OGH vom 27.05.2015, 8ObA69/14a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und KR Karl Frint in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K***** D*****, vertreten durch Klein, Wuntschek Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 8021 Graz, Göstinger Straße 26, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 756,63 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 45/14f 16, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 9 Cga 147/13m 12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 735,84 EUR (darin enthalten 122,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist seit 1982 bei der Beklagten als Diplomkrankenpflegerin in einem Unfallspital beschäftigt. In den ersten Jahren verrichtete sie regelmäßige Nachtdienste und bezog dafür gemäß § 48 Abs 1 Z 1 DO.A eine Belastungszulage in Höhe von 12 % der Bemessungsgrundlage.
Im Jahre 1998 vereinbarte die Klägerin mit ihrem Dienstgeber „auf Dauer und einseitig unwiderruflich“ ihre Versetzung in die Erstaufnahmeambulanz, wo sie seither regelmäßig sogenannte „Spätdienste“, die um 22:00 Uhr enden, sowie Wochenenddienste verrichtet. Arbeitszeiten nach 22:00 Uhr fallen nicht mehr an. Die ausbezahlte Belastungszulage blieb, wie bei der Versetzung ausdrücklich zugesichert, unverändert.
Im März 2013 teilte ein Vorgesetzter der Klägerin mit, dass die laufende Gewährung der 12%igen Belastungszulage irrtümlich erfolgt sei. Da sie nur Wochenend-, aber keine Nachtarbeit mehr verrichte, werde die Belastungszulage ab gemäß § 48 Abs 1 Z 2 DO.A im Ausmaß von 6 % der Zulagenbemessungsgrundlage gekürzt.
In der Klage wird die Nachzahlung der Kürzungsdifferenz für den Zeitraum von Juni bis Dezember 2013 begehrt. Der Klägerin sei die Weitergewährung der höheren Belastungszulage bei der Änderungsvereinbarung unwiderruflich zugesagt worden. Auch vergleichbare Angestellte hätten sie stets bezogen, es bestehe eine langjährige betriebliche Übung.
Die Beklagte wandte ein, die Klägerin erfülle die in § 48 Abs 1 Z 1 DO.A normierten Voraussetzungen für die höhere Belastungszulage seit der Versetzung in die Erstaufnahmeambulanz nicht mehr. Nach den verbindlichen Erläuterungen zu § 48 DO.A gebühre die höhere Zulage nur bei regelmäßiger Leistung von Nachtdiensten, aber nicht für die sogenannten Spätdienste. Die Klägerin könne sich auch nicht auf eine einzelvertragliche Zusage stützen. Als von den Bestimmungen der DO.A abweichender Sondervertrag hätte diese Vereinbarung zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger bedurft. Das Gleiche gelte auch für eine allfällige betriebliche Übung.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Es gelangte zu der Ansicht, die Änderungsvereinbarung des Jahres 1998 interpretiere bezüglich der Voraussetzungen für die Gewährung der höheren Belastungszulage nur die Bestimmungen der DO.A und sei auch ohne die formalen Voraussetzungen eines Sondervertrags verbindlich und unabänderbar.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Eine vertragliche Änderungsvereinbarung, insbesondere auch eine „einvernehmliche Interpretation“ der DO.A, sei mangels Erfüllung der Zustimmungserfordernisse nach § 460 Abs 1 ASVG als Rechtsgrundlage für den Klagsanspruch ausgeschlossen. Das Erstgericht gerate mit seiner eigenen Argumentation in Widerspruch, weil es unter Berufung auf die bloße „Interpretation“ letztlich doch von einer Änderungsvereinbarung ausgehe, die durch nachfolgende Kollektivvertragsänderungen nicht zum Nachteil der Klägerin abgeändert werden könne.
Nach dem Wortlaut des § 48 Abs 1 DO.A und den als authentische Interpretation maßgebenden Erläuterungen sei die höhere Belastungszulage an die regelmäßige Verrichtung von Nachtdiensten geknüpft. Zwar enthalte die DO.A keine eigene Bestimmung des Begriffs „Nachtdienst“, jedoch definierten sowohl § 12a AZG als auch § 5a KA AZG die Nacht als Zeit „zwischen 22.00 und 05.00 Uhr“. Offenbar liege auch der DO.A ein solches Begriffsverständnis zugrunde, so seien gemäß § 9g Z 2 DO.A über die Definition der Nachtschwerarbeit nur Arbeitszeiten nach 22:00 Uhr als belastungsrelevant heranzuziehen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil ihm eine iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist.
Die Beklagte hat die ihr gemäß § 508a Abs 2 ZPO freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist berechtigt.
1. Soweit die Revision neuerlich die Ansprüche der Klägerin auf eine zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung oder „Interpretation“ stützen möchte, genügt es, auf die ausführlichen und insoweit zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
2. Der Revision ist aber beizupflichten, dass die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der DO.A durch das Berufungsgericht korrekturbedürftig ist.
2.1. Die DO.A ist als Kollektivvertrag in ihrem normativen Teil nach den Regeln für die Gesetzesauslegung (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen. In erster Linie ist der Wortsinn im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen. Maßgebend ist, welchen Willen des Normgebers der Leser aus dem Vertragstext entnehmen kann und nicht, was der Normgeber seinerzeit wirklich gewollt oder später unverbindlich geäußert hat. Allerdings ist eine einvernehmliche authentische Interpretation von Kollektivverträgen durch die Kollektivvertragsparteien als den zur Normsetzung Berechtigtem möglich (RIS Justiz RS0008905), sie stellt selbst einen Akt der Rechtsetzung dar und entfaltet Normwirkung (8 ObA 85/13b; 8 ObA 43/07t; 9 ObA 90/04g mwN). Die Erläuterungen zur DO.A sind als authentische Interpretation der Bestimmungen der DO.A durch die Kollektivvertragsparteien verbindlich (RIS Justiz RS0054448; 8 ObA 85/13b).
2.2. Die für die hier strittige Belastungszulage maßgeblichen Bestimmungen der DO.A lauten:
§ 48 Abs 1 (idF bis ):
„ Eine Belastungszulage im Ausmaß der nachstehend angeführten Prozentsätze der Zulagenbemessungsgrundlage gebührt
1. dem Pflegepersonal, dessen Arbeitszeit regelmäßig zumindest teilweise in der Nacht (zwischen 20 Uhr und 6 Uhr) sowie am Samstag und/oder Sonntag liegt ... 12 %,
2. dem Pflegepersonal, dessen Arbeitszeit regelmäßig zumindest teilweise in der Nacht (zwischen 20 Uhr und 6 Uhr) oder am Samstag und/oder Sonntag liegt ... 6 %. “
Mit Wirksamkeit ab wurde § 48 Abs 1 Z 1 DO.A folgender Halbsatz angefügt:
„ es sei denn, dass nur einzelne Stunden des Dienstes in den Zeitraum von 20 Uhr bis 24 Uhr fallen. In diesem Fall gebührt die Zulage in der Höhe von ... 9 %. “
Die Erläuterungen zu § 48 Abs 1 Z 1 DO.A haben folgenden Wortlaut:
„ Die Arbeitszeit liegt dann regelmäßig zumindest teilweise in der Nacht sowie am Samstag und/oder Sonntag, wenn
1. durchschnittlich wenigstens einmal pro Lohnzahlungszeitraum Nachtdienst sowie Samstags und/oder Sonntagsdienst oder
2. durchschnittlich wenigstens zweimal pro Lohnzahlungszeitraum Nachtdienst sowie durchschnittlich wenigstens einmal in acht Wochen Samstags und/oder Sonntagsdienst anfällt (zB 'Radldienst') .“
2.3. Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts enthält die DO.A eine besondere Definition des Nachtdiensts. Gemäß § 53 DO.A gebührt nämlich eine Nachtdienstzulage „ für eine innerhalb der Normalarbeitszeit gelegene Dienstleistung zwischen 20 Uhr und 6 Uhr; (...)“. Dieser Zeitraum ist ident mit dem in § 48 Abs 1 DO.A für den Anspruch auf Belastungszulage relevanten Zeitraum.
Es besteht daher keine Notwendigkeit, von diesem völlig eindeutigen Begriffsinhalt bei der Interpretation der Erläuterungen zu § 48 Abs 1 DO.A abzuweichen und für die Auslegung des Begriffs „Nachtdienst“ Definitionen der „Nachtarbeit“ oder „Nachtschwerarbeit“ aus gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Bestimmungen (§ 12a AZG;§ 5a KA AZG;§ 9g DO.A) heranzuziehen, die in einem ganz anderen sachlichen Zusammenhang stehen.
Die Erläuterungen zu § 48 Abs 1 DO.A dienen offenkundig nur der Klarstellung, wie häufig belastende Dienste innerhalb eines Lohnzahlungszeitraums geleistet werden müssen, um den Anspruch auf Belastungszulage zu begründen. Es spricht nichts für eine Absicht der Kollektivvertragsparteien, das in § 48 Abs 1 DO.A bereits eindeutig definierte Zeitfenster („zumindest teilweise zwischen 20 Uhr bis 6 Uhr“) zu verkürzen oder dem Begriff „Nachtdienst“ ein von spezielleren Regelung des § 53 DO.A abweichendes Verständnis zu unterlegen.
Die von der Klägerin verrichteten Spätdienste umfassten daher regelmäßig (teilweise) Nachtdienststunden iSd § 48 Abs 1 Z 1 DO.A samt Erläuterungen in der im klagsgegenständlichen Zeitraum bis geltenden Fassung.
Dieses Ergebnis spiegelt sich letztlich auch in der ab geltenden Novelle zu § 48 Abs 1 Z 1 DO.A wider, mit der für Spätdienste bis 22:00 Uhr eine besondere Belastungszulage von 9 % eingeführt wurde: es hätte der formulierten Ausnahme („ es sei denn ...“ ) nicht bedurft, wäre der Zeitraum zwischen 20:00 Uhr und 22:00 Uhr vom ursprünglichen Anwendungsbereich ohnehin ausgenommen gewesen.
Der Revision war daher Folge zu geben und im Ergebnis die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG,§§ 41 und 50 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00069.14A.0527.000