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OGH vom 24.04.1996, 9ObA2003/96s

OGH vom 24.04.1996, 9ObA2003/96s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko und Rudolf Randus als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ö*****-AG, *****- vertreten durch Dr.Kurt Klein und Dr.Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Dr.Heinz T*****, Bauingenieur, ***** wegen S 14,000.000,-- sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 6/96-9, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 36 Cga 17/95p-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsrekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt mit ihrer an das Erstgericht als Arbeits- und Sozialgericht gerichteten Klage vom Beklagten S 14,000.000,-- sA als Ersatz des Schadens, den ihr der Beklagte als Alleinvorstand zugefügt habe. Der Beklagte sei seit selbständig vertretungsbefugter Vorstandsdirektor der Rechtsvorgängerin der Klägerin (P***** AG) gewesen. Der mit datierte und mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden abgeschlossene Vorstandsvertrag sei von der PAG aus wichtigem Grund vorzeitig aufgelöst worden. Der Beklagte habe sich nicht nur des Verbrechens der Untreue schuldig gemacht, sondern habe nahezu andauernd gegen seine Pflicht, die Geschäfte mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers zu führen, verstoßen (§ 84 Abs 1 AktG). Er habe auch bei satzungsgemäß genehmigungspflichtigen Geschäftsfällen keine Zustimmung des Aufsichtsrats eingeholt und diesen entgegen § 81 AktG in vielen Fällen bewußt falsch informiert.

Gegen den Beklagten sei ein Strafverfahren anhängig, in dem ihm die Staatsanwaltschaft eine vorsätzliche Schadenszufügung in Höhe von S 50,000.000,-- anlaste. Im Innenverhältnis gründe sich die Ersatzforderung der Klägerin aber auch auf die §§ 84 Abs 1 und 81 AktG, weil der Beklagte in krasser Weise gegen die Grundsätze der Geschäftsführung verstoßen und seine Pflichten als Alleinvorstand verletzt habe. Der Beklagte habe seinerseits zu 35 Cga 148/91 Ansprüche aus der vorzeitigen Auflösung seines Vorstands- und Dienstvertrages geltend gemacht. Dieses Verfahren sei mit Beschluß vom unterbrochen worden. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes stütze sich auf § 4 Abs 1 Z 1 lit a bis d ASGG.

Das Erstgericht faßte im Sinne des § 37 Abs 3 ASGG von Amts wegen den Beschluß, daß das Verfahren in der Gerichtsbesetzung der allgemeinen Streitabteilung zu führen sei. Der Beklagte sei aufgrund seiner völligen Weisungsfreiheit als Vorstandsdirektor nicht Arbeitnehmer der Rechtsvorgängerin der Klägerin gewesen; sein Anstellungsvertrag sei vielmehr als freier Dienstvertrag zu werten. Auch wenn ein freier Dienstvertrag unter Umständen eine arbeitnehmerähnliche Stellung des Beklagten bewirken könnte, welche die Besetzung des angerufenen Gerichtes als Arbeits- und Sozialgericht zur Folge hätte, sei entscheidend, daß der Beklagte nicht wegen seiner Arbeitnehmerähnlichkeit, sondern ausdrücklich in seiner Eigenschaft als ehemaliger Vorstandsdirektor einer Aktiengesellschaft unter Berufung auf das AktG in Anspruch genommen werde. Das Verfahren sei daher in der allgemeinen Streitabteilung zu führen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, daß die Rechtssache in der für die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen geltenden Besetzung (§§ 7 ff JN) zu verhandeln und zu entscheiden sei. Weiters sprach es aus, daß der Revisionsrekurs gemäß § 47 Abs 1 (§§ 45 Abs 2 und 46 Abs 1 ASGG) zulässig sei.

Es vertrat die Rechtsauffassung, daß Vorstandsmitglieder weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Personen seien. Aufgrund ihrer unternehmergleichen Stellung im Rahmen der Aktiengesellschaft fehle es stets am Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit im Sinne des § 51 Abs 3 Z 2 ASGG. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, daß der Beklagte beim Arbeits- und Sozialgericht Ansprüche aus der vorzeitigen Auflösung seines Vorstands- und "Dienstvertrages" geltend mache und die Klägerin ihre Ansprüche "auch" auf die §§ 81 und 84 AktG stütze. Die Anhängigkeit dieser Klage sei nicht anspruchsbegründend und die speziellen Vorschriften des AktG gingen vor.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Rechtssache in der besonderen Gerichtsbesetzung des Arbeits- und Sozialgerichts gemäß § 11 ASGG zu verhandeln sei. Abgesehen davon, daß der Beklagte seine Ansprüche aus der vorzeitigen Lösung seines Vorstands- und Dienstvertrages bereits geltend gemacht habe, so daß der Gerichtsstand des Zusammenhangs gemäß § 8 ASGG vorliege, gehörten Streitigkeiten, welche die Tätigkeit von Organmitgliedern betreffen, grundsätzlich vor die Arbeits- und Sozialgerichte.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig (Arb 10.986); es kommt ihm jedoch keine Berechtigung zu.

Gemäß § 51 Abs 1 Z 6 JN fallen unter anderem Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern der Verwaltung der Handelsgesellschaft und der Gesellschaft in die Zuständigkeit der Handelsgerichtsbarkeit, sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt. Nach § 50 Abs 1 Z 1 ASGG sind Arbeitsrechtssachen bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder mit dessen Anbahnung. Gemäß § 51 Abs 3 Z 2 ASGG stehen den Arbeitnehmern Personen gleich, die im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind.

In Lehre und Judikatur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß Vorstandsmitglieder keine Arbeitnehmer sind. Sie stehen in keinem abhängigen Arbeitsverhältnis; soweit ein Anstellungsvertrag (§ 75 AktG) besteht, begründet dieser lediglich ein sogenanntes freies Dienstverhältnis, das in seiner Struktur nicht verändert werden kann (vgl Strasser in Schiemer/Jabornegg/Strasser, KommzAktG §§ 75, 76 Rz 65 und 68; Mayer-Maly/Marhold, ArbR I/5; Schwarz/Löschnigg, ArbR5 173 f; krit Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, ArbR3 I 39:

dagegen Jabornegg, DRdA 1991, 13; Wachter, Dienstleistungen am Rande des Arbeitsrechts - Zur Rechtsstellung von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften und Sparkassen, WBl 1991, 81 ff; derselbe Wesensmerkmale 75 ff, 109 ff; Floretta in FS Schwarz (1991) 475 ff, 491; Runggaldier/Schima, Die Rechtsstellung von Führungskräften (1991) 33 f; DRdA 1990/34 [Floretta]; ecolex 1990, 434; Arb 9371,

10.767 ua).

Da § 51 Abs 3 Z 2 ASGG jedoch nicht an das Vorliegen eines sogenannten freien Dienstverhältnisses schlechthin anknüpft, sondern an die Arbeitnehmerähnlichkeit, ist weiter zu prüfen, ob der Beklagte als ehemaliger Vorstandsdirektor der Rechtsvorgängerin der klagenden Partei wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit (dazu auch Jabornegg, HVG § 1 4.3.2) als arbeitnehmerähnlich anzusehen ist, sodaß ihm zumindest zum Teil ebenso sozialer und arbeitsrechtlicher Schutz zukommen soll wie einem in persönlicher Abhängigkeit befindichen Arbeitnehmer. Dabei ist davon auszugehen, daß ein Vorstandsmitglied ökonomisch zwar insoweit nicht Unternehmer ist, als die Organfunktion als solche vom Kapitaleinsatz und Kapitalrisiko unabhängig ist. Der Vorstand besitzt jedoch das Monopol für die unternehmerische Betätigung der aktienrechtlichen Organisationseinheit (vgl Jabornegg, Unternehmensrecht und Arbeitsrecht, DRdA 1991, 8 ff, 13 mwH). Aus der durch bestimmte Anlaßfälle ausgelösten Gelegenheitsgesetzgebung ist dazu keine weiterführende gesetzgeberische Wertung zu entnehmen. Einerseits sind Vorstandsmitglieder ohne Rücksicht darauf, wie ihre vertraglichen Beziehungen gestaltet sind, gemäß § 4 Abs 3 Z 10 ASVG sozialversichert. Andererseits gelten Vorstandsmitglieder gemäß § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG nicht als Arbeitnehmer im Sinne der gesetzlichen Betriebsverfassung und sie haben gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG im Fall des Gesellschaftskonkurses keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Kein Arbeitnehmer hat so wie ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft die Stellung eines weisungsungebundenen, mit unbeschränkter Vertretungsmacht (§ 74 Abs 2 AktG) ausgestatteten Unternehmensleiters und kein Arbeitnehmer hat für Obliegenheitsverletzungen so einzustehen wie Vorstandsmitglieder, auf welche die Vorschriften des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes nicht Anwendung finden (Dirschmied, DNHG3 79 f; differenzierend Kerschner, DHG § 1 Rz 4; DRdA 1990/34; Arb 9185 ua). Vorstandsmitglieder haben auch keinen Rechnungslegunganspruch wegen einer Diensterfindung (Arb 10.406 mwH).

Zutreffend führt Wachter (Dienstleistungen am Rande des Arbeitsrechts - Zur Rechtsstellung von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften und Sparkassen, WBl 1991, 81 ff, 85) nach Wiedergabe seines Informationsstandes aus, daß bei der deutlichen Mehrheit der Vorstandsmitglieder keine Rede davon sein könne, daß sie sich im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation in einer gleichen oder ähnlichen Lage befinden wie die breite Masse der Arbeitnehmer und daher ebenfalls ein erhebliches Maß an sozialer Schutzbedürftigkeit aufweisen. Sie seien nämlich augenscheinlich in der Lage, sich eine "standesgemäße" Rechts- und Einkommensposition am Verhandlungstisch selbst zu verschaffen; des Schutzes arbeitsrechtlicher Vorschriften seien sie nicht bedürftig. Demnach kommt für Vorstandsmitglieder die Qualifikation als arbeitnehmerähnliche Personen in der Regel nicht in Frage. Auch Floretta (Zum Vorstandsverhältnis bei Aktiengesellschaften und Sparkassen, FS Schwarz (1991) 475 ff, 489 f) weist darauf hin, daß dem Vorstand oberste Unternehmerfunktion zukomme. Über der Faszination des Begriffes der Arbeitnehmerähnlichkeit dürfe nicht die ratio legis aus dem Blickfeld geraten, daß eben nur für schutzbedürftige Grenzfälle eine Regelung getroffen werden sollte. Aufgrund dessen werde einer Anzahl von Vorstandsmitgliedern schon infolge der Höhe der Einkünfte die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit für die Geltendmachung ihrer Ansprüche nicht zugutekommen (aaO 493 f; derselbe, DRdA 1990, 337 f). Nach Strasser in Schiemer/Jabornegg/Strasser, KommzAktG (§§ 75, 76 Rz 67) fehlt es bei Vorstandsmitgliedern wegen ihrer unternehmergleichen Stellung im Rahmen der Aktiengesellschaft immer am Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit; sie seien daher auch keine arbeitnehmerähnlichen Personen (aM Runggaldier/Schima aaO 34 ff, 39). Diesen Ausführungen ist mit der aufgezeigten Differenzierung beizupflichten.

Ist es aber in der Regel so, daß Vorstandsmitglieder keine arbeitnehmerähnlichen Personen sind, bedarf es im Einzelfall zumindest entsprechender Behauptungen, warum entgegen dieser Regel ein Ausnahmefall vorliegt. Derartige, die Zuständigkeit bzw Gerichtsbesetzung betreffende Behauptungen hätte die klagende Partei aufzustellen gehabt. Diese begnügte sich aber damit, auf die Eigenschaft des Beklagten als selbständig vertretungsbefugter Vorstandsdirektor (Alleinvorstand) zu verweisen und die Schadensfälle aufzulisten, welche aus seinen unternehmerischen Alleinentscheidungen resultierten. Daraus sind Hinweise auf das ausnahmsweise Vorliegen einer arbeitnehmerähnlichen Position nicht zu gewinnen.

Der Gerichtsstand des Zusammenhanges gemäß § 8 Abs 1 ASGG setzt voraus, daß der erhobene Anspruch ein solcher nach § 50 ASGG, also eine Arbeitsrechtssache ist. Gemäß § 8 Abs 2 ASGG kann im Zusammenhang zwar auch ein anderer zivilrechtlicher Anspruch eingeklagt werden, doch muß es sich dabei um einen Anspruch zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer handeln (vgl Kuderna, ASGG2 § 8 Erl 11; auch 8 ObA 246/95). Da es dem Beklagten aber bereits an der Arbeitnehmerähnlichkeit mangelt, liegt ein solcher Anspruch nicht vor. Zu Recht hat daher das Rekursgericht ausgeführt, daß die bloße Anhängigkeit einer Klage des Beklagten hier nicht anspruchsbegründend ist.