OGH vom 09.11.2015, 21Os2/15z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltswärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Vavrovsky und Dr. Pressl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom , GZ LECHPE/D 10 950.458 26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer und des Kammeranwalts Dr. Koller zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *****, Rechtsanwalt in *****, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt (richtig: nur des letztgenannten; Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 [2014] § 1 DSt, S 863) schuldig erkannt, weil er (im Juni 2013, ES 4) Prozesskosten aus dem Verfahren Muriel T***** gegen Rechtsanwalt *****, AZ 18 C 1150/00p des Bezirksgerichts Salzburg nicht gegen die in diesem Verfahren unterlegene Klägerin Muriel T***** geltend gemacht hatte, sondern zu Unrecht, jedenfalls ohne eindeutige Rechtsgrundlage, mit dem an ihn im Verfahren AZ 21 Nc 49/99w des Bezirksgerichts Salzburg ausgefolgten, seinen vormaligen Mandanten Albert W***** und Ilona We***** zustehenden Erlagsbetrag bis zur Höhe von 4.842,15 Euro gegenverrechnet hatte.
Er wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 1.500 Euro verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Schuldspruch richtet sich seine (nicht näher bezeichnete) Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld; die verhängte Sanktion bekämpft er mit Berufung wegen Strafe.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der Rechtsmittelwerber durch die Abweisung seiner in der Disziplinarverhandlung gestellten Anträge auf Vernehmung Dr. H*****, in eventu der Verkäuferin Muriel T***** nicht in Verteidigungsrechten verletzt: Gegenstand des Zeugenbeweises sind nämlich nur sinnliche Wahrnehmungen, nicht aber Meinungen, rechtliche Bewertungen oder ähnliche intellektuelle Vorgänge (RIS Justiz RS0097540). Der im Beweisthema angestrebte Nachweis, dass „der Verwahrbetrag der Verkäuferin Muriel T***** und sohin der Kostenschuldnerin gegenüber ***** zuzukommen hatte bzw dieser zuzurechnen ist“ (ON 25 S 6), ist als Rechtsfrage alleine vom Disziplinarrat und nicht von den Zeugen zu beurteilen ( Kirchbacher , WK StPO § 154 Rz 8). Solcherart versagt auch das Begehren, das Disziplinarverfahren „bis zu einer gerichtlichen Feststellung zu unterbrechen“, dass „der Verwahrerlag aufgrund des Inhalts des Kaufvertrags, geführter Korrespondenz, nicht den Ehegatten W***** sach und rechtsinhaltlich zuzurechnen ist, sondern der seinerzeitigen Verkäuferin Muriel T***** und sohin die Ehegatten W***** um diesen, vom Disziplinarbeschuldigten überwiesenen anteiligen Verwahrbetrag bereichert sind“.
Mit den Einwänden, der Disziplinarrat habe das Verfahren AZ 18 C 1150/00p des Bezirksgerichts Salzburg „unrichtig ausgelegt“ die Rolle des bloß „formal beklagten“ Disziplinarbeschuldigten verkannt und „unzutreffende“ und „tatsachenwidrige“ Annahmen „zu Lasten des Disziplinarbeschuldigten“ getroffen, zumal „kein unwidersprüchlicher Akteninhalt“ vorliege, der seine disziplinäre Behandlung rechtfertige, spricht der Berufungswerber kein aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO beachtliches Defizit deutlich und bestimmt an und lässt unter dem Aspekt der Z 9 lit a auch offen, weshalb die vom Disziplinarrat getroffenen Feststellungen in rechtlicher Hinsicht ungenügend sein sollten oder welche weiteren Konstatierungen zur rechtsrichtigen Beurteilung des Sachverhalts vermisst werden.
Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Disziplinarrats, welcher sich sowohl mit der Erklärung von als auch mit der dazu gebotenen Einlassung des Disziplinarbeschuldigten eingehend auseinandergesetzt (EuKenntnisseite 4 ff) und aus den Verfahrensergebnissen logische und empirisch einwandfreie Schlüsse gezogen hat (ES 7), vermag die Berufung (wegen Schuld) nicht zu wecken.
Dem Einwand unrichtiger rechtlicher Beurteilung des Sachverhalts ist zu entgegnen, dass die prozessordnungskonforme Ausführung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes das strikte Festhalten am Urteilssachverhalt und den ausschließlich auf dessen Basis geführten Nachweis eines Rechtsirrtums zur Voraussetzung hat. Mit der schlichten Bestreitung von Sachverhaltsannahmen unter Darstellung anderer, für den Nichtigkeitswerber günstigerern als der vom Disziplinarrat getroffenen verfehlt die Geltendmachung materieller Nichtigkeit von vornherein den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt (RIS Justiz RS0099810).
Im Übrigen bleibt zu bemerken, dass das Recht des Rechtsanwalts, von den an ihn eingegangenen Barschaften unter anderem seine Auslagen „in Abzug zu bringen“ (§ 19 Abs 1 RAO), ein Aufrechnungsrecht ist, auf dessen Auslegung die Regelungen der §§ 1438 ff ABGB zur Anwendung gelangen, soweit dem nicht die Besonderheiten des Bevollmächtigungsvertrags entgegenstehen (RIS Justiz RS0110833 [T1]). Voraussetzung einer Aufrechnung ist, dass die Forderungen im Aufrechnungszeitraum gegenseitig, gleichartig, richtig (wirksam entstanden und klagbar) und fällig sind. Unter „Gegenseitigkeit“ versteht man, dass der Aufrechnende Gläubiger der Gegenforderung und zugleich Schuldner der Hauptforderung ist und vice versa. Dementsprechend bestimmt § 1441 ABGB, dass ein Schuldner immer nur mit Forderungen gegen den Gläubiger, nicht aber mit solchen gegen dritte Personen aufrechnen kann. Bereits daran scheiterte im vorliegenden Fall eine Aufrechnung; stand dem Disziplinarbeschuldigten doch die Prozesskosten-forderung aus dem Verfahren AZ 18 C 1150/00p des Bezirksgerichts Salzburg nicht gegenüber den als Empfänger seiner Aufrechnungserklärung vom angesprochenen Eheleuten W*****, sondern gegenüber einer dritten Person, nämlich Muriel T*****, zu (ES 3 f, 7). Fallaktuell wurde der zum Gegenstand der Kompensationserklärung gemachte Anspruch überdies auch klar bestritten (ES 5 und 7).
Auf Basis dieser Tatsachengrundlage ging der Disziplinarrat rechtsfehlerfrei davon aus, dass der Disziplinarbeschuldigte gemäß § 19 Abs 3 RAO gehalten gewesen wäre, die bei ihm eingegangenen Gelder in Höhe der bestrittenen Forderung bis zum Nachweis der Richtigkeit und Höhe seines Honoraranspruchs gerichtlich zu erlegen oder aber die Beträge unverzüglich auszufolgen (§ 17 RL BA; Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 [2014], S 201 und 676; RIS Justiz RS0033851, RS0056451; AnwBl 1995/5063, AnwBl 2004/ 7926, AnwBl 2010/8235).
Beweggründe für das deliktische Verhalten sind für die Sachentscheidung nicht von Bedeutung (RIS Justiz RS0088761).
Soweit der Disziplinarbeschuldigte das Vorliegen der irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 erster Satz StGB) einwendet, übersieht er, dass ihm ohnedies kein vorsätzliches (§ 5 StGB), sondern fahrlässiges Verhalten (§ 6 StGB) angelastet wird (ES 7 und 8). Der Einwand der „Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens“ (§ 10 Abs 1 StGB) entbehrt jeder argumentativen Basis.
Auch die Strafberufung versagt.
Der Disziplinarrat wertete die auffallende Sorglosigkeit und Uneinsichtigkeit des Disziplinarbeschuldigten als erschwerend und fand keinen Milderungsumstand.
Die Strafzumessungsgründe sind dahin zu korrigieren, dass die angeführten Erschwerungsumstände zu entfallen haben, bleibt es dem Disziplinarbeschuldigten doch unbenommen, seine Verantwortung zu wählen und ist grob fahrlässiges Verhalten nicht in Rede. Allerdings fällt die disziplinäre Vorverurteilung als aggravierend ins Gewicht.
Demgegenüber war, zumal der Disziplinarrat das Zusammentreffen mehrerer Vergehen nicht als erschwerend angenommen hatte, im Rahmen der Strafberufung darauf hinzuweisen, dass der Rechtsanwalt bei Geltendmachung von Honorarforderungen nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter, sondern in eigener Sache tätig wird, sodass sein Verhalten nicht Gegenstand einer Berufspflichtenverletzung sein kann (neuerlich Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 [2014] § 1 DSt, S 863).
Insgesamt erweist sich die nicht nur dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld des Disziplinarbeschuldigten, sondern auch den durchschnittlichen Einkommens und Vermögensverhältnissen eines Rechtsanwalts adäquate, ohnehin moderate Sanktion keiner Herabsetzung zugänglich.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0210OS00002.15Z.1109.000