OGH vom 09.11.2015, 22Os8/15i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Mascher und Dr. Waizer sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Sailer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld und des Ausspruchs über die Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom , AZ D 13 55, 3 DV 14 17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, und des Kammeranwalts Dr. Schmidinger zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit der (lediglich) in Ansehung des Ausspruchs über die Schuld ausgeführten Berufung bekämpft der Disziplinarbeschuldigte das Erkenntnis des Disziplinarrats, womit er schuldig erkannt wurde, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt dadurch begangen zu haben, dass er am in I***** im Verfahren gegen Dr. Hannes S***** zu AZ 29 Hv 104/10d des Landesgerichts Innsbruck beantragt habe, das „Verfahrenshilfeverfahren“ gegen seinen Mandanten Univ. Prof. Dr. Hannes S***** wieder aufzunehmen und diesem rückwirkend die Verfahrenshilfe abzuerkennen, wobei er darauf verwiesen habe, dass dieser durch unvollständige und unrichtige Angaben, insbesondere durch die „Nichtbekanntgabe von Poolgeldern“ die Verfahrenshilfe erschlichen hätte.
Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 3.500 Euro verurteilt.
Der Disziplinarrat stellte im Wesentlichen fest:
Bereits zumindest seit Oktober 2008 bis hatte der Disziplinarbeschuldigte die Vertretung von Dr. Hanns S***** in diversen Verfahren inne. Darunter befand sich auch die Vertretungstätigkeit im Strafverfahren AZ 29 Hv 140/10d des Landesgerichts Innsbruck sowie in Verfahren vor der Medizinischen Universität Innsbruck, sohin auch in dem Verfahren STRA/2 (erstinstanzliche Entscheidung vom ), worin es um die Auszahlung von im Zuge der Suspendierung „eingefrorenen“ Poolgeldern ging.
Im Verfahren AZ 29 Hv 140/10d des Landesgerichts Innsbruck wurde am ein Verfahrenshilfeantrag eingebracht, in welchem sich der Disziplinarbeschuldigte bereit erklärte, für den Fall der antragsgemäßen Bewilligung die Vertretung zu übernehmen. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom wurde die Verfahrenshilfe bewilligt und im Weiteren der Disziplinarbeschuldigte zum Vertreter bestellt. Im zugrundeliegenden Verfahrenshilfeantrag findet sich kein Hinweis auf Poolgelder.
Spätestens mit der Zustellung der im Instanzenzug ergangenen Entscheidung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung am , war dem Disziplinarbeschuldigten bekannt, dass Dr. S***** keinen Rechtsanspruch auf Auszahlung der Poolgelder hatte.
Nach rechtskräftiger Beendigung des genannten Strafverfahrens wurde in einem vor dem Schlichtungsausschuss der Ärztekammer Tirol durchgeführten Verfahren, in dem der Disziplinarbeschuldigte erneut die Vertretung des Dr. S***** innehatte, eine kulanzweise Regelung erzielt, die im Februar 2012 zur Ausbezahlung von 66.119,71 Euro an Poolgeldern an Dr. S***** führte.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag des Disziplinarbeschuldigten auf Zuerkennung einer Sondervergütung gemäß § 16 Abs 4 RAO für seine Vertretungsleistungen als Verfahrenshelfer im Strafverfahren AZ 29 Hv 140/10d des Landesgerichts Innsbruck wegen ungewöhnlich langer Verfahrensdauer wurde mit Bescheid des Plenums des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom abgewiesen.
Mit Schreiben vom kündigte der Disziplinarbeschuldigte wegen Nichtzahlung seines bekanntgegebenen Honorars das Vertretungsverhältnis zu Dr. S***** auf und beantragte am zu AZ 29 Hv 140/10d des Landesgerichts Innsbruck die Wiederaufnahme des „Verfahrenshilfeverfahrens“ sowie, die Verfahrenshilfe rückwirkend abzuerkennen, weil Dr. S***** in seinem Antrag auf Verfahrenshilfe vom eine offene Forderung bezüglich Poolgelder von ca 66.000 Euro nicht angegeben habe und ihm unter Berücksichtigung dieser Forderung Verfahrenshilfe nicht zugestanden sei.
Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft das Erkenntnis des Disziplinarrats mit einer Berufung wegen der Aussprüche über Schuld (implizit [§ 49 letzter Satz DSt]) und Strafe, der jedoch keine Berechtigung zukommt.
Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ist nicht geeignet, Bedenken gegen die Sachverhaltsfeststellungen des Disziplinarrats zu wecken: Der Vorwurf der „Erschleichung von Verfahrenshilfe“ war ohnehin nicht explizit angenommen worden. Auch die Frage, ob Dr. S***** bei der Stellung des Verfahrenshilfeantrags vom Disziplinarbeschuldigten angeleitet worden war, betrifft keine entscheidende Tatsache, wobei zu bemerken bleibt, dass trotz der in der Berufung vorgebrachten Umstände, wonach am , einem Samstag, der Disziplinarbeschuldigte keine Kanzleistunden unterhalte, der Vermerk: „Ich bin bereit, diese Verfahrenshilfe zu übernehmen ***** Dr. ***** RA in *****“ mit eigenhändiger Unterschrift des Disziplinarbeschuldigten und dem Datum „“ versehen war.
Richtig ist, dass § 68 Abs 2 ZPO dem bestellten Rechtsanwalt die Möglichkeit einräumt, bei Gericht die Entziehung der Verfahrenshilfe zu beantragen. Der Disziplinarbeschuldigte übersieht jedoch, dass diese Bestimmung im Regime der StPO nicht zur Anwendung gelangt, sondern hinsichtlich der Verfahrenshilfe § 61 StPO gilt. Auch aus dieser Argumentation ist daher für den Berufungswerber, dem in seiner Funktion zuzusinnen ist, sich mit Gesetzeslage und Judikatur vertraut zu machen, nichts zu gewinnen, zumal zum Zeitpunkt der Stellung dieses Antrags am das Vertretungsverhältnis bereits längst beendet war und zwar sowohl durch Aufkündigung des Mandatsverhältnisses durch den Disziplinarbeschuldigten einerseits als auch insbesondere durch rechtskräftige Erledigung des Strafverfahrens AZ 29 Hv 140/10d des Landesgerichts Innsbruck andererseits.
Im Übrigen genügt der die subjektive Tatseite bestreitenden Argumentation entgegenzuhalten, dass hier jedenfalls vorliegende fahrlässige Begehungsweise zur Erfüllung des Tatbestands des in Rede stehenden Disziplinarvergehens hinreicht ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 1 DSt 855; zuletzt 21 Os 8/14f).
Ob Gegenstand des vor der medizinischen Universität Innsbruck zur Zahl STRA/2 geführten Verfahrens die Auszahlung von Poolgeldern oder die Forderung von Schadenersatz wegen des Entgangs von Poolgeldern war, ist ebenfalls nicht von entscheidender Bedeutung.
Wie der Disziplinarrat richtig erkannte, hat der Disziplinarbeschuldigte durch seinen Antrag, das „Verfahrenshilfeverfahren“ wiederaufzunehmen und dem vormaligen Mandanten die Verfahrenshilfe rückwirkend abzuerkennen, dies mit der Begründung, dass Dr. S***** Forderungen in Bezug auf Poolgelder verschwiegen habe, gegen die ihn treffende Treue und Verschwiegenheitspflicht gemäß § 9 RAO verstoßen. Dabei mag dahin gestellt bleiben, ob und aus welchem Grund letztlich Gelder bezahlt worden waren. Zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrags war dem Disziplinarbeschuldigten als damaligen Vertreter auch im Verfahren STRA/2 bekannt, dass gerade kein Rechtsanspruch auf Poolgelder (durch wen auch immer zu leisten) für seinen Mandanten besteht. Infolgedessen war der Verfahrenshilfeantrag korrekt ausgefüllt. Zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrags auf „Wiederaufnahme des Verfahrenshilfeverfahrens“ war dem Disziplinarbeschuldigten aus seiner Tätigkeit als Anwalt des Dr. S***** bekannt, dass eine Zahlung aus Poolgeldern (aus Kulanzgründen) erfolgt war; dies jedoch erst nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens und damit einhergehender Beendigung der Verfahrenshilfe gemäß § 61 StPO.
Gemäß § 9 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Abs 2 leg cit unterwirft den Rechtsanwalt einer Verschwiegenheitspflicht, die im besonderen Vertrauensverhältnis gegenüber der Partei ihre Rechtfertigung findet. Wer sich einem Rechtsanwalt in der Absicht, von diesem vertreten zu werden, anvertraut oder ihm Unterlagen übergibt, hat einen Anspruch darauf, dass seine dem Rechtsanwalt gemachten Mitteilungen und überhaupt alles, was ihm in welcher Weise immer in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt wurde, durch das Berufsgeheimnis gedeckt ist; und zwar in jedem Fall, deshalb auch dann, wenn der Rechtsanwalt die Übernahme der ihm zugedachten Angelegenheit ablehnen sollte. Maßgebend ist nur, dass es eine dem Rechtsanwalt anvertraute, das heißt im Vertrauen auf die Berufsstellung übertragene Angelegenheit ist ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 9 RAO Rz 24). Nichts anderes hat für bereits rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zu gelten.
Im vorliegenden Fall hat der Disziplinarbeschuldigte zum Zeitpunkt der Stellung des Wiederaufnahmeantrags bereits keine Tätigkeit mehr als Parteienvertreter und zwar weder als gewählter noch als bestellter Vertreter ausgeübt, sondern trat er in eigener Sache, sohin ohne Mandat, offenbar zur Erreichung eines direkten Zahlungsanspruchs an Honorar für seine Vertretungstätigkeit im Strafverfahren (da aus dem Titel Sondervergütung endgültig keine Zahlung zu erwarten war) durch die beantragte Aberkennung der Verfahrenshilfe auf. Der konstatierte Bruch der Treue und Verschwiegenheitspflicht (RIS Justiz RS0055168, RS0072093) kann in diesem Fall nicht als Berufspflichtenverletzung sondern einzig als Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (jüngst 22 Os 3/14b) vorgeworfen werden.
Davon ging im Ergebnis auch der Disziplinarrat aus, der bei den Erschwerungsgründen gerade keine Qualifikation infolge Berufspflichtenverletzung und Ansehensverletzung annahm.
Was die implizierte (§ 49 letzter Satz DSt) Berufung gegen den Strafausspruch betrifft sieht sich der Oberste Gerichtshof mit Blick auf die vom Disziplinarrat zutreffend als mildernd angenommene bisherige Unbescholtenheit, der kein Erschwerungsgrund gegenübersteht, zu keiner Änderung der auch in Bezug auf eine durchschnittliche finanzielle Situation eines Rechtsanwalts angemessenen, ohnehin im unteren Bereich des Strafrahmens liegenden Sanktion bestimmt.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0220OS00008.15I.1109.000