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VfGH vom 03.10.1991, b554/90

VfGH vom 03.10.1991, b554/90

Sammlungsnummer

12836

Leitsatz

Unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen des StV Wien 1955 über Minderheitensprachen; Eisenstadt kein Verwaltungsbezirk mit "gemischter Bevölkerung"; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gebrauch von Kroatisch als Amtssprache durch die Versagung der Ausfertigung einer an einen österreichischen Staatsbürger mit kroatischer Sprache gerichteten Strafverfügung in dessen Muttersprache

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Wie aus den Verwaltungsakten hervorgeht, stellten Organe der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt am fest, daß die Begutachtungsplakette des in Wiener Neustadt abgestellten KKW mit der Kennzeichennummer B... die Lochung 06/88 aufwies. Eine Rückfrage bei der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf ergab, daß G J C - ein österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnadresse in Eisenstadt - Zulassungsbesitzer dieses Fahrzeugs sei. Daraufhin wurde das eingeleitete Strafverfahren mit Verfügung vom gemäß § 29 a VStG der Bundespolizeidirektion Eisenstadt übertragen.

1.1.2. Mit Strafverfügung vom , zugestellt am , verhängte die Bundespolizeidirektion Eisenstadt über G J C wegen Verstoßes gegen § 36 lite iVm § 57 lita/1 b (richtig: § 57 a Abs 1 litc) KFG 1967 - gemäß § 134 Abs 1 KFG 1967 - eine Verwaltungsstrafe von 500 S (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden).

1.1.3. Mit Schreiben vom (Poststempel ) begehrte G J C in kroatischer Sprache, ihm die Strafverfügung in seiner Minderheitensprache (Kroatisch) zu übermitteln. Die Bundespolizeidirektion Eisenstadt wertete diese Eingabe als Einspruch (§49 VStG) und lud den Einschreiter für den 24. Feber 1989 zur mündlichen Verhandlung vor. Mit Eingabe vom 20. Feber 1989 wies der Vorgeladene - abermals in kroatischer Sprache - darauf hin, daß die Einspruchsfrist erst ab Zustellung der Strafverfügung in Kroatisch zu laufen beginne. Wenn die Bundespolizeidirektion Eisenstadt nicht bereit sei, ihm die Strafverfügung in dieser Sprache zuzumitteln, solle sie darüber bescheidmäßig entscheiden; er werde der Ladung nicht Folge leisten. Zur Verhandlung am 24. Feber 1989 erschien der Beschwerdeführer daher nicht.

1.1.4. Die Bundespolizeidirektion Eisenstadt wies daraufhin mit Bescheid vom das Schreiben vom 20. Feber 1989 mit der Begründung zurück, sie zähle nicht zu jenen Behörden, bei welchen das Kroatische zusätzliche Amtssprache sei.

1.1.5.1. Diesen Bescheid bekämpfte G J C mit Berufung (in deutscher Sprache); er legte Art 7 Z 3 Satz 1 des Staatsvertrages von Wien, BGBl. 152/1955 (StV 1955) dahin aus, daß der Begriff "Verwaltungsbezirk" dem Sprengel einer Bezirksverwaltungsbehörde entspreche, der Sprengel der Statutarstadt Eisenstadt sei ein Verwaltungsbezirk mit "gemischter Bevölkerung".

1.1.5.2. Dieser Berufung gab der Landeshauptmann von Burgenland (§123 Abs 1 KFG 1967) mit Bescheid vom nicht Folge. Die Behörde bezog in der Bescheidbegründung den Ausdruck "Verwaltungsbezirk" in Art 7 Z 3 Satz 1 StV 1955 auf den ganzen Sprengel der Bundespolizeidirektion Eisenstadt, der die Städte Eisenstadt und Rust umfasse (§2 Abs 2 lita iVm § 4 Abs 1 V BGBl. 690/1976). Sie stützte sich auf die Ergebnisse der (damals letzten) Volkszählung 1981: Von 11.795 Einwohnern hätten

11.287 Deutsch, 179 Deutsch und Kroatisch und 14 bloß Kroatisch als Umgangssprache angeführt. Nur 1,6 % der Wohnbevölkerung gebrauche Kroatisch als Umgangssprache. Das internationale Minderheitenrecht gehe aber davon aus, daß erst bei einem Anteil der Minderheit von 10 bis 25 % an der Gesamtbevölkerung besondere Minderheitenrechte zu gewähren seien.

1.2.1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die Beschwerde des G J C an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 144 Abs 1 B-VG, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, nämlich des Rechtes auf Gebrauch des Kroatischen als Amtssprache nach Art 7 Z 3 StV 1955 sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG, ferner die Verletzung in Rechten nach Art 19 StGG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

1.2.2. Der Landeshauptmann von Burgenland als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete aber keine Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde (s. dazu B.d. (Bewilligung der Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens)) wurde erwogen:

2.1.1. Davon ausgehend, daß ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht dann vorliegt, wenn an der Einhaltung einer objektiven Verfassungsnorm ein hinlänglich individualisiertes Parteiinteresse besteht (zB VfSlg. 723/1926), weiters davon, daß es sich bei der Verfassungsvorschrift des Art 7 Z 3 Satz 1 StV 1955 (ArtII Z 3 BVG BGBl. 59/1964) um eine - Art 8 B-VG ergänzende - Sonderregelung zugunsten und zum Schutz sprachlicher Minderheiten handelt, kann sich diese staatsvertragliche Bestimmung - wie grundsätzlich schon die Überschrift des Art 7 l.c., lautend:

"Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten", zeigt - nicht in einem bloßen Auftrag an Staatsorgane erschöpfen; sie garantiert - nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - darüber hinaus ua. österreichischen Staatsbürgern, die der kroatischen Minderheit (Volksgruppe) angehören, in den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken des Burgenlandes mit kroatischer oder gemischter Bevölkerung das Recht auf Gebrauch der Minderheitensprache im Verkehr mit Behörden. Demnach ist festzuhalten, daß die Verfassungsbestimmung des Art 7 Z 3 Satz 1 StV 1955 (zu der es schon in den EB zur RV (Zu 517 BlgNR 7. GP, S 3) hieß: "Diese Bestimmung bedarf keiner näheren Ausführungsgesetzgebung mehr; sie ist unmittelbar anwendbar") ein subjektives öffentliches Recht verbürgt (vgl. VfSlg. 9744/1983 (S 557), 9752/1983 (S 591), 9801/1983 (S 145), 11.585/1987 (S 749) und G233, 234/89 (S 20)).

In den in Art 7 Z 3 StV 1955 bezeichneten Gebieten kann sich jeder österreichische Staatsbürger, der in der Minderheitensprache verhandeln will, ohne Nachweis seiner Zugehörigkeit zur Minderheit dieser Sprache bedienen. Diese Auslegung entspricht dem Grundgedanken des Minderheitenschutzes, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe nicht in jedem einzelnen Verfahren nachweisen zu müssen und dabei unter Umständen in Diskriminierungsgefahr zu geraten (VfSlg. 11.585/1987 (S 750)).

Wie der Verfassungsgerichtshof dazu in seinem Erkenntnis VfSlg. 11.585/1987 (S 751) darlegte, mögen Schwierigkeiten bei der Auslegung des Art 7 Z 3 Satz 1 StV 1955 Ausführungsbestimmungen auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe zweckmäßig erscheinen lassen (sh. die erst nach Erlassung des bekämpften Bescheides in Kraft getretene und darum in dieser Beschwerdesache außer Betracht bleibende Verordnung BGBl. 231/1990). Dieser Umstand steht aber der unmittelbaren Anwendbarkeit der staatsvertraglichen Vorschrift nicht in jenem Bereich entgegen, für den derartige Ausführungsbestimmungen (noch) fehlen.

2.1.2. Der Beschwerdeführer kann nun durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 7 Z 3 Satz 1 StV 1955 allein schon deswegen nicht verletzt worden sein, weil sein Wohnort, nämlich die Statutarstadt Eisenstadt, nicht zu den hier maßgebenden "Verwaltungsbezirken" mit "gemischter Bevölkerung" in der Bedeutung des Art 7 Z 3 Satz 1 StV 1955 zählt, auf deren Gebiet das Kroatische zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache vor Behörden zugelassen ist. (Im konkreten Fall muß nicht entschieden werden, ob unter "Verwaltungsbezirken", wie der allgemeine Sprachgebrauch nahelegt, nur politische Bezirke oder (auch) Gemeinden als kleinste territoriale Verwaltungseinheiten zu verstehen sind.)

Der Verfassungsgerichtshof ging bereits im Erkenntnis VfSlg. 11.585/1987 davon aus, daß in einem Gebiet mit "gemischter Bevölkerung" eine größere Zahl der dort wohnenden Personen zur Minderheit gehören müsse, und daß dieser Feststellung bloß eine "vergröberte statistische Erfassung" zugrundezulegen sei (S 751). Demnach ist ein "Verwaltungsbezirk", in dem lediglich sehr wenige Kroaten wohnen, grundsätzlich noch kein Bezirk mit "gemischter Bevölkerung".

Zu diesem Normverständnis führt vor allem auch Art 7 Z 3 zweiter Satz StV 1955, der vorschreibt, daß "in solchen Bezirken", dh. in Verwaltungs- und Gerichtsbezirken mit kroatischer oder gemischter Bevölkerung iSd Art 7 Z 3 erster Satz StV 1955, die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur in kroatischer Sprache und in Deutsch verfaßt werden. Da topographische Aufschriften der in Rede stehenden Art nach dem Sinn und Zweck der Norm nicht einzelnen Minderheitsangehörigen Erleichterung bringen, vielmehr der Allgemeinheit Kenntnis geben sollen, daß hier eine ins Auge springende - verhältnismäßig größere - Zahl von Minderheitsangehörigen lebt, muß nach der Wortsinnauslegung auch für Art 7 Z 3 erster Satz StV 1955 ein zumindest nicht ganz unbedeutender (Minderheiten-)Prozentsatz gefordert werden; eine Auslegung, die durch die in VfSlg. 9801/1983 (S 147) enthaltene Aussage gestützt wird, daß nicht etwa nur die Unverständlichkeit der Staatssprache für die Minderheit, sondern die Möglichkeit der Bewahrung und Pflege der eigenen (Minderheiten-)Sprache Grund für die Zulassung des Kroatischen als Amtssprache sei.

Diese Kriterien einer "gemischten Bevölkerung", wie sie Art 7 Z 3 StV 1955 insgesamt statuiert, sind für Eisenstadt und damit im Fall des Beschwerdeführers nicht erfüllt; denn in diesem Zusammenhang ist zu bedenken, daß nach den schon im Erkenntnis VfSlg. 11.585/1987 (S 752) als Richtschnur herangezogenen, vom Amt der Burgenländischen Landesregierung (Abteilung IV) herausgegebenen Burgenländischen Statistiken (Neue Folge, Heft 4, Eisenstadt 1985, betreffend die Umgangssprache der Burgenländer) die Statutarstadt Eisenstadt unter den Ortschaften mit mindestens 5 % kroatisch sprechenden Einwohnern nicht aufscheint und nach dem Ergebnis der Volkszählung (1981) einen Anteil der kroatisch sprechenden österreichischen Wohnbevölkerung von nur 1,9 % aufweist, also einen sehr kleinen Bevölkerungsprozentsatz, der noch nicht von einer "gemischten Bevölkerung" im dargelegten verfassungsrechtlichen Sinn sprechen läßt. (Bezöge man Art 7 Z 3 StV 1955 auf die - damals letzte - Volkszählung (1951), würde dies am Ergebnis nichts ändern:

damals betrug der in Rede stehende Anteil nämlich nur 0,63 %.)

2.1.3. Demgemäß wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gebrauch der kroatischen Sprache vor Behörden nach Art 7 Z 3 Satz 1 StV 1955 nicht verletzt.

2.2.1.1. Daß die Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides - sofern es sich dabei nicht überhaupt um verfassungsgesetzliche Vorschriften handelt - im Widerspruch zum Gleichheitsgebot stünden, behauptet der - sich auch auf Art 7 Abs 1 B-VG iVm mit Art 2 StGG berufende - Beschwerdeführer gar nicht; auch der Verfassungsgerichtshof hegt aus dem Blickwinkel dieses Beschwerdefalles keine solchen Bedenken. Des weiteren kann schon nach dem Beschwerdevorbringen nicht davon gesprochen werden, daß die belangte Behörde diesen Normen einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt habe.

2.2.1.2. Demnach könnte die geltend gemachte Grundrechtsverletzung bloß gegeben sein, wenn der angefochtene Bescheid ein Willkürakt wäre. Dies scheidet hier aber nach dem schon Gesagten aus.

2.2.2. Somit wurde der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid auch nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

2.3.1. Der Beschwerdeführer rügt zwar auch eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG, legt aber nicht einmal ansatzweise dar, worin diese Verfassungswidrigkeit gelegen sein soll.

2.3.2. Unter den gegebenen Umständen kann der Verfassungsgerichtshof eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich verbürgten Recht nach Art 83 Abs 2 B-VG nicht erkennen.

2.4. Soweit sich der Beschwerdeführer auf Art 19 StGG bezieht, wird er auf das Erk. VfSlg. 2459/1952 verwiesen, in dem der Verfassungsgerichtshof dargelegt hat, daß dieser Vorschrift durch Art 66 bis 68 des Staatsvertrages von St. Germain, StGBl. 303/1920, iZm Art 8 B-VG derogiert wurde.

2.5. Die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wurde nicht behauptet und kam auch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht hervor; ebensowenig entstanden - aus der Sicht dieser Beschwerdesache - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften unterhalb der Verfassungsstufe; der Beschwerdeführer wurde mithin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.6. Die Beschwerde war darum als unbegründet abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.