sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 15, 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II/) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III/) schuldig erkannt.
Danach haben
I/ Waqas B***** und Constantin Bu***** (dieser nur zu den Punkten A bis C) im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) mit Muhammad N*****, Ilie C***** und weiteren, unbekannt gebliebenen Tätern in N***** und an anderen Orten als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung und mit dem Vorsatz, sich und Dritte durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, die rechtswidrige Einreise einer größeren Zahl von Fremden, die über keine gültigen Reisedokumente für die Einreise in einen oder den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union verfügten, gefördert, indem Waqas B***** als Organisator, Auftraggeber und (zu Punkt A) als Mitfahrer im „Vorausfahrzeug“, Constantin Bu***** (zu den Punkten A bis C) als Lenker des „Vorausfahrzeugs“ tätig war, und zwar
A/ am 1. oder von neun unbekannt gebliebenen Fremden von Ungarn nach Österreich;
B/ am 8. oder von neun unbekannt gebliebenen Fremden von Ungarn nach Österreich;
C/ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) am von 34 Fremden von Ungarn nach Deutschland mit geplanter Route über die Slowakei und Österreich, wobei die Schleppung in der Slowakei kurz nach der ungarischen Grenze gestoppt wurde;
D/ Waqas B***** am 5. oder eine nicht festgestellte Anzahl unbekannt gebliebener Fremder, indem er in Kontakt mit dem unmittelbaren Fahrer des Schlepperfahrzeugs war, diesem Anweisungen hinsichtlich des Weges und des Ausstiegsorts der Fremden gab und ihn vor Polizeikontrollen warnte;
II/ Waqas B***** sich ab dem in W***** daran beteiligt, dass ein unbekannt gebliebener Täter in Pakistan versuchte, Suchtgift in einem das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigendem Quantum, nämlich 520 Gramm (Reinsubstanz 104 Gramm) Heroin, über den Versanddienst W***** aus Pakistan aus- und nach Österreich einzuführen, indem er sich bereit erklärte, dieses Paket entgegenzunehmen, sich zur Übernahme bereit hielt und sich bei D***** um die Zustellung des Pakets bemühte;
III/ Waqas B***** am in W***** Magamed E***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er mit einer abgebrochenen Bierflasche in dessen Richtung stach, wobei dieser im Zuge der Abwehrhandlungen Hautabschürfungen erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich die von Waqas B***** aus Z 5 und 9 lit a, von Constantin Bu***** aus Z 5a und 9 lit a, jeweils des § 281 Abs 1 StPO, ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden, die nicht berechtigt sind.
Der Einwand der Mängelrüge, das Erstgericht habe die Feststellungen zur Höhe des von den Angeklagten empfangenen Schlepperlohns (US 7) mit in der Hauptverhandlung nicht erörterter Gerichtsnotorietät begründet (Z 5 vierter Fall), nimmt argumentativ nicht auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe Bedacht (RISJustiz RS0119370). Das Erstgericht stützte sich nämlich insbesondere auch (und unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit schon für sich ausreichend) auf die Aussagen des Zeugen Ilie C*****, der (als Mitglied der kriminellen Vereinigung, welcher auch der Beschwerdeführer angehörte) Angaben zur Höhe des von ihm empfangenen Entgelts pro Fahrt machte (US 13 iVm ON 144 S 13 f). Die Erwägung, der Beschwerdeführer habe als (in der Hierarchie der kriminellen Vereinigung übergeordneter) Organisator der Schlepperfahrten mehr erhalten als dieser Zeuge, verstößt im Übrigen nicht gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze.
Die Urteilsannahme, die Geschleppten hätten einen „nicht mehr feststellbaren Fuhrlohn in beträchtlicher“, über dem „adäquaten Fuhrlohn für eine Fahrt vom Bereich S***** zur österreichischen Grenze“ liegender, Höhe bezahlt (US 8), betrifft keine entscheidende Tatsache, weshalb dazu behauptete Begründungsdefizite keinen (zulässigen) Anfechtungsgegenstand der Mängelrüge bilden (RISJustiz RS0117499). Die Notwendigkeit weiterer Feststellungen (der Sache nach Z 9 lit a) zu „Anzahl der Kilometer bei der jeweiligen Fahrt“, „Dauer der Fahrt“, „Kosten des Mietwagens, Treibstoffkosten etc“ in diesem Zusammenhang wird nicht erklärt (vgl RISJustiz RS0099620). Die Ableitung der Konstatierungen zur subjektiven Tatseite, mithin auch zum auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz, „aus dem äußeren Geschehen“ (US 13), welches zuvor (etwa im Hinblick auf die näheren Umstände der Transporte und die von den Mitgliedern der kriminellen Vereinigung empfangenen Entgelte) detailliert dargestellt wurde, begegnet – wie der Vollständigkeit halber angemerkt wird – unter dem Aspekt formaler Begründungstauglichkeit keinen Bedenken (vgl RISJustiz RS0116882).
Gleiches gilt für die Erwägung, der konstatierte Umstand fehlender Einreise- oder Aufenthaltstitel der Fremden ergebe sich bereits aus deren Wahl und den – vom Zeugen Ilie C***** geschilderten – Umständen des Transports durch Schlepper (US 8 und 12).
Nicht entscheidend ist im Zusammenhang mit dem Schuldspruch II/ die Frage, ob der Beschwerdeführer „der einzig zuständige Subunternehmer der Fa. D***** für den 6. und 7. Wiener Gemeindebezirk“ war (US 9), weshalb darauf bezogene Einwände mangelhafter Begründung (Z 5 zweiter und vierter Fall) dahinstehen können.
Die Einschätzung des Zeugen Richard Er*****, bei „Direktimport“ von Heroin aus Pakistan könne man von einem Reinheitsgehalt von 90 % ausgehen, wurde – der weiteren Kritik (Z 5 fünfter Fall) zuwider – korrekt im Urteil wiedergegeben (US 16 iVm ON 144 S 72). Sie wurde mit dem Zeugen auch in der Hauptverhandlung erörtert, sodass der abermals erhobene Vorwurf eines Verstoßes gegen das Überraschungsverbot ins Leere geht. Von diesem Verbot ist die beweiswürdigende – zudem auf einer allgemein (nicht bloß gerichts-)notorischen, mithin nicht erörterungspflichtigen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463), Tatsache basierende – Erwägung der Tatrichter, Pakistan sei „eines der führenden Erzeugerländer für Heroin“ (US 16), nicht erfasst (RISJustiz RS0120025 [T1]).
Die weiteren Einwände gegen die Feststellungen zu Menge und Reinheitsgehalt des von pakistanischen Behörden sichergestellten Heroins erschöpfen sich in unzulässiger Beweiswürdigungskritik. Mit dem Vorbringen, das Erstgericht habe diese Konstatierungen zu Unrecht (auch) auf die „Meldung der pakistanischen Behörden“ gestützt (vgl US 15 f), weil sich eine solche im Akt nicht finde (vgl jedoch die Meldung über die Sicherstellung des Suchtgifts durch pakistanische Behörden [ON 2 in ON 55]), wird die unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln, die allein Gegenstand der in Anspruch genommenen Nichtigkeitskategorie (Z 5 fünfter Fall) wäre (RISJustiz RS0099431), nicht behauptet.
Entgegen der zum Schuldspruch III/ ausgeführten Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) betrifft die Frage, wer die Verletzungen des Zeugen Magamed E***** verarztet hat, keine entscheidende Tatsache, weshalb der relevierte Widerspruch (vgl aber ON 144 S 92 und 98 f) in den diesbezüglichen Angaben dieses Zeugen und jenen des Zeugen Stefan G***** nicht gesondert erörterungsbedürftig war.
Ebenso wenig entscheidend ist der Umstand, dass im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) andere Verletzungen (US 3: „Prellung des Brustkorbes“ und „zwei Schnitte im Bereich des linken Knies“) angeführt sind als in den Feststellungen (US 10: „Hautabschürfungen“). Zudem begründet diese Abweichung nach Denkgesetzen und allgemeiner Lebenserfahrung (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 438 f) keinen Widerspruch.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) räumt zunächst ein, dass das angefochtene Urteil zum Schuldspruch I/ Konstatierungen enthält, der Beschwerdeführer habe sich und die kriminelle Vereinigung durch das von den Fremden für die Schleppungen geleistete Entgelt unrechtmäßig bereichern wollen. Weshalb es davon ausgehend für die Beurteilung der überschießenden Innentendenz erforderlich gewesen wäre, Feststellungen „zur Höhe des adäquaten Fuhrlohnes bei der jeweiligen Fahrt“ zu treffen, „weil nur basierend darauf beurteilt werden kann, ob dieser durch das festgestellte Entgelt überschritten wurde“, wird nicht erklärt. Ebenso wenig wird dargelegt, warum die Urteilsannahmen zur Höhe des von den Angeklagten und vom Zeugen Ilie C***** (US 7 und 13) erhaltenen Entgelts sowie zu Strecke und näheren Umständen (jeweils eine größere Anzahl von Fremden im Laderaum eines Kleintransporters [US 6 f]) der – im Widerspruch zu legalem (gewerblichem) Transport (auf den die Gesetzesmaterialien [EBRV 952 BlgNR 22. GP, 111] abstellen) stehenden – Beförderung keinen ausreichenden Sachverhaltsbezug der Konstatierungen zur subjektiven Tatseite herstellen sollten (vgl 11 Os 139/15y; 11 Os 151/15p).
Die Kritik der Tatsachenrüge (Z 5a), die Feststellungen zur Höhe des Entgelts der Angeklagten stütze „sich auf keinen einzigen Nachweis“, lässt den gebotenen Bezug auf aktenkundiges Beweismaterial vermissen (RISJustiz RS0128874, RS0119424).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermeint Nichterfüllung des Tatbestands der Schlepperei „mangels Vorhandenseins eines überhöhten, strafrechtlich relevanten Schlepperlohns“, wobei sie von der aufgrund eigenständiger Erwägungen entwickelten Prämisse ausgeht, das nach den Urteilsannahmen vom Beschwerdeführer (tatsächlich) empfangene Entgelt sei angesichts der durch die Schlepperfahrten entstandenen Aufwendungen „zu wenig, um sich dabei ungerechtfertigt bereichern zu können“. Die damit aufgestellte Rechtsbehauptung, Strafbarkeit wegen Schlepperei setze tatsächlich eingetretene Bereicherung – zumal des Täters selbst – voraus, entbehrt einer methodengerechten Ableitung aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565).
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht in den Schuldsprüchen I/A/ bis C/ offenbar (unzulässig [RISJustiz RS0088953]) verschiedene Fassungen des § 114 FPG, nämlich hinsichtlich der Qualifikation des Abs 3 Z 2 jene des BGBl I 2013/144, im Übrigen – wie sich aus der Annahme der Gewerbsmäßigkeit bloß zu I/C/ und den dazu getroffenen Feststellungen (US 8) ergibt – die im Urteilszeitpunkt geltende anwendete. Zudem hat es übersehen, dass es – ausgehend von den zu I/A/ bis C/ festgestellten konkreten Umständen der Schleppungen (auch bei jeweils bloß neun transportierten Fremden [Punkte A und B]) ohne Rechtsfehler (EBRV 330 BlgNR 24. GP, 35 f; vgl Jerabek in WK2 StGB § 69 Rz 2; Murschetz in WK2 StGB § 169 Rz 13; kritisch Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 18 [jeweils mwN]) – ohnehin das Vorliegen der Qualifikation des Abs 3 Z 2 idF BGBl I 2013/144 annahm, diese Rechtslage also auf Basis des Urteilssachverhalts (RISJustiz RS0112939 [T4]) nicht günstiger war als die im Urteilszeitpunkt geltende, weshalb nach § 61 zweiter Satz StGB diese zur Anwendung hätte kommen müssen. Mangels eines konkreten Nachteils für die Angeklagten sah sich der Oberste Gerichtshof zu einer amtswegigen Wahrnehmung des ungerügt gebliebenen Subsumtionsfehlers nicht veranlasst. Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen an den insoweit verfehlten Schuldspruch nicht gebunden (RISJustiz RS0118870).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00003.17Y.0228.000 |
Schlagworte: | Strafrecht |
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