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OGH vom 30.06.2022, 9ObA54/22i

OGH vom 30.06.2022, 9ObA54/22i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat T* GmbH, *, vertreten durch Rainer-Rück-Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch Dr. Bernd Oberhofer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 39/21i18, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 46 Cga 11/21z11, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil wie folgt zu lauten hat:

„Es wird festgestellt, dass die klagende Partei das Recht hat, drei ihrer Mitglieder in den Aufsichtsrat der beklagten Partei zu entsenden, wobei diesen entsendeten Mitgliedern die Stellung als Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 110 ArbVG zukommt.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.586,52 EUR (darin 261,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Am trat die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art 15a BVG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung; BGBl I 2004/80) in Kraft (Art 16 Abs 3). Ziel dieser Vereinbarung ist die bundesweite Vereinheitlichung der Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde, die im Bundesgebiet sind, im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzbereiche (Art 1 Abs 1). Zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art 4 Abs 1 können sich die Länder bei der Versorgung humanitärer, kirchlicher oder privater Einrichtungen oder Institutionen der freien Wohlfahrtspflege bedienen (Art 4 Abs 2). Die Gesamtkosten die in Durchführung der Maßnahmen dieser Vereinbarung entstehen, werden in der Regel zwischen Bund und Ländern im Verhältnis sechs zu vier aufgeteilt (Art 10 Abs 1), wobei je nach erbrachter Leistung des Landes Kostenhöchstsätze normiert sind (Art 9).

[2] Am trat das Tiroler Grundversorgungsgesetz, LGBl 2006/21 in Kraft (§ 23 Abs 1). Danach leistet das Land Tirol bestimmten anspruchsberechtigten Fremden (§ 4 lit a) bis c)), die sich in einer Notlage befinden, Grundversorgung in Form von Geld- und Sachleistungen (§ 2 Abs 2). Auf Leistungen der Grundversorgung nach § 5 Abs 1 lit a (Unterbringung in geeigneten Unterkünften), b (Versorgung mit angemessener Verpflegung), c (Gewährung eines monatlichen Taschengeldes für Fremde in organisierten Unterkünften und für unbegleitete Minderjährige, ausgenommen bei individueller Unterbringung), d (Sicherung der Krankenversorgung und der Behandlung von schweren psychischen Störungen durch Leistung der Krankenversicherungsbeiträge nach dem ASVG) und l (Gewährung der notwendigen Bekleidung) sowie nach § 7 Abs 1 und 3 (Sonderbestimmungen für unbegleitete Minderjährige) besteht für Fremde nach § 4 lit c, das sind jene, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben (Asylwerber), über den noch nicht rechtskräftig abgesprochen wurde, ein Rechtsanspruch (§ 2 Abs 6 Satz 1). Über die Gewährung dieser Leistungen und deren Einschränkung und Einstellung sowie über den Ausschluss von diesen ist im Verwaltungsweg zu entscheiden (§ 2 Abs 6 Satz 2). Die Gewährung von Leistungen der Grundversorgung, auf die kein Rechtsanspruch besteht, deren Einschränkung und Einstellung sowie der Ausschluss von diesen haben im Rahmen der unter Bedachtnahme auf die Grundversorgungsvereinbarung – Art 15a BVG von der Landesregierung zu erlassenden Richtlinien im Weg der Privatwirtschaftsverwaltung zu erfolgen (§ 2 Abs 7). Der Empfänger der Grundversorgung ist grundsätzlich nur dann zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn er zu hinreichendem Einkommen oder Vermögen gelangt oder nachträglich bekannt wird, dass er zur Zeit der Gewährung der Grundversorgung hinreichendes Einkommen oder Vermögen hatte (§ 10 Abs 1 lit a und b). Die Gemeinden haben dem Land Tirol jährlich 35 v.H. der Kosten zu ersetzen, die das Land Tirol für die Grundversorgung nach Verrechnung mit dem Bund zu tragen hat (§ 15).

[3] Um die Grundversorgung sicherzustellen, gründete das Land Tirol auf der Grundlage von Art 4 Abs 2 der Grundversorgungsvereinbarung die beklagte Gesellschaft mit dem Land Tirol als alleiniger Gesellschafter. Die Beklagte verfügt über einen Aufsichtsrat, der aus mindestens drei (derzeit sechs) Mitgliedern besteht, die alle vom Land Tirol als alleinigem Gesellschafter entsandt werden.

[4] Nach dem Beschluss der Tiroler Landesregierung zur Gründung der Beklagten zielt die damit verfolgte Ausgliederung von Aufgaben des Landes im Rahmen der Grundversorgung an die Beklagte als private Gesellschaft vor allem auf eine Zusammenführung der damals auf mehrere Einrichtungen des Landes verteilten personellen und sachlichen Ressourcen ab. Laut Gesellschaftsvertrag ist der Zweck der Beklagten, deren Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist, die Hilfestellung an hilfs- und schutzbedürftige Fremde sowie andere hilfs oder schutzbedürftige Personen und deren Integration. In Umsetzung dieses Zwecks hat die Gesellschaft die Aufgabe, a) als Rechtsträger die nach der Grundversorgungsvereinbarung und nach dem Tiroler Grundversorgungsgesetz durch das Land Tirol zu besorgenden Aufgaben und Leistungen im Bereich der Grundversorgung für das Land sicherzustellen, b) Minderjährigen und jungen Erwachsenen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere nach Ausscheiden aus den Leistungen der Grundversorgung, durch Unterbringung und Betreuung nach § 42 Tiroler Kinder- und Jugendhilfegesetz im Rahmen sonstiger Einrichtungen und der Erbringung von sozialen Diensten zu begleiten, c) Hilfestellung für wohnungslose Personen und gesellschaftliche Randgruppen zu leisten und damit Aufgaben der Mindestsicherung wahrzunehmen und d) Wohnraum für MindestsicherungswerberInnen und die (Unter-)Vermietung an hilfsbedürftige Dritte einschließlich hilfs- und schutzbedürftiger Personen gesellschaftlicher Randgruppen durch Anbieten von eigenem oder gemietetem Wohnraum sicherzustellen sowie durch Einbringung niederschwelliger Beratungs- und Kontaktzentren Infrastrukturen für gesellschaftliche Randgruppen zur Verfügung zu stellen.

[5] Nach dem Gesellschaftsvertrag dient die Gesellschaft nach ihrem Unternehmensgegenstand und ihrer tatsächlichen Tätigkeit ausschließlich und unmittelbar der Förderung mildtätiger Zwecke im Sinn der Bestimmungen der §§ 34 ff BAO. Sie strebt keinen Gewinn an, sondern nur einen unter Berücksichtigung der ihr zufließenden Mittel kostendeckenden Betrieb. Allfällige Gewinne sind ausschließlich für den mildtätigen Gesellschaftszweck zu verwenden. Die materiellen Mittel der Gesellschaft werden nach dem Gesellschaftsvertrag wie folgt aufgebracht: a) Leistungsentgelte des Landes Tirol auf Basis von Leistungsvereinbarungen, b) Sach- und Geldspenden, c) Zuwendungen kirchlicher, humanitärer oder mildtätiger Organisationen, d) Erlöse aus Benefizveranstaltungen, Vermächtnissen und sonstigen Zuwendungen, e) Erlöse aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, die zur Erreichung des von der Gesellschaft verfolgten mildtätigen Zwecks im Sinn der Bestimmungen der §§ 44 ff BAO eingerichtet wurden und im Einklang mit dem mildtätigen Status der Gesellschaft im Sinn der §§ 34 ff BAO stehen, f) Einnahmen aus der Vermietung von Räumlichkeiten sowie aus Leistungsverrechnungen im Rahmen von Einrichtungen zur Unterbringung, Betreuung und Unterstützung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden sowie anderen hilfs- und schutzbedürftigen Personen, hilfsbedürftigen Minderjährigen und jungen Erwachsenen, von wohnungslosen Personen und im Rahmen der Mindestsicherung betreuten Personen sowie g) Vermietung von eigenen oder angemieteten Objekten, Räumlichkeiten oder Anlagen an auch allenfalls nicht hilfs oder schutzbedürftige Personen, die in Erfüllung des mildtätigen Zwecks im Bestand gehalten werden und ansonsten leer stehen würden, um diese im Bedarfsfall wieder rasch mit hilfs- oder schutzbedürftigen Personen im Sinn des Gesellschaftszwecks besiedeln und so Hilfestellung diesen hilfs- und schutzbedürftigen Personen geben zu können.

[6] Das Land Tirol vergütet der Gesellschaft auf Basis abzuschließender Leistungsvereinbarungen für die im Rahmen der Grundversorgung vertraglich übertragenen Aufgaben jene Beträge, welche das Land Tirol aufgrund der Bestimmungen in der Grundversorgungsvereinbarung – Art 15a BVG vom Bund erhält, wobei die Vergütung an die Gesellschaft auch in jenen Fällen, in welchen der Bund nur 60 % der Kostenhöchstsätze dem Land vergütet, jeweils 100 % des Kostenhöchstsatzes beträgt. Dieser Kostenhöchstsatz sowie der Abschluss einer Leistungsvereinbarung gilt in analoger Anwendung auch für übertragene Aufgaben im Rahmen des Tiroler Grundversorgungsgesetzes. Für zusätzliche Aufgaben, die der Beklagten im Rahmen der Grundversorgungsvereinbarung und dem Tiroler Grundversorgungsgesetz übertragen werden, ist eine gesonderte Leistungsvereinbarung abzuschließen. Soweit die Leistungsentgelte nicht ausreichen, die gesamten Aufwendungen der Gesellschaft zu decken und somit ein bilanzieller Verlust verbleibt, gleicht das Land Tirol diesen Betrag durch Verlustübernahme nach Maßgabe des jährlichen Landesvoranschlags aus.

[7] In der Folge übertrug das Land Tirol der Beklagten weitere Aufgaben, wofür jeweils gesonderte Leistungsvereinbarungen abgeschlossen wurden: Die Unterbringung und Betreuung von Personen, denen bereits positiv Asyl zuerkannt worden ist, nach Ablauf der viermonatigen Übergabsfrist über Zuweisung des Landes Tirol; die Erbringung von Leistungen im Zusammenhang mit Deutschkursen und die Durchführung von Maßnahmen im Zusammenhang mit nicht pädagogischen Stützkräften und der Umsetzung von Sicherungsmaßnahmen; die Errichtung einer Notschlafstelle (Leistung von Hilfestellung für wohnungslose Personen der gesellschaftlichen Randgruppen als Aufgaben der Mindestsicherung) sowie die Zurverfügungstellung von Wohnraum an Mindestsicherungswerber und die Untervermietung an hilfsbedürftige Dritte einschließlich hilfs- und schutzbedürftiger Personen gesellschaftlicher Randgruppen. Die Beklagte betreibt auch einen Notraum für Frauen und eine Notschlafstelle für Obdachlose und betreut alkoholkranke Menschen, indem sie eine Kontakt- und Anlaufstelle für alkoholkranke Menschen unterhält. Zudem gehört die Leistung sogenannter Lernassistenz zum Tätigkeits- und Aufgabenbereich der Beklagten. Diese Lernassistenz zielt üblicherweise auf Kinder mit Migrationshintergrund ab, die eine besondere Unterstützung in der Schule benötigen. Die Lernassistenz wird so abgewickelt, dass Volksschulen einen entsprechenden Bedarf melden und die Beklagte sodann für eine entsprechende Betreuungsleistung, insbesondere bei der Hausaufgabenbetreuung, durch ihre Dienstnehmer sorgt.

[8] Die Beklagte wird nahezu ausschließlich über die Leistungsentgelte auf Grundlage der abgeschlossenen Leistungsvereinbarungen zwischen der Beklagten und dem Land Tirol finanziert. Auf Grundlage dieser Leistungsvereinbarungen erhält die Beklagte vom Land Tirol für die von ihr erbrachten Leistungen im Rahmen der Grundversorgung von Flüchtlingen und Asylwerbenden bzw hilfs- und schutzbedürftiger Fremden einen festgelegten Ersatzbetrag pro Person und pro Tag. Sach- und Geldspenden bzw sonstige Zuwendungen von dritter Seite spielen bei der Mittelfinanzierung nur eine untergeordnete Rolle. Benefizveranstaltungen führt die Beklagte nicht durch. Erlöse aus Erbschaften oder Vermächtnissen sind ihr bislang nicht zugeflossen. Aus der Vermietung von Wohnraum erzielt die Beklagte keine Umsätze bzw Erlöse. Über die im Gesellschaftsvertrag festgelegten satzungsmäßigen Aufgaben und Zielsetzungen hinaus unterhält die Beklagte keine weiteren Geschäftsbetriebe. Seit deren Gründung hat sie noch nie einen Reingewinn in einem Geschäftsjahr erzielt. Die bislang durch die Geschäftstätigkeit der Beklagten erwirtschafteten Verluste wurden vom Land Tirol als Alleingesellschafterin abgedeckt. Im Jahr 2019 überwies es der Beklagten zur Deckung des Betriebsabgangs 1,25 Mio EUR, im Jahr 2020 1,418 Mio EUR. Das Jahresbudget der Beklagten beträgt rund 25 Mio EUR.

[9] Die zentrale Aufgabe der Beklagten besteht zusammengefasst darin, hilfs- und schutzbedürftigen Menschen Unterkunft und Wohnraum unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Die Beklagte ist selbst Mieterin der zur Verfügung gestellten Unterkünfte und Wohnräumlichkeiten. Sie vermietet keinen Wohnraum, der nicht für die Unterbringung hilfsbedürftiger und schutzbedürftiger Personen entsprechend dem satzungsmäßigen Zweck und Gegenstand der Gesellschaft benötigt wird, an dritte Personen weiter, die nicht zum Kreis dieser Menschen gehören. Von den betreuten bzw untergebrachten Personen erhält sie keine Erlöse.

[10] Am fasste der klagende Betriebsrat den Entschluss, Mag. H* G*, P* E* und T* V* als Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrat der Beklagten zu entsenden. Mit Schreiben vom teilte die Aufsichtsratsvorsitzende dem Betriebsrat mit, dass die Bestimmung des § 110 ArbVG auf die Beklagte aufgrund von § 132 Abs 1 ArbVG keine Anwendung finde.

[11] Der klagende Betriebsrat begehrte die im Spruch ersichtliche Feststellung. Er habe nach § 110 ArbVG das Recht drei seiner Mitglieder in den Aufsichtsrat der Beklagten zu entsenden.

[12] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wandte – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – ein, dass ihr Betrieb unmittelbar karitativen Zwecken diene und daher dem Tendenzschutz nach § 132 Abs 1 sechster Fall ArbVG unterliege.

[13] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Die Beklagte verfolge in Erfüllung der Aufgaben und Leistungen im Bereich der Grundversorgung für das Land Tirol vorwiegend karitative, weil mildtätige Zwecke. Dass sie in Verfolgung dieser Zwecke in Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags und damit nicht „freiwillig“ handle, ändere an der unmittelbaren Zweckverfolgung nichts. Abgesehen davon sei die Vereinbarung zwischen dem Land Tirol und der Beklagten wohl „freiwillig“ abgeschlossen worden. Das Unternehmen der Beklagten sei auch nicht auf Gewinn ausgerichtet. Mit einem erzielten Gewinn würden wiederum hilfsbedürftige Menschen unterstützt werden. Der Gesellschaftsvertrag sehe zwar eine Mittelaufbringung der Beklagten aus Erlösen aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, Einnahmen aus der Vermietung von Räumlichkeiten und der Vermietung von eigenen oder angemieteten Objekten vor, ein allfälliger Gewinn dürfe aber nicht ausgeschüttet, sondern letztlich nur zur Erfüllung mildtätiger Tätigkeiten der Gesellschaften verwendet werden. Die Tatsache, dass es sich bei der Beklagten um eine Kapitalgesellschaft handle, stehe der Annahme eines Tendenzschutzes ebenfalls nicht entgegen. Damit müsse auf die Frage nach dem Wortlaut des Feststellungsbegehrens nicht mehr eingegangen werden. Nur Betriebsratsmitglieder, denen das aktive Wahlrecht zum Betriebsrat zustehe, könnten in den Aufsichtsrat entsandt werden.

[15] Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zum Tendenzschutz nach § 132 Abs 1 sechster Fall ArbVG noch nicht Stellung genommen habe.

[16] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Die Beklagte beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

[18] Die Revision des Klägers ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[19] 1. Nach § 132 Abs 1 Satz 1 ArbVG sind auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, wissenschaftlichen, erzieherischen oder karitativen Zwecken dienen, die §§ 110 bis 112 ArbVG nicht anzuwenden.

[20] 2.1. § 132 ArbVG schränkt für einen bestimmten Kreis von Betrieben und Unternehmen das Mitbestimmungskonzept des ArbVG ein, um der Eigenart gewisser Unternehmensziele Rechnung zu tragen und auszuschließen, dass deren Verfolgung durch die Ausübung von Mitbestimmungsrechten der Belegschaft gestört werden könnte. Für solche geistig-ideelle Zielsetzungen hat sich der Ausdruck „Tendenz“ eingebürgert. Betriebe und Unternehmen, in denen diese Einschränkung stattfindet, werden als „Tendenzbetriebe“ bzw „Tendenzunternehmen“ bezeichnet; die ihnen vom ArbVG eingeräumte Sonderstellung wird Tendenzschutz genannt (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 132 ArbVG Rz 1).

[21] 2.2. Mit dem Tendenzschutz reagierte der Gesetzgeber im Hinblick auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer darauf, dass auch solche Unternehmen dem Gesetz unterliegen, die primär andere als kaufmännisch-wirtschaftliche Ziele verfolgen. Einige dieser Zielsetzungen hält das ArbVG für so wichtig, dass es ihre Realisierung durch die volle Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer nicht gefährden will und deshalb in den §§ 132 ff ArbVG Teilausnahmen durch einfachen oder qualifizierten Tendenzschutz vorsieht. Dabei handelt es sich um geistig-ideelle Zielsetzungen, die häufig in einem engen Naheverhältnis zu Grundrechten stehen (9 ObA 107/17a Pkt 3.1.).

[22] 2.3. In der Literatur wird die Ausnahmeregelung des § 132 Abs 1 ArbVG damit begründet, dass Institutionen, die nicht kaufmännisch-wirtschaftliche Zwecke bzw Erwerbszwecke, sondern überwiegend bestimmte ideell geprägte Ziele verfolgen, nicht der Gefahr ausgesetzt sein sollen, dass die Belegschaft – ausgehend von gegnerischen Ideen und Zielsetzungen – dem Betrieb bei Verfolgung seiner Ziele (Tendenzverwirklichung) Hindernisse in den Weg legt (Unterwanderung). In diesem Sinne dient die Sonderstellung dem Schutz eines ungestörten Betriebsablaufs in Betrieben und Unternehmen, die wegen ihres geistig-ideellen Engagements besonders störanfällig sind. § 132 Abs 1 ArbVG sichert damit dem Unternehmer, der seinem Betrieb oder einzelnen seiner Betriebe eine „immaterielle“ Ausrichtung gegeben hat und nicht ausschließlich erwerbswirtschaftliche Ziele verfolgt, einen Freiraum, Prioritäten zu setzen, in welcher Art und mit welchen Mitteln das ideelle Ziel am besten erreicht werden soll (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 132 ArbVG Rz 1; Dunst in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 132 ArbVG Rz 2; Mair in Tomandl, ArbVG15 § 132 Rz 4; vgl Schrammel in FS Strasser [1983] 559 [561 ff]).

[23] 3.1. Die Frage nach dem Vorliegen eines Tendenzbetriebs ist aufgrund des objektiven Betriebszwecks und nicht danach zu beurteilen, ob der Betriebsinhaber subjektiv eine bestimmte Tendenz verfolgen will. Von einem Tendenzbetrieb kann nur gesprochen werden, wenn eine gewisse Übereinstimmung zwischen der unternehmerischen Zielsetzung und der Tätigkeit bzw den Arbeitsergebnissen des Betriebes gegeben ist (Dunst in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 132 ArbVG Rz 2). Entscheidend sind damit die Zwecksetzung des Unternehmens bzw des Betriebs, genauer die vom Unternehmensinhaber mit dem Unternehmen oder Betrieb verfolgten Ziele nach der nach außen in Erscheinung tretenden und damit objektiv erkennbaren Zweckwidmung (vgl Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 132 ArbVG Rz 9).

[24] 3.2. Diese Zwecksetzung muss allerdings nicht ausschließlich, wohl aber – nach dem eindeutigen Wortlaut des § 132 Abs 1 ArbVG – unmittelbar gegeben sein. Es ist daher davon auszugehen, dass es genügt, wenn die betreffende Zwecksetzung im Rahmen der Institution vorwiegend gegeben ist. Die im § 132 Abs 1 ArbVG angeführten Zwecksetzungen müssen demnach im Einzelfall die Tätigkeit der Institution derart beherrschen, dass sie deren Wesen ausmachen, kurz die Institution unter Bedachtnahme auf den Einsatz der Ressourcen prägen („Geprägetheorie“; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 132 ArbVG Rz 9 mwN; Mair in Tomandl, ArbVG15 § 132 Rz 17; Potz, Quo vadis Tendenzschutz?, DRdA 2021, 13 [15] je mwN).

[25] 4. Nach § 132 Abs 1 sechster Fall ArbVG sind Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar karitativen Zwecken dienen, vom Tendenzschutz umfasst.

[26] 4.1. Nach Neumayr (in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 132 ArbVG Rz 29; ders in Strasser/Jabornegg/Resch, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz § 132 Rz 46) sind Einrichtungen mit (unmittelbar und vorherrschend) karitativer Zwecksetzung allgemein gesprochen solche, die wohltätigen oder mildtätigen Zwecken gewidmet sind, dh sich ohne Absicht der Gewinnerzielung und freiwillig zur Aufgabe gemacht haben, körperlich, geistig oder seelisch leidenden Menschen in Notsituationen zu helfen. Unentgeltlichkeit der Hilfeleistung ist nicht erforderlich; neben Spenden und öffentlichen Förderungen dürfen auch (nur) kostendeckende Einnahmen – etwa in Form von Kostenbeiträgen der Betreuten – erzielt werden, ohne dass der Tendenzschutz wegfällt. Anders als bei den sonstigen Zielsetzungen sind Erwerbsstreben und Gewinnerzielung mit einem karitativen Charakter unvereinbar. Gemeinnützigkeit (etwa iSd §§ 3436 BAO) impliziert keineswegs zwingend die Verfolgung karitativer Zwecke. Beispiele für Einrichtungen mit karitativer Zielsetzung sind das Rote Kreuz, Krankenhäuser und Altenheime, wenn sie nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, Förderungswerke für Behinderte oder Drogenberatungsstellen.

[27] 4.2. NachDunst (in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 132 ArbVG Rz 6) fallen unter diese Ausnahmebestimmung Vereine oder sonstige Rechtsträger, die Spenden oder öffentliche Mittel dazu verwenden, um sozial schwachen Menschen oder Gruppen zu helfen. Kostenbeiträge der Betreuten ändern an der Qualifikation als karitative Einrichtung nichts. Auf Gewinn ausgerichtete Betreuungseinrichtungen (Sanatorien, private Pflegeheime) sowie Kranken- und Kuranstalten, die ihre Aufwendungen mit Sozialversicherungsträgern oder anderen öffentlichen Rechtsträgern abrechnen, fallen hingegen nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 132 Abs 1 ArbVG.

[28] 4.3. Mair (in Tomandl, ArbVG15 § 132 Rz 14) verbindet mit dem Begriff „karitativ“ vom Wortursprung her die Fokussierung auf Liebe und Respekt vor den Mitmenschen. Karitativ sei ein Betrieb (Unternehmen) somit dann tätig, wenn der Betrieb (das Unternehmen) der „Wohltätigkeit“ diene. Diese Tendenz komme zB beim Roten Kreuz, bei Ordenskrankenhäusern oder bei Drogenberatungsstellen zum Ausdruck. Nicht gefordert sei dabei zum einen, dass die Unterstützungsleistungen unentgeltlich erbracht werden. Eine kostendeckende Wirtschaftsgebarung schließe daher den Tendenzschutz nicht aus. Handle es sich hingegen um Einheiten, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet seien, wie Sanatorien, geschützte Werkstätten oder private Pflegeeinrichtungen, so verdränge die kaufmännisch-wirtschaftliche Zielsetzung die geistig-ideelle.

[29] 4.4. Nach Fister (Der Tendenzbetrieb im österreichischen und europäischen Recht [2008], 90 mwN) sind karitative Einrichtungen wohltätigen oder mildtätigen Zwecken gewidmet, die es sich zur Aufgabe machen, Menschen in Situationen körperlichen, geistigen oder seelischen Leidens zu helfen, ohne dabei Gewinnerzielungsabsichten zu hegen oder hiezu gesetzlich verpflichtet zu sein.

[30] 5. Das deutsche Betriebsverfassungsrecht enthält eine vergleichbare Regelung: § 118 BetrVG spricht ebenfalls von „Unternehmen und Betrieben, die unmittelbar und überwiegend (ua) karitativen Bestimmungen dienen“. In der deutschen Rechtsprechung ist die Auffassung herrschend, dass ein Unternehmen karitativen Bestimmungen iSd § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BetrVG dient, wenn es den sozialen Dienst am körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel hat und auf Heilung oder Milderung innerer oder äußerer Nöte des Einzelnen oder auf deren vorbeugende Abwehr gerichtet ist, sofern diese Betätigung ohne die Absicht der Gewinnerzielung erfolgt und das Unternehmen selbst nicht von Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet ist (BAG – 1 ABR 93/12 Rn 20; BAG – 7 ABR 3/18 Rn 19; BAG – 7 ABR 20/18 Rn 38; ua). Dem stimmt auch die deutsche Lehre zu und betont dabei den Aspekt der Freiwilligkeit: Eine karitative Bestimmung liege deshalb nicht mehr vor, wenn das Unternehmen von Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet sei (Thüsing/Pötters, Karitative Tätigkeit nach dem BetrVG, RdA 2011, 280 [281]; Forst in Richardi, Betriebsverfassungsgesetz17 § 118 Rn 73; Löwisch in FS Wlotzke [1996], Tendenzschutz im Gesundheitswesen, 381 [384 f]).

[31] 6.1. Auch der erkennende Senat vertritt die Rechtsauffassung, dass es einer karitativen Zwecksetzung entgegensteht, wenn ein Unternehmen oder Betrieb seine Unterstützungs- und Hilfeleistungen an Menschen in Not nicht „freiwillig“, also in Verfolgung mildtätiger Zwecke, sondern aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung erbringt. Dies ist hier der Fall.

6.2. Das Land Tirol hat Landesaufgaben, zu welchen es nach Art 3 Grundversorgungsvereinbarung und § 5 Abs 1 Tiroler Grundversorgungsgesetz verpflichtet ist, an die dafür eigens gegründete beklagte Kapitalgesellschaft ausgelagert. Auslöser für den Abschluss der Grundversorgungsvereinbarung war die RL 2003/9/EG zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten. Damit wurde eine hoheitliche Vollziehung und daher eine grundlegende Neuausrichtung dieses Bereiches erforderlich (Lipphart-Kirchmeir in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Vor § 1 GVG-B 2005 Rz 1). Bei der Erfüllung der Aufgabe dürfen sich gemäß Art 4 Abs 2 der Grundversorgungsvereinbarung (und § 3 Tiroler Grundversorgungsgesetz) die Länder humanitärer, kirchlicher oder privater Einrichtungen oder Institutionen der Wohlfahrtspflege bedienen. Zudem erfüllt die Beklagte auch die Aufgaben nach § 42 Tiroler Kinder und Jugendhilfegesetz sowie andere Aufgaben der Sozialhilfe (Mindestsicherung). Damit steht aber nicht mehr die mildtätige (und damit freiwillige) karitative Zweckbestimmung der Beklagten im Vordergrund, sondern die verpflichtende gesetzliche Aufgabenerfüllung für das Land Tirol. Daher rechnet die Beklagte auch die Aufwendungen für die von ihr erbrachten Leistungen mit dem Land Tirol als öffentlichem Rechtsträger ab (Fister, Der Tendenzbetrieb im österreichischen und europäischen Recht [2008], 91; Dunst in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 132 ArbVG Rz 6; Neumayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 132 Rz 48; Bremm, Die Entsendung von ArbeitnehmervertreterInnen in den Aufsichtsrat von Krankenanstalten und Alten- und Pflegeheimen, ÖZPR 2018, 100 [102]).

[33] 7.1. Zusammengefasst dient die beklagte Gesellschaft keinen karitativen Zwecken iSd § 132 Abs 1 Satz 1 sechster Fall ArbVG, weil sie mit ihren Hilfe- und Unterstützungsleistungen an Menschen in Not keine mildtätigen Zwecke verfolgt, sondern ihre – mit dem Land Tirol abzurechnenden – Leistungen in Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags des Landes Tirol erbringt.

[34] 7.2. Der klagende Betriebsrat ist daher nach § 110 ArbVG berechtigt, aus dem Kreise der (aktiven) Betriebsratsmitglieder, (unstrittig) drei Betriebsratsmitglieder, denen das aktive Wahlrecht zum Betriebsrat zusteht, in den Aufsichtsrat der Beklagten zu entsenden. Dass es sich bei den drei vom Betriebsrat nominierten und im Feststellungsbegehren genannten Personen um solche entsendungsberechtigten Personen iSd § 110 ArbVG handelt, wurde von der Beklagten im gesamten Verfahren nicht in Frage gestellt.

7.3. Da die Beklagte schon aus diesen Erwägungen nicht als Tendenzbetrieb nach § 132 ArbVG angesehen werden kann, musste auf andere, allenfalls weitere einem Tendenzschutz zuwider laufende Umstände, nicht mehr näher eingegangen werden.

[36] Da sich die Revision des Klägers damit als berechtigt erweist, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klagsstattgabe abzuändern.

[37] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG. In Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 2 ASGG – wie der vorliegenden – steht einer Partei ein Kostenersatzanspruch an die andere nur im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zu (§ 58 Abs 1 ASGG).

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00054.22I.0630.000

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