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VfGH vom 28.09.1983, B574/78

VfGH vom 28.09.1983, B574/78

Sammlungsnummer

9795

Leitsatz

Finanzstrafgesetz; § 165 Abs 1 litb idF Finanzstrafgesetz-Nov. 1975; bei Entscheidung über die Wiederaufnahme des Finanzstrafverfahrens hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales der "Voraussichtlichkeit" keine Präjudizialität von in ihrer Auslegung umstrittenen Übergangsvorschriften betreffend das auf die Tat anzuwendende Recht

Spruch

I. Soweit sich die Beschwerde gegen den die Bestrafung wegen einer Finanzordnungswidrigkeit betreffenden Bescheid richtet, wird das Beschwerdeverfahren eingestellt.

Verfahrenskosten werden nicht zugesprochen.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit sie sich gegen den die Wiederaufnahme des Finanzstrafverfahrens betreffenden Bescheid richtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. wies mit Bescheid vom die vom Bf. gegen den Bescheid des Finanzamtes Krems vom erhobene (Administrativ)-Beschwerde ab, mit dem die Wiederaufnahme des gegen ihn am wegen Verdachtes der fahrlässig begangenen Finanzordnungswidrigkeit nach § 48 Abs 1 lita FinStrG eingeleiteten und am mit Erkenntnis eingestellten Finanzstrafverfahrens verfügt worden war. Diese Rechtsmittelentscheidung wurde unter Bezugnahme auf § 3 Abs 1 des ArtVII der Finanzstrafgesetznov. 1975, BGBl. Nr. 335, sowie Abs 1 litb und Abs 2 im § 165 FinStrG (idF der erwähnten Nov.; im folgenden angekürzt: nF (neue Fassung)) im wesentlichen folgendermaßen begründet: Das Finanzamt habe das Finanzstrafverfahren gegen den Bf. infolge nicht rechtzeitiger Entrichtung von Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen für die Jahre 1970 bis 1973 eingeleitet. Im Einspruch gegen die Strafverfügung vom habe der Bf. vorgebracht, nicht er sondern ein anderes Vorstandsmitglied der betreffenden Aktiengesellschaft sei mit der Führung der steuerlichen Agenden betraut. Gegen dieses andere Vorstandsmitglied habe das Finanzamt sodann ein Finanzstrafverfahren eingeleitet, das Finanzstrafverfahren gegen den Bf. sei eingestellt worden. Da sich im Laufe des anderen Finanzstrafverfahrens herausgestellt habe, daß das betreffende Vorstandsmitglied zwar für die Lohnverrechnung, nicht aber für die rechtzeitige Entrichtung der errechneten Beträge (dies sei Aufgabe des Bf. gewesen) verantwortlich gewesen sei, sei nach Ansicht des Finanzamtes eine Tatsache neu hervorgekommen, die allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich geeignet sein werde, eine Bestrafung herbeizuführen. Das Finanzamt habe daher die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt. Da der Finanzstrafbehörde erster Instanz im Zeitpunkt der Einstellung des Finanzstrafverfahrens nicht bekannt gewesen sei, daß das andere Vorstandsmitglied nur für die Berechnung der Lohnsteuer und der Dienstgeberbeiträge, nicht aber für deren Abfuhr verantwortlich gewesen sei, stelle dieser Umstand auch nach Ansicht der Rechtsmittelbehörde eine neue Tatsache dar. Das Finanzamt habe daher eine gemäß § 165 Abs 1 litb FinStrG nF (§165 Abs 4 litb FinStrG idF vor der FinStrG-Nov. 1975; im folgenden abgekürzt:

aF (alte Fassung)) gestattete Wiederaufnahme des Verfahrens ausgesprochen.

2. Mit einem weiteren Bescheid vom wies die Finanzlandesdirektion die Berufung des Bf. gegen den Bescheid des Finanzamtes vom ab, mit dem der Bf. der fahrlässig begangenen Finanzordnungswidrigkeit nach § 48 Abs 1 lita FinStrG aF schuldig erkannt und bestraft worden war. Der Bf. hatte in seinem Rechtsmittel die Einstellung des Finanzstrafverfahrens im Hinblick auf § 2 Abs 1 des ArtVII der FinStrG-Nov. 1975 beantragt, weil seit dem Inkrafttreten dieser Nov. eine fahrlässig begangene Finanzordnungswidrigkeit nicht mehr strafbar sei. Die Berufungsbehörde folgte diesem Standpunkt jedoch unter Bezugnahme auf § 2 Abs 2 des ArtVII der genannten Nov. nicht, weil die erstinstanzliche Entscheidung am , also vor dem Inkrafttreten der FinStrG-Nov. 1975, ergangen sei.

3. Gegen beide Rechtsmittelbescheide richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des Gleichheitsrechtes infolge Anwendung der nach seiner Ansicht dem Gleichheitsgebot widersprechenden Bestimmung des § 2 Abs 2 des ArtVII der FinStrG-Nov. 1975 behauptet und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt.

4. Der Bf. erhob gegen dieselben Bescheide der Finanzlandesdirektion auch Beschwerden an den VwGH, der mit Erk. Z 2913, 2914/78 vom die Beschwerde gegen den die Wiederaufnahme betreffenden Bescheid als unbegründet abwies und den die Bestrafung wegen der Finanzordnungswidrigkeit betreffenden Bescheid infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufhob.

II. Die Aufhebung des die Bestrafung des Bf. betreffenden Bescheides durch den VwGH bewirkt den Wegfall dieses Beschwerdegegenstandes, sodaß das Beschwerdeverfahren insoweit einzustellen war.

Ein Kostenzuspruch an den Bf. kam nicht in Betracht (s. dazu zB ).

III. Soweit sich die vorliegende Beschwerde gegen den die Wiederaufnahme betreffenden Bescheid richtet, hat der VfGH über sie erwogen:

1. Der VwGH wies in jenem Teil der Entscheidungsgründe seines vorerwähnten Erkenntnisses, der sich auf den die Bestrafung des Bf. betreffenden Bescheid bezieht, darauf hin, daß der an die Stelle des § 48 Abs 1 lita FinStrG aF getretene § 49 Abs 1 lita nF sich in dem für den Fall des Bf. maßgebenden Umfang, was das objektive Tatbild anlange, von der alten Strafbestimmung nicht unterscheide; wohl aber sei im neuen Recht eine Finanzordnungswidrigkeit nur dann verwirklicht, wenn der Täter vorsätzlich handle. Hievon ausgehend lehnte der VwGH die Ansicht des Bf. ab, daß § 2 Abs 1 zweiter Satz des ArtVII der FinStrG-Nov. 1975 auf ihn Anwendung finde, und trat mit näherer Begründung dem Standpunkt der (auch) bei ihm bel. Beh. bei, daß kraft § 2 Abs 2 diese Artikels in Ansehung der dem Bf. zur Last gelegten Tat § 48 Abs 1 lita FinStrG aF anzuwenden sei.

Der Bf. behauptet nun, daß die bel. Beh. den von ihm als dem Gleichheitsgebot widersprechend kritisierten Abs 2 des § 2 im ArtVII FinStrG-Nov. 1975 nicht nur in dem die Bestrafung betreffenden sondern auch in dem hier zu betrachtenden Bescheid über die Wiederaufnahme des Finanzstrafverfahrens angewendet habe, und verweist diesbezüglich auf den letzten Satzteil des § 165 Abs 1 FinStrG nF.

Der VfGH kann jedoch der Ansicht des Bf., die kritisierte Vorschrift der FinStrG-Nov. 1975 sei präjudiziell, nicht beipflichten.

2. Die im hier gegebenen Zusammenhang in Betracht zu ziehenden Vorschriften des ArtVII §§2 und 3 Abs 1 der FinStrG-Nov. 1975 sowie § 165 Abs 1 litb FinStrG nF (samt Eingang und Schlußsatz) haben folgenden Wortlaut:

"Artikel VII

...

§2.

(1) Die §§1 bis 52, 248 und 250 bis 252 des FinStrG, der § 6 des Gasöl-Steuerbegünstigungsgesetzes und der § 38 des Tabakmonopolgesetzes 1968 sind, soweit sie durch dieses Bundesgesetz geändert werden, in der geänderten Fassung auf Taten anzuwenden, die nach dem Inkrafttreten dieses BG begangen worden sind. Auf früher begangene Taten sind sie dann anzuwenden, wenn die Bestimmungen, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren.

(2) Die im Abs 1 genannten Bestimmungen in der Fassung dieses BG sind in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten die das Verfahren erster Instanz abschließende Entscheidung ergangen ist. Nach Aufhebung einer solchen Entscheidung infolge eines Rechtsmittels, eines Einspruches oder einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens ist jedoch nach Abs 1 vorzugehen.

§3.

(1) Die §§53 bis 246 FinStrG sind, soweit sie durch dieses BG geändert werden und im folgenden nicht anderes bestimmt wird, in der geänderten Fassung auf Verfahren anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses BG anhängig sind oder nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens anhängig werden.

..."

"§165.

(1) Die Wiederaufnahme eines durch Erk. (Bescheid, Rechtsmittelentscheidung) abgeschlossenen Finanzstrafverfahrens ist auf Antrag oder von Amts wegen zu verfügen, wenn ein ordentliches Rechtsmittel gegen die Entscheidung nicht oder nicht mehr zulässig ist und

...

b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht werden konnten, oder

...

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich eine im Spruch anders lautende Entscheidung herbeigeführt hätte."

Der VwGH vertritt in seinem schon mehrmals zitierten Erk. zu dem im letzten Satzteil des § 165 Abs 1 FinStrG nF enthaltenen Tatbestandsmerkmal der "Voraussichtlichkeit" ("... voraussichtlich ...") in bezug auf neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel die Auffassung, daß es einem gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit entspreche. Der VfGH schließt sich dieser Ansicht an und meint, daß dies sinngemäß für die letztlich nur im wiederaufgenommenen Finanzstrafverfahren beantwortbare Rechtsfrage gilt, ob in ihrer Auslegung umstrittene Übergangsvorschriften dahin zu verstehen sind, daß sie die Anwendung des zur Zeit der Tat geltenden Rechts oder die der geänderten Gesetzeslage gebieten. Bei einer solchen, notwendigerweise - bildlich ausgedrückt - nicht in die Tiefe gehenden, sondern an der Oberfläche bleibenden Betrachtung einer nur einen Übergangszeitraum betreffenden Rechtsvorschrift kann von einer Anwendung durch die über die Wiederaufnahme entscheidende Behörde infolge einer bloßen Wahrscheinlichkeitsbeurteilung ebensowenig die Rede sein wie davon, daß der VfGH diese Vorschrift anläßlich der ihm obliegenden Bescheidkontrolle iS des Art 140 Abs 1 B-VG "anzuwenden" hätte.

3. Bei der gegebenen verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften könnte der erhobene Vorwurf einer Verletzung des Gleichheitsrechtes gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. zB VfSlg. 9015/1981) nur berechtigt sein, wenn die belangte Finanzlandesdirektion Willkür geübt hätte. Dies trifft aber offenkundig nicht zu und wird vom Bf. auch nicht behauptet.

4. Das Beschwerdeverfahren ergab auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Bf. durch den bekämpften Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder infolge der Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in einem Recht verletzt worden wäre.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.