OGH vom 07.11.2007, 13Os112/07f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wilson F***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall und Abs 4 Z 3 SMG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Gioldany M*****, aus Anlass von den Angeklagten Roberto O*****, Rafael A*****, Rosaina D***** de K***** und Gioldany M***** ergriffener Nichtigkeitsbeschwerden und über die Berufung des Angeklagten Wilson F***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Jugendschöffengericht vom , GZ 33 Hv 185/06m-350, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Nordmeyer, der Angeklagten Wilson F***** und Gioldany M***** sowie deren Verteidiger Dr. Pfeifer und Mag. Schenk und der Dolmetscherin Mag. Adensamer zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Gioldany M***** und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem Gioldany M***** betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie in dem zu I/B und C ergangenen Schuldspruch des Angeklagten Wilson F***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall und Abs 4 Z 3 SMG und in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst zu Recht erkannt:
1) Gioldany M***** wird nach § 28 Abs 2 SMG in Anwendung des § 5 Z 4 JGG und des § 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird ein Strafteil von sieben Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
2) Wilson F***** hat durch die zu I/B und C genannten Taten jeweils mehrfach das Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall SMG sowie zweifach das Vergehen nach § 27 Abs 1 vierter und fünfter Fall SMG begangen und wird hiefür sowie für die zu III/B genannten Taten, hinsichtlich welcher der Schuldspruch unberührt geblieben ist, nach § 28 Abs 2 SMG in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und nach § 31 Abs 1 StGB unter Bedacht auf das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom , AZ 17 U 486/04t, zu einer Zusatz-Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
3) Die jeweilige Vorhaftanrechnung wird aus dem angefochtenen Urteil übernommen.
4) Mit ihren Berufungen werden die beiden Angeklagten auf die Strafneubemessung verwiesen.
5) Es fallen ihnen auch die auf die Erledigung ihrer Rechtsmittel entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Soweit unter dem Aspekt der von Gioldany M***** ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde und der amtswegig getroffenen Maßnahme von Bedeutung wurden Wilson F***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (I/B und C) und Gioldany M***** jeweils „des" Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall SMG (I/B) und nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG (II/E) schuldig erkannt.
Danach haben den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift (I) in einer mehrfach großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) aus der Dominikanischen Republik aus- und nach Österreich eingeführt sowie aus Österreich aus- und nach Italien eingeführt, wobei Wilson F***** die Taten mit Beziehung auf eine Suchtgiftmenge beging, die insgesamt zumindest das 25-fache der großen Menge ausmachte, nämlich
B) im April 2004 als sogenannte Bodypacker
Wilson F***** etwa 400 Gramm Kokain (Reinsubstanz 287,4 Gramm) sowie Gioldany M***** rund 200 Gramm Kokain (Reinsubstanz 143,87 Gramm) und
C) in der Zeit von Ende April 2004 bis zum in Linz Wilson
F*****, indem er im einverständlichen Zusammenwirken mit zwei weiteren Angeklagten eine Drogenkurierin beherbergte, ihr einen Teil des vom Schuldspruch I/B umfassten Suchtgifts (insgesamt ca 900 Gramm Kokain), nämlich 141,8 Gramm Kokain (Reinsubstanz 101,88 Gramm), übergab und sie zum Bahnhof brachte, von wo aus die Kurierin das Suchtgift nach Italien schmuggelte, und
(II/E) Gioldany M***** Ende April/Anfang Mai 2004 in Linz in einer mehrfach großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) in Verkehr gesetzt, indem er die zu I/B beschriebenen 200 Gramm Kokain (Reinsubstanz 143,7 Gramm) verpackte und einem anderen übergab.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Angeklagten Gioldany M***** nominell aus Z 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt teilweise Berechtigung zu.
Mit der Behauptung fehlender Feststellungen zu einem „hinsichtlich der großen Menge" gegebenen „Tatvorsatz" (I/B und II/E) übergeht der Beschwerdeführer die diesen Umstand unter dem Aspekt einer Rechtsrüge (Z 9 lit a) deutlich genug zum Ausdruck bringenden Feststellungen. Deren Hinweis, wonach der Mitangeklagte O***** den Beschwerdeführer gefragt habe, ob er bereit sei, „hochprozentiges Kokain als Bodypacker" aus der Dominikanischen Republik nach Österreich zu schmuggeln (US 18), kann in der Zusammenschau mit der Tatsache, dass dieser tatsächlich zwanzig Behältnisse á 10 Gramm zu diesem Zweck verschluckte (US 20), nicht anders denn als Konstatierung verstanden werden, der zufolge der Beschwerdeführer auch darüber Bescheid wusste, dass es sich dabei um mehrfach große Mengen handelte. Was die Beschwerde mit angeblich fehlendem „Schädigungsvorsatz" meint, wird nicht klar.
Da der zweite und dritte Fall des § 28 Abs 2 SMG ein alternatives Mischdelikt vorstellen, geht die (hier erfolgte) Bekämpfung bloß einer der beiden Varianten ins Leere, ohne einer argumentativen Auseinandersetzung zu bedürfen.
Dass schließlich der vierte Fall in echter Konkurrenz zum zweiten und dritten Fall des § 28 Abs 2 SMG steht, hat die Rechtsprechung vielfach klargestellt.
Denn der Unrechtsgehalt des Inverkehrsetzens von Suchtgift betrifft das in der tatsächlichen Einräumung von Gewahrsam am Suchtmittel liegende Gefahrenpotenzial einer drohenden schädlichen Einwirkung auf die Gesundheit von Menschen, während jener der Aus- und Einfuhr von Suchtgift das besondere Gefahrenmoment eines grenzüberschreitenden Verkehrs mit Suchtmitteln eigenständig und ungeachtet der Weiterleitung des Suchtgifts an potenzielle Konsumenten erfasst (RIS-Justiz RS0118871). Übrigens beruft sich Hinterhofer (in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 28 Rz 99) in Betreff der von ihm favorisierten Scheinkonkurrenzlösung zu Unrecht auf 12 Os 111/81, welche Entscheidung vielmehr - entgegen der einhelligen jüngeren Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0116676 und RS0111410) - im Herstellen, Verarbeiten, Erwerben, Besitzen und Überlassen von Suchtgift bloß gleichwertige Alternativen ein- und derselben strafbaren Handlung erblickt hatte, womit die Frage einer Scheinkonkurrenz gar nicht in Betracht kommen konnte (vgl Kienapfel/Höpfel AT12 E 8 Rz 77; Ratz in WK² Vorbem §§ 28 bis 31 Rz 81 f).
Zutreffend macht der Beschwerdeführer jedoch - der Sache nach aus Z 11 erster Fall - die verfehlte Heranziehung des Strafsatzes des § 28 Abs 3 SMG und damit ein Überschreiten der Strafbefugnisgrenze geltend, was zur Aufhebung des Strafausspruchs und zur Strafneubemessung führt.
Dabei waren die bereits vom Erstgericht zutreffend herangezogenen besonderen Strafzumessungstatsachen (US 51) in Rechnung zu stellen. Der im Gerichtstag reklamierte Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 18 StGB liegt nicht vor, weil sich die Judikatur insoweit an der fünfjährigen Rückfallsverjährungszeit orientiert (Ebner in WK² § 32 Rz 45), wogegen hier die letzten Tathandlungen erst rund dreieinhalb Jahre zurückliegen.
Davon ausgehend sah sich der Oberste Gerichtshof zur Verhängung einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten bestimmt, wobei mit Blick auf die individuellen Schuldkomponenten sowie das Gewicht der Taten die gänzliche bedingte Strafnachsicht (§ 43 Abs 1 StGB) nicht in Betracht kam. Da der Angeklagte M***** aber bislang unbescholten ist, war davon auszugehen, dass der Vollzug eines dreimonatigen Teils der ausgesprochenen Sanktion (§ 43a Abs 3 StGB) hinreichen wird, ihn von weiteren Straftaten abzuhalten, wobei auch generalpräventive Erwägungen fallbezogen nicht gegen die Verhängung einer teilbedingten Freiheitsstrafe sprechen.
Aus Anlass von mehreren Mitangeklagten ergriffener Nichtigkeitsbeschwerden hat sich der Oberste Gerichtshof zudem von einer zum Nachteil des Wilson F***** unterlaufenen unrichtigen Gesetzesanwendung in der Bedeutung des § 281 Abs 1 Z 10 StPO überzeugt (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
§ 28 Abs 4 Z 3 SMG stellt angesichts fehlender Gewerbsmäßigkeitsqualifikation eine - mit dem sogenannten Schuldgrundsatz aufgrund der Vorsatzerfordernisse in Hinsicht auf jeweils große Mengen ohne weiteres zu vereinbarende - besondere Art von Zusammenrechnungsgrundsatz für jeweils große (und allfällige, nach § 15 StGB, § 28 Abs 2 SMG beurteilte Restmengen) Mengen (mithin „die im Abs 2 bezeichnete Tat") - vergleichbar dem für wert- und schadensqualifizierte Delikte geltenden § 29 StGB - dar, sodass § 28 Abs 2 (hier: zweiter und dritter Fall) SMG, nach § 28 Abs 4 Z 3 SMG qualifiziert, auch bei gleichartiger Realkonkurrenz stets nur ein einziges Verbrechen begründet. Zusammenzurechnen sind demnach nur voneinander verschiedene Suchtgiftquanten, wogegen hier das zu I/C genannte Kokain bloß eine Teilmenge des zu I/B erwähnten darstellt. Da die zu I/B erfasste Menge etwas mehr als das 19-fache, die zu I/C etwas mehr als das 6-fache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) ausmacht, wurde folgerichtig die Qualifikation des § 28 Abs 4 Z 3 SMG nicht begründet, womit die jeweils verwirklichten mehrfachen Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall SMG ihre rechtliche Selbständigkeit behalten und die verbliebenen Restmengen dem vierten und fünften Fall des § 27 Abs 1 SMG zu subsumieren waren. Entgegen dem im Gerichtstag zur Straffrage erstatteten Vorbringen richten sich Suchtgiftdelikte gegen das selbe Rechtsgut wie strafbare Handlungen gegen Leib und Leben (Jerabek in WK² § 71 Rz 8), womit auch die wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB erlittene Vorverurteilung (S 13/I) des Wilson F***** erschwerend zu werten war (§ 33 Z 2 StGB).
Die Behauptung, bei der Tatbegehung seien (kumulativ) die Milderungsgründe des § 34 Abs 1 Z 4, 6, 9 und 10 StGB vorgelegen, entfernt sich vom Akteninhalt.
In den Gioldany M***** belastenden Angaben aus dem Vorverfahren kann mit Blick auf deren Abschwächung in der Hauptverhandlung sowie die zudem vorhandenen objektiven Beweismittel (vgl US 39) kein über die mildernde Wirkung des Geständnisses hinausgehender (s Ebner in WK² § 34 Rz 38) wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung im Sinn des § 34 Abs 1 Z 17 StGB erblickt werden.
Zum Nichtvorliegen des Milderungsumstandes des § 34 Abs 1 Z 18 StGB sei zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die strafzumessenden Ausführungen zum Mitangeklagten M***** verwiesen.
Ausgehend von den vom Erstgericht somit zutreffend angenommenen Strafbemessungstatsachen (US 50) erschien dem Obersten Gerichtshof eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren tatschuld- und täterpersönlichkeitsgerecht, wobei darauf Bedacht zu nehmen war, dass dem Angeklagten Wilson F***** nach dem insoweit unberührt gebliebenen Teil der angefochtenen Entscheidung auch mehrere Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG zur Last liegen (III/B). Die - die amtswegig getroffenen Maßnahmen nicht erfassende (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12) - Kostenersatzpflicht der Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Fundstelle(n):
RAAAE-03572