VfGH vom 28.02.1986, B566/83
Sammlungsnummer
10757
Leitsatz
Disziplinarstatut; GeschäftsO für den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Sbg.; Verhängung einer Disziplinarstrafe (schriftlicher Verweis) in erster Instanz durch Senat des Disziplinarrates wegen beleidigender Schreibweise; Entscheidung der OBDK noch vor Kundmachung der Aufhebung des § 6 Abs 2 erster und zweiter Satz der GeschäftsO - Bindung an die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltende Rechtslage; kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Willkür
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Disziplinarrat der Sbg. Rechtsanwaltskammer erkannte den bf. Rechtsanwalt mit Erk. vom , das nach mündlicher Verhandlung durch einen aus fünf Mitgliedern des Disziplinarrates gebildeten Senat gefällt wurde, der dadurch begangenen Berufspflichtenverletzung und Verletzung des Standesansehens schuldig, daß er in der namens eines Klienten beim Finanzamt Vöcklabruck zu einer bestimmten Geschäftszahl erstatteten Stellungnahme durch die Formulierung "der Beschuldigte kann die Finanzstrafbehörden nicht daran hindern, Amok zu laufen" eine beleidigende Schreibweise gebraucht habe; er wurde hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt. Der dagegen erhobenen Berufung des Bf. gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) teilweise Folge; sie bestätigte die erstinstanzliche Disziplinarentscheidung im Schuldspruch und änderte sie im übrigen dahin ab, daß über den Bf. die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt wurde. Diese Rechtsmittelentscheidung wurde im wesentlichen folgendermaßen begründet:
"Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission folgt den unbedenklichen und vom Beschuldigten auch nicht angefochtenen Sachverhaltsfeststellungen sowie der rechtlichen Beurteilung der I. Instanz.
Was zunächst die Mängelrüge des Beschuldigten betrifft, der Disziplinarrat sei bei der durchgeführten mündlichen Disziplinarverhandlung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil gemäß § 25 DSt. für die Fassung eines gültigen Beschlusses oder Erkenntnisses die Anwesenheit des Präsidenten oder seiner Stellvertreter notwendig sei, ist festzustellen: Die in Ausfluß des Disziplinarstatuts ergangene und in Gültigkeit stehende Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Salzburger Rechtsanwaltskammer bestimmt im dortigen § 6 Abs 2 GeO. zur Zusammensetzung des Senates wie folgt:
'Bei mündlichen Verhandlungen hat der erkennende Senat aus dem Vorsitzenden (Präsident oder Präsidenten-Stellvertreter § 4) und vier Mitgliedern (Ersatzmännern - unter denen auch der Präsident-Stellvertreter sein kann, wenn er nicht selbst den Vorsitz führt -) des Disziplinarrates zu bestehen.
Die Zusammensetzung des jeweils erkennenden Senates erfolgt durch den Präsidenten oder dessen Stellvertreter.'
In dieser Bestimmung der Geschäftsordnung wird ausdrücklich auf § 4 verwiesen, dessen Abs 2 zweiter Satz wie folgt lautet:
'Bei Verhinderung sowohl des Präsidenten als auch des Präsidenten-Stellvertreters werden deren Obliegenheiten durch jenes anwesende Mitglied des Disziplinarrates besorgt, dessen ununterbrochene Amtsdauer im Disziplinarrat die längere ist; bei gleicher Amtsdauer besorgt die Geschäfte der dem Lebensalter nach ältere.'
In der mündlichen Disziplinarverhandlung des Disziplinarrates der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom führte daher Rechtsanwalt Dr. L unter Bezugnahme auf die zitierten Gesetzesstellen zu Recht den Vorsitz. Der Formalrüge des Beschuldigten steht sohin die geltende Rechtslage entgegen.
Im übrigen folgt die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission der Rechtsansicht des Disziplinarrates, daß in der vorgenannten Schreibweise des Beschuldigten auch mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des gegenständlichen Falles nicht mehr eine zulässige Kritik am Vorgehen einer Behörde im Rahmen des § 9 RAO erblickt werden kann. Der Beschuldigte ging damit über den Rahmen einer sachlich gerechtfertigten Rechtsverfolgung hinaus. Eine Schreibweise, die eine Behörde auch nur in die Nähe des Verdachtes bringt, in blindwütiger Form und unter Verlust der Überlegungsfähigkeit vorzugehen, beinhaltet wohl auch den Vorwurf des Mißbrauches der Amtsgewalt.
Diese Ausführungen scheinen daher nicht geeignet, den Interessen des Klienten zu dienen und sind auch zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig. Sie stellen eine unsachliche, verunglimpfende Beleidigung dar, wobei es nicht darauf ankommt, daß möglicherweise tatsächlich ein fehlerhaftes Vorgehen der Behörde vorgelegen ist. Vom Beschuldigten als Rechtsanwalt muß aber verlangt werden, daß er trotz vorliegenden Klientenauftrages auf scharfes Vorgehen das Fehlverhalten einer Behörde mit sachlichen und juristischen Formulierungen aufzeigt. Der Beschuldigte hat sich hier nicht der erforderlichen sachlichen juristischen Ausdrucksweise bedient, sondern ist darüber weit hinausgegangen und hat das Vorgehen der Behörde in den Verhaltensbereich blindwütiger Vorgangsweise gerückt. Diese Schreibweise ist durch § 9 RAO nicht mehr gedeckt und bildet daher sowohl das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung als auch der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes.
Wenn auch - wie oben dargelegt - der Begriff 'Amok laufen' als unzulässig betrachtet werden muß, so sieht die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission durch diesen verbalen Mißgriff die Grenze des Zulässigen nicht derart überschritten, daß dafür der Ausspruch einer Geldbuße gerechtfertigt ist. Dem Beschuldigten muß aber dringend angeraten werden, sich in Hinkunft einer gemäßigteren Schreib- und Ausdrucksweise zu bedienen."
2. Gegen den Bescheid der OBDK vom richtet sich die vorliegende VfGH-Beschwerde, in welcher der Bf. die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. Der Bf. behauptet einerseits, daß er durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht verletzt worden sei. Bei der aus der Sicht dieser Beschwerdesache gegebenen und auch vom Bf. nicht in Zweifel gezogenen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides könnte eine solche Rechtsverletzung gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes (zB VfSlg. 9474/1982) nach der Lage des Falles nur stattgefunden haben, wenn die bel. Beh. Willkür geübt hätte. Ein solches Verhalten könnte ihr etwa vorgeworfen werden, wenn sie den Bf. aus unsachlichen Gründen benachteiligt hätte oder aber wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch stünde (zB VfSlg. 9726/1983). Nichts dergleichen ist der belangten Disziplinarbehörde jedoch anzulasten.
Das tragende Argument des Beschwerdevorwurfs ist die Behauptung, durch die Wendung "der Beschuldigte kann die Finanzstrafbehörden nicht daran hindern, Amok zu laufen" seien die Finanzbehörden - und zwar auf keinen Zeitpunkt bezogen - eines solchen Verhaltens bezichtigt worden. Dem genügt entgegenzuhalten, daß das verwendete Vokabular schon als solches in einem anwaltlichen Schriftsatz nicht am Platz ist sowie daß nach dem Wortsinn der Wendung eindeutig die Möglichkeit eines kraß rücksichtslosen, rechtswidrigen Vorgehens der Abgabenbehörden unterstellt wird. Es ist nicht unschlüssig, den Gebrauch einer solchen Wendung sowohl als Berufspflichtenverletzung als auch als eine Beeinträchtigung des Standesansehens zu werten; selbst wenn diese Wertung verfehlt wäre, wäre dies vom VfGH im Rahmen der ihm zukommenden Beurteilung des angefochtenen Bescheides nicht aufzugreifen.
2. Andererseits macht der Bf. geltend, daß er im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter deshalb verletzt worden sei, weil das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis von einem Senat iS des § 6 Abs 2 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Sbg.
Rechtsanwaltskammer gefällt worden ist. Der Bf. weist hiezu auf das hg. Erk. V27, 31, 32/83 vom (VfSlg. 9746/1983) hin, mit dem der erste und zweite Satz des § 6 Abs 2 dieser Geschäftsordnung als gesetzwidrig aufgehoben wurden.
Dieser Hinweis ist jedoch nicht zielführend.
Die Aufhebung der als gesetzwidrig befundenen Bestimmungen wurde im BGBl. unter Nr. 442/1983 am kundgemacht, mithin erst nach der Erlassung des (dem Bf. am zugestellten) angefochtenen Bescheides; die OBDK war jedoch an die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltende Rechtslage gebunden. Als Anlaßfall kam die vorliegende Beschwerdesache nicht in Betracht, weil die mündliche Verhandlung in der Verordnungsprüfungssache schon vor der Beschwerdeeinbringung stattfand (s. dazu VfSlg. 10616/1985).
3. Das Beschwerdeverfahren erbrachte schließlich keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Bf. durch den bekämpften Bescheid aus anderen als den von ihm vorgebrachten Gründen in einem geltend gemachten oder in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre. Da dem angefochtenen Bescheid auch keine rechtswidrige generelle Rechtsnorm zugrunde liegt, war die Beschwerde abzuweisen.