OGH vom 10.11.1998, 10ObS334/98k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Holper (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elfriede S*****, Pensionistin,*****, vertreten durch Dr. Paul Doralt und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 63/98f-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 8 Cgs 108/97y-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ab dem eine zeitlich unbefristete Witwenpension von monatlich S 6.654,20 unter Berücksichtigung der seither erfolgten gesetzlichen Pensionsanpassungen zu zahlen.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.976,28 bestimmten Kosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 2.489,38 Umsatzsteuer und S 40 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am geborene Klägerin schloß am mit dem am geborenen, bei der beklagten Partei versicherten Walter S***** die Ehe. Bereits am , also etwa drei Wochen vor der Eheschließung, hatte dieser einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension gestellt, der bei der beklagten Partei am einlangte. Mit deren Bescheid vom wurde der Anspruch des Genannten auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab anerkannt und diese Pension mit S 11.456,80 monatlich festgesetzt. Am starb der an einer schweren Krankheit leidende Ehemann der Klägerin.
Mit Bescheid der beklagten Partei vom wurde der Anspruch der Klägerin auf Witwenpension ab - in Höhe von S 6.654,20 monatlich - anerkannt und mit (30 Monate) befristet. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Witwenpension gebühre nur befristet, weil der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf Pension gehabt habe und die Ehe nicht mindestens 3 Jahre gedauert habe.
Die Klägerin begehrte mit rechtzeitiger Klage, die Zuerkennung einer unbefristeten Witwenpension mit der Begründung, im Zeitpunkt der Eheschließung habe ihr Ehemann noch keinen "bescheidmäßig zuerkannten" Anspruch auf eine Pension gehabt.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein: Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei das Pensionsfeststellungsverfahren zwar noch anhängig gewesen, doch habe die beklagte Partei den Anspruch ab anerkannt, also mit einem Zeitpunkt, zu dem die Ehe noch nicht geschlossen war.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und teilte die von der beklagten Partei vertretene Auffassung. Bei Anwendung des § 258 Abs 2 Z 2 ASVG sei nicht darauf abzustellen, wann der Verstorbene oder die Witwe von dem gewährten Pensionsanspruch Kenntnis erlangt habe, sondern darauf, ab welchem Zeitpunkt eine Pension nach dem "materiellen Bescheidinhalt" tatsächlich zuerkannt worden sei. Da der Anspruch des Versicherten auf vorzeitige Alterspension bereits mit bescheidmäßig anerkannt worden sei, seien die Voraussetzungen des § 258 Abs 2 Z 2 ASVG erfüllt, sodaß die Witwenpension nur befristet gebühre.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und teilte die Rechtsansicht der ersten Instanz. Ergänzend verwies es darauf, daß nach § 85 ASVG ein Pensionsanspruch unabhängig von einem Antrag auf Zuerkennung bereits dann entstehe, wenn der Versicherte sämtliche Voraussetzungen dafür erfülle. Der Pensionsanspruch des Ehegatten der Klägerin sei daher vor der Eheschließung entstanden; abgesehen davon sei auch der Pensionsantrag vorher gestellt worden.
Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Grundsätzlich wird die Witwenpension bis zur Wiederverehelichung oder bis zum Tod der Witwe gewährt. Zur Vermeidung von sog. "Versorgungsehen" sehen die gesetzlichen Bestimmungen über die Witwenpension neben der zeitlich unbeschränkten Anspruchsdauer bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine verkürzte Anspruchsdauer vor (Teschner in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 400). Der Gesetzgeber will verhindern, daß solche "Versorgungsehen" mit dem vorrangigen spekulativen Ziel geschlossen werden, Sozialversicherungsansprüche zu erwerben (Grillberger, Österr. Sozialrecht4 95;
Brodil/Windisch-Graetz, Sozialrecht in Grundzügen3 135f). Die im vorliegenden Fall anzuwendende Bestimmung des § 258 Abs 2 Z 2 ASVG befristet seit der 46. ASVGNov (BGBl 1988/749) die Witwen(Witwer)pension mit 30 Monaten, wenn - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - der überlebende Ehegatte bei Eintritt des Versicherungsfalles des Todes des (der) Versicherten das 35. Lebensjahr bereits vollendet hat und die Ehe in einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem der andere Ehegatte einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine Pension aus einem Versicherungsfall des Alters oder der geminderten Arbeitsfähigkeit hatte. Strittig ist nun, ob der Ehemann der Klägerin, dem mit einem nach der Eheschließung erlassenen Bescheid rückwirkend für einen Zeitraum vor der Eheschließung eine Pension zuerkannt wurde, bei Eheschließung bereits einen "bescheidmäßig zuerkannten" Anspruch auf die vorzeitige Alterspension hatte.
Bereits die am Wortlaut orientierte Auslegung spricht gegen die Auffassung der Vorinstanzen. Wenngleich der Versicherte bei Eheschließung einen Anspruch auf die Pension gehabt haben mag, weil er sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 253d ASVG erfüllt und sogar bereits einen Pensionsantrag gestellt hatte, war doch zu diesem Zeitpunkt über den Anspruch noch nicht entschieden; im wörtlichen Sinn war bei Ehescheidung ein Pensionsanspruch noch nicht bescheidmäßig zuerkannt; vielmehr war damals völlig ungewiß, wann und mit welchem Inhalt ein Bescheid erlassen würde. (Daß die Berufsunfähigkeitspension beantragt, jedoch die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zuerkannt wurde, kann dabei außer Betracht bleiben). Im gegenteiligen Fall hätte es genügt, wenn der Befristungstatbestand des § 258 Abs 2 Z 2 ASVG darauf abstellte, daß der andere Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschließung einen "Anspruch auf eine Pension..." (also ohne den Zusatz: "bescheidmäßig zuerkannten"...) hatte.
Aber auch die am Zweck der Vorschrift - Vermeidung sogenannter Versorgungsehen - anknüpfende Auslegung führt in dieselbe Richtung:
Erst wenn bei Eheschließung bereits ein Bescheid vorliegt, der einen solchen Pensionsanspruch zuerkennt, also ein solcher Pensionsanspruch feststeht, ist die Annahme erlaubt, daß dieser "bescheidmäßig zuerkannte" Anspruch ein sozialversicherungsrechtlich verpöntes Motiv für die Eheschließung darstellt, andernfalls mangels Vorliegens eines Bescheides die Pensionszuerkennung völlig in ungewisser Zukunft liegt und selbst nach Erreichen des Anfallsalters für eine Alterspension immer noch sekundäre Leistungsvoraussetzungen wie Erfüllung der Wartezeit ungewiß sein können.
Daß die Auslegung der Vorinstanzen aber auch dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, ergibt sich völlig klar aus der historischen Betrachtung unter Berücksichtigung der Materialien. Erst durch die 31. ASVGNov (BGBl 1974/775) wurde im § 258 Abs 2 in der damaligen Z 1 der Ausdruck "Anspruch" durch den Ausdruck "einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch" und in der damaligen Z 2 der Ausdruck "keinen Anspruch" durch den Ausdruck "keinen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch" ersetzt. Die Materialien zur 31. ASVGNov (RV 1286 BlgNR 13. GP 17) führen dazu aus:
"Gemäß § 258 Abs 2 ASVG gebührt unter anderem die Witwenpension nicht, wenn die Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem der Ehegatte bereits Anspruch auf eine Pension hatte. Dies führte in der Praxis - gedeckt durch Urteile des Oberlandesgerichtes Wien im Leistungsstreitverfahren (OLG Wien , 19 R 49/71, OLG Wien , 16 R 38/71 = SSV 11/33) - zu Ablehnungen auch in Fällen, in denen bloß der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit eingetreten und die Anspruchsvoraussetzungen gegeben waren, jedoch mangels Antrages eine Pension nicht zuerkannt wurde. Die Problematik einer rückwirkenden Feststellung des Eintrittes eines der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem Tode des Betreffenden führt des öfteren zu nicht ganz unberechtigter Kritik. Um in dieser Frage Auslegungen der oben dargestellten Art den Boden zu entziehen, soll mit der vorgesehenen Änderung des § 258 Abs 2 Z 1 und 2 ASVG klargestellt werden, daß für die Anwendung dieser Gesetzesstelle ein bescheidmäßig zuerkannter Pensionsanspruch Voraussetzung ist."
In der E SSV 11/33 hatte das OLG Wien in einer ähnlichen Fallkonstellation die Witwenpension versagt und insbesondere gemeint, für das Entstehen eines Pensionsanspruchs sei unerheblich, ob ein Antrag auf Zuerkennung dieser Leistung gestellt oder ob darüber - sei es im Verfahren vor dem Versicherungsträger, sei es im Leistungsstreitverfahren - bereits entschieden worden sei, er entstehe vielmehr bereits dann, wenn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien.
Dieser Auffassung wollte der Gesetzgeber entgegentreten. Die dargestellte Novellierung des § 258 Abs 2 ASVG zeigt nunmehr klar, daß es bei Prüfung der Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle nicht bloß auf einen materiellen Pensionsanspruch (§ 85 ASVG) oder auf das Datum der Antragstellung (§ 223 Abs 2 ASVG) ankommen soll, sondern auf das Vorliegen eines Bescheides über die Zuerkennung der Pension im Zeitpunkt der Eheschließung.
Im Zusammenhang mit dieser Novellierung hat der Hauptverband den Pensionsversicherungsträgern mit Rundbrief vom (MGA ASVG 49. ErgLfg 1330) zur Sicherstellung einer einheitlichen Vorgangsweise empfohlen, in allen jenen Fällen, in denen die bescheidmäßige Zuerkennung nach der Eheschließung rückwirkend für einen Zeitraum vor der Verehelichung erfolgte (lange Dauer des Feststellungsverfahrens oder Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 408 ASVG...), die Witwenpension zuzuerkennen, uzw auch dann, wenn im Zeitpunkt der Eheschließung bereits Vorschußzahlungen gewährt worden sind.
Die von den Vorinstanzen für ihre gegenteilige Auffassung ins Treffen geführten Argumente sind nicht überzeugend. Die Zufälligkeit des Zeitpunktes der Bescheiderlassung, die das Erstgericht befürchtet, steht in keinem Spannungsverhältnis zu dem in der Regel durch die Antragstellung ausgelösten möglicherweise ebenso zufälligen Stichtag oder Anfallstag (§ 86 ASVG).
In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer unbefristeten Zuerkennung der Witwenpension abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.