TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 29.05.1996, 9ObA2044/96w

OGH vom 29.05.1996, 9ObA2044/96w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Hermann G*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Hannes Pflaum und andere, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei T***** AG, ***** wegen S 597.792,50 sA und Feststellung (Streitwert S 5.000,-), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 18/96k-8, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 12 Cga 266/95i-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt mit seiner an das Arbeits- und Sozialgericht gerichteten Klage die Zahlung von S 597.792,50 sA und die Feststellung, daß zwischen ihm und der beklagten Partei ein Dienstverhältnis besteht, in eventu bestand, aus dem ihm die beklagte Partei periodisch ziffernmäßig bestimmte Beträge zu zahlen habe. Dazu bringt er in der Klage vor, daß ihn der Aufsichtsrat der beklagten Partei zuletzt bis wiederum zum Mitglied des Vorstandes mit kollektivem Vertretungsrecht bestellt habe. Für die Ausübung der Vorstandsfunktion habe er vereinbarungsgemäß im Rahmen eines Dienstverhältnisses einen Bezug von S 49.100,- brutto vierzehnmal jährlich erhalten. Seine Bezüge seien zwar lohnversteuert worden, aber nicht der Sozialversicherung unterlegen. Dies deshalb, weil der Kläger zugleich Vorstand bei der K***** regGenmbH gewesen sei und für ihn dadurch bereits eine Vollversicherung bestanden habe. Nach den Erklärungen der Parteien sei das Angestelltengesetz sinngemäß auf das Dienstverhältnis anzuwenden.

Mit Schreiben vom habe der Vorsitzende des Aufsichtsrates der beklagten Partei dem Kläger mitgeteilt, daß der Aufsichtsrat die Vorstandsfunktion des Klägers widerrufe, sämtliche Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und der klagenden Partei, insbesondere "Anstellungs- oder Funktions- bzw Werkvertrags- vereinbarungen" mit sofortiger Wirkung auflöse und daraus resultierende Zahlungen der Gesellschaft mit Widerruf der Vorstandsfunktion einstelle. Bereits einbehaltene Bezüge würden von der Gesellschaft nicht mehr ausgezahlt und alle Zahlungen sofort eingestellt. Gleichzeitig seien Schadenersatzansprüche aus angeblichen Verfehlungen bei Ausübung der Vorstandsfunktion in Höhe von S 5,9 Mio aufrechnungsweise geltend gemacht worden. Entgegen diesen Behauptungen liege kein wichtiger Grund für die vorzeitige Beendigung des Dienstverhältnisses vor. Selbst wenn ein wichtiger Grund vorläge, wäre dieser nicht sofort, sondern verspätet geltend gemacht worden. Zufolge der Befristung des Dienstverhältnisses bis sei dieses weiter aufrecht und die beklagte Partei habe die vereinbarten Bezüge zu zahlen. Selbst wenn das Dienstverhältnis beendet sein sollte, stünden dem Kläger statt dieser Bezüge Ersatzansprüche in gleicher Höhe und mit gleicher Fälligkeit zu.

Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes gründe sich auf § 4 Abs 1 Z 1 lit a und d iVm § 50 Abs 1 ASGG.

Das Erstgericht wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Auf Grund der Klageerzählung sei der Kläger im klagsgegenständlichen Zeitraum Vorstandsmitglied der beklagten Aktiengesellschaft gewesen. Vorstandsmitglieder seien keine Arbeitnehmer (Arb 9185, 9371, 10406). Nach dem Aktiengesetz habe der Vorstand die oberste Befehlsgewalt und sei zur Leitung des Unternehmens ausschließlich zuständig. Er sei weisungsfrei und übe die unternehmerische Planungs- und Entscheidungsgewalt aus. Insoferne seien die Vorstandsmitglieder auch als Arbeitgeber anzusehen. Dem Aufsichtsrat komme gemäß § 95 AktG nur eine Kontrollfunktion zu.

Der Kläger sei aber auch keine arbeitnehmerähnliche Person gemäß § 51 Abs 3 Z 2 ASGG. Da er auch vollversicherter Vorstand bei der K***** regGenmbH gewesen sei, sei er auf die Bezüge durch die beklagte Partei nicht angewiesen gewesen. Zur vergleichbaren sozialen Schutzbedürftigkeit fehle es ihm sohin an der wirtschaftlichen Unselbständigkeit.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte ergänzend aus, daß der mit der Bestellung zum Vorstand einer Aktiengesellschaft gekoppelte Vertrag über die Anwendbarkeit des Angestelltengesetzes als lex contractus kein Arbeitsvertrag, sondern ein sogenannter freier Dienstvertrag sei (Arb 11226; 9 ObA 225/94).

Gegen diesen Beschluß richtet sich der aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Erstgericht die (Einleitung) Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Gemäß § 51 Abs 1 Z 6 JN fallen unter anderem Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern der Verwaltung der Handelsgesellschaft und der Gesellschaft grundsätzlich in die Zuständigkeit der Handelsgerichtsbarkeit, sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt. Nach § 50 Abs 1 Z 1 ASGG sind Arbeitsrechtssachen bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeit- nehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder mit dessen Anbahnung. Gemäß § 51 Abs 3 Z 2 ASGG stehen den Arbeitnehmern Personen gleich, die im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind.

In Lehre und Judikatur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß Vorstandsmitglieder keine Arbeitnehmer sind. Sie stehen in keinem abhängigen Arbeitsverhältnis; soweit ein Anstellungsvertrag (§ 75 AktG) - mit Verweisung auf das Angestelltengesetz - vorliegt, begründet dieser lediglich ein sogenanntes freies Dienstverhältnis, das in seiner Struktur nicht verändert werden kann (vgl Strasser in Schiemer/Jabornegg/Strasser, Kommz AktG §§ 75, 76 Rz 65 und 68; Mayer-Maly/Marhold, ArbR I 5; Schwarz/Löschnigg, ArbR5 173 f; krit Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, ArbR3 I 39: hingegen Jabornegg in DRdA 1991, 13; Wachter, Dienstleistungen am Rande des Arbeitsrechts - zur Rechtsstellung von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften und Sparkassen, WBl 1991, 81 ff; derselbe Wesensmerkmale 75 ff, 109 ff; Floretta in FS Schwarz (1991) 475 ff, 491; Runggaldier/Schima, Die Rechtsstellung von Führungskräften (1991) 33 f; Arb 9371, 10767; DRdA 1990/34 [Floretta]; ecolex 1990, 434 ua). Da § 51 Abs 3 Z 2 ASGG jedoch nicht an das Vorliegen eines sogenannten freien Dienstverhältnisses anknüpft, sondern an das Tatbestandsmerkmal der Arbeitnehmerähnlichkeit, ist weiter zu prüfen, ob der Kläger als ehemaliges Vorstandsmitglied der beklagten Partei wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit (dazu auch Jabornegg, HVG § 1 4.3.2) als arbeitnehmerähnlich anzusehen ist, so daß ihm zumindest zum Teil ebenso sozialer und arbeitsrechtlicher Schutz zukommen soll, wie einem in persönlicher Abhängigkeit befindlichen Arbeitnehmer.

Dabei ist vorerst davon auszugehen, daß ein Vorstandsmitglied ökonomisch zwar insoweit nicht Unternehmer ist, als die Organfunktion als solche vom Kapitaleinsatz und Kapitalrisiko unabhängig ist. Der Vorstand besitzt jedoch das Monopol für die unternehmerische Betätigung der aktienrechtlichen Organisationseinheit (Jabornegg, Unternehmensrecht und Arbeitsrecht, DRdA 1991, 8 ff, 13 mwH).

Der durch bestimmte Anlaßfälle ausgelösten Gelegenheitsgesetzgebung ist zur weiteren Abgrenzung keine weiterführende Wertung zu entnehmen. Einerseits sind Vorstandsmitglieder ohne Rücksicht darauf, wie ihre vertraglichen Beziehungen gestaltet sind, gemäß § 4 Abs 3 Z 10 ASVG sozialversichert. Andererseits gelten Vorstandmitglieder gemäß § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG nicht als Arbeitnehmer im Sinne der gesetzlichen Betriebsverfassung und sie haben gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG im Fall des Gesellschaftskonkurses keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Kein Arbeitnehmer hat so wie ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft die Stellung eines weisungsungebundenen, mit unbeschränkbarer Vertretungsmacht (§ 74 Abs 2 AktG) ausgestatteten Unternehmensleiters und kein Arbeitnehmer hat für Obliegenheitsverletzungen so einzustehen wie Vorstandsmitglieder, für welche die Vorschriften des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes nicht Anwendung finden (vgl Dirschmied, DNHG3 79 f; differenzierend Kerschner, DHG § 1 Rz 4; Arb 9185; DRdA 1990/34 ua). Unter anderem haben Vorstandsmitglieder auch keinen Rechnungslegungsanspruch wegen einer Diensterfindung (Arb 10406 mwH).

Zutreffend führt Wachter (Dienstleistungen am Rande des Arbeitsrechts - zur Rechtsstellung von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften und Sparkassen, WBl 1991 81 ff, 85) aus, daß bei der deutlichen Mehrheit der Vorstandsmitglieder keine Rede davon sein könne, daß sie sich im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit auf Grund ihrer wirtschaftlichen Situation in einer gleichen oder ähnlichen Lage befinden wie die breite Masse der Arbeitnehmer und daher ebenfalls eines erheblichen Maßes an sozialem Schutz bedürften. Sie seien augenscheinlich in der Lage, sich eine "standesgemäße" Rechts- und Einkommensposition am Verhandlungstisch selbst zu verschaffen. Schon nach diesen Ausführungen kommt für Vorstandsmitglieder die Qualifikation als arbeitnehmerähnliche Person in der Regel nicht in Frage. Auch Floretta (Zum Vorstandsverhältnis bei Aktiengesellschaften und Sparkassen, FS Schwarz [1991] 475 ff, 489 f) weist darauf hin, daß dem Vorstand oberste Unternehmerfunktion zukommt. Über der Faszination des Begriffes der Arbeitnehmerähnlichkeit dürfe nicht die ratio legis aus dem Blickfeld geraten, daß eben nur für schutzbedürftige Grenzfälle eine Regelung getroffen werden solle. Auf Grund dessen werde einer Anzahl von Vorstandsmitgliedern schon infolge der Höhe der Einkünfte die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit für die Geltendmachung ihrer Ansprüche nicht zugute kommen (aaO 493 f; derselbe DRdA 1990, 337 f). Nach Strasser in Schiemer/Jabornegg/Strasser, Kommz AktG (§ 75, 76 Rz 67) fehlt es bei Vorstandsmitgliedern wegen ihrer unternehmergleichen Stellung im Rahmen der Aktien- gesellschaft immer am Tatbestandsmerkmal der wirtschaft- lichen Unselbständigkeit; sie seien daher auch keine arbeit- nehmerähnlichen Personen (AM Runggaldier/Schima aaO 34 ff, 39).

Diesen Ausführungen ist mit der aufgezeigten Differenzierung, daß ein Vorstandsmitglied ausnahmsweise arbeitnehmerähnlich sein kann, beizupflichten.

Der Rekurswerber räumt selbst ein, daß es in vielen Fällen zutreffen mag, daß es bei Vorstandsmitgliedern am Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit fehlt. Ist es aber in der Regel so, daß die Vorstandsmitglieder keine arbeitnehmerähnlichen Personen sind, bedarf es im Einzelfall zumindest entsprechender Behauptungen (§ 41 Abs 2 JN), warum dennoch die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit gegeben sein soll. Abgesehen von den unbeachtlichen Neuerungen im Revisionsrekurs fehlt es jedoch an solchen Klagebehauptungen. Weder die vorherige Position des Klägers als Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der beklagten Partei noch seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied in einer Tochter-AG der K***** regGenmbH können eine Arbeitnehmerähnlichkeit begründen. Gerade seine weitere Vorstandsfunktion, die nach Ansicht der Gebietskrankenkasse eine zusätzliche Versicherung unzulässig gemacht hätte, spricht gegen das Vorliegen einer wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Daß er in dieser weiteren Vorstandsfunktion keine entsprechenden Einkünfte erzielt hätte, wird auch im Revisionsrekurs nicht behauptet. Insgesamt sind daher aus den in der Klage aufgestellten Behauptungen hinreichende Hinweise auf das ausnahmsweise Vorliegen einer arbeitnehmerähnlichen Position des Klägers aus seiner Vorstandstätigkeit nicht zu gewinnen. Die Vorinstanzen sind daher zu Recht davon ausgegangen, daß die handelsgerichtliche Zuständigkeit mangels Vorliegens einer Arbeitsrechtssache nicht verdrängt wird.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO begründet.