OGH vom 29.05.2018, 8ObA7/18i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden,die Hofrätinnen Dr. TarmannPrentner und Mag. WesselyKristöfel sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Z*****, vertreten durch Mag. Danijela Lakovic, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, wegen 51.183,67 EUR, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 68/17g32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 10 Cga 24/17g26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.106,92 EUR (darin 517,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 5.098,94 EUR (darin 372,99 EUR USt und 2.861 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom bis zu seiner Entlassung am bei der Beklagten als Elektromonteur beschäftigt. Die tägliche Dienstzeit bei der Beklagten war von 7:30 Uhr bis 16:00 Uhr. Die Dauer der
– von den Mitarbeitern je nach Arbeitsanfall frei
einteilbaren – Jausen- bzw Mittagspause war mit 15 Minuten festgelegt. In der Praxis handhabten die Mitarbeiter die Pausenzeit, also auch längere Pausen, allerdings ganz flexibel. Auf eine längere Ruhepause verzichteten die Mitarbeiter, wodurch sich die Arbeitszeit am Ende des Arbeitstags um eine Stunde verkürzte. Um die 15-minütige Pause zu ermöglichen, wurde um 15 Minuten früher mit der Arbeit begonnen. In die von den Monteuren geführten Arbeitsbücher wurden die Pausen nicht eingetragen.
Die seit mehreren Jahren im Betrieb der Beklagten ausgehängten und den Mitarbeitern mehrmals mündlich mitgeteilten – jedoch nicht ausgehändigten – „Verhaltensregeln“ lauteten auszugsweise wie folgt:
„- Lehrling Arbeitsbeginn spätestens 7:05 Uhr
- Monteur Arbeitsbeginn spätestens 7:15 Uhr
- Jausen Zeit 15 min. inkl. Jause holen – 15 min wird in der Früh hereingearbeitet […]
- ein Verlassen der Baustelle ohne Zustimmung
- Schnellster Weg zur und von der Baustelle
- 16 Uhr Arbeitsende“
Bereits Anfang des Jahres 2016 betraute der (damalige) Geschäftsführer der Beklagten zwei Mitarbeiter der Beklagten, Renate G***** und Yalçin Y*****, mit der Aufgabe, den Kläger zu kontrollieren und bei allfälligen ausgedehnten Mittagspausen zu fotografieren.
Dass der Kläger am die Baustelle zwischen 12:00 Uhr und 13:30 Uhr verließ, ohne seinen Aufenthaltsort bekanntzugeben, konnte nicht festgestellt werden. Jedoch legte der Kläger mit seinem Lehrling an diesem Tag drei Kaffeepausen von 07:30 Uhr bis 07:45 Uhr, von 10:00 Uhr bis 10:30 Uhr sowie von 14:45 Uhr bis 15:00 Uhr ein.
Am verließ der Kläger die Baustelle um etwa 12:00 Uhr, um „in die Firma“ zu fahren und Material zu holen. Davor hatte der Kläger mit einem seiner Lehrlinge bereits eine etwa 30-minütige Mittagspause eingelegt. Nachdem der Kläger nach mehr als eineinhalb Stunden noch nicht zurückgekommen war, rief der Lehrling im Betrieb an und wurde daraufhin um etwa 14:00 Uhr von Renate G***** abgeholt. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nicht zur Baustelle zurückgekehrt. Um 13:48 Uhr fotografierte Renate G***** den vor einem Kaffeehaus abgestellten Dienstwagen des Klägers.
Am um 11:04 Uhr sowie am um 12:24 Uhr machte Yalçin Y***** weitere Fotos, die jeweils den Dienstwagen des Klägers vor seinem Wohnhaus stehend zeigen. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, ob und wie lange der Kläger an diesen Tagen die 15-minütige Mittagspause überzog.
Am legte der Kläger zumindest von 12:02 Uhr bis 12:40 Uhr eine Pause ein.
Am sprach der Geschäftsführer der Beklagten die Entlassung gegenüber dem Kläger aus, ohne dass eine der Entlassung unmittelbar vorangehende Ermahnung des Klägers durch die Beklagte ob der gegenständlichen Vorfälle erfolgte.
In der Klage werden entlassungsabhängige Beendigungsansprüche in rechnerisch unstrittiger Höhe geltend gemacht.
Die Beklagte stützt die Entlassung auf die eigenmächtige und wiederholte Überziehung der Jausen- bzw Mittagspause durch den Kläger.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Entlassung sei unberechtigt erfolgt, weil sie verspätet ausgesprochen worden sei. Darüber hinaus hätte der Kläger vor der Entlassung ermahnt werden müssen, weil die Ausdehnung der Mittagspause jahrelang praktiziert worden und dem Kläger die Bedeutung und das Gewicht seines pflichtwidrigen Vorgehens nicht bewusst gewesen sei.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Dem Kläger seien erhebliche Arbeitsunterbrechungen anzulasten, weil er, auch wenn man von der Unwirksamkeit der Verkürzung der Pause von 30 auf 15 Minuten täglich ausgehe, die Pausen am 17. und 18. 2. sowie am um 30, um (zumindest) 120 und um (zumindest) 8 Minuten – weil im festgestellten Intervall das Dienstfahrzeug des Klägers vor seinem Wohnhaus abgestellt gewesen sei, jedoch einschließlich Fahrzeiten tatsächlich um (zumindest) 14 Minuten – überzogen habe. Einen rechtmäßigen Hinderungsgrund habe der Kläger nicht behauptet.
Der Entlassungsgrund des § 82 lit f 1. Tatbestand GewO 1859 bedürfe nicht der „Beharrlichkeit“ und damit auch keiner vorangehenden Verwarnung. Abweichendes könnte nur dann gelten, wenn der Arbeitgeber ein Verhalten des Arbeitnehmers, das an sich einen Entlassungsgrund darstelle, über längere Zeit hinweg toleriert habe. Der Kläger habe zwar letztlich zugestanden, „die Mittagspause eventuell um einige Minuten überzogen“ zu haben, die Behauptung, die Beklagte habe dies widerspruchslos hingenommen oder auch nur davon gewusst, ergebe sich aus dem Vorbringen des Klägers jedoch nicht.
Durch das wiederholte Unterlassen der Eintragung der 15 Minuten übersteigenden Pausen im Arbeitsbuch – am 17. und 18. 2. sowie – habe der Kläger eine falsche Urkunde hergestellt, womit er des Vertrauens der Beklagten unwürdig erscheine.
Wann die Beklagte bzw ein ihr aufgrund der (zumindest teilweisen) Betrauung mit (den konkreten Arbeitnehmer betreffenden) Personalagenden zurechenbarer Mitarbeiter von den zur Entlassung führenden Vorwürfen erfahren habe, habe der Kläger nicht vorgebracht und damit seiner Behauptungs- und Beweislast für den Untergang des Entlassungsrechts wegen Verspätung nicht entsprochen. Selbst wenn der den Mitarbeitern erteilte Auftrag, „den Kläger zu kontrollieren und bei allfälligen ausgedehnten Mittagspausen zu fotografieren“, als „Betrauung mit Personalagenden“ und Erhebung zu (insofern) leitenden Angestellten im Sinne der Rechtsprechung qualifiziert werden könnte – sodass deren Kenntnis der Beklagten zuzurechnen wäre –, wäre der Ausspruch der Entlassung nicht verspätet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt, ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig (§ 502 Abs 1 ZPO). Die Beklagte hat die ihr gemäß § 508a Abs 2 ZPO freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist berechtigt.
1. Gemäß § 82 lit f 1. Tatbestand GewO 1859 kann ein Arbeiter sofort entlassen werden, wenn er „die Arbeit unbefugt verlassen hat“. Dieser Entlassungstatbestand ist im Sinne des § 27 Z 4 AngG auszulegen (RIS-Justiz RS0029517) und erfasst jede mit der Verpflichtung des Arbeiters, die vereinbarte oder ortsübliche Arbeitszeit einzuhalten, unvereinbare absichtliche Unterbrechung oder ein länger dauerndes Aufgeben der Arbeit. Das Dienstversäumnis muss erheblich sein und eines rechtmäßigen Grundes entbehren (RIS-Justiz RS0060735; RS0029572; RS0080959). Das Erfordernis der Erheblichkeit ergibt sich schon aus dem essentiellen Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung (9 ObA 2163/96w; Kuderna, Entlassungsrecht2 137), das eine Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt ermöglicht (RIS-Justiz RS0029009; Friedrick in AngG-Kommentar § 25 Rz 6, Kuderna aaO 60).
Erheblich ist ein Versäumnis, wenn es nach der Dauer der versäumten Arbeitszeit, nach Maßgabe der Dringlichkeit der zu verrichtenden Arbeit oder aufgrund des Ausmaßes des infolge des Versäumnisses nicht erzielten Arbeitserfolgs oder der sonstigen dadurch eingetretenen betrieblichen Nachteile besondere Bedeutung besitzt. Entscheidend ist daher, dass die Dienstleistung in einer den Umständen nach erheblichen Zeit unterlassen wird (RIS-Justiz RS0029495). Die Erheblichkeit des Arbeitsversäumnisses ist vom Arbeitgeber nachzuweisen (RIS-Justiz RS0029495 [T15]). Beweismängel gehen zu Lasten des Arbeitgebers (9 ObA 245/01x).
Arbeitspausen können demgemäß im Allgemeinen nur dann tatbestandsmäßig sein, wenn sie eine zumindest nicht unerhebliche Zeit andauern und Auswirkungen auf die übliche Arbeitsleistung hervorrufen. Wird die Entlassung daher auf derartige Pausen gestützt, ist es Sache des Arbeitgebers, die Erheblichkeit der darin gelegenen Unterlassung der Arbeitsleistung im Sinne der dargestellten Rechtslage zu behaupten und zu beweisen (9 ObA 2/99f).
Die Nichteinhaltung der Pausenregelung durch den Arbeitnehmer berechtigt auch nicht zur Entlassung, wenn der Arbeitgeber keinen Auftrag erteilt hat, von einer gegen die Pausenregelung verstoßenden Praxis abzugehen (RIS-Justiz RS0021575; 4 Ob 101/73 = ZAS 1974, 145 = Arb 9188 = SozM IA/d, 1079; Kuderna aaO 103). Darin kommt zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber kein Verhalten an den Tag gelegt haben darf, das erkennen lässt, dass er dem im Übrigen tatbestandsmäßigen Verhalten des Arbeitnehmers eine solch schwerwiegende Bedeutung nicht beimisst (Kuderna aaO 61; vgl auch 8 ObA 220/02i).
2. Die Beklagte bringt hier keine relevanten betrieblichen Nachteile (8 ObA 220/02i) vor, die sich etwa aus der unmittelbar vor der Entlassung liegenden Pausenüberschreitungen (am Pause von 38 Minuten) ergeben hätten. Sie stützt sich vielmehr darauf, dass es seit jeher „geübte Praxis“ gewesen sei, dass Mittagspausen nicht überzogen werden durften. Entgegen diesem – den Entlassungstatbestand mitbegründenden – Vorbringen hat das Erstgericht jedoch (teilweise disloziert) eine jahrelang praktizierte Ausdehnung der Mittagspause und eine in der Praxis flexible Handhabung der Pausenzeit durch die Mitarbeiter, also auch längere Pausen als 15 Minuten, festgestellt, ohne dass der Kläger von der Beklagten wegen der als Entlassungsgrund herangezogenen Vorfälle ermahnt worden wäre. Der Kläger hat sich auch ausdrücklich darauf berufen, von der Beklagten nie wegen zu langer Mittagspausen verwarnt worden zu sein. Von diesen Feststellungen ausgehend hat die Beklagte im konkreten Fall kein erhebliches Dienstversäumnis des Klägers dargetan, das ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum nächsten Kündigungstermin unzumutbar machte.
3.1 Die Feststellung, dass der Kläger die Baustelle am um etwa 12:00 Uhr verließ, um Material vom Geschäftsstandort zu holen, und bis 14:00 Uhr noch nicht zur Baustelle zurückgekehrt war, lässt offen, ob und wie lange der Kläger in diesem Zeitraum die Arbeitsleistung pflichtwidrig unterließ. Die Unklarheit des Sachverhalts geht zu Lasten der Beklagten, die den geltend gemachten Entlassungstatbestand in diesem Punkt schon in objektiver Hinsicht nicht nachzuweisen vermochte.
3.2 Fest steht, dass der Kläger die ihm (nach § 11 AZG in der Dauer von 30 Minuten pro Arbeitstag) zustehende Ruhepause am um insgesamt 30 Minuten sowie am um acht Minuten überzog.
3.3 Angesichts der gegen die Pausenregelung verstoßenden Praxis hätte die Beklagte hier den Kläger allerdings auf die Pflichtwidrigkeit und die Untragbarkeit seines Verhaltens aufmerksam machen und ihm die Möglichkeit einer Änderung anbieten müssen, damit diese Überziehungen zur Entlassung berechtigen. Es hätte hier daher, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, einer durch die Beklagte unter Hinweis auf arbeitsvertragliche Konsequenzen ausgesprochenen Verwarnung des Klägers bedurft, die Pausenzeiten seien strikt einzuhalten. Eine solche der Entlassung unmittelbar vorangehende Ermahnung fand jedoch nach den Feststellungen nicht statt.
4. Auf den vom Berufungsgericht herangezogenen Entlassungstatbestand des § 82 lit d GewO 1859 hat sich die Beklagte, wie der Kläger in der Revision zu Recht rügt, im erstinstanzlichen Verfahren nicht gestützt. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger erscheine aufgrund der wiederholt unterlassenen Eintragung der Pausen ins Arbeitsbuch wegen einer strafbaren Handlung des Vertrauens unwürdig, findet überdies keine Deckung im festgestellten Sachverhalt, dem nicht zu entnehmen ist, welche Arbeitszeiten der Kläger tatsächlich am 17. 2. und ins Arbeitsbuch eintrug.
5. Die Entlassung war daher nicht berechtigt und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG,§§ 41 und 50 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00007.18I.0529.000 |
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