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OGH vom 17.04.2018, 10ObS33/18b

OGH vom 17.04.2018, 10ObS33/18b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der Klägerin N*****, vertreten durch Mag. Anatol Schürer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Weitergewährung der Waisenpension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 103/17d-13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 9 Cgs 122/17g-5, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die am geborene Klägerin bezog eine Waisenpension nach ihrem am verstorbenen Vater. Sie absolviert einen Lehrgang zur Diplomierten Berufs und Sozialpädagogin der WIFI OÖ GmbH in Linz. Diese Ausbildung dauert von bis . Der Unterricht findet ca einmal im Monat Freitags von 14:00 bis 21:30 Uhr sowie Samstags von 9:00 bis 16:30 Uhr statt. Die Gesamtunterrichtseinheiten betragen laut Lehrplan 260 Einheiten. Dazu kommen Einzelselbsterfahrungen (10 Einheiten), Gruppenselbsterfahrung (20 Einheiten), Peergroup (50 Einheiten), Berufspraktikum (180 Einheiten), Selbststudium (260 Einheiten) sowie Diplomarbeit (250 Einheiten). Insgesamt ergeben sich 1.030 Einheiten für den gesamten Lehrgang.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom den Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus ab.

In ihrer dagegen erhobenen Klage verwies die Klägerin insbesondere darauf, dass sie immer ca 20 Einheiten pro Woche in ihre Ausbildung investiere und der Lehrgang auch Ausbildungsinhalte außerhalb des Unterrichts umfasse.

Die Beklagte wendete ein, dass im Zeitraum bis inklusive Abschlussprüfung 32 Kurstage mit insgesamt 260 Unterrichtseinheiten von je 45 min vorgesehen seien. Die Ausbildung der Klägerin beanspruche inklusive Selbststudium, Diplomarbeit, Lernaufwand und ähnlichem weniger als 15 Wochenstunden; außerdem finde der Unterricht entweder am Freitagnachmittag oder an Samstagen statt. Die Arbeitskraft der Klägerin werde durch diese Ausbildung nicht überwiegend beansprucht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Lehrgang dauere insgesamt 51 Wochen. Daraus ergebe sich bei der Summe der Gesamteinheiten (1.030) ein Arbeitsaufwand von 20,19 Einheiten pro Woche. Eine Unterrichtseinheit sei einer Arbeitsstunde gleichzusetzen. Die Summe der erreichten Einheiten überschreite die in der Rechtsprechung geforderten 20 Arbeitsstunden pro Woche nur sehr geringfügig. Der Unterricht einmal im Monat am Freitag und an Samstagen ließe eine Erwerbstätigkeit zu.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es bemaß die Einheit – entsprechend dem als unstrittig erachteten Vorbringen der Beklagten – mit 45 min und berechnete daraus den Aufwand (für den Monat Mai 2017) mit maximal 19,275 Stunden pro Woche. Den Zeitaufwand für Fahrten zum und vom Ausbildungsort berücksichtigte es mit dem Argument nicht, dass solche Zeiten auch im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis– von Ausnahmen abgesehen – nicht als Arbeitszeit zu qualifizieren seien und daher bei der Bemessung der zulässigen Arbeitszeit außer Betracht bleiben müssten. Diese Frage sei in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht abschließend geklärt worden, weshalb die Revision zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die – nicht beantwortete – Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

1. Nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG besteht die Kindeseigenschaft, die Voraussetzung für den Anspruch auf eine Waisenpension ist (§ 260 ASVG), unter anderem auch dann noch nach Vollendung des 18. Lebensjahres, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn sich der Anspruchswerber in einer Schul oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht. In diesem Fall wird in der Regel seine Arbeitskraft durch die Schul oder Berufsausbildung so in Anspruch genommen, dass eine die Selbsterhaltung garantierende Berufstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Dass entspricht auch dem Zweck der Waisenpension, die für die Dauer der Ausbildung die Unmöglichkeit, gleichzeitig ein Erwerbseinkommen zu erzielen, zumindest teilweise ausgleichen soll (RISJustiz RS0089658 [T20]).

2. Ob die Arbeitskraft durch eine Schul oder Berufsausbildung überwiegend beansprucht wird, ist durch den Vergleich der konkreten Auslastung der Arbeitskraft mit der von der geltenden Arbeitsordnung und Sozialordnung, etwa im Arbeitszeitgesetz (AZG) oder in den Kollektivverträgen, für vertretbar gehaltene Gesamtbelastung zu ermitteln (RISJustiz RS0085184). Richtschnur ist nach der Rechtsprechung ein durchschnittliches wöchentliches Ausmaß von 20 Stunden. Liegt der zeitliche Aufwand darunter, liegt keine Kindeseigenschaft mehr vor (RISJustiz RS0085184 [T5]).

3. Zu 10 ObS 2/89(SSV-NF 3/26) sah der Oberste Gerichtshof eine überwiegende Beanspruchung im Besuch eines Bundesrealgymnasiums für Berufstätige mit einer Unterrichtszeit von 20 Stunden pro Woche und Unterrichtszeiten montags bis freitags von 18:40 bis 21:55 Uhr. Dass der Unterricht in Form eines Lehrgangs für Berufstätige nur am Abend stattfindet, schließt eine überwiegende Beanspruchung nicht grundsätzlich aus (RISJustiz RS0089658 [T5]; 10 ObS 2/89, SSVNF 3/26; 10 ObS 183/89: Unterricht von Montag bis Freitag von 17:30 bis 21:30 Uhr). In dem zu 10 ObS 256/91 (SSVNF 7/20 = RISJustiz RS0089658 [T10]) entschiedenen Fall genügte der Besuch an einer Musikschule mit Unterricht ein bis zwei Stunden pro Woche zuzüglich zwei Stunden Fahrt pro Woche und fünf bis sechs Stunden Übungszeit täglich.

4. Der von der Klägerin besuchte Lehrgang dauerte insgesamt 51 Wochen ( bis ). Dass der (in der Regel) Anwesenheit erfordernde Unterricht jeweils einmal im Monat am Wochenende geblockt (Freitag 14:00 bis 21:30 Uhr, Samstag 9:00 bis 16:30 Uhr) stattfand und sich daher speziell für Berufstätige eignete, schließt nach den in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelten Kriterien eine überwiegende Beanspruchung für sich alleine nicht aus. Danach ist nicht nur die Zeit der Anwesenheit relevant, sondern es muss auch der zeitliche Aufwand für Aufarbeitung des Lehrstoffs und Vorbereitung berücksichtigt werden. Ein Kind, dass eine Abendschule besucht, soll deshalb nicht schlechter gestellt sein als jenes, dass seine Ausbildung untertags erhält (10 ObS 2/89, SSVNF 3/26).

5. Für den 51wöchigen Lehrgang ist insgesamt für Unterricht, Ausbildung außerhalb des Unterrichts am Kursort (Praktika und ähnliches), Selbststudium und Diplomarbeit ein Zeitaufwand von insgesamt 1.030 Einheiten vorgesehen. Bei Bemessung einer Einheit mit 45 Minuten (so das Berufungsgericht) errechnet sich ein wöchentlicher Stundenaufwand von 15,14, bei Bemessung mit einer Stunde (so das Erstgericht) hingegen ein solcher von 20,19, allerdings nur unter der Annahme, dass der Zeitaufwand gleichmäßig auf die gesamte Ausbildungsdauer verteilt wird. Die Feststellungen zu Ausbildungsdauer, Unterrichtszeit und Zahl der Einheiten reichen aber nicht aus, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Waisenpension abschließend zu beurteilen.

6. Teilnehmern des Lehrgangs ist nicht zuzumuten, Unterricht von mehr als 7 Stunden täglich ohne Pause zu verbringen. Unterbrechungen sind schon zur Aufrechterhaltung der Konzentrationsfähigkeit notwendig, um sich der Teilnahme am Unterricht sinnvoll widmen zu können. Auch bei Besuch einer Schule für Berufstätige mit 20 Wochenstunden (10 ObS 2/89; SSVNF 3/26) differenzierte der Oberste Gerichtshof in seiner Beurteilung nicht danach, dass eine Unterrichtsstunde in der Regel nicht 60 Minuten dauert. Während des regelmäßig einmal im Monat stattfindenden geblockten Unterrichts am Wochenende ist die Arbeitskraft der Teilnehmer des Lehrgangs durchgehend gebunden, weshalb die Unterrichtseinheit mit jeweils einer Stunde anzusetzen ist. Bei 260 Einheiten und 51 Wochen ergibt sich ein wöchentlicher Zeitaufwand von etwas über fünf Stunden.

7. Wie hoch der Zeitaufwand für die restlichen laut Lehrplan veranschlagten Ausbildungseinheiten (Einzelselbsterfahrungen, Gruppenselbsterfahrung, Peergroup, Berufspraktikum, Selbststudium, Diplomarbeit) ist und ob die Einheiten vergleichbar dem Blockunterricht mit jeweils einer Stunde anzusetzen sind, bedarf einer näheren Prüfung, wie sich diese Ausbildung außerhalb des Unterrichtsorts gestaltete und in Anspruch genommen wurde, sowie auf welchen Zeitraum sich diese Aktivitäten verteilten. Relevant für den Vergleich mit der Auslastung der Arbeitskaft eines Berufstätigen ist nämlich die durchschnittliche Anzahl der Wochenstunden pro Monat, welche ein Schüler, Studierender oder (hier) Teilnehmer eines derartigen Lehrgangs tatsächlich aufwenden muss, um sich der Ausbildung erfolgsorientiert widmen zu können (vgl 10 ObS 202/91, SSV-NF 5/86).

8. Die Rechtsprechung bezieht die Zeiten der Fahrt zum und vom Ausbildungsort in den für die Ausbildung notwendigen Zeitraum ein (10 ObS 120/15t, SSVNF 30/17 = ZAS 2017/15, 82 [Panhölzl]; 10 ObS 237/01b, SSVNF 15/127: „… einschließlich der Fahrt zum und vom Schul und Ausbildungsort und der Aufarbeitung des Lehrstoffes mindestens 20 Wochenstunden umfassende Schulausbildung ...“). Dahinter steht der Gedanke, dass neben einer Ausbildung eine Berufstätigkeit noch zumutbar und möglich sein soll. Für die Fahrt zum Ausbildungsort und zurück verwendete Zeit fehlt einem Schüler, Studierenden oder Teilnehmer eines Lehrgangs, um sich einer Erwerbstätigkeit widmen zu können. Der erkennende Senat sieht sich daher nicht veranlasst, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Auch zu diesem Thema fehlen ausreichende Feststellungen.

9. Das Erstgericht wird das Verfahren zu ergänzen und entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

10. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00033.18B.0417.000

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