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VfGH vom 26.09.1984, B571/78

VfGH vom 26.09.1984, B571/78

Sammlungsnummer

10144

Leitsatz

Finanzstrafgesetz; Annahme der fahrlässigen Abgabenverkürzung gemäß § 34; Übernahme des Sachverhaltes aus rechtskräftigen Abgabenvorschreibungen ohne eigenständige Prüfung; Verletzung des Eigentumsrechtes aus den im Erk. VfSlg. 8111/1977 dargelegten Gründen

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Finanzamt Freistadt erließ an den Bf. (welcher einen als "Automatenservice" bezeichneten Gewerbebetrieb führt) im Kalenderjahr 1974 seinen Abgabenerklärungen im wesentlichen entsprechende Bescheide über die Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, in denen die Einkommensteuer sowie die Gewerbesteuer jeweils mit "0" S und die Umsatzsteuer mit 6466 S festgesetzt wurden. Im August 1976 fand beim Bf. eine Betriebsprüfung statt, aufgrund welcher der Prüfer in seinem Bericht folgende "Umsatzermittlung" bzw. "Gewinnermittlung 1974" vornahm (und demnach die Umsatzsteuer mit 24298 S, die Einkommensteuer mit 11290 S sowie die Gewerbesteuer mit 9492 S errechnete):

"Umsatzermittlung

Bruttoumsatz laut Losungsaufzeichnungen

Bank und Barerlöse ............................. 226392,39

+ Nichteingetragener Erlös laut KM ............. 360,-

+ Nichteingetragener Erlös ..................... 1800,-

+ Erlös M (Soll) ............................... 62350,-

+ 100% SZ (Isterlöse) .......................... 45236,-

---------

Bruttoerlös laut Prüfung (ohne EV) ............. 336138,39

Gewinnermittlung 1974

Gewinn laut Veranlagung ........................ 12110,-

+ Umsatzdifferenz nach Ist .................... + 45236,-

+ 100% SZ ..................................... + 45236,-

Billard vom aktivierungspflichtig

18000,-

+ 9% 1620,-

--------

19620,- 1/3 AfA = ............ - 6540,-

+ 18000,-

+ Handelswert, irrtümlich als AfA abgesetzt ..... 33000,-

+ Handelswert, irrtümlich als AfA abgesetzt ..... 17000,-

- Tatsächlich geleistete Warenz ................. 63076,-

- Wareneins. v. Sicherheitsz .................... 20966,-

---------

Gewinn laut Prüfung ............................. 80000,-"

Das Finanzamt folgte dem Standpunkt des Prüfers, nahm die Abgabenverfahren wieder auf und erließ dem Prüfungsbericht inhaltlich entsprechende Bescheide.

2. Im Hinblick auf das Ergebnis der Betriebsprüfung leitete das Finanzamt als Finanzstrafbehörde erster Instanz ein Finanzstrafverfahren gegen den Bf. ein; es bestehe der Verdacht, der Bf. habe unter Verletzung seiner abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht für das Jahr 1974 vorsätzlich eine Verkürzung von Umsatzsteuer von 10519 S (errechnet aus nicht erklärten Erlösen von zusammen 64520 S x 16 vH = 8999 S zuzüglich 1620 S Investitionssteuer), von Einkommensteuer von 11290 S und von Gewerbesteuer von 9492 S dadurch bewirkt, daß er verschiedene Erlöse nicht erklärte und von einem aktivierungspflichtigen Billardtisch Selbstverbrauchsteuer nicht entrichtet und hiemit ein Finanzvergehen nach § 33 FinStrG begangen habe. Nachdem der Bf. sich schriftlich gerechtfertigt hatte und eine Strafverfügung infolge seines Einspruchs außer Kraft getreten war, befand das Finanzamt den Bf. mit Straferk. vom des Finanzvergehens der fahrlässigen Abgabenverkürzung nach § 34 FinStrG schuldig, weil er fahrlässig unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht für das Jahr 1974 eine Verkürzung von Umsatzsteuer von 10519 S, von Einkommensteuer von 11290 S und von Gewerbesteuer von 9492 S dadurch bewirkt habe, daß er Erlöse aus dem Verkauf einer Musikbox und selbstverbrauchsteuerpflichtige Anschaffungskosten nicht erklärte. Die Finanzstrafbehörde erster Instanz verhängte über den Bf. eine Geldstrafe von 8000 S sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe von 16 Tagen und verpflichtete ihn zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens von 800 S sowie der Kosten des Strafvollzuges. In der Begründung des Straferk. wurde im wesentlichen folgendes dargelegt:

Im Einspruch gegen die Strafverfügung sei lediglich die Höhe des Verkürzungsbetrages und damit die Strafhöhe bekämpft worden; der strafbestimmende Wertbetrag betrage nur 12000 S und nicht 40000 S (richtig gemeint: 31000 S), weil Sicherheitszuschläge bei der Ermittlung des Verkürzungsbetrages auszuscheiden seien. Dem sei entgegenzuhalten, daß die Höhe des Verkürzungsbetrages aus der nach Aufdeckung des Finanzvergehens erfolgten endgültigen Abgabenfestsetzung zu ermitteln sei. Dabei seien diesem entstandenen Abgabenanspruch jene Abgabenbeträge gegenüberzustellen, die festgesetzt worden wären, wenn das Finanzvergehen der Finanzbehörde nicht bekannt geworden wäre. Selbst wenn man die Sicherheitszuschläge, die bei Ermittlung des auf die Umsatzsteuer entfallenden Verkürzungsbetrages ohnehin nicht berücksichtigt wurden, dieser fiktiven Besteuerungsgrundlage hinzurechne, ergäbe sich ein Gewinn aus Gewerbebetrieb von rund 35000 S. Bei dieser Bemessungsgrundlage ergäbe sich aber noch immer weder eine Einkommennoch eine Gewerbesteuer, sodaß auch bei Nichtberücksichtigung der Sicherheitszuschläge die gesamten Mehrbeträge an Einkommen- und Gewerbesteuer, die sich laut Betriebsprüfung ergaben, dem Verkürzungsbetrag zuzurechnen seien.

3. Der Bf. erhob gegen das Straferk. Berufung, in der er begehrte, "den strafbestimmenden Wertbetrag in der Weise zu ermitteln, daß den Abgaben, die sich aufgrund der mit der für ein Strafverfahren nötigen Sicherheit ergebenden Zurechnungen zum erklärten Betriebsergebnis ergeben haben, der Abgabenbetrag, der sich aufgrund der fehlerhaften Abgabenerklärung ergeben hat, gegenübergestellt wird."

Dieses Rechtsmittel wies die Finanzlandesdirektion für Oö. jedoch mit Bescheid vom ab und begründete dies insbesondere folgendermaßen:

Die Abgabenvorschreibung sei in Rechtskraft erwachsen. Die Finanzstrafbehörde habe nicht von vornherein davon ausgehen können, daß durch die Zuzählung des Sicherheitszuschlages die Abgabenvorschreibung zu hoch gewesen wäre und demnach bei Entfall des Sicherheitszuschlages auch der Verkürzungsbetrag niedriger wäre. Der Sicherheitszuschlag sei, wie seine Bezeichnung schon besage, für etwaige, der Höhe nach nicht mehr klärbare Einnahmen zugerechnet worden, zumal der erklärte Umsatz tatsächlich zu niedrig gewesen sei. Wenn nun die Strafbehörde erster Instanz den vom Betriebsprüfer ermittelten Gewinn der Höhe nach als zutreffend annahm, so könne auch die zweite Instanz dieser Beweiswürdigung nicht entgegentreten, zumal auch der Bf. gegen den veranlagten Gewinn nichts vorbringen habe können und die Annahme nicht auszuschließen sei, daß außer den festgestellten nicht verbuchten Einnahmen auch nicht festgestellte vorliegen konnten. Dies umso mehr, als der erklärte Gewinn keinesfalls für die Bestreitung des Lebensunterhaltes ausgereicht hätte, hingegen der veranlagte Gewinn diesem annähernd entsprechen könnte. Aus dem Titel einer allenfalls zu hohen Steuervorschreibung habe daher eine Herabsetzung des Verkürzungsbetrages nicht in Betracht gezogen werden können.

4. Der Berufungsbescheid ist Gegenstand der vorliegenden Beschwerde an den VfGH, in welcher der Bf. eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums, geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Das Beschwerdeverfahren erbrachte - wie vorweg festzuhalten ist - keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß der angefochtene Bescheid auf verfassungsrechtlich bedenklichen Rechtsvorschriften beruht; auch der Bf. erhebt keinen in diese Richtung zielenden Vorwurf.

2. Die geltend gemachte Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums könnte demnach gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. zB VfSlg. 9047/1981) nur infolge einer denkunmöglichen Gesetzeshandhabung stattgefunden haben. Dies lastet der Bf. der bel. Finanzlandesdirektion allerdings zu Recht an.

Zur Begründung des Beschwerdevorwurfs nimmt der Bf. zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach auf das Erk. VfSlg. 8111/1977 Bezug und meint:

"Die von der Behörde de facto vertretene Rechtsauffassung, daß die Finanzbehörde so lange von den Abgabenbescheiden zugrunde liegenden Sachverhaltsannahmen ausgehen könne, als diese nicht vom Beklagten widerlegt werden können, steht im offenkundigen Widerspruch zu § 98

(3) und § 115 FinStrG und ist überdies eine Verletzung des Art 6 Abs 2

MRK."

Dem hält die Finanzlandesdirektion in ihrer Gegenäußerung vom entgegen:

"... daß es bei erwiesenen (im vorliegenden Fall zugegebenen) Verkürzungsfakten gerechtfertigt erscheint, für die Ermittlung des Verkürzungsbetrages in allen Fällen vom veranlagten Gewinn auszugehen, weil diese Ermittlung nur mehr eine Rechnungsmethode und keinen Tatsachenbeweis im Sinne des § 98 FinStrG darstellt, wobei der Finanzstrafbehörde im Hinblick auf § 115 BAO zuzugestehen ist, daß sie die im Abgabenverfahren rechtskräftig festgestellten Besteuerungsgrundlagen für die Errechnung des Verkürzungsbetrages als richtig annehmen darf. Es würde dem § 115 BAO widersprechen, wenn die Finanzstrafbehörde lediglich für die Ermittlung des Verkürzungsbetrages die rechtskräftige Abgabenfestsetzung anzweifeln und zur Gänze neu aufrollen müßte, nämlich dahin gehend, ob die Abgabenfestsetzung auch finanzstrafrechtlich erwiesen wäre."

Diese (mit der Bescheidbegründung übereinstimmenden, sie verdeutlichenden) Ausführungen der bel. Beh. erweisen, daß sie den Verkürzungsbetrag (strafbestimmenden Wertbetrag) nicht aus selbständigen Tatsachenfeststellungen einschließlich der in diesem Zusammenhang erforderlichen Wertung der subjektiven Tatseite gewann, sondern daß sie ihn ohne eigenständige Prüfung des Sachverhaltes aus den rechtskräftigen Abgabenvorschreibungen übernahm. Dieses Vorgehen steht aber jenem gleich, das den VfGH in seinem vorhin angeführten Erk. VfSlg. 8111/1977 zur Feststellung einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechtes veranlaßte.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen dieser Rechtsverletzung aufzuheben.