VfGH vom 15.12.1990, b551/90
Sammlungsnummer
12591
Leitsatz
Aufhebung des angefochtenen Bescheides aufgrund Anlaßfallwirkung
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden der Beschwerdevertreterin die mit 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit Bescheid vom gab das Arbeitsamt Vöcklabruck dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Sondernotstandshilfe für alleinstehende Mütter gemäß § 39 Abs 1 in Verbindung mit § 33 Abs 2 litc AlVG und § 4 Abs 2 der Verordnung des Bundesministers für Soziale Verwaltung vom , BGBl. 352/1973, betreffend Richtlinien für die Gewährung der Notstandshilfe (Notstandshilfeverordnung) in der Fassung der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom , BGBl. 319/1988, keine Folge, da wegen Überschreitens der Familienobergrenze im Sinne des § 4 Abs 2 der Notstandshilfeverordnung zufolge Anrechnung des Einkommens des an derselben Adresse gemeldeten Kindesvaters (§39 Abs 3 AlVG) Notlage der Beschwerdeführerin nicht vorliege. Die Berufung blieb erfolglos.
Die vorliegende Beschwerde gegen den Berufungsbescheid des Landesarbeitsamtes rügt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung.
II. Die Beschwerde ist begründet.
Mit Erkenntnis G81/90 ua., V179/90 ua. vom hat der Verfassungsgerichtshof unter anderem die Bestimmung des § 4 Abs 2 der Notstandshilfeverordnung in der hier anzuwendenden Fassung als gesetzwidrig aufgehoben.
Gemäß Art 139 Abs 6 B-VG ist eine vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Verordnung im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sind einem Anlaßfall (im engeren Sinne) jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung, bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in jenem des Beginns der nichtöffentlichen Beratung über eine in der Beschwerdesache präjudizielle Gesetzesstelle anhängig sind (vgl. z.B. VfSlg. 10616/1985; B612/89 vom ).
Der das vorliegende Verfahren einleitende Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist am beim Verfassungsgerichtshof eingelangt; die Beschwerdesache ist damit seit diesem Zeitpunkt beim Verfassungsgerichtshof anhängig. Die mündliche Verhandlung im Normenprüfungsverfahren über § 4 Abs 2 der Notstandshilfeverordnung fand am statt. Die Aufhebung der Verordnung wirkt daher auch für diesen Fall.
Der angefochtene Bescheid ist in Anwendung der als gesetzwidrig aufgehobenen Bestimmung ergangen. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß durch die Anwendung der Verordnung die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin nachteilig berührt wurde. Die Beschwerdeführerin ist demnach durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden. Der Bescheid ist daher aufzuheben (§19 Abs 4 Z 3 VerfGG).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.
Fundstelle(n):
QAAAE-03341