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OGH vom 23.03.2018, 8Ob56/17v

OGH vom 23.03.2018, 8Ob56/17v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** M*****, vertreten durch Dr. Edgar Veith, Rechtsanwalt in Götzis, gegen die beklagte Partei M***** U*****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Herausgabe, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 36 R 302/16b-24, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom , GZ 3 C 4/16t-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren werden als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen.

Die Kosten des nichtigen Verfahrens erster und zweiter Instanz werden gegenseitig aufgehoben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.310,52 EUR (darin 104,92 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Die Ehegattin des Klägers verstarb am in ihrem Wohnhaus an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK), einer anzeigepflichtigen, übertragbaren Krankheit iSd § 1 Abs 1 Z 1 EpidemieG.

Bei der beklagten Universität ist im Auftrag des Gesundheitsministeriums (BMAGS) das „Österreichische Referenzzentrum zur Erfassung und Dokumentation menschlicher Prionen-Erkrankungen“ (abgekürzt: ÖRPE) eingerichtet, dessen Aufgabe darin besteht, zentral für ganz Österreich diagnostische und wissenschaftliche Leistungen im Zusammenhang mit den genannten Krankheiten zu erbringen. Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe, insbesondere zur fortlaufenden weiteren wissenschaftlichen Erforschung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, werden beim ÖRPE Gewebeproben (Gehirne) aller seit 1990/91 in Österreich daran verstorbenen Patienten aufbewahrt und es wird an diesen bei neuen Erkenntnissen auch geforscht.

Der Leichnam der verstorbenen Gattin des Klägers wurde aufgrund der Verdachtsdiagnose CJK durch den diensthaftenden Arzt, dem der Bürgermeister die Durchführung der Totenbeschau (§ 10 Vbg BestattungsG LGBl 58/1969) überlassen hatte, in einer Vorarlberger Klinik obduziert und anschließend der Familie zur Feuerbestattung übergeben. Bei der Obduktion wurde dem Leichnam das Gehirn entnommen und dieses am zusammen mit zwei separaten Gewebsproben an das ÖRPE übermittelt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten als Trägerin des ÖRPE die Herausgabe des Gehirns und etwaiger weiterer Leichenteile seiner verstorbenen Gattin. Sein Anspruch gründe sich auf die Wahrnehmung nachwirkender Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen und auf seine Stellung als Alleinerbe.

Für den Fall, dass sein Hauptanspruch nicht zu Recht bestehen sollte, stellte der Kläger drei Eventualbegehren, die auf die Unterlassung von „Störungen am Hirn“, auf dessen Herausgabe in eingeäschertem Zustand und auf Auskunftserteilung gerichtet sind.

Die Kinder der Verstorbenen haben allfällige persönliche Ansprüche gegen die Beklagte an den Kläger zur Geltendmachung abgetreten.

Die Beklagte wandte ein, die Meldung einer anzeigepflichtigen Krankheit und die Obduktion der Verstorbenen seien nach § 5 Abs 2 EpidemieG erfolgt und die Übermittlung und Aufbewahrung der Gewebeteile der Verstorbenen bei der Beklagten, die für 30 Jahre vorgesehen sei, gründe sich auf den Auftrag des Bundesministeriums. Sie sei für die Zwecke der wissenschaftlichen Erforschung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit notwendig und diene daher einem vorrangigen öffentlichen Interesse.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren des Klägers statt. Es vertrat die Rechtsansicht, er sei als nächster Angehöriger legitimiert, die über den Tod hinaus fortwirkenden Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen an deren Leichnam wahrzunehmen. Da eine prämortale Willensäußerung der Verstorbenen, was im Falle ihres Todes mit ihrem Leichnam geschehen solle, nicht feststellbar gewesen sei, komme es auf den nur vom Rahmen der guten Sitten begrenzten Willen des Klägers an. Es bestehe keine seinem Ansinnen entgegenstehende öffentlich-rechtliche Bestimmung, aus der die Beklagte ein eigenes Recht zur Aufbewahrung des entnommenen Gewebes ableiten könnte.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der beklagten Partei keine Folge und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu der auch über den Einzelfall hinaus relevanten Rechtsfrage, wie weit die Rechte einer Universität bei der Erfüllung ihrer Forschungsaufgaben reichen, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht ausgesprochenen Gründen zulässig. Aus ihrem Anlass ist Folgendes festzuhalten:

1. Die Revisionswerberin macht in ihrem Rechtsmittel erstmals ausdrücklich geltend, dass für den Klagsanspruch der Rechtsweg unzulässig sei. Dieser auch von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeitsgrund könne hier auch im Revisionsverfahren noch geltend gemacht werden, weil die Vorinstanzen über diese Frage nicht ausdrücklich entschieden hätten. Die Vornahme und Dauer einer sanitätspolizeilich angeordneten Obduktion sei ebenso eine Angelegenheit der Verwaltung wie die im Anschluss daran getroffenen behördlichen Verfügungen über den Leichnam bzw dessen Teile.

Der behauptete Nichtigkeitgkeitsgrund ist aus den im Rechtsmittel dargelegten Gründen mangels bindender Entscheidung der Instanzgerichte vom Obersten Gerichtshof zu prüfen. Für den Eintritt der genannten Bindungswirkung müssten sich die Instanzgerichte entweder im Spruch oder in den Entscheidungsgründen mit der Rechtswegzulässigkeit befasst haben. Es reicht nicht aus, wenn sie sie lediglich implizit, durch meritorische Behandlung des Klagsanspruchs und Fällung einer Sachentscheidung, bejaht haben (RIS-Justiz RS0046249 [T3, T 7]).

2. Für die Zulässigkeit des Rechtswegs vor den ordentlichen Gerichten im Sinn der Art 82 ff B-VG ist in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend. Es kommt auf die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an, ob er ein privatrechtlicher im Sinn des § 1 JN ist, über den die Zivilgerichte zu entscheiden haben (stR; RIS-Justiz RS0045584; RS0045718; RS0005896; Mayr in Rechberger ZPO4 Vor § 1 JN Rz 6). Bürgerlich-rechtliche Ansprüche im Sinn des § 1 JN sind jene anspruchsbegründenden rechtlichen Regelungen, die auf Gleichordnung beruhende Rechtsbeziehungen zwischen beliebigen Rechtssubjekten zum Gegenstand haben (1 Ob 246/14d mwN). Die Kompetenz der ordentlichen Gerichte hängt davon ab, ob ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, der nicht ausdrücklich durch das Gesetz vor eine andere Behörde verwiesen wird (§ 1 JN; RIS-Justiz RS0045584 [T32]).

Eine Ausnahme von der Gerichtszuständigkeit muss in den hiefür erforderlichen „besonderen Gesetzen“ klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden. Eine ausdehnende Auslegung von Vorschriften, die eine Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde normieren, ist unzulässig (RIS-Justiz RS0045474). Fehlt es an einer anderweitigen gesetzlichen Zuordnung, sind bürgerliche Rechtssachen gemäß § 1 JN im Zweifel durch die Gerichte zu entscheiden (RIS-Justiz RS0045456).

3. Der Kläger macht als naher Angehöriger der Verstorbenen deren postmortale Persönlichkeitsrechte geltend, womit er einen grundsätzlich privatrechtlichen Anspruch behauptet (6 Ob 283/01p = SZ 2002/107 mwN; RIS-Justiz RS0116720; 4 Ob 224/13i; 1 Ob 116/16i). Schon aus dem Klagsvorbringen geht aber hervor, dass die Obduktion seiner Gattin und der Weg der entnommenen Gewebeteile zur Beklagten bis hin zur Aufbewahrung durch Behördeninitiative in Vollziehung des EpidemieG erfolgt ist; an dieser Rechtsgrundlage selbst ändert es auch nichts, dass der Kläger Mängel bei der Vollziehung des Gesetzes (wegen einer im Anlassfall mangelnden Anordnungskompetenz des Totenbeschauers) behauptet hat.

4. Das Gesundheitswesen ist (mit Ausnahme des Leichen- und Bestattungswesens) gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG Bundessache.

Gemäß § 1 Abs 1 Z 1 EpidemieG unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an transmissiblen spongiformen Enzephalopathien (darunter dem Creutzfeldt-Jakob-Syndrom) der Anzeigepflicht. Gemäß § 3 Abs 1 Z 10 dieses Gesetzes ist der Totenbeschauer zur Erstattung der Anzeige über den Sterbefall an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde (§ 2 Abs 1 leg cit; in Angelegenheiten der Bundesverwaltung: § 2 AVG) verpflichtet. Nach § 1 Abs 1 der VO vom betreffend Leichen von mit anzeigepflichtigen Krankheiten behafteten Personen, RGBl 1914/263 (iVm § 5 Abs 2 EpidemieG, wiederverlautbarte Urfassung), ist die sanitätspolizeiliche Obduktion über Anordnung der politischen Bezirksbehörde (Bezirksverwaltungsbehörde) vorzunehmen.

5. Im vorliegenden Fall hängt die Abgrenzung zwischen Gerichtsbarkeit und Verwaltung und damit die Beurteilung der Unzulässigkeit des Rechtswegs im engeren Sinn daher davon ab, ob die Beklagte mit der Empfangnahme, Untersuchung und Aufbewahrung der bei der Obduktion entnommenen Gewebeteile als Organ des Bundes im Rahmen der Vollziehung des EpidemieG anzusehen ist (vgl zur Problematik auch 1 Ob 116/16i).

Ein Rechtsträger muss sich das Verhalten, das ein von ihm bestelltes Organ in Vollziehung der Gesetze setzte, selbst bei allfälligem Überschreiten seiner Zuständigkeit zurechnen lassen (Schragel, AHG3 [2003] Rz 27; Kopetzki, Zur Zulässigkeit des Rechtswegs gegen Obduktionen, Glosse zu OGH 1 Ob 116/16i; RdM 2017/83; vgl auch Ballon, EvBl 2017/32, 230 f).

Grundsätzlich sind wissenschaftliche Untersuchungen an den im Rahmen von Obduktionen entnommenen Gewebeteilen als Element seuchenrechtlicher Maßnahmen als hoheitliches Organhandeln einzuordnen. Die Beiziehung von fachlichen Untersuchungsanstalten (§ 5 Abs 1 EpidemieG) oder sonstigen Fachleuten (§ 1 VO RGBl 1914/263) ist dazu vorgesehen, worunter auch die Beauftragung von einschlägig qualifizierten Sachverständigen oder wissenschaftlichen Universitätseinrichtungen zu verstehen ist (vgl Kopetzki aaO).

Nach Art 20 B-VG führen unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder nach den Bestimmungen der Gesetze auf Zeit gewählte Organe, ernannte berufsmäßige Organe oder vertraglich bestellte Organe die Verwaltung.

Nach § 29 Abs 6 UG können den Organisationseinheiten einer Medizinischen Universität bzw einer Medizinischen Fakultät gegen Ersatz der Kosten Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens (vgl auch Art 10 Z 12 B-VG) übertragen werden. Eine solche vertragliche Übertragung stellt der zwischen dem (damals) Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Konsumentenschutz (BMAGS) und dem Klinischen Institut für Neurologie (der Beklagten) geschlossene Vertrag über die Errichtung des ÖRPE dar, das der Erbringung von Leistungen (unter anderem) zur verbesserten epidemiologischen Überwachung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit dient und durch das Ministerium finanziert wird.

5. Zusammengefasst führt dies zu dem Ergebnis, dass – unabhängig von der Prüfung der Zulässigkeit der Errichtung (vgl VfSlg 8.466) – die Beklagte im Rahmen des ÖRPE als vertraglich bestelltes Organ der für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesverwaltung tätig war und ist. Bei der vorliegenden Streitigkeit über die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten in dieser Funktion gesetzten Maßnahmen handelt es sich daher um eine Angelegenheit der Verwaltung, für die der ordentliche Rechtsweg nicht offensteht.

Nach § 11 der VO RGBl 263/1914 ist die politische Behörde berechtigt, den Zeitpunkt der Beerdigung der (an einer vom EpidemieG erfassten Krankheit verstorbenen) Leichen festzusetzen. Mit der Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Bestattung steht den Hinterbliebenen auch ein Rechtsbehelf zur Klärung der Beendigung der Obduktion im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens offen.

6. Aus Anlass der zulässigen Revision war die Nichtigkeit des bisherigen Verfahrens und der Entscheidungen der Vorinstanzen wahrzunehmen und die Klage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 51 Abs 2 ZPO.

Die beklagte Partei hat sich ohne ausdrücklichen Hinweis auf den vorliegenden Nichtigkeitsgrund in das Verfahren eingelassen. Die Voraussetzungen für die Belastung nur der klagenden Partei mit den gesamten Verfahrenskosten liegen daher nicht vor (7 Ob 110/08i; 5 Ob 50/13h; Obermaier, Kostenhandbuch² [2010], Rz 173 f); sondern nur mit jenem des Revisionsverfahrens (Obermaier aaO Rz 176).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00056.17V.0323.000

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