OGH vom 16.11.1994, 9ObA204/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Eva-Maria Sand und Amtsrat Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wilhelm G*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Michael Graff und Mag.Werner Suppan, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Land Niederösterreich, vertreten durch den Landeshauptmann Dr.Erwin Pröll, Herrengasse 11-13, 1010 Wien, dieser vertreten durch Dr.Erich Hermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 210.416,88 brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 34 Ra 57/94-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 13 Cga 37/93t-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S
10.665 (darin S 1.777,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der beklagten Partei über 25 Jahre als Kraftwagenlenker (Vertragsbediensteter) beschäftigt. Anläßlich seiner Pensionierung erhielt er eine Abfertigung in Höhe von S 268.896.
Mit der vorliegenden Klage begehrt er eine Abfertigungsdifferenz von S 210.416,88 brutto sA. Die Berechnung seiner Abfertigung entspreche zwar dem Wortlaut des § 64 Abs 4 und 6 des Niederösterreichischen Landesvertragsbedienstetengesetzes (NÖ LVBG), verstoße aber gegen den verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsgrundsatz. Nach der zitierten Bestimmung werde die Abfertigung nach dem für den letzten Monat gebührenden Monatsentgelt und den dort aufgezählten Zulagen ermittelt. Hingegen finde eine regelmäßig anfallende Mehrleistungszulage (Überstundenentgelt) keine Berücksichtigung. Diese Ausnahme widerspreche den Bestimmungen und Wertungen des Angestelltengesetzes. Die geforderte Differenz ergebe sich aus der Einbeziehung des Überstundenentgelts in die Bemessungsgrundlage der Abfertigung.
Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Das Angestelltengesetz finde auf das Dienstverhältnis des Klägers keine Anwendung. Dem Landesgesetzgeber stehe es frei, die Dienstverhältnisse seiner Bediensteten anders zu regeln als nach dem Angestelltengesetz. Die Abfertigungsregelung des NÖ LVBG sei weder unsachlich noch gleichheitswidrig.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Dienstverhältnis des Klägers habe gemäß § 60 Abs 3 lit a NÖ LVBG geendet. Ihm gebühre daher eine Abfertigung, die gemäß § 64 Abs 4 und 6 lit b NÖ LVBG zu ermitteln sei. Diese Abfertigung habe der Kläger erhalten. Da in § 64 Abs 4 NÖ LVBG genau festgelegt sei, welche Entgeltbestandteile für die Berechnung der Abfertigung heranzuziehen seien, ergebe sich, daß dort nicht aufgezählte Entgelte nicht zu berücksichtigen seien. Es liege diesbezüglich keine Regelungslücke vor. Gemäß § 3 AngG sei das Dienstverhältnis des Klägers vom Geltungsbereich des Angestelltengesetzes ausgenommen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers führte es aus, daß das NÖ LVBG und das AngG eine Reihe unterschiedlicher Regelungen aufwiesen, nach denen einmal die Vertragsbediensteten und einmal die Angestellten günstiger behandelt würden. Diese unterschiedlichen Regelungen seien unbedenklich, weil ihnen eine sachliche Rechtfertigung zugrunde liege. Der Argumentation des Klägers, aus der historischen Entwicklung der Abfertigung sei zwingend die Identität des Entgeltbegriffes abzuleiten, sei entgegenzuhalten, daß unter dem Begriff des Monatsentgelts im Sinne des VBG nicht wie im übrigen Arbeitsrecht ein die gesamte Entlohnung umfassender Oberbegriff, sondern nur das sogenannte Grundgehalt zu verstehen sei. Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 4 Ob 105/71 entschieden habe, bewirke die unterschiedliche Regelung der Abfertigungsbestimmungen für die Vertragsbediensteten des Bundes und jene der Angestellten keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Da § 35 Abs 4 VBG dem § 64 Abs 4 NÖ LVBG - von der Berücksichtigung weiterer Zulagen abgesehen - entspreche, müsse dies auch für die Vertragsbediensteten der beklagten Partei gelten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers, in der er vorerst anregt, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG iVm § 62 VfGG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, die in § 64 Abs 4 NÖ LVBG enthaltene Wortfolge "Monats"(entgeltes) sowie "der Ergänzungszulage, Verwaltungsdienstzulage, allgemeine Dienstzulage, Haushaltszulage, Teuerungszulage, Personalzulage und Zulage gemäß § 73 der Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972, LGBl 2200" in der Fassung der 5.Novelle, LGBl 2300-5 wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot als verfassungswidrig aufzuheben. Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil nach Ergehen der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes "auf dem Boden der bereinigten Rechtslage" im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Wie die Vorinstanzen richtig erkannten, wird im NÖ LVBG der Begriff des Monatsentgelts (§ 22) so wie der des Monatsentgelts gemäß § 8a VBG 1948 nicht wie sonst im Arbeitsrecht üblich als Oberbegriff, der alle Entlohnungen (Bezüge) umfaßt, verwendet, sondern dieser genau abgegrenzte Hauptbezug wird den übrigen Entgeltbestandteilen (§§ 26, 34 ff) lediglich beigeordnet. Nach § 64 Abs 4 NÖ LVBG ist die Abfertigung ausdrücklich mit einem Vielfachen des dem Vertragsbediensteten für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Monatsentgelts und der taxativ aufgezählten Zulagen zu bemessen. Andere Zulagen oder Entgelte sind daher nicht zu berücksichtigen (vgl Arb 6139-VBG; 8970-VBG; 9 Ob A 366/93-NÖ GVBG; 9 Ob A 150/94-NÖ GVBG ua).
Den weitwendigen Ausführungen des Revisionswerbers, § 64 Abs 4 NÖ LVBG sei wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig, da an sich gleichgelagerte Sachverhalte vorlägen, die einer gleichartigen Lösung zuzuführen seien, so daß auch für die Abfertigungsregelung des NÖ LVBG der umfassende Entgeltbegriff des § 23 AngG gelten müsse, ist entgegenzuhalten, daß es bei der Prüfung der Sachlichkeit einer Regelung nicht auf einen punktuellen Vergleich isolierter Bestimmungen ankommt. Sachlich gerechtfertigte Differenzierungen sind zulässig, soweit sie im Sachzusammenhang mit anderen Bestimmungen aufgewogen werden. Verschiedene Regelungen der Ansprüche von Dienstnehmern aus sachlichen Gründen bedeuten keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Arb 8970 - VBG mwH; 9 Ob A 150/94 - NÖ GVBG).
Abgesehen davon, daß die Vertragsbediensteten des Landes Niederösterreich nicht in die Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes des Abfertigungsanspruches gemäß § 23 Abs 2 AngG kommen können, enthält das NÖ LVBG eine Reihe von Bestimmungen, welche den Vertragsbediensteten im Entgeltbereich wesentlich günstiger stellen als einen nicht diesem Gesetz unterliegenden Arbeiter oder Angestellten (vgl etwa §§ 38 ff NÖ LVBG). Wie der Revisionswerber selbst ausführt, umfaßt der Begriff der Abfertigung auch Elemente des Kündigungsschutzes und ein Äquivalent für den Verlust des Arbeitsplatzes (vgl Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7 § 23 Erl 1; Migsch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte §§ 23, 23 a Rz 159 ff ua). Bei der anzustellenden Durchschnittsbetrachtung ist sohin zu berücksichtigen, daß das Dienstverhältnis eines Vertragsbediensteten nach einem Jahr gemäß § 61 NÖ LVBG nur mehr schriftlich und mit Angabe eines Grundes (Abs 2) gekündigt werden kann. Gemäß § 57 Abs 1 NÖ LVBG ist der Vertragsbedienstete nach einer Dienstzeit von zehn Jahren in ein unkündbares Dienstverhältnis zu übernehmen. Die §§ 58 und 59 NÖ LVBG sehen besondere Bestimmungen für die dienst- und besoldungsrechtliche Behandlung eines gesundheitlich nicht geeigneten Vertragsbediensteten vor.
Der besondere Bestandschutz bildet einen wesentlichen Teil des Dienstverhältnisses der Vertragsbediensteten, dem eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Dieser vom Kündigungsschutz für andere Arbeitnehmergruppen abweichende Sonderschutz bedeutet, daß der Vertragsbedienstete praktisch während seiner gesamten Dienstzeit sozial abgesichert ist. Der besondere Bestandschutz gehört somit zum Wesenskern des Vertragsbedienstetenverhältnisses; er ist als ein Strukturprinzip dem Vertragsbedienstetenrecht immanent ( in Infas 1994 A 134). Zufolge der engen Verknüpfung der Abfertigungsregelung mit den Vorschriften über die Beendigung eines Dienstverhältnisses ist daher der Sonderschutz des Vertragsbediensteten als spezifische Besserstellung den Abfertigungsbestimmungen der übrigen Arbeitnehmer gegenüberzustellen. Der zu einer unterschiedlichen Regelung führende Zusammenhang ist ausgewogen und sachlich begründet. Die Vertragsbediensteten erhalten nach dem NÖ LVBG zwar weniger Abfertigung, haben aber bereits nach einem Jahr Dienstzeit Kündigungsschutz. Fragen des Art 21 Abs 1 letzter Satz B-VG sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens (9 Ob A 150/94).
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.