OGH vom 27.09.2017, 9ObA54/17g

OGH vom 27.09.2017, 9ObA54/17g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. M***** (30 Cga 34/16v) und 2. S 8 Cga 28/16z), beide vertreten durch Schmidberger-Kassmannhuber-Schwager Rechtsanwalts-Partnerschaft in Steyr, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Eduard Aschauer, Rechtsanwalt in Steyr, wegen 1.071,86 EUR brutto sA (Erstklägerin) und 888,10 EUR sA (Zweitklägerin), über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse bezüglich der Erstklägerin 902,30 EUR sA, bezüglich der Zweitklägerin 548,14 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 5/17k15, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 30 Cga 34/16v11, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei 257,30 EUR sowie der zweitklagenden Partei 157,70 EUR an Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin war vom bis und die Zweitklägerin seit bei der Beklagten beschäftigt und als Produktionsmitarbeiterin bei der B***** GmbH (in der Folge: Beschäftiger) eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Bestimmungen des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) anzuwenden. Die Klägerinnen erhielten während ihrer Tätigkeit (zunächst) einen Referenzzuschlag von 6 % für ungelernte Arbeitnehmer.

Entsprechend § 12 des für den Beschäftigerbetrieb geltenden Kollektivvertrags für das grafische Gewerbe wurde die normale wöchentliche Arbeitszeit ab von 37 auf 38,5 Stunden angehoben (bei gleichbleibendem Kollektivvertragslohn). Um den damit verbundenen Lohnverlust auszugleichen, wurde im Beschäftigerbetrieb zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen, wonach die wöchentliche Normalarbeitszeit bezahlte 38,5 Stunden (voller Lohnausgleich von 37 auf 38,5 Stunden) beträgt. Die wöchentliche Mehrarbeitszeit von 1,5 Stunden gegenüber der vorherigen Regelung sollte dadurch finanziell mit dem gleichen Stundenlohn wie bisher abgegolten werden.

Die Klägerinnen begehren den Zuspruch der Differenz zwischen dem bezahlten Referenzzuschlag von 6 % auf den Referenzzuschlag von 11 %, die Erstklägerin für den Zeitraum März 2015 bis Februar 2016, insgesamt 1.071,86 EUR brutto sA und die Zweitklägerin für den Zeitraum Juni 2015 bis April 2016, insgesamt 888,10 EUR sA. Die im Beschäftigerbetrieb bestehende Betriebsvereinbarung regle die betriebsübliche Lohnhöhe für Arbeitnehmer des Beschäftigers im Sinn des Abschnitts IX/3 KVAÜ.

Die Beklagte bestreitet. Es liege keine innerbetriebliche Regelung über das Lohnschema, also die Vereinbarung höherer Stunden- bzw Monatslöhne vor. Die Betriebsvereinbarung betreffe nur die Erhöhung der wöchentlichen Normalarbeitszeit von 37 auf 38,5 Stunden. Die Klägerinnen erhielten bereits durch den Referenzzuschlag von 6 % auf den kollektivvertraglichen Lohn einen höheren Lohn als vergleichbare Stammarbeitnehmer des Beschäftigers. Ein Referenzzuschlag von 11 % würde zu einer sachlich nicht begründbaren Überzahlung der Leiharbeitnehmer führen. Eine solche Regelung sei verfassungs- und EU-rechtswidrig.

Das Erstgericht sprach der Erstklägerin 902,30 EUR sA und der Zweitklägerin 548,14 EUR sA zu, das jeweilige Mehrbegehren wies es ab. Bei Referenzbetrieben, zu denen der Beschäftiger im vorliegenden Fall unstrittig gehöre, sehe Punkt IX/3 des KVAÜ einen Überlassungslohn von 111 % des kollektivvertraglichen Lohns vor, wenn in Betriebsvereinbarungen oder sonstigen schriftlichen Vereinbarungen die betriebsübliche Lohnhöhe geregelt sei. Der Inhalt dieser Lohnregelung sei dabei gleichgültig. Die Betriebsvereinbarung sehe im vorliegenden Fall einen Ausgleich der durch die kollektivvertragliche Erhöhung der wöchentlichen Normalarbeitszeit bei gleichem Wochenlohn bedingten Stundenlohnkürzung vor. Im Ergebnis erhielten daher Mitarbeiter des Beschäftigerbetriebs einen höheren Wochenlohn als andere kollektivvertragsunterworfene Beschäftigte bei gleicher Arbeitszeit. Es sei daher von einer die Grundlohnhöhe betreffenden Regelung auszugehen, die zur Anwendung des 11%igen Referenzzuschlags führe. Eine dadurch im Einzelfall gegebene Überzahlung sei nicht unsachlich. Es sei daher nur das jeweilige Mehrbegehren für die Monate, in denen die Klägerinnen tatsächlich schon den um den Referenzzuschlag erhöhten Lohn erhalten hätten, abzuweisen.

Der gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteils gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge. Auch wenn das im Beschäftigerbetrieb bestehende Lohnniveau nicht geschützt sei, bestehe nach Punkt IX/3 KVAÜ für die Dauer der Überlassung Anspruch auf den im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmer für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlenden kollektivvertraglichen Lohn, wenn dieser höher sei als der in Abschnitt IX/1 und 2 KVAÜ geregelte Mindestlohn/Grundlohn. Für Hochlohnbranchen erfolge eine pauschale Annäherung durch die Regelung über erhöhte Überlassungslöhne in Form prozentueller Referenzzuschläge. Unstrittig handle es sich beim Beschäftigerbetrieb um einen Referenzbetrieb. Bereits daraus ergebe sich die Verpflichtung zur Zahlung eines Referenzzuschlags. Dass in diesem Zusammenhang die konkrete Situation im Beschäftigerbetrieb zu berücksichtigen sei, lasse sich der kollektivvertraglichen Regelung nicht entnehmen. Vielmehr solle durch die Zuschläge eine pauschale Abgeltung erfolgen. Abweichungen vom Ist-Lohn-Niveau des jeweiligen Beschäftigerbetriebs seien damit sowohl nach oben als auch nach unten denkbar. Der für ungelernte Arbeitnehmer geltende Referenzzuschlag von 6 % erhöhe sich auf 11 %, wenn in Betriebsvereinbarungen oder sonstigen schriftlichen Vereinbarungen die betriebsübliche Lohnhöhe für Arbeitnehmer des Beschäftigers geregelt sei. Die vorliegende Regelung sei als solche über die „betriebsübliche Lohnhöhe“ anzusehen. Die Abgeltung der kollektivvertraglich vorgesehenen Mehrarbeitszeit führe zwangsläufig zu einer (schematischen) Erhöhung der kollektivvertraglichen Grundlöhne. Ein Verstoß gegen die Leiharbeits-Richtlinie 2008/104/EG liege schon deshalb nicht vor, weil die Richtlinie das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lasse, für Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungs-vorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder den Abschluss von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zuzulassen, die für die Arbeitnehmer günstiger seien. Die Heranführung des Überlassungslohns an das Ist-Lohn-Niveau im Beschäftigerbetrieb sei ein legitimes Regelungsziel ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung. Dies liege im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums. Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz sei nicht ersichtlich.

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Erhöhung des Referenzzuschlags nach Abschnitt IX/3 KVAÜ der Oberste Gerichtshof noch nicht Stellung genommen habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag das Urteil dahingehend abzuändern, dass die beiden Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werden. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerinnen beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Berufungsgerichts als zutreffend, sodass gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO auf sie verwiesen werden kann.

Ergänzend ist auszuführen:

Nach § 10 Abs 1 AÜG hat die überlassene Arbeitskraft Anspruch auf ein angemessenes, ortsübliches Entgelt. Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist für die Dauer der Überlassung auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmern für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertragliche oder gesetzlich festgelegte Entgelt Bedacht zu nehmen. Darüber hinaus ist auf die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer mit vergleichbaren Tätigkeiten geltenden sonstigen verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art Bedacht zu nehmen, es sei denn, es gelten ein Kollektivvertrag, dem der Überlasser unterworfen ist, sowie eine kollektivvertragliche, durch Verordnung festgelegte oder gesetzliche Regelung des Entgelts im Beschäftigerbetrieb.

Korrespondierend sieht Punkt IX/3 KVAÜ vor, dass für die Dauer der Überlassung ein Anspruch auf den im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmern für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlenden kollektivvertraglichen Lohn (ggf Satzung, Mindestlohntarif, Gesetz, Verordnung usw) besteht, wenn dieser höher ist als der in Punkt 1 und 2 geregelte Mindestlohn/Grundlohn. Bei Überlassung in einen Betrieb, für dessen Arbeitnehmer ein Kollektivvertrag gilt, der von einem Referenz-Verband abgeschlossen wurde – dazu gehört unstrittig der Betrieb, an den die Klägerinnen von der Beklagten überlassen waren –, beträgt der Überlassungslohn für ungelernte Arbeiter 106 % des kollektivvertraglichen Lohns. Weiters heißt es: „Ist in Betriebsvereinbarungen oder sonstigen schriftlichen Vereinbarungen zwischen dem Beschäftiger und dem Betriebsrat des Beschäftigers die betriebsübliche Lohnhöhe für Arbeitnehmer des Beschäftigers geregelt, so beträgt der Überlassungslohn jedoch für ungelernte Arbeitnehmer 111 % (...) des im ersten Satz bezeichneten kollektivvertraglichen Lohns.“

Relevante Frage für die Berechtigung der Ansprüche der Klägerinnen ist daher, ob die im Beschäftigerbetrieb geschlossene Betriebsvereinbarung als Vereinbarung über die „betriebsübliche Lohnhöhe“ anzusehen ist.

Die Grundsätze der Auslegung von Kollektivverträgen wurden bereits vom Berufungsgericht dargelegt, sodass darauf verwiesen werden kann.

Adametz/Schindler führen in den Gemeinsamen Erläuterungen der Kollektivertragspartner zum Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (Punkt 12.d) dazu aus, dass, sofern der Beschäftiger einem der Referenz-Fachverbände angehört und ein Lohnschema (schriftliche Vereinbarung mit seinem Betriebsrat über die Bezahlung der Stammarbeiter) existiert, die erhöhten Referenzzuschläge gelten. Für die Wirksamkeit dieser Regelung müsse die Vereinbarung die Grundlöhne regeln, Vereinbarungen ausschließlich zum Thema Zulagen, Arbeitszeit etc gelten nicht als Lohnschema.

Schindler (Arbeitskräfteüberlassungs-KV 2013, 268) verweist darauf, dass der Inhalt der betrieblichen Lohnregelung ganz gleichgültig sei. Der KVAÜ ordne nicht an, dass auch überlassene Arbeitskräfte die in solchen Vereinbarungen festgesetzten Löhne erhalten müssten. Er knüpfe lediglich an die Existenz eines solchen Schemas an, weil innerbetriebliche Lohnvereinbarungen nur in Betrieben bestehen, die den gültigen Branchen-Kollektivvertrag (erheblich) überzahlen – andernfalls wäre der Abschluss sinnlos. Bei Vorliegen dieses formalen Hinweises ordne der KVAÜ an, den für Hochlohnbranchen vorgesehenen pauschalen „Zuschlag“ zum Mindestlohn des Beschäftigerkollektivvertrags um 5 Prozentpunkte zu erhöhen.

Nach Rothe (Arbeiter- und Angestellten-KV Arbeitskräfteüberlassung3 [2017] Abschnitt IX, Rz 69) sind mit „Vereinbarungen über die betriebsübliche Lohnhöhe“ Lohnschemata über die Grundlöhne gemeint und nicht irgendwelche Zulagen-, Zuschlagsregelungen oder besondere Vergütungen im Zusammenhang mit Arbeitszeitmodellen.

Die Revision verweist darauf, dass mit der verfahrensgegenständlichen Betriebsvereinbarung nur ein Ausgleich für den mit der kollektivvertraglichen Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 37 Stunden auf 38,5 Stunden verbundenen realen Verschlechterung in der Entlohnung der Stammbelegschaft erreicht werden sollte. Richtig haben aber die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass sich gerade aus dieser generellen, im Kollektivvertrag nicht vorgesehenen Abgeltung der Mehrarbeit eine (schematische) Erhöhung des Grundlohns gegenüber den kollektivverträglichen Löhnen ergibt. Mag auch damit keine Besserstellung der Stammbelegschaft gegenüber dem Zustand vor Erhöhung der Wochenarbeit bewirkt werden, bedeutet dies dessen ungeachtet eine Besserstellung gegenüber einer kollektivvertraglichen Entlohnung. Auf die konkrete Formulierung der Betriebsvereinbarung kommt es dabei nach der zutreffenden Auffassung von Schindler nicht an.

Die Beklagte macht weiters geltend, dass schon durch den einfachen Referenzzuschlag die überlassenen Arbeitskräfte höher entlohnt werden als die Stammarbeiter und diese Differenz durch den erhöhten Referenzzuschlag weiter vergrößert wird.

Allerdings ist im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung grundsätzlich keine gänzliche Harmonisierung des Lohnniveaus zwischen Überlasser und Beschäftiger vorgesehen. Das im Beschäftigerbetrieb bestehende Lohnniveau (betriebliche Ist-Löhne) wird nicht geschützt. Für Hochlohnbranchen, in denen die Kollektivvertragslöhne in der betrieblichen Praxis (erheblich) überzahlt werden, erfolgt nach Abschnitt IX/3 des KVAÜ eine pauschale Annäherung an dieses branchenübliche Ist-Lohn-Niveau durch die Regelung über erhöhte Überlassungslöhne in Form prozentueller Referenzzuschläge (vgl 9 ObA 111/07z mwN). Unter Verweis auf Schindler (Arbeitskräfteüberlassungs-KollV) wurde in 9 ObA 130/04i dargelegt, dass mit Abschluss des KVAÜ der gesetzliche Anspruch auf angemessenes und ortsübliches Entgelt entfalle bzw konkretisiere der Kollektivvertrag diese Ansprüche, sodass jede gesonderte Prüfung entfalle. Da aber auch andere Meinungen vertreten würden, hätten die Kollektivvertragspartner in Abschnitt IX Punkt 5. nochmals ausdrücklich klargestellt, dass sie in Kenntnis der in Österreich arbeitsmarktüblichen (auch: ortsüblichen) Entgelthöhen den KV abgeschlossen hätten und demnach die Beachtung seiner Regelungen ein ortsübliches und angemessenes Entgelt verschaffe. Dies hätten sie durch ein wohl durchdachtes und differenziertes Entgeltsystem sichergestellt. Ein über die Ansprüche nach diesem KV hinausgehender Anspruch gemäß § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG bestehe daher nicht. In dieser Entscheidung wurde weiters darauf hingewiesen, dass, wie sich aus der in Anhang IV enthaltenen Verpflichtung der Kollektivvertragspartner zur entsprechenden Angleichung der Erhöhungsprozentsätze für die Überlassung von Arbeitnehmern an den Referenzverbänden angehörige Betriebe ergebe, den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen sei, sich bei Abschluss des Kollektivvertrags einen ausreichenden Überblick über das Lohnniveau in den verschiedenen Branchen verschafft und eine pauschalierende Berücksichtigung in den festgelegten Erhöhungsprozentsätzen angestrebt zu haben. Das angemessene ortsübliche Entgelt im Falle überkollektivvertraglicher Entlohnung bewege sich in bestimmten Branchen stets in einer gewissen Bandbreite, wobei auch ein solches Entgelt als angemessen zu betrachten sei, das in den unteren Bereich dieser Bandbreite falle. Es sei daher bereits aus Praktikabilitätsgründen und aus Gründen der Rechtssicherheit nahegelegen, es bei der Bestimmung des angemessenen Überlassungslohns in einem Kollektivvertrag nicht bei der unscharfen Verweisung des § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG zu belassen, sondern stattdessen eine klarere, an sorgfältig ermittelten Durchschnittswerten orientierte Lösung zu schaffen.

Schindler (aaO 268) verweist darauf, dass es durchaus dazu kommen könne, dass überlassene Arbeitnehmer einen höheren Lohnanspruch haben als im innerbetrieblichen Lohnschema für die Stammarbeiter/-innen vorgesehen sei, eben so gut könne aber das gegenteilige Ergebnis eintreten. Auch Schrattbauer (DRdA 2014/14) verweist darauf, dass eine völlige Gleichschaltung mit den Ansprüchen vergleichbarer Stammarbeitnehmer mit diesem System nicht beabsichtigt sei. Abweichungen vom Ist-Lohn-Niveau des Beschäftigerbetriebs seien sowohl nach unten als auch nach oben möglich. Die Anpassungsvereinbarung der Kollektivvertragsparteien für den Fall einer erheblichen Änderung des Überzahlungsniveaus unterstreiche diese pauschale Herangehensweise: Eine Änderung der Zuschläge sei nur dann vorgesehen, wenn sich das statistisch erhobene Überzahlungsniveau in den Hochlohnbranchen insgesamt um zumindest 0,5 % verändere. Geringfügigere Änderungen hätten ebensowenig Einfluss auf das zustehende Überlassungsentgelt wie ein Absinken/Ansteigen des tatsächlichen Entgeltniveaus nur in einzelnen Branchen bzw Betrieben.

Soweit Rothe (aaO, Rz 70) eine Auslegung für „denkbar“ hält, die eine pauschale Erhöhung der Referenzlöhne nur dort verlange, wo das betriebliche Lohnniveau des Beschäftigers über die einfachen Referenzlöhne hinausgehe, ist ihm nicht zu folgen.

Der Kollektivvertrag sieht eine pauschalierte Betrachtungsweise vor, für deren Begrenzung nur zu Gunsten der Arbeitgeber auch nach dem Sinn und Zweck der Erhöhungsregelung keine Veranlassung besteht. Durch die kollektivvertragliche Regelung wird gerade keine Gleichstellung mit den Arbeitnehmern des konkreten Beschäftigerbetriebs erreicht, sondern nur eine pauschale Annäherung an die branchenüblichen Löhne. Dass es dabei zu Über- oder Unterschreitungen der Ist-Löhne im Beschäftigerbetrieb kommt, wurde von den Kollektivvertragsparteien in Kauf genommen. Die zuvor genannte Bandbreite bei der überkollektivvertraglichen Entlohnung schließt auch eine im Einzelfall höhere Entlohnung gegenüber den Stammarbeitnehmern im Beschäftigerbetrieb nicht aus.

Soweit sich die Beklagte auf die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit bezieht, ist für sie ebenfalls nichts zu gewinnen. Diese Richtlinie dient nach Art 2 dem Schutz von Leiharbeitnehmern. Im 14. Erwägungsgrund ist festgehalten, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Leiharbeitnehmer mindestens denjenigen entsprechen sollen, die für diese Arbeitnehmer gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt würden. Art 5 Abs 3 der Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumen können, Tarifverträge aufrecht zu erhalten oder abzuschließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen enthalten können. Daraus lässt sich aber nur ableiten, dass Leiharbeitnehmer nicht schlechter gestellt sein sollen als die Stammbelegschaft. Eine Überzahlung ist dagegen nicht ausgeschlossen.

Insgesamt gelingt es der Revision der Beklagten daher nicht, Bedenken an der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts zu wecken.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO, wobei die Kosten den Klägerinnen nach ihrem Anteil am Gesamtstreitwert zuzusprechen waren.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00054.17G.0927.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,11 Arbeitsrechtssachen

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