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OGH vom 15.10.1997, 10ObS341/97p

OGH vom 15.10.1997, 10ObS341/97p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rita B*****, Bankangestellte, ***** im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter- Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 147/97d-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 29 Cgs 163/95p-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei aufgrund der Folgen des Unfalls vom eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen, abgewiesen wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am geborene Klägerin war als Bankanstellte beschäftigt. Bereits 1993 wurden bei ihr Arthrosen in beiden oberen Extremitäten festgestellt; sie hatte damals Schwellungen der Fingergrundgelenke auf der rechten Seite und im rechten Handgelenk, später auch in beiden Ellbogen und Schultern. Im Jahr 1994 stellte sie wegen dieser Gelenksbeschwerden einen Antrag auf Bewilligung eines Kuraufenthaltes bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten. Zum Zweck der Entscheidung über dieses Ansuchen wurde sie für den um

9.45 Uhr zur ärztlichen Untersuchung in das Gebäude der Pensionsversicherungsanstalt vorgeladen. Sie langte am genannten Tag dort bereits um ungefähr 9.15 Uhr ein, wollte nach Ende der Untersuchung um etwa 9.30 Uhr zu Fuß zur U-Bahnstation Reichsbrücke gehen, um ihren im 1. Wiener Gemeindebezirk gelegenen Arbeitsplatz aufzusuchen. Auf diesem Weg kam sie an einer unebenen Stelle des Gehsteigs zu Sturz, zog sich dabei neben Schürfwunden im Gesichtsbereich und an der rechten Hand Brüche des rechten Ring- und Kleinfingers sowie einen knöcheren Abriß am rechten Mittelfinger zu. Diese Verletzung hat nach wie vor eine Bewegungseinschränkung der betroffenen rechten Mittel-, Ring- und Kleinfinger zur Folge. Einer zur Besserung dieses Defizits ärztlich vorgeschlagenen Korrekturoperation hat sich die Klägerin nicht unterzogen. Aufgrund der Behinderung der Fingerbeweglichkeit konnte sie Maschinschreibtätigkeiten nicht mehr verrichten, sie verlor ihren Arbeitsplatz als Bankangestellte. Die unfallskausale medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 25 vH.

Mit Bescheid vom wies die Beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt das Begehren der Klägerin auf Gewährung einer Versehrtenrente zur Abgeltung der Folgen dieses Unfalles ab.

In der dagegen gerichteten Klage begehrte die Klägerin die Zuerkennung einer Entschädigung aus Anlaß dieses Unfallsereignisses in gesetzlicher Höhe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil sich der Unfall auf einem Weg ereignet habe, der mangels Zusammenhanges mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung nicht unter Versicherungsschutz stehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren dahin statt, daß es die Beklagte schuldig erkannte, der Klägerin aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom eine Versehrtenrente in Höhe von 25 vH der Vollrente und eine vorläufige Zahlung von S 5.500,-- monatlich ab zu leisten. Dazu führte das Erstgericht aus, im zweiten Rechtsgang sei von der bindenden, im Aufhebungsbeschluß dargelegten Rechtsansicht des Berufungsgerichtes auszugehen, wonach es sich bei dem gegenständlichen Ereignis um einen unter Unfallversicherungsschutz stehenden Wegunfall gehandelt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die "angeordnete" Untersuchung der Klägerin zur Bewilligung einer Kur (Heilbehandlung) habe der zumindest auch im Interesse des Dienstgebers liegenden Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin gedient. Ihre Tätigkeiten hätten im Maschinschreiben bestanden, sie habe unter erheblichen Gelenkserkrankungen in Schulter-, Ellbogen-, Handgelenk- und Fingerbereich gelitten, weshalb das beantragte und in der Folge bewilligte Heilverfahren, dem die Untersuchung am Unfalltag vorangegangen sei, eindeutig zumindest überwiegend betrieblichen Interessen gedient habe. Bei dem Weg von der Untersuchungsstelle zur Arbeitsstätte handle es sich daher um einen Arbeitsunfall nach § 175 Abs 2 Z 2 ASVG.

Die gegen dieses Urteil von der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Durch den hier im besonderen anzuwendenden § 175 Abs 2 Z 2 ASVG sind zwei verschiedene sogenannte "Arztwege" geschützt. Der erste Fall erfaßt den Schutz des Weges von der Arbeitsstätte oder der Wohnung zu einer ärztlichen Untersuchungs- oder Behandlungsstelle zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe, Zahnbehandlung oder der Durchführung einer Vorsorge(Gesunden)untersuchung sowie des Fortsetzungsweges zurück zur Arbeitsstätte oder zur Wohnung. Der Versicherte muß jedoch im Betrieb vor Antritt des Weges seine diesbezügliche Absicht unter Angabe des Ortes der Untersuchung oder Behandlung bekanntgegeben haben. Der zweite Fall des § 175 Abs 2 Z 2 ASVG schützt den Weg von der Arbeitsstätte oder der Wohnung zu einer Untersuchungsstelle und zurück zur Arbeitsstätte oder Wohnung, sofern es sich um eine mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängende, gesetzlich gebotene bzw vom Träger der Sozialversicherung oder vom Dienstgeber angeordnete Untersuchung handelt, die anderen Zwecken als der Durchführung einer ärztlichen Behandlung dient (Tomandl, SV-System, 8. ErgLfg 297 mwN). Unfälle auf Wegen zu Untersuchungen, die nicht mit der Erwerbstätigkeit zusammenhängen, können nicht mehr als Arbeitsunfälle im weitesten Sinn aufgefaßt werden (so bereits Tomandl, Der Schutzbereich der Unfallversicherung, ZAS 1975, 123/129 f; derselbe,

Das Leistungsrecht der österreichischen Unfallversicherung 42). In diesem Zusammenhang wurde darauf hingwiesen, daß sich diese Rechtsauffassung für die Bundesrepublik Deutschland nach § 539 Abs 1 Nr 11 RVO schon aus dem Gesetz ergeben habe: Durch diese Bestimmung sei nämlich der Versicherungsschutz für Personen eingeführt worden, die aufgrund von Arbeitsschutz - oder Unfallverhütungsvorschriften ärztlich untersucht oder behandelt würden. Die Vorschrift beziehe sich nur auf Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften (so Brackmann, Handbuch der SV II 71. Nachtrag 474 f, g; vgl auch Tomandl aaO 130 FN 78). Nach dem nunmehr in Geltung stehenden § 2 Abs 1 Nr 3 SGB VII (gesetzliche Unfallversicherung) umfaßt der gesetzliche Versicherungsschutz "Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind" (vgl dazu Wiester in Brackmann, Handbuch der SV, 3, 81. Lfg Rz 363 ff zu § 2 SGB VII).

Das Besorgen von persönlichen Vermögensangelegenheiten des Beschäftigten zählt zu dessen eigenwirtschaftlichem, nicht versicherten Lebensbereich; dazu zählt etwa auch die Geltendmachung eigener Leistungsansprüche bei einem Sozialversicherungsträger oder in einem Prozeß vor einem Sozialgericht. In diesem Sinne hat der Senat in der Entscheidung SSV-NF 6/25 ausgesprochen, daß die gesamte Beteiligung des Versicherten am Verfahren in Leistungssachen vor dem Sozialversicherungsträger und dem Arbeits- und Sozialgericht zur Feststellung seines Anspruches auf Pensionsleistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht unter Unfallversicherungsschutz steht und daß dies auch für in diesem Zusammenhang zurückgelegte Wege zur und von der ärztlichen Untersuchungsstelle gilt. Nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Versicherte auf dem Rückweg von einer vom Gericht angeordneten Untersuchung bei einem ärztlichen Sachverständigen einen Unfall erlitten. Dieser wurde dem nicht unfallversicherten eigenwirtschaftlichen Lebensreich zugeordnet und dabei ausgeführt, es sei zwar richtig, daß ein Anspruchswerber verpflichtet sei, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, die der zuständige Versicherungsträger anordne; dies ändere aber nichts daran, daß die gesamte Beteiligung des Anspruchswerbers am Verfahren zur Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches in keinem solchen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stehe, der es rechtfertigen könnte, bei der Beteiligung an diesem Verfahren eingetretene Unfälle vom nicht unfallversicherten eigenwirtschaftlichen Bereich auszunehmen. Im übrigen wäre nicht einzusehen, warum bei gegenteiliger Auslegung nur Teilbereiche der Beteiligung des Anspruchswerbers an dem Leistungsverfahren, nämlich die Wege zu oder von einer Untersuchungsstelle, nicht aber auch die Wege zum oder vom Versicherungsträger bzw zum Gericht etwa zur Stellung des Leistungsantrages, zur Erhebung einer Protokollarklage oder zu einer Tagsatzung unfallversichert wären.

Die dargestellten Grundsätze haben auch im vorliegenden Fall zu gelten. Nach § 307 d Abs 1 ASVG können die Pensionsversicherungsträger unter Berücksichtigung des Fortschrittes der medizinischen Wissenschaft unter Bedachtnahme auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit und auf die Auslastung der zur Verfügung stehenden Einrichtungen Versicherten und Pensionisten geeignete Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge gewähren; als solche Maßnahmen kommen nach Abs 2 insbesondere auch die Unterbringung in einem Erholungsheim oder der Aufenthalt in Kurorten, Kuranstalten bzw Zuschüsse zu einem solchen in Frage. Bei der Gewährung von Kuraufenthalten handelt es sich in allen Fällen (auch in denen des § 155 ASVG) nicht um Pflichtleistungen der Versicherungsträger, vielmehr liegt die Entscheidung über die Gewährung dieser Maßnahme in deren pflichtgebundenem Ermessen und dem Versicherten steht gegen die Verweigerung kein Rechtsschutz zur Verfügung (SSV-NF 7/76). Daß solche Maßnahmen zur Erhaltung und Festigung der Gesundheit und insbesondere auch der Arbeitsfähigkeit dienen (vgl Binder in Tomandl, SV-System, 8. ErgLfg 198 f), ändert nichts an deren eigenwirtschaftlichen Charakter. Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit sind grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen, und es ist nicht schon deshalb bei ihrer Durchführung Versicherungsschutz anzuerkennen, weil sie zugleich der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit auch den Interessen des Arbeitgebers dienen (Podzun, Unfallsachbearbeiter, 090, 8). Kuraufenthalte stehen nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung, sodaß auch die gesamte Beteiligung des Versicherten am Verfahren vor dem Sozialversicherungsträger zwecks Gewährung solcher Maßnahmen nicht unter Unfallversicherungsschutz steht. Insoweit ist der vorliegende Sachverhalt durchaus mit dem der Entscheidung SSV-NF 6/25 zugrundeliegenden vergleichbar.

In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.