OGH vom 23.10.1990, 10ObS330/90

OGH vom 23.10.1990, 10ObS330/90

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Alfred Happi und Oskar Harter (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Ruthilde A***, Pensionistin, 4650 Lambach, Marktplatz 4, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER G***

W***, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Höhe der Alterspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Rs 57/90-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 24 Cgs 213/89-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der S*** DER G***

W*** vom wurde der Klägerin die Alterspension ab in Höhe von monatlich S 9.571,90 zuerkannt. Dabei wurden 314 Versicherungsmonate berücksichtigt und von einer Bemessungsgrundlage zum Stichtag von S 17.727,-- und einer solchen für die erhöhte Alterspension zum Bemessungszeitpunkt von S 9.866,-

- ausgegangen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin zu 24 Cgs 116/89 des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes Klage mit dem Begehren, für die Pensionsberechtigung zusätzliche drei Monate, nämlich Juni bis August 1945 als Versicherungszeiten zu berücksichtigen. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung dieses Begehrens und führte aus, daß zwar die Klägerin tatsächlich 317 Versicherungsmonate erworben hätte, daß aber die Alterspension im damals angefochtenen Bescheid infolge einer fehlerhaften Berechnung der Bemessungsgrundlagen zu hoch errechnet worden wäre. Daraufhin zog die Klägerin in der Streitverhandlung vom ihre Klage zurück.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wurde der Klägerin die Alterspension für die Zeit vom 1.1. bis in der monatlichen Höhe von S 9.186,70 und ab von S 9.379,60 zuerkannt, wobei 317 Versicherungsmonate und die nunmehr richtig berechneten Bemessungsgrundlagen zum Stichtag von S 16.879,-- und für die erhöhte Alterspension zum Bemessungszeitpunkt von S 7.623,-- zugrunde gelegt wurden.

Dagegen erhob die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem Begehren, ihr gemäß § 72 Z 2 lit.c ASGG die Alterspension in der Höhe des ursprünglichen Bescheides vom zu gewähren. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die mit dem Bescheid vom gewährte (niedrigere) Pension entspreche hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen und Versicherungszeiten der Sach- und Rechtslage.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin die Alterspension in Höhe von monatlich S 9.186,70 ab , von S 9.379,60 ab und von S 9.661,-- ab zu zahlen und wies das Mehrbegehren auf Zahlung einer höheren Alterspension ab. Durch die zu 24 Cgs 116/89 erhobene Klage sei der Bescheid vom zur Gänze außer Kraft getreten, weil die von der Klägerin behauptete unrichtige Feststellung der Versicherungsmonate nicht isoliert von der Bemessungsgrundlage betrachtet werden könne. Durch das Außerkrafttreten des Bescheides sei die Entscheidungsbefugnis darüber, welche Alterspension der Klägerin zustehe, endgültig auf das Gericht übergegangen. Die Klagsrückziehung habe nicht mehr zu einer neuen Entscheidungskompetenz des Versicherungsträgers geführt; dieser habe gemäß § 72 Z 2 lit.c ASGG lediglich einen reinen Wiederholungsbescheid zu erlassen. Da der nach Klagsrückziehung erlassene Bescheid vom ersten abwiche, sei die nunmehrige Klage zulässig. Diese Klage führe aber dazu, daß das Gericht materiell in der Sache selbst über das Klagebegehren zu entscheiden habe. Bei Prüfung der Versicherungsmonate und der Bemessungsgrundlage ergebe sich die im zuletzt ergangenen Bescheid richtig festgestellte Pension der Klägerin.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne einer vollen Klagsstattgebung dahin ab, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin die Alterspension von monatlich S 9.571,90 ab , von S 9.772,90 ab und von S 10.163,80 ab zu zahlen. Der Versicherte sei grundsätzlich zur Klagsrücknahme berechtigt und bedürfe dabei nicht der Zustimmung des Versicherungsträgers; dieser habe in einem solchen Fall binnen 4 Wochen mit einem Wiederholungsbescheid jene Leistung festzustellen, die dem Versicherten bereits ohne Klagserhebung auf Grund des ursprünglichen Bescheides zugestanden wäre. Einen davon abweichenden Bescheid dürfe der Versicherungsträger nur bei einer Änderung des Sachverhaltes erlassen. Wenn, wie im vorliegenden Fall, der Versicherungsträger keinen Wiederholungsbescheid erlasse, sondern einen ihm unterlaufenen Irrtum durch Erlassung eines von der Leistung nach § 71 Abs. 2 ASGG abweichenden Bescheides korrirgiere, sei dieser Bescheid anfechtbar, das Gericht sei aber in diesem Fall ebenso wie bei Erhebung einer Säumnisklage wegen Nichterlassung eines Wiederholungsbescheides nicht berechtigt, den Anspruch vom Grunde auf materiell neu zu prüfen, sondern es habe mit Urteil das zuzusprechen, was in einem reinen Wiederholungsbescheid festzustellen gewesen wäre, nämlich die mit dem ersten angefochtenen Bescheid zuerkannte Leistung. jedes andere Ergebnis würde die gesetzliche Verpflichtung zur Erlassung eines reinen Wiederholungsbescheides ohne Sachverhaltsänderung aufheben und es dem Versicherungsträger ermöglichen, bei Klagserhebung zu Lasten des Versicherten den gesetzlichen Zustand herzustellen, was nach § 101 ASVG und § 69 GSVG ohne Klagserhebung zu Lasten des Versicherten nicht möglich sei. Eine Änderung des Sachverhaltes sei hier zwischen Erlassung des ersten Bescheides und des nach Klagsrücknahme erlassenen neuen Bescheides nicht eingetreten. Den Irrtum über die Bemessungsgrundlagen könne der Versicherungsträger zum Nachteil des Versicherten auch nicht durch nachträgliche Feststellung des gesetzlichen Zustands korrigieren.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil von der beklagten Partei erhobene Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist nicht berechtigt.

Gemäß § 72 ASGG gelten für die Zurücknahme der Klage folgende Besonderheiten: 1. Der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid tritt durch die Zurücknahme der Klage nicht wieder in Kraft; 2. nimmt ein Versicherter seine Klage zurück, so a) bedarf er hiezu in keinem Fall der Zustimmung des Versicherungsträgers;

b) gilt sein Antrag so weit als zurückgezogen, als der darüber ergangene Bescheid durch die Klage außer Kraft getreten ist; c) hat der Versicherungsträger binnen 4 Wochen ab Kentnnis von der Klagsrücknahme mit Bescheid jene Leistung festzustellen, die er dem Versicherten auch nach dem Zeitpunkt der Zurücknahme der Klage nach dem § 71 Abs. 2 ASGG zu gewähren hätte, wenn die Klage nicht zurückgenommen worden wäre. Diese Bestimmung geht auf § 385 Abs. 1 ASVG zurück, der durch § 96 ASGG aufgehoben wurde. Schon nach der früheren Rechtslage war die Zurücknahme der Klage zulässig, doch war gleichzeitig, um den Kläger vor dem Nachteil zu bewahren, daß sein Anspruch auf vorläufige Gewährung der Leistung, soweit sie nach dem außer Kraft getretenen Bescheid zugestanden war, erlöschen würde, der Versicherungsträger verpflichtet, falls er gemäß § 384 Abs. 2 ASVG (alt) ohne Zurücknahme der Klage weiter zu leisten gehabt hätte, die zu erbringende Leistung innerhalb von vier Wochen durch Bescheid festzustellen. Damit sollte die Klagemöglichkeit allenfalls eröffnet werden, die allerdings nur dann gegeben war, wenn der Bescheid nicht einfach den früheren Bescheid wiederholte (Teschner/Fürböck ASVG 38.ErgLfg.1709 Anm.1 zu § 385 alt). Auch nach der Regelung des § 72 ASGG hindert die Zurücknahme der Klage eine neue Klagseinbringung dann nicht, wenn der Versicherungsträger nicht innerhalb von vier Wochen ab Kenntnis der Klagsrücknahme mit Bescheid jene Leistung festgestellt hat, die dem außer Kraft getretenen Bescheid entspricht. Diese Sonderregelung ist eine Konsequenz der sukzessiven Zuständigkeit, auf Grund deren der Bescheid der den Anlaß zur Klage gegeben hat, mit der Klagserhebung endgültig außer Kraft tritt. Das bedeutet, daß die Klagsrücknahme durch den Versicherten den Versicherungsträger verpflichtet, binnen vier Wochen dem Versicherten diejenigen Leistungen zuzusprechen, die er auf Grund des ersten (durch die Klage außer Kraft getretenen) Bescheides zu leisten gehabt hätte. Erläßt er diesen Bescheid nicht rechtzeitig, dann kann ungeachtet der Klagsrücknahme die Klage auf Leistung neuerlich erhoben werden. Diese Regelungen sollen einerseits die Wirkungen der Klagsrücknahme auf die zugrunde liegende Leistungspflicht und das Bescheidverfahren als Folge der sukzessiven Zuständigkeit in Einklang bringen, andererseits sicherstellen, daß der Versicherte den an sich unstreitig gebliebenen Teil - die ursprünglich zuerkannten Leistungen - weiterhin zugesprochen erhält (Fasching ZPR2 Rz 2313;

derselbe in Tomandl SV-System 3.ErgLfg.728/8 und 9; Kuderna ASGG 391 f Erl.7 zu § 72 mwN; vgl. auch OLG Wien, SVSlg.22.326;

SSV 21/108). Der vorliegend angefochtene, nach Zurücknahme der Klage erlassene Bescheid verstößt materiell gegen die Bestimmungen des § 71 Abs. 2 und des § 72 Z 2 lit.c ASGG, weshalb die Bescheidklage zulässig ist. Das Sozialgericht hat in einem solchen Fall aber nicht den Anspruch materiell neu zu prüfen, sondern mit Urteil das auszusprechen, was in einem reinen Wiederholungsbescheid festzusetzen gewesen wäre, nämlich die mit dem ersten angefochtenen und durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheid zuerkannte Leistung. § 71 Abs. 2 ASGG gilt nach Abs. 3 dieser Gesetzesstelle dann nicht, wenn der Versicherungsträger wegen einer Änderung der Verhältnisse während des Verfahrens einen neuen Bescheid erläßt. Der vorliegende Bescheid wurde aber nicht während des Verfahrens erlassen und auch, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, nicht wegen einer Änderung der Sachlage: Nur Sachverhaltsänderungen, die nach Erlassung des mit der ersten Klage bekämpften Bescheides während des darüber anhängigen gerichtlichen Verfahrens eingetreten sind, berechtigen den Versicherungsträger in diesem Stadium wegen Änderung der Verhältnisse einen neuen Bescheid zu erlassen (Kuderna ASGG 386 Erl.7 zu § 71 mit Hinweis auf Bauer; Probleme der sukzessiven Kompetenz SozSi 1972, 210). Anlaß für die Festsetzung der Alterspension in einer niedrigeren Höhe war aber nicht eine solche Änderung der Verhältnisse nach Erlassung des ersten Bescheides, sondern ein damals der beklagten Partei unterlaufener Irrtum bei Errechnung der Bemessungsgrundlagen. Diesen Irrtum kann der Versicherungsträger zum Nachteil des Versicherten ohne die förmlichen Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens nicht korrigieren.

Die von der Revisionswerberin gegen diese Rechtsauffassung ins Treffen geführten Argumente überzeugen nicht. Wenngleich die Rückforderung einer zu Unrecht erbrachten Leistung nicht von der Beseitigung der über die Leistung ergangenen Entscheidung abhängt und die Leistung auch für die Zukunft ohne Rücksicht auf eine frühere Entscheidung und ohne eine Änderung der Verhältnisse neu festgesetzt werden kann, wenn die Voraussetzungen für die Rückforderung erfüllt sind (SSV NF 3/9), so besagt dies im vorliegenden Fall nichts, weil die Voraussetzungen für eine Rückforderung weder vorliegen noch von der beklagten Partei behauptet wurden. Auch das Problem, ob im Verfahren in Sozialrechtssachen die "reformatio in peius" grundsätzlich ausgeschlossen ist oder nicht (vgl. dazu SSV NF 2/42 = SZ 61/103), braucht im vorliegenden Fall mit Rücksicht auf die eindeutige Regelung des § 72 Z 2 lit.c ASGG nicht weiter erörtert zu werden. Mit Rücksicht auf den klaren und den Willen des Gesetzgebers deutlich wiedergebenden Wortlaut der hier in Frage stehenden Bestimmung verbietet sich auch die von der Revisionswerberin angestrebte "verfassungskonforme Auslegung" dahin, daß der Versicherungsträger und demgemäß auch das angerufene Sozialgericht berechtigt sei, anstelle des Wiederholungsbescheides oder entsprechenden Urteils in Berichtigung eines dem Versicherungsträger bei Zuerkennung der Leistung unterlaufenen Irrtums die Leistung nunmehr in einer geringeren Höhe festzusetzen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.